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4. Die Höhere Mädchenbildung in Österreich

4.3. Die Blütezeit der Lyzeen

Mit Einführung des provisorischen Statuts von 1900 hatte eine Blütezeit der Mädchenlyzeen in allen Kronländern der österreichisch-ungarischen Monar-chie begonnen. Binnen kurzer Zeit wurden vorhandene Mädchenschulen zu Lyzeen aufgestockt oder aber auch neu gegründet.1731904/05 gab es alles in allem an die 41 Mädchenlyzeen, 13 davon in Wien, die insgesamt von rund 6000 Schülerinnen besucht wurden.174 Trotz der „Vorliebe" der Unterrichtsbe-hörden für diese Form der höheren Mädchenbildung gab es immer noch kein staatliches Lyzeum, bestenfalls waren die Stadtgemeinden die Trägerinnen, wie Graz, Klagenfurt, Linz und Innsbruck. Eine Übersicht über die Lyzeen in allen österreichischen Kronländern zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigt deutlich auf, daß es weiterhin Vereine, Orden oder auch einzelne Privatper-sonen waren, die ein Mädchenlyzeum einrichteten. Grundsätzlich hatten von den 41 Schulen zwölf das Öffentlichkeitsrecht für die erste bis fünfte Schul-stufe, 21 hatten es für alle sechs Klassen, d.h. diese konnten eine gültige

172 Vgl. H. Engelbrecht, ebd., S. 102

173 Vgl. G. Simon, ebd., S. 186.

174 Vgl. G. Simon, ebd., S. 186.

Lyzealmatura abnehmen. Damit konnten die Mädchen ein Studium an der Philosophischen Fakultät beginnen, um nach sechs Semestern die Lehrbe-fähigung für Mädchenlyzeen abzulegen, und zwar für zwei Sprachen, Geo-graphie und Geschichte oder Mathematik, Physik und Naturgeschichte. Au-ßerdem konnte man nach einer Lateinprüfung über den Stoff der ersten sechs Gymnasialklassen das Studium der Pharmazie beginnen. Bei einer Staatsprüfung für Französisch und Englisch (z.B. an den Bürgerschulen) wurde die Deutschprüfung erlassen, und der Abiturientenkurs der Handels-akademie in Wien konnte besucht werden.175

Im folgenden eine Übersicht der Stundentafel der „Mädchenlvceen" um 1900:176

Wöchentliche

Als Freigegenstände werden gelehrt: Gesang, Turnen, Stenographie und weibliche Handarbeiten (je 2 Stunden wöchentlich)

Mit zur höheren Mädchenbildung gehörten auch noch zwei weitere schon erwähnte Kurse, nämlich der Abiturientinnenkurs der Wiener Handelsakade-mie und der Bildungsgang für Pharmazeutinnen, zudem nur Mädchen mit Lyzeal- oder Gymnasialmatura zugelassen wurden.177

Berechtigungen mit der Lyzealmatura nach dem provisorischen Statut (1900) 1) Studium an den Philosophischen Fakultät (ab dem 18. Lebensjahr)

als außerordentliche Hörerin

2) Studium der Pharmazie (nach Ablegung einer Latein-Prüfung über den Stoff der 6. Klasse Gymnasium

3) Lehrbefähigungsprüfung für Lyzeen nach sechssemestrigem Studium für

a) zwei Sprachen

b) Geographie und Geschichte

c) Mathematik, Physik, Naturgeschichte

4) Übertritt in die dritte oder vierte Klasse der Lehrerinnenbildungsan-stalt, bei Reifeprüfung dort nur Ergänzungsprüfung

5) Übertritt in den Abiturientenkurs der Wiener Handelsakademie'78

Mit der Reform von 1912 (Normalstatut für Mädchenlvzeen) begann das En-de En-des sechsklassigen Lyzeums. Durch En-den Ersten Weltkrieg kamen die hö-heren Mädchenschulen grundsätzlich in Schwierigkeiten. Der Staat hatte nach wie vor noch keine Verantwortung für die weiterführende Mädchenbil-dung übernommen. Noch immer lag sie in den Händen von Privatpersonen, Vereinen etc. und diese wählten nach der Einführung des Normalstatuts für

177 Vgl. G.Simon, ebd., S.189.

178 Zit. n.: G. Simon, ebd., S. 187 f.

Lyzeen nicht mehr das sechsklassige Lyzeum, sondern die achtklassigen Schultypen (Realgymnasium).

