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3 Modellentwicklung und Hypothesen

3.4 Determinanten der Teamkreativität

Die individuelle Kreativität der einzelnen Teammitglieder wird in der einschlägigen Literatur als notwendige, wenn auch nicht als hinreichende Voraussetzung für Teamkreativität erachtet (vgl. Agrell & Gustafson, 1996; Amabile, 1988a; Gilson, 2002;

Kurtzberg & Amabile, 2001; Nijstad, 2000; Paulus, 2000; Pirola-Merlo & Mann, 2004). Für die vorliegende Arbeit wurde Teamkreativität als die vom Team entwickelten neuen Ideen definiert (siehe 2.2.1). Grundlage und Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer und kreativer Ideen im Team bilden die von Individuen geäußerten und zur Diskussion gestellten Ideen und Vorschläge, auch wenn diese später im Team modifiziert und weiterentwickelt werden (Kurtzberg & Amabile, 2001). Daher erfordert Teamkreativität, dass die einzelnen Teammitglieder intellektuelle und analytische Fähigkeiten besitzen sowie motiviert sind, neue Denkwege einzuschlagen und Probleme aus anderen Perspektiven zu betrachten (West, 2003).

Entsprechend betont West (2003, S. 250): „Given a team task, the innovation process begins with the creativity of individuals, albeit fostered by interaction processes in teams.”

Empirische Erkenntnisse stützen tendenziell den theoretisch spezifizierten positiven Zusammenhang zwischen individueller Kreativität und Teamkreativität. Aus der Forschung zur Effektivität von Brainstorming lässt sich entnehmen, dass die Gruppenkreativität höher ist, wenn die Gruppenmitglieder vor, während und nach der Brainstormingsitzung ihre eigenen Ideen schriftlich notieren (V. R. Brown & Paulus, 2002; Paulus & Yang, 2000).

Dieses Ergebnis lässt sich als Hinweis auf die Relevanz individueller Kreativität für die Teamkreativität interpretieren. Auch in der bereits erwähnten Studie von West und Anderson (1996) an 27 Top Management Teams erwies sich der Anteil innovativer Individuen im Team als signifikanter Prädiktor für die Radikalität von Teaminnovation58. Ferner zeigten Pirola-Merlo und Mann (2004) in einer Längsschnittstudie mit 54 Forschungs- und

58 Auch wenn in dieser Studie als abhängige Variable Teaminnovation gemessen wurde, kann sie hier dennoch als Beleg für den Einfluss individueller Kreativität auf Teamkreativität angeführt werden, da Teamkreativität in der vorliegenden Arbeit als Element von Teaminnovation definiert wurde (vgl. 2.2.1).

Entwicklungsteams, dass die durchschnittliche individuelle Kreativität der Teammitglieder signifikant positiv mit der Teamkreativität zusammenhängt. Insgesamt 71% der Varianz in Teamkreativität konnte durch die durchschnittlich individuelle Kreativität der Teammitglieder aufgeklärt werden. Entsprechend wird in der vorliegenden Arbeit ein positiver Zusammenhang zwischen der durchschnittlichen individuellen Kreativität der Geführten und Teamkreativität erwartet.

Hypothese 3a:

Die durchschnittliche individuelle Kreativität der Teammitglieder ist positiv verbunden mit Teamkreativität.

Insbesondere in der Brainstormingforschung wurde jedoch darauf hingewiesen, dass neben individueller Kreativität auch Teamprozesse eine kritische Rolle für die Gruppenkreativität spielen (Paulus, 2000; Paulus, Larey, & Dzindolet, 2001). Literatur Reviews von Brown und Paulus (1996), Mullen, Johnson und Sallas (1991) oder Stroebe und Diehl (1994) zeigen, dass reale Brainstorminggruppen mit drei oder mehr Mitgliedern quantitativ weniger Ideen und qualitativ minderwertigere Ideen produzieren als nominale Gruppen59 der gleichen Größe. Beispielsweise zeigte sich in einer experimentellen Studie im 2 (transformational vs. transaktional) x 2 (reale vs. nominale Gruppe)-Design neben einem Haupteffekt für transformationale Führung auch ein Haupteffekt für nominale Gruppen auf Teamkreativität als abhängige Variable (Jung, 2001). Somit kann die Kreativität der Gruppe aufgrund von ineffektiven Gruppenprozessen, die zu Motivationsverlusten (z.B. Free Riding60) und Koordinationsverlusten (z.B. Bewertungsangst, Production Blocking61) führen, unter der durchschnittlichen individuellen Kreativität der Gruppenmitglieder liegen (vgl.

