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Die Bildungsaufgabe des „neusprachlichen Unterrichts"

Gegensatz 1: Wissen gegenüber Fertigkeit als Lehrziel Gegensatz 2: Kulturkunde gegenüber Sprachkunde

5.2. Die Bildungsaufgabe des „neusprachlichen Unterrichts"

Aufgrund der zahlreichen Kulturbereiche auf der Erde, die miteinander in Verbindung treten um ihre Güter und Gedanken auszutauschen, besteht ein-fach die Notwendigkeit, neben der Muttersprache die eine oder andere Fremdsprache zu verstehen und möglichst auch sprechen zu können.241

Was anfänglich ein Privileg einer kleinen Minderheit war, ist mit der enger werdenden Verbindung zwischen den Völkern zu einem festen Bestandteil der Erziehung geworden. Demzufolge ist die Aufgabe der Schule, den

Kin-239 Vgl. W. Edmondson/J. House, ebd., S. 53.

240 Vgl. W. Edmondson/J. House, ebd., S. 54 f.

241 Vgl. Adolf Bohlen, Die Bildungsaufgabe des neusprachlichen Unterrichts. In: Der Bildungsauftrag des Gymnasiums. Hrsg.: Hermann Rohrs. Frankfurt am Main 1968, S. 27.

dem Fremdsprachen beizubringen, gegenüber früher, durchaus erweitert worden. Prinzipiell hat sich die Methodik des Unterrichts im Laufe der Zeit rasch weiterentwickelt, hauptsächlich aber im neusprachlichen Bereich. Dies läßt sich vor allem am elementaren Teil der Lehraufgabe feststellen. Eine andere Sprache als die Muttersprache zu erlernen, bedeutet eine große An-zahl von neuen Wörtern einzustudieren, ihre Aussprache und Schreibung zu üben sowie die verschiedenen Typen der Satzbildung sich einzuprägen.242

Z. B. muß man im Englischen eine völlig abweichende Schreibung und Aus-sprache erlernen und dies ist natürlich äußerst umständlich. Deshalb braucht man in Schulen in England wesentlich mehr Zeit für die korrekte Schreibung als beispielsweise in Deutschland für die gleiche Lehraufgabe in der Mutter-sprache. Vor allem die Aussprache benötigt Lehrhilfen, die zwar zeitraubend, aber unentbehrlich für den Unterricht sind. Beachtenswert hierbei ist, daß das Entscheidende darin liegt, daß man von Anfang an dem fremdnationalen Tonfall möglichst nahe kommen soll. Aussprachefehler sind für die Verstän-digung mit Ausländern meist nicht so wichtig wie die Satzmelodie. Die be-sondere Bedeutung des Tonfalls hat auch schon der Sprachforscher Jacob Grimm243 erkannt, als er dies am Beispiel des Englischen erklärte.244

„Keine unter allen neueren Sprachen hat gerade durch den Wegfall beinahe sämtlicher Flexionen eine größere Kraft und Stärke empfangen als die engli-sche, und von ihren Fülle freier Mitteltöne ist eine wesentliche Gestalt des Ausdrucks abhängig geworden, wie sie vielleicht noch nie einer anderen menschlichen Zunge zu Gebote stand.'**5

242 Vgl. A. Bohlen, ebd., S. 27.

243 Jacob Grimm (Jakob Ludwig Karl, auch Carl), geboren am 04.01.1785 in Hanau war ein deutscher Sprach- und Literaturwissenschaftler sowie Jurist und gilt als Begründer der deutschen Philologie und Altertumswissenschaft. Er starb am 20.09.1863 in Berlin, (vgl. http://www.net-lexikon.de/Jacob-Grimm.html 17.04.2004)

244 Vgl. A.Bohlen, ebd., S. 27 f.

245 Zit. n.: A. Bohlen, ebd., S. 28.

In der anderen Fremdsprache, dem Französischen, gelten diesbezüglich ei-gene Gesetze. Hier hat die Forschung ebenfalls große Fortschritte bei der wissenschaftlichen Durchforschung erlangt. Beim Gesetz der Bindung, also der liaison, hat man zwar seine typische Bedeutung bereits erkannt, aber in den Schulen wurde dies häufig mechanisch angewandt, was dementspre-chend unfranzösisch ist.246

Es kann also behauptet werden, daß der Unterricht, sobald die Grundlagen gelegt sind, dem Verständnis für die fremdsprachliche Literatur und ihren Ausdrucksformen zusteuert. Dafür sind natürlich gute Zeitschriften und Zei-tungen des anderen Landes nötig, um so den Geist des Fremdvolkes richtig zu erfassen und zu würdigen. In der Folge dienen daher Fremdsprachen nicht nur der Erweiterung der Sachkenntnis, sondern sie schaffen auch die Grundlagen für die Anteilnahme an den internationalen Gesprächen, die stärker als früher der Verständigung auf zahlreichen Gebieten dienen.247

Im Gegensatz zum Unterricht in anderen Fächern weist der Fremdsprachen-unterricht die Besonderheit auf, daß die fremde Sprache sowohl als Kommu-nikationsmittel verwendet wird als auch die Zielperspektive für den Lehr/Lernprozeß darstellt. Der Sprachunterricht beschränkt sich nicht nur auf das Lehren und Lernen sprachlicher Strukturen, sondern strebt seit jeher die Vermittlung von Kenntnissen über das Land und die Kultur der Zielsprache an.248

