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Anforderungen an einen Lösungsansatz

Im Dokument 2 Zeitschrift Geistiges Eigentum (Seite 127-131)

Ein modernes Urheberrecht

V. Anstöße für ein modernes Urheberrecht

1. Anforderungen an einen Lösungsansatz

Für Ansätze zur Anpassung des Urheberrechts an das Digitalzeitalter sind anknüpfend an die obigen Überlegungen einige generelle Vorgaben zu formu-lieren, die sich auch über das hier vorgeschlagene Modell hinaus als nützlich erweisen könnten.

a) Zurück zur Wertungsjurisprudenz

Die erste Vorgabe, die ein modernes Urheberrecht berücksichtigen sollte, ist eine stärkere Berücksichtigung von Wertungen gegenüber technischen Gesichts-punkten, was im Stichwort „Technikneutralität“ zum Ausdruck kommt (dazu aa.). Zur Veranschaulichung dieses Punktes werden im Anschluss einige Bei-spiele angeführt (bb.).

aa) Wertungsspielraum und Technikneutralität

Die Klage über den schnellen Wandel der Digitaltechnik und die Schwierigkeit, hiermit rechtlich Schritt zu halten, muss an dieser Stelle nicht erneut dargelegt werden. Neben das Problem der schnellen Obsoleszenz technisch eng gefasster Regeln tritt aber noch ein grundlegenderes Argument für möglichst technikneu-trale urheberrechtliche Vorschriften:

Technische Vorgänge dienen im Urheberrecht (allzu) oft dazu, Wertungs-fragen zu entscheiden bzw. zu vermeiden. Der verführerische Reiz technisierter Betrachtungen liegt darin, dass sie einen scheinbar rechtssicheren Weg bieten, um neuartige Verwertungsmodelle in urheberrechtlichen Grauzonen zu beur-teilen. Auf die Art können aber kleine technische Änderungen Dienste ohne Veränderung ihrer  – insb. wirtschaftlichen  – Funktion aus dem illegalen in den legalen Bereich führen – und umgekehrt.103 Ein solches Vorgehen ist kurz-sichtig und droht, die Subsumtion um ihr wichtigstes Element zu beschneiden:

Die Wertung. Sie ergibt sich nicht aus der technischen Betrachtung, sondern ist eigenständig und kann ihr sogar unmittelbar widersprechen. Ein Dienst kann urheberrechtlich illegitim sein, obwohl er, technisch betrachtet, keine Rechte des Urhebers verletzt. Die technische Ausgestaltung darf mithin nur als einer von mehreren Faktoren der rechtlichen Einordnung verstanden werden. Auch des-halb sollten Regelungsvorschläge soweit wie möglich technikneutral formuliert werden. Regeln sollen gerade nicht durch kleine technische Änderungen unter-laufen werden können.

Ein modernes Urheberrecht muss im Zeitalter der Wertungsjurisprudenz den anhand gesetzlicher Wertungen zu entscheidenden Interessenkonflikt104 in den Vordergrund stellen. Die Bewertung eines konkreten Dienstes oder Geschäfts-modells erfordert, die diesbezüglichen Interessen der Urheber, Verwerter, Nutzer und Intermediäre auf diesem Wege gegeneinander abzuwägen.

Hierbei überschneiden sich die Forderungen nach Technikneutralität und Wertungsjurisprudenz. Die Interessen der Beteiligten beziehen sich auf die Funk-tionen eines Dienstes und nicht auf seine genaue technische Konstruktion. Sol-che Funktionen sind z. B. die Ermöglichung des Werkkonsums, die Möglichkeit des Offline-Zugriffs oder des Teilens online bereits frei zugänglicher Werke im Gegensatz zur Ermöglichung eigener Uploads mit oder ohne Zugriff Dritter. Sie können auf verschiedenen Wegen bewerkstelligt werden. Z. B. macht es keinen großen Unterschied, ob der einmalige Konsum eines Films durch Streaming, Download mit anschließender Deaktivierung/Löschung oder das Ausleihen einer DVD geschieht. Um solche Fragen in den Mittelpunkt der Diskussion zu rücken, müssen Rechtsanwender dem eben beschriebenen Reiz technischer

103 Schulze NJW 2014, 721, 721, 724.

104 Staudinger/Honsell (2013), Einl. zum BGB, Rn. 183 ff.; Petersen, Von der Interessenjurispru-denz zur WertungsjurispruInteressenjurispru-denz, 2001, S. 8 f.

Betrachtungen widerstehen und eine wertende Subsumtion zulassen. Hierfür muss das Gesetz den nötigen Freiraum zur Verfügung stellen, insb. darf der Gesetzeswortlaut das Ergebnis nicht anhand technischer Einzelhandlungen vor-wegnehmen, sondern muss gleichfalls stärker auf die Funktionen und Zwecke von Diensten abstellen. Die Verlagerung zu einer stärker wertenden Betrachtung ist also eng mit der Hinwendung zu größerer Technikneutralität verbunden.

bb) Beispiele – Technische vs. wertende Betrachtung

Die beschriebene Problematik der technischen Betrachtung des Urheberrechts lässt sich anhand folgender Beispiele veranschaulichen. Ihr gemeinsamer Punkt liegt darin, dass die Rechtsfragen jeweils anhand technischer oder formaler Ein-zelheiten entschieden werden, die aber unter dem Gesichtspunkt einer werten-den Betrachtung des Interessenkonflikts etwas willkürlich wirken.