Steiner, 1972). Die Aussage von Taggar (2002, S. 326) verdeutlicht die Bedeutung der Teamprozesse für die Entwicklung neuer Ideen im Team:

59 Bei einer nominalen Gruppe werden die Ideen der einzelnen Gruppenmitglieder, die diese getrennt voneinander entwickelt haben, anschließend aufsummiert und als Gruppenergebnis verwendet.

60 Free Riding bezieht sich auf Motivationsverluste, die daraus resultieren, dass der eigene Beitrag eines Gruppenmitglieds am Gruppenergebnis später anhand des Gruppenergebnisses nicht mehr identifiziert werden kann (Kerr & Bruun, 1983).

61 Production Blocking bezieht sich auf die Gefahr, dass Gruppenmitglieder ihre Ideen und Gedanken vergessen, während andere Gruppenmitglieder Ideen äußern und entwickeln (Lamm & Trommsdorf, 1973).

Although it is necessary for a group to contain members who are creative, team creativity-relevant processes that emerge as part of group interaction are also important. Indeed, without this latter type of behaviour, the benefits of putting together a group of highly creative individuals are neutralized.

Als Teamprozess wird in dieser Arbeit erstmals Debate in Zusammenhang mit Teamkreativität untersucht62. Wie in 3.3 erläutert, beschreibt Debate aufgabenbezogene Differenzen zwischen den Teammitgliedern, den offenen Austausch dieser divergenten Perspektiven und Ideen sowie eine engagiert geführte Diskussion. Debate steigert vermutlich nicht zwangsläufig Teamkreativität, sondern bedarf eines spezifischen Kontextes, um sein kreativitätsförderliches Potential zu entfalten. Im Folgenden wird argumentiert, dass geteilte Normen bzgl. der Erreichung höchster Qualitätsstandards und eine stark ausgeprägte Aufgabenorientierung im Team (Climate for Excellence nach West, 1990, siehe auch 2.2.2.3) den Kontext bilden, damit Debate Teamkreativität positiv beeinflusst.

Einige Autoren argumentieren, dass aufgabenbezogene Differenzen, Informationsaustausch und offene Kommunikation – Elemente, die im Debate Konzept enthalten sind beziehungsweise diesem inhaltlich ähneln (vgl. 3.3) – Teamkreativität positiv beeinflussen können (z.B. Amason, 1996; De Dreu, 1997; Drach-Zahavy & Somech, 2001;

French & Bell, 1994; Porter & Lilly, 1996; van Offenbeek & Koopman, 1996). In 2.2.2.2 wurden kreativitäts- und innovationsförderliche Effekte von aufgabenbezogenem Konflikt bereits erläutert. Aufgabenbezogener Konflikt beinhaltet jedoch das Risiko, in einen Beziehungskonflikt abzugleiten (siehe Amason, 1996; Amason & Schweiger, 1994), der sich hemmend auf Teamkreativität auswirken kann (Jehn & Bendersky, 2003, vgl. 2.2.2.2 zur Erläuterung der negativen Effekte von Beziehungskonflikt). In einer Meta-Analyse von Simons und Peterson (2000) erwiesen sich aufgabenbezogener Konflikt und Beziehungskonflikt empirisch als hoch korreliert. Dieser Zusammenhang lässt sich insbesondere auf folgende zwei Gründe zurückführen (vgl. Simons & Peterson, 2000):

Erstens kann die Transformation von aufgabenbezogenem Konflikt in Beziehungskonflikt auf einem fehlerhaften Informationsverarbeitungsprozess basieren. Da Individuen zu personalen und nicht zu situationalen Attributionen neigen (Ginzel, 1994), werten Teammitglieder von

62 Boerner et al. (2006) untersuchten Debate bereits im Zusammenhang mit der Innovationsleistung von Mitarbeitern auf Individualebene (vgl. Kapitel 3.3 zu Details der Studiendurchführung) und fanden einen positiven Effekt von Debate.

anderen geäußerte Zweifel, Einwände und Kritik an den eigenen Ansichten häufig fälschlicherweise als persönlichen Angriff und Bedrohung (Jehn, 1997a, 1997b). Die durch diese Misattribution entstehenden gegenseitigen Kränkungen können zu interpersonalen Spannungen und Feindseligkeiten führen. Zweitens beschreibt Debate per Definition eine hitzige und lebhafte Diskussion im Team und kann auch einen negativen Ton enthalten (Simons et al., 1999). Teammitglieder fühlen sich möglicherweise durch den harschen und emotional harten Diskussionsstil beschämt, verletzt oder brüskiert und entwickeln deshalb Ressentiments gegenüber den anderen Teammitgliedern.

