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Der Konsum als Nutzungshandlung?

Im Dokument 2 Zeitschrift Geistiges Eigentum (Seite 123-127)

Ein modernes Urheberrecht

IV. Der Konsum als Nutzungshandlung?

Wir kommen zum ersten möglichen Modernisierungsansatz: dem oben erwähn-ten Konsumrecht. Nach h.M. ist der reine Werkgenuss urheberrechtlich nicht erfasst,88 es steht jedermann frei, raubkopierte Werke zu konsumieren. Z. B.

dürfen raubkopierte Filme im Privatbereich legal angesehen, raubkopierte CDs legal angehört werden. Eindrücklicher ist es bei Büchern – es wäre befremdlich, wenn man eine illegale Fotokopie einer Buchseite nicht lesen, d. h. nicht konzen-triert ansehen dürfte.89 Eine de facto-Ausnahme von diesem Grundsatz besteht bei Software, deren Programmablauf zwar freigestellt ist, aber nicht ohne die Durchführung von dem Urheber zugewiesenen Vervielfältigungshandlungen möglich ist (s. a. unten V.1.b.).90

Angesichts des allgemeinen Trends zur Verwertung diverser Werkarten durch Nutzungseinheiten bzw. die bloße Bereitstellung zum Konsum sowie des daran anschließenden Wandels der Piraterie hin zu illegalen Konsumangeboten durch Streamingdienste stellt sich die Frage, ob der Werkkonsum generell oder in bestimmten Ausprägungen verrechtlicht werden sollte. Wertungsmäßig läge es jedenfalls nahe, dem Urheber den Werkkonsum durch ein Verwertungsrecht zuzuweisen.

1. Idee eines Konsumverwertungsrechts

Der jüngste und deutlichste Vorschlag eines Konsumverwertungsrechts stammt von G. Schulze.91 Zugunsten einer generellen rechtlichen Erfassung der Wahr-nehmbarmachung und Wahrnehmung von Werken führt Schulze unter ande-rem die Umgehung der gesetzlichen Verwertungsrechte durch urheberrecht-lich geschickt angepasste Geschäftsmodelle wie Onlinevideorecorder92 bzw.

allgemein die individuelle/halböffentliche Zugänglichmachung, das Framing und den Werkversand per E-Mail an.93 Viele öffentliche Wiedergabehandlungen seien Urhebern nicht vorbehalten, während Verwerter mit gerade noch legalen Geschäftsmodellen durchaus Gewinn machten, nur eben nichts an die Urheber zahlen wollten.94

88 BGH GRUR 1991, 449, 453 – Betriebssystem; GRUR 1994, 363, 364 f. – Holzhandelsprogramm;

Marly EuZW 2014, 616, 616 f.; Dreier/Schulze/Schulze (o. Fn. 28), § 15, Rn. 20.

89 Vgl. Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2001, S. 103 (stellt spiegelbildlich auf die „Kommuni-kationsfunktion“ von Werken ab, über die der Urheber nur durch Nichtveröffentlichung dis-ponieren könne).

90 Siehe nur Wandtke-Bullinger/Grützmacher (o. Fn. 84), § 69c, Rn. 5 ff.

91 Schulze NJW 2014, 721; zurückhaltend Marly EuZW 2014, 616, 619 (es sei „zu diskutieren, ob ein ausschließliches Recht zur Benutzung geschaffen werden sollte“).

92 BGH GRUR 2009, 845 – Internet-Videorecorder mit Anm. M. Becker; BGH GRUR 2013, 618 – Internet-Videorecorder II.

93 Schulze NJW 2014, 721, 721, 724.

94 Schulze NJW 2014, 721.

In einigen Teilen deckt sich diese Diagnose mit den oben dargelegten Pro-blemen (III.). Es gibt unzählige Nutzungshandlungen, die sich nur schwer fassen lassen, insbesondere das private und halbprivate / soziale Handeln im Internet.