Aufgrund des neuen, zweistufigen Aufbaus des Lyzeums war es nun mög-lich, einer Unterstufe des Lyzeums eine Oberstufe des Reformrealgymnasi-ums „aufzusetzen". Ein zweiklassiger Aufbau auf das Lyzeum hatte zwar schon vorher die volle Reifeprüfung sowie den Hochschulzugang ermöglicht, allerdings eine zweimalige Matura verlangt. Gegenwärtig war es nach acht Klassen möglich, ab der Reifeprüfung zu studieren. Folglich wandelten sich zwischen 1912 und 1926/27 auf dem Gebiet des heutigen Österreichs ge-samt 20 Lyzeen zu Reformrealgymnasien um.179

Der Erste Weltkrieg sorgte bei den privaten Schulerhaltern für große finan-zielle Probleme. Schließlich war die Existenz ihrer Schulen von der Zah-lungskraft der Schülerinnen bzw. ihrer Eltern abhängig. Weniger begüterte Familien konnten ihre Töchter nicht auf eine teure höhere Schule schicken.

Daher war es für den Sozialdemokrat Otto GlöckeP80, Unterstaatssekretär im Unterrichtsamt, ein besonderes Anliegen, die höhere Schulbildung für Mäd-chen vom Einkommen der Eltern unabhängig zu maMäd-chen und so auch sozial Schwächeren ein Studium zu ermöglichen. Glöckel plante eine völlige Ab-schaffung der Mädchenlyzeen und eine Öffnung der Knabenschulen für die Mädchen mit dem primären Ziel der Koedukation.181

Diese Reform des Mädchen-Schulwesens kündigte Otto Glöckel am 12.02.1920 folgendermaßen an:

- Schulstipendien für mittellose Mädchen

179 Vgl. G.Simon, ebd., S. 215 f.

180 Otto Glöckel wurde am 08.02.1874 als Sohn eines Lehrers in Pottendorf (Niederösterreich) gebo-ren. Er besuchte die Lehrerbildungsanstalt in Wiener Neustadt und trat 1892 seine erste Stelle als Unterlehrer in einem Wiener Außenbezirk an. Von 1894 an war er Mitglied der sozialdemokratischen Partei. Er kritisierte die Schulverhältnisse seiner Zeit und stellte Grundsätze für eine Neuorganisation als „Einheitsschule" vor. Seine „Wiener Schulreform" erhielt überall große Anerkennung. Am

13.02.1934 wurde Otto Glöckel verhaftet und bald nach seiner Freilassung starb er am 22.07.1935.

(vgl. J. Schermaier, ebd., S. 228.)

181 Vgl. G. Simon, ebd., S. 217 f.

- Staatliche Lehrstellen schaffen und diese als indirekte Subventionen den Mädchenschulen zuzuweisen

- Staatsanstalten zu gründen und einige private Anstalten in die Staats-verwaltung zu übernehmen, vorausgesetzt, daß die Schulerhalter Schulgebäude und Schuleinrichtungen dem Staate unentgeltlich über-lassen

- Mädchenlyzeen als unzeitgemäße Schulen rasch zu beseitigen und durch Vollmittelschulen zu ersetzen.182

Aber diese radikale Maßnahme sorgte für reichlich Protest, der sich einer-seits gegen die Existenzgefährdung der Lehrerinnen und Lehrer an höheren Mädchenschulen richtete und andererseits wurden auch pädagogische Ein-wände gegen die Koedukation vorgebracht. Bis heute ist es schwer nachvoll-ziehbar, welches Motiv entscheidend war. Jedenfalls hatte der Protest Erfolg.

So mußte Otto Glöckel einlenken und er schränkte seinen Plan vom freien Zugang der Mädchen zu den Knabenschulen ein. Demzufolge versuchte die Regierung, auch die soziale Situation der Lehrerinnen und Schulhalterinnen zu verbessern.

Erstmalig war der Staat bereit, die höheren Mädchenschulen durch drei ver-schiedene Maßnahmen deutlich zu unterstützen:

Erstens wurden unter Glöckel ab Herbst 1920 (bis 1932/33) die Gehälter der Lehrkräfte durch sogenannte Notstandsaushilfen auf 90% der staatlichen Gehälter angeglichen. Zweitens übernahm der Bund die Kosten für das Per-sonal und die Lehrmittel für die ersten Klassen an vier Wiener Vereinsanstal-ten, und drittens wurden ab Oktober 1921 70 Lehrkräfte in den Bundesdienst übernommen. Dadurch hatte die Verstaatlichung des Mädchenschulwesens praktisch begonnen. Aufgrund der schlechten Wirtschaftslage der 20er Jahre kam es zu keiner weiteren Ausweitung der Subventionsmaßnahmen, son-dern eher zu einer Reduktion.183

182 Vgl. J. Schermaier, ebd., S. 266.

183 Vgl. G. Simon, ebd., S. 217-220.

Erst ab 1928 wurden dann wieder Lehrerinnen in den Bundesdienst aufge-nommen. Doch in den dreißiger Jahren wurden diese Entwicklungen durch restriktive Maßnahmen beendet. Die oben erwähnten „Notstandsaushilfen"

wurden 1932/33 aus budgetären Gründen gestrichen und das Doppelverdie-nergesetz traf die als Lehrkräfte tätigen Frauen persönlich.184