Onlinevideorecorder: Für die Frage, ob Sender und Urheber es dulden müssen, dass ein werbefinanzierter Dienst Nutzern Videoaufzeichnungen ihrer Sendun-gen zur Verfügung stellt, ohne Lizenzgebühren zu zahlen, kann es nicht darauf ankommen, wo wann welche Vervielfältigung entsteht und ob (nach streitigen Kriterien) der Anbieter oder der Nutzer als Hersteller anzusehen ist.105 Hier hätte sich eine Auslegung der Privatkopienschranke anhand des urheberrecht-lichen Dreistufentests empfohlen, um wertend zu prüfen, ob das Angebot diese Schranke überdehnt – was es m. E. tut.106

Streaming: Aus dem technisch bedingten Verbleib und der technisch beding-ten Lebensdauer vervielfältigter Ausschnitte des Werks – etwa durch die Unter-scheidung von „True Streaming“ und „Progressive Downloads“107 – wird gefol-gert, ob der Nutzer ein Verwertungsrecht verletzt. Ein solches Urheberrecht ist nicht nur willkürlich und schwer vermittelbar. Wirtschaftlich macht es auch keinen großen Unterschied, ob ein neuer Kinofilm bei einem Sharehoster zum Streaming oder zum klassischen Download bereitgestellt wird. Insofern besteht m. E. gerade kein wesentlicher Unterschied. In beiden Fällen verbreitet jemand unerlaubt das Werk zum Konsum durch Nutzer und bei Werken, die dauerhaft zum Download bereitstehen, besteht kein Anlass für eine dauerhafte Speiche-rung. Gründe hierfür sind schnelle Internetzugänge, begrenzter Speicherplatz und nicht zuletzt das mangelnde Interesse, sich angesichts des Überangebots Filme mehrfach anzusehen. Der nächste entscheidende Schritt ist erst der, in dem Nutzer das Werk ihrerseits der Öffentlichkeit anbieten.

105 So aber BGH GRUR 2009, 845 – Internet-Videorecorder mit Anm. M. Becker; BGH GRUR 2013, 618 Rn. 42 – Internet-Videorecorder II.

106 Becker AfP 2007, 5; a.A. Lüghausen, Die Auslegung von § 53 I 1 UrhG anhand des urheber-rechtlichen Dreistufentest am Beispiel virtueller Private Video Recorder, 2008.

107 Vgl. nur Janisch/Lachenmann, MMR 2013, 213.

Erschöpfungsgrundsatz: Das OLG Hamm argumentiert, der Erschöpfungs-grundsatz sei auf aus dem Internet heruntergeladene Audio-Dateien nicht anwendbar, weil diese nicht § 17 UrhG, sondern ausschließlich § 19a UrhG unterfielen, und dieser „bewusst und gewollt keine Erschöpfung des Verbrei-tungsrechts kenne“.108 An der Wertungsfrage geht dies vorbei: Gibt es Gründe dafür, E-Books hinsichtlich der Erschöpfung anders als Software zu behandeln?

Dafür ist richtigerweise auf die „theoretischen Fundierungen“109 des Erschöp-fungsgrundsatzes und deren Übertragbarkeit auf E-Books abzustellen.110 Die Antwort folgt nicht aus der Zuordnung zu § 19a UrhG oder § 17 UrhG, sondern muss ihr vorangehen.

Softwarenutzung: Auch für die urheberrechtliche Erfassung der Nutzung von Software ist es ein fragwürdiges Argument, dass mit dem für die Nutzung erfor-derlichen Laden von Software die ständige Herstellung kleiner Vervielfältigun-gen einhergeht (siehe auch oben IV.).111 Die Wertungsfrage geht vielmehr dahin, ob die Softwarenutzung gegenüber dem Konsum anderer Werkarten Besonder-heiten aufweist, die für eine Zuordnung des reinen Nutzens zum Urheber spre-chen – was m. E. der Fall ist (s. u. V.4.b.aa.).

b) Rechtssicherheit und Einfachheit

Lösungsansätze sollten auf Rechtssicherheit bedacht sein, Nutzer und Urheber müssen die Rechtslage möglichst einfach einschätzen können. Insofern sind wer-tende Betrachtungen der Orientierung an technischen Vorgängen allenfalls auf den ersten Blick unterlegen. Im Ergebnis ist die technische Subsumtion nämlich von ebenso großer Unsicherheit geprägt wie die wertende Subsumtion. So weist etwa das von Schulze112 treffend angeführte BGH-Urteil zu Onlinevideorecor-dern aufgrund der komplizierten Funktionsweise dieser Dienste echte Wider-sprüche auf.113 Es ist besser, Wertungsfragen offen anzusprechen, als sie unbe-merkt in vordergründig technische Betrachtungen einfließen zu lassen, etwa in Form eines „normativen Herstellerbegriffs“ (s. a. V.1.a.bb.).114 Aber auch unab-hängig vom Streit zwischen wertenden und technischen Abgrenzungen sollten

108 OLG Hamm GRUR 2014, 853, 855 – Hörbuch-AGB.

109 Berger AcP 201 (2001), 411, 418.

110 Dazu nur M. Becker UFITA 2015/III, 687.

111 Vgl. Wandtke-Bullinger/Grützmacher (o. Fn. 84), § 69c, Rn. 5 ff.; dazu BGHZ 112, 265 = GRUR 1991, 449, 453 – Betriebssystem; GRUR 1994, 363, 364 f. – Holzhandelsprogramm.

112 Schulze NJW 2014, 721.

113 Der BGH sah die gespeicherte Aufzeichnung zugleich nach § 19a UrhG in der Sphäre des Anbieters und nach § 20 UrhG als bereits vom Nutzer empfangen an, vgl. M. Becker GRUR 2009, 851, 852.

114 OLG Dresden GRUR-RR 2007, 138, 139 – Online-Videorekorder; LG Braunschweig ZUM-RD 2006, 396, 398 – Online-Video-Rekorder