Für den Fremdsprachenunterricht gewinnt das landeskundliche Wissen wäh-rend der neusprachlichen Reformbewegung ständig an Bedeutung. Die Ent-wicklung der Landeskunde erfolgt jedoch nicht nach didaktisch-methodischen Argumenten, sondern hier sind eindeutig politische Ereignisse der Zeit aus-schlaggebend. Nach dem Sieg über Frankreich forderte das Deutsche Reich im Bereich der Fremdsprachen die Ausbildung eines umfassenden Wissens, das sich auf die sogenannten „Realien" des Zielsprachenlandes bezog. Die Grundlage der „Realienkunde" am Ende des 19. Jahrhunderts bildeten Fak-ten aus Geographie und Geschichte, der Zustand der Verkehrsinfrastruktur,

246 Vgl. A. Bohlen, ebd., S. 29.

247 Vgl. A. Bohlen, ebd., S. 29 ff

248 Vgl. K-R. Bausch/H. Christ/H-J. Krumm, ebd., S. 127.

die politischen und sozialen Strukturen sowie die Literatur. Zur Zeit des Ers-ten Weltkriegs kam es zu einer Umstrukturierung hinsichtlich der Rolle und der Bedeutung landeskundlichen Wissens.249

Nun zählten nicht nur isolierte Fakten für den landeskundlichen Unterricht, sondern vor allem das Verstehen eines Volkes mit Blick auf die Völkerver-ständigung. Hauptsächlich Humboldts250 These der Einheit von Kultur und Nation war für diese Umorientierung der Landeskunde umschlaggebend.

Daher wurde die Landeskunde zur „Kulturkunde". Während des Nationalso-zialismus kam es zum Wegfall des Gedankens der Völkerverständigung und zu einer Gegenüberstellung von fremder Kultur („Volkstum") und eigener Kul-tur.

Dadurch wollte man die Überlegenheit des deutschen Menschen demonstrie-ren. In diesem Fall wurde wieder die landeskundliche Arbeit im Fremdspra-chenunterricht politischen Zielen unterworfen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde aber erneut im Bereich der Landeskunde an den kulturkundlichen An-satz aus der Zeit der Weimarer Republik angeknüpft.251

5.2.1. Die Position der „Neueren Sprachen" in den Höheren Schulen Für den Unterricht in den modernen Fremdsprachen Englisch und Franzö-sisch mußte erst die Anerkennung und die Berechtigung gegenüber den al-ten Sprachen im 19. Jahrhundert bewältigt werden.-Wesentlich für die Gel-tung dieser Fächer hierbei sind die Junikonferenz 1900 und die Richertschen Richtlinien 1924/25 gewesen.

Im 17. und 18. Jahrhundert hatte die französische Sprache an den Ritteraka-demien und an den gelehrten Schulen den Vorrang vor der englischen

Spra-249 Vgl. K-R. Bausch/H. Christ/H-J. Krumm, ebd., S. 128 f.

Wilhelm von Humboldt wurde am 22.06.1767 in Potsdam geboren und war deutscher Philosoph, Sprachforscher sowie preußischer Staatsmann. Im Alter zog er sich auf den Familiensitz in Tegel zu-rück und widmete sich bis zu seinem Tod am 08.04.1835 sprachwissenschaftlichen Forschungen, (vgl.

Meyers Enzyklopädisches Lexikon. Bd. 12 Mannheim/Wien/Zürich 1974, S. 334.)

251 Vgl. K-R. Bausch/H. Christ/H-J. Krumm, ebd., S. 129.

ehe. Ab 1900 errang die englische Sprache den ebenbürtigen Stellenwert zum Fach Französisch, welches von 1933 bis 1945 die zweite Fremdsprache an den altsprachlichen Gymnasien für Jungen blieb. Aufgrund der national-sozialistischen Ideologie hatte Englisch den Vorrang gewonnen, der bis dato bestimmend blieb. Diese neuen Fremdsprachen lösten das Fach Latein ab, indem man erneut die Schulversuche mit dem sogenannten lateinlosen Un-terbau der höheren Lehranstalten auf der Junikonferenz 1900 diskutierte.252

Im Jahre 1877 wurde im preußischen Altona das erste Reformrealgymnasi-um mit der Sprachenfolge Französisch, Englisch und Latein errichtet. Folg-lich wurde der Französischunterricht aufgewertet, da er im Zeitalter von Na-poleon aufgrund der antifranzösischen Stimmung der damaligen deutschen Staaten herabgesetzt worden war. Nachdem 1882 mit der Oberrealschule ein lateinloser Schultyp geschaffen wurde, an dem sechs Jahre lang Englisch gelehrt werden konnte, setzte sich das Fach Englisch durch.253

In den 20er Jahren kam es dazu, daß man mit dem Auftrag des Realgymna-siums den neueren Sprachen eine Vorrangstellung in der Stundentafel ge-währte. Bis zum Jahr 1938 machten sich die beiden Fremdsprachen Englisch und Französisch den Vorrang streitig. Die heutige Formel „Englisch für alle"

zeigt deutlich auf, daß das in der Schule vermittelte Englisch die Funktion einer Zweitsprache erworben hat.

Diese kurze Erläuterung dient dazu, die sukzessive Ablösung der hohen Stundenanteile der alten Sprache an den höheren Lehranstalten verständlich zu machen. Bildungstheoretische Ansprüche haben bewirkt, daß es zu orga-nisatorischen Veränderungen in Fächerkanon und Stundentafeln gekommen ist. Auslösend für diese Veränderungen sind der Kieler Erlaß vom November 1900 und die Richertschen Richtlinien von 1924/25 gewesen.254

252 Vgl. B. Schmoldt, ebd., S. 164 f.

253 Vgl. B. Schmoldt, ebd., S. 165.

254 Vgl. B. Schmoldt, ebd., S. 166.