Schulzes Vorschlag geht nun dahin, dass jede Wahrnehmung zumindest vergütet werden, wenn nicht dem Exklusivrecht des Urhebers unterfallen sollte.95 Zu diesem Zweck zieht er folgende „bei § 15 UrhG voranzustellende Regelung“ in Betracht: „Der Urheber hat das ausschließliche Recht, sein Werk zu lesen, hören, betrachten oder anderweitig wahrzunehmen.“. Als mildere Alternative könne in

§ 15 UrhG folgender Grundsatz aufgenommen werden: „Wer ein fremdes Werk wahrnimmt, muss hierfür eine angemessene Vergütung bezahlen.“96

In der Tat könnte der Urheber durch ein Konsumrecht theoretisch an der oben ausgeführten (oben II. 3.) Wandlung der Verwertung vom Werkerwerb hin zum Werkkonsum finanziell partizipieren. Ermöglicht würde eine technik-unabhängige Betrachtung, so dass es gleichgültig wäre, mit welcher Technik sich Nutzer Inhalte ansehen. Nicht nur Nutzer illegaler Streamingplattformen könn-ten materiellrechtlich erfasst, sondern auch künftige Techniken anhand eines Anknüpfungspunktes ins Urheberrecht integriert werden, der sich nie ändern wird: der menschlichen Wahrnehmung. Bevor eine Kritik dieser Überlegungen unterbreitet wird (IV.3.), ist in Erinnerung zu rufen, wie die Verwertung von Konsum in der Offline-Welt funktioniert.

2. Abgleich mit der Offline-Welt: Konsumerwerb in Kino, Museum, Theater etc.

Klingt die Verrechtlichung des Konsums zumindest plausibel, stellt sich zunächst die Frage, wie der Werkkonsum in herkömmlichen Kultureinrichtungen abge-rechnet wird, z. B. in Theatern, Opern, Konzertsälen oder Kinos, aber auch bei Museums- und Ausstellungsbesuchen. Augenscheinlich bezahlen Zuschauer dort unmittelbar für den Werkgenuss.

Nutzer erhalten für ihr Geld aber keine Rechtseinräumung am Werk (i. S.e.

Konsumrechts) sondern in erster Linie Zutritt zum Veranstaltungs-/Ausstel-lungsort. Beim Zuschauervertrag handelt es sich um einen typengemischten Ver-trag, der neben einer hausrechtlichen Einwilligung Elemente wie die Anmietung eines Sitzplatzes und gegebenenfalls den werkvertraglichen Anspruch auf eine bestimmte künstlerische Darbietung enthält.97 Was er aber nicht enthält sind urheberrechtliche Rechtseinräumungen an Zuschauer. Vordergründig wird also die Werkwahrnehmung veräußert, technisch handelt es sich indes um die

physi-95 Schulze NJW 2014, 721, 723.

96 Schulze NJW 2014, 721, 723.

97 Vgl. Fezer/Büscher/Obergfell/M. Becker, UWG Bd. 1, 3. Aufl. 2016, S 16 Rn. 346 ff.; Weller JuS 2006, 497, 500; Güllemann, Veranstaltungsmanagement, Event- und Messerecht, 6. Aufl. 2013, S. 2 ff.

sche Abschirmung der Werke und den Einlass gegen Entgelt. Entsprechend sind Urheber nicht gegen die Wahrnehmung ihrer Werke durch Zaungäste geschützt.

Wer sich ohne Eintrittskarte in den Kinosaal schleicht, verletzt nicht das Urhe-berrecht der Filmschaffenden sondern das Hausrecht des Kinobetreibers.

Genauso funktionieren moderne Streamingportale. Anbieter üben keine rechtliche, sondern faktische Macht gegenüber dem Nutzer aus – wer nicht zahlt erhält keinen Zugang. Die Werbung bei kostenlosen Anbietern (z. B. bei Spotify) lässt sich technisch kaum umgehen, bei Amazon sieht nur derjenige Filme, der Zugriff auf einen Account hat oder bezahlt. Auch hier gibt es weder urheber-rechtliche Probleme noch scheint es Schwierigkeiten mit der Rechtsdurchset-zung zu geben. Die in den AGB vermeintlich eingeräumten NutRechtsdurchset-zungsrechte (s. o.