Informationsaustausch und eine offene Kommunikation sind von Relevanz, um das in der Gruppe verfügbare Wissen auszuschöpfen, um Ideen und Vorschläge zu analysieren, zu evaluieren und zu modifizieren (van Offenbeek & Koopman, 1996). Erst eine offene und engagierte Diskussion im Sinne von Debate ermöglicht, dass aufgabenbezogene Differenzen und Konflikte zu neuen Einsichten und Inspirationen führen und Teamkreativität fördern (Johnson et al., 2000; Krauss & Morsella, 2000). Allerdings impliziert Debate auch ein starkes zeitliches Engagement der Teammitglieder (Boerner et al., 2007), das entsprechend von anderen Tätigkeiten abgezogen werden muss. Betriebswirtschaftlich gesehen rechnet sich diese Ressourceninvestition für eine Organisation nur, wenn die Investition auch zu einem signifikanten Mehrwert – im Sinne gesteigerter Teamkreativität – führt. Der produzierte Output muss die Opportunitätskosten63 übersteigen (siehe Pindyck & Rubinfeld, 2005).

Folglich muss Debate aufgabenfokussiert und qualitätsorientiert ablaufen. Ein effizienter Ablauf von Debate erfordert, dass sich die einzelnen Teammitglieder auf die Sache konzentrieren, in die Diskussion einbringen und ein starkes Commitment zur Aufgabe und zum kreativen Output aufweisen. Teammitglieder dürfen sich nicht in der Diskussion

„verzetteln“, indem sie thematisch stark abschweifen oder sich in unwichtigen Details verlieren. Ferner dürfen sie kein „Free Riding“ an den Tag legen (Kerr & Bruun, 1983).

Diese beiden beschriebenen Risiken – Transformation von Debate in einen Beziehungskonflikt und ineffizienter Ablauf von Debate – lassen sich vermutlich durch Climate for Excellence auffangen. Somit wird erwartet, dass Climate for Excellence den Zusammenhang zwischen Debate und Teamkreativität moderiert. Climate for Excellence –

63Nach Pindyck und Rubinfeld (2005, S. 214) versteht man unter Opportunitätskosten „costs associated with opportunities that are forgone when a firm’s resources are not put to their best alternative use”.

einer der vier Faktoren der in 2.2.2.3 vorgestellten Teamklima-Theorie von West (1990)64 – definiert sich über im Team geteilte Normen, die sich auf das gemeinsame Streben nach Qualität und Leistungsexzellenz beziehen65. Gruppennormen entwickeln sich im Zuge sozialer Interaktionsprozesse. Als vorgegebener Sollwert regulieren sie Einstellungen und Verhalten der Gruppenmitglieder und reduzieren somit Unsicherheit (Sherif, 1936; J. C.

Turner, 1991). Normen strukturieren nicht nur konkrete und sichtbare Verhaltensweisen, sondern steuern auch Wahrnehmung, Denken und Fühlen der Gruppenmitglieder (Wellen et al., 1998).

West (1990, S. 313) beschreibt Climate for Excellence wie folgt: „A shared concern with excellence of quality of task performance in relation to shared vision or outcomes”.

Climate for Excellence enthält damit keine Aussage über den Inhalt der verfolgten Vision oder der zu produzierenden Team-Outputs, sondern bezieht sich auf den qualitativen Aspekt jeglicher Form von zu erbringender Teamleistung (Kreativität, Innovation, Projektorganisation, Entscheidungsfindung etc.) (West, 1990). Climate for Excellence impliziert, dass Teammitglieder eine starke Aufgabenorientierung aufweisen, „ihr Bestes geben“ und erst zufrieden sind, wenn der im Team produzierte Output hohen Qualitätsansprüchen gerecht wird66. Innerhalb von Teams manifestiert sich Climate for Excellence insbesondere über transparente Leistungskriterien, regelmäßig stattfindende Evaluationsprozesse, das Betonen von Verantwortlichkeiten, die Etablierung von Kontrollsystemen und kontinuierliche Reflexion über Qualität und Exzellenz (N. R. Anderson

& West, 1996, 1998; West & Altink, 1996).