II. 3. b.) haben keinen gesetzlichen Rückhalt. So erhalten Nutzer bei Spotify eine

„begrenzte, nicht exklusive, widerrufliche Lizenz zur Nutzung der Inhalte für persönliche, nicht kommerzielle Zwecke und Unterhaltungszwecke“,98 die keinen urheberrechtlichen, sondern einen tatsächlich Boden hat. Es handelt sich nur um das Vertragsversprechen, Nutzern für die Vertragslaufzeit Zugang zu gewähren.

Kurz: Legaler Konsum funktioniert auch ohne Konsumverwertungsrecht.

3. Kritik eines Konsumverwertungsrechts

Ein Konsumrecht bedeutete zunächst einmal ein Signal für den Einbruch in die Privatheit, denn eine effektive Verfolgung wäre nicht ohne Eingriffe in die Privatsphäre möglich.99 Nach dem NSA-Skandal und dem ohnehin sensiblen Thema des Datenschutzes im Internet würde dies die Legitimationskrise des Urheberrechts noch verschärfen. Ein solches Recht wäre daher schon politisch nicht durchsetzbar.

Zudem würde ein zutiefst menschlicher Vorgang verrechtlicht: Die aufmerk-same Wahrnehmung der Umwelt, d. h. die Aufnahme von Informationen. Man könnte sogar vertreten, dass die bloße Wahrnehmung eines Werkes bislang zu den Handlungen zählt, mit denen sich das Zivilrecht „nicht befasst“, die also ein

„rechtsfreier Raum“ ist.100 Die h.M. sieht sie (wohl zutreffender) als Nutzung, die aber über § 15 Abs. 2 UrhG freigestellt ist.101 Das Urheberrecht täte gut daran, an diesem Zustand nichts zu ändern. Die urheberrechtliche Erfassung einiger (zu Recht) als illegitim eingestufter Werknutzungen geschähe bei einer generel-len Erfassung des Konsums zu dem Preis, dass große Lebensbereiche

98 https://www.spotify.com/de/legal/end-user-agreement (Punkt 4).

99 Zur Konflikt privater Interessen mit Kontroll- und Durchsetzungsbedürfnissen der Urheber Peifer ZUM 2014, 86, 86 f.; Wielsch ZGE / IPJ 5 (2013), 274, 285 ff.

100 Vgl. zum „rechtsfreien Raum“ Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. 1983, S. 40 ff.

101 Dreier/Schulze/Schulze (o. Fn. 28), § 15, Rn. 20; ders. ZUM 2000, 126, 130; Peifer (o. Fn. 89), S. 103; Stieper, Rechtfertigung, Rechtsnatur und Disponibilität der Schranken des Urheber-rechts, 2009, S. 147.