64 Da sich die anderen drei Faktoren der Teamklima-Theorie inhaltlich nicht explizit auf die Qualität von Team-Outputs beziehen (N. R. Anderson & West, 1996, 1998), erscheinen sie im Rahmen des hier analysierten Zusammenhangs zwischen Debate und Teamkreativität nicht von Relevanz.

65 Inhaltlich abzugrenzen sind soziale Normen von dem Konzept der geteilten mentalen Modelle.

Tschan und Semmer (2001, S. 219) definieren mentale Modelle als „generelle Vorstellungen oder Repräsentationen der realen Welt oder als Beschreibungen von Sachverhalten, Systemen und deren Funktionieren in einfacher anschaulicher Form“. Im Gegensatz zu sozialen Normen sind mentale Modelle induktiv gewonnene und vereinfachende Abbildungen der Realität, die dem Umgang mit Informationsüberflutung dienen beziehungsweise Unsicherheit reduzieren. Mentale Modelle sind deskriptiver, nicht normativer Natur.

66 Der ursprünglich als Climate for Excellence bezeichnete Teamklimaaspekt (West, 1990), wird von West später auch Task Orientation (N. R. Anderson & West, 1996, 1998) oder Emphasis on Quality (West et al., 2003) genannt.

Die moderierende Wirkung von Climate for Excellence beruht vermutlich auf folgenden zwei Mechanismen: Erstens senkt Climate for Excellence die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Beziehungskonfliktes. Climate for Excellence definiert sich explizit über von der Gruppe geteilte Normen bzgl. der Erreichung hoher Leistungs- und Qualitätsstandards (N. R. Anderson & West, 1998; West, 1990). Das gemeinsame Streben der Gruppe nach Leistungsexzellenz kann die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass Teammitglieder die von anderen geäußerten Zweifel und Einwände an den eigenen Ansichten und Ideen fälschlicherweise als persönlichen Angriff interpretieren. Denn Climate for Excellence begünstigt, dass Teammitglieder kritische Äußerungen auf das starke Commitment zur Aufgabe zurückführen und als nützliche Verbesserungsvorschläge wertschätzen. Zudem vergrößern geteilte Normen bzgl. Leistungsexzellenz wahrscheinlich auch die Toleranz für einen harten und brüsken Diskussionsstil, weil die Gruppenmitglieder diesen als sachdienlich erachten. Infolgedessen fühlen sich die Teammitglieder weniger leicht von schroffen Äußerungen der anderen verletzt oder gekränkt und entwickeln keine persönlichen Antipathien. Zweitens gewährleistet Climate for Excellence wahrscheinlich einen effizienten Ablauf von Debate. Denn Climate for Excellence impliziert eine hohe Aufgabenorientierung der Teammitglieder (N. R. Anderson & West, 1996; West & Altink, 1996; West & Anderson, 1996). Teammitglieder übernehmen Verantwortung (West, 1990) und bringen sich daher vermutlich stark in die Gruppendiskussion ein. Zudem achten sie wahrscheinlich eher darauf, dass Debate auf die Entwicklung neuer Ideen gerichtet bleibt, reflektieren die Effizienz des Ablaufs von Debate und kontrollieren den Output von Debate – die Quantität und Qualität der produzierten Ideen. Daher reduziert Climate for Excellence vermutlich die Wahrscheinlichkeit, dass die Teammitglieder thematisch von der Aufgabenstellung abschweifen oder „Free Riding“-Verhalten an den Tag legen. Die folgende Hypothese stellt die theoretische Argumentation für einen Moderationseffekt von Climate for Excellence zusammenfassend dar.

Hypothese 3b:

Climate for Excellence moderiert den Zusammenhang zwischen Debate und Teamkreativität. Debate ist positiv mit Teamkreativität verbunden, wenn Climate for Excellence hoch ist. Debate ist negativ mit Teamkreativität verbunden, wenn Climate for Excellence niedrig ist.