licht würden, die bislang de facto freigestellt sind. Schon der Aufenthalt in einem Gebäude mit architektonisch geschütztem Innenraum, das Mithören einer Radio-sendung, die Wahrnehmung der Klingeltöne fremder Handys und unzählige wei-tere Alltagshandlungen bedürften im Extremfall der Rechtfertigung gegenüber der im ersten Schritt stattfindenden rechtlichen Erfassung. Auch ein einfacher Spaziergang durch die Stadt erforderte urheberrechtliche Schranken, da dabei unweigerlich urheberrechtlich geschützte Gebäude und Kunstwerke ins Blickfeld geraten (die Panoramafreiheit erfasst den Konsum de lege lata – zumindest dem Wortlaut nach – nicht). Die Wahrnehmung von Werken ist ein so grundlegen-der Vorgang, dass ein entsprechendes Verwertungsrecht den Alltag aller Men-schen urheberrechtlich vereinnahmen würde, nur um ihn der Illegalität durch Schranken wieder größtenteils zu entreißen. Überhaupt bedürfte es der Einfüh-rung zahlreicher neuer Schranken. Einen solchen Eingriff in die Gemeinfreiheit erlaubt sich kein anderes Rechtsgebiet. Dies gälte auch bei einer engen Formu-lierung eines Konsumrechts. Eine sinnvolle Begrenzung, z. B. auf „vorsätzlichen, technischen Eigenkonsum“ oder dergleichen, wäre zumindest schwierig. Es gäbe erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten, die zu hoher Rechtsunsicherheit in vie-len Millionen Fälvie-len täglich führten. Die beständige Sorge, bei Youtube versehent-lich illegale Inhalte zu konsumieren, wäre nur eine von vielen Fallgruppen. Kurz gesagt führten sowohl die Formulierung eines angemessenen Konsumrechts als auch dessen Begrenzung durch Schranken zu erheblichen Schwierigkeiten.

Des Weiteren könnte Urhebern mit dem Konsum als Verwertungsrecht das Konsumrisiko schon auf Lizenzebene zugewiesen werden. Momentan geschehen Lizenzeinräumungen relativ breit, z. B. für die öffentliche Zugänglichmachung auf bestimmten Portalen in Deutschland. Mit einem Konsumrecht würde der nötige Rahmen geschaffen, um Urheber auch lizenzrechtlich nur für den echten Konsum zu vergüten und sie um die Lizenzierung der reinen Nutzungsmöglich-keit zu bringen. Eine besonders exakte Abrechnung würde die oben skizzierte Einkommenskrise noch künstlich verschärfen. Das momentane „Stufensystem zur mittelbaren Erfassung des Endverbrauchers“102 ist wenigstens theoretisch darauf angelegt, dass Nutzer mehr erwerben als sie tatsächlich konsumieren werden, da es auf der Lizenzebene das Vertriebsrisiko vom Urheber fernhält.

Zukunftsweisend wäre aus Sicht der Urheber ein Verwertungsrechtesystem, das (wie bisher) beim Verwerter und Dritten ansetzt um das Verwertungsrisko zumindest aufzuteilen.

Die Einführung eines Konsumrechts würde nichts daran ändern, dass der Schaden und damit das Verwertungspotential des einzelnen Konsumvorgangs gering, also wirtschaftlich kaum sinnvoll verfolgbar ist und die illegalen Nutzer nur schwer auffindbar sind. Effizient wäre zwar eine große Abmahnwelle, bei der freilich eher die Anwaltskosten und weniger die möglichen

Schadensersatz-102 Dreier/Schulze/Schulze (o. Fn. 28), § 15, Rn. 3.

forderungen ins Gewicht fielen. Dies geschähe aber um den Preis eines weiteren Akzeptanzverlusts des Urheberrechts in der Öffentlichkeit, gepaart mit dem rechtssoziologischen Einwand, dass massenweise wirtschaftliche „Miniverlet-zungen“ geschaffen würden, von denen der Großteil ungeahndet bliebe.

Last but not least ist an das oben Gesagte zu erinnern, nämlich dass legaler Konsum auch ohne ein Konsumverwertungsrecht funktioniert. Legale Anbieter wie Netflix, Apple oder Amazon können ihren Nutzern den Zugang zum Werk leicht versperren. Dies ist sogar fast noch leichter als Zaungäste vom Betrachten einer Großveranstaltung abzuhalten. Der Konsumvorgang auf legalen Portalen unterliegt also bereits der Herrschaft der Rechteinhaber.

Zusammengefasst benennt die Verrechtlichung des Konsums mit einer Los-lösung von einer technisierten Betrachtung zwar einen wichtigen Punkt, den-noch würde die Einführung eines Konsumverwertungsrechts mehr Probleme als Lösungen erzeugen.

Im Dokument 2 Zeitschrift Geistiges Eigentum (Seite 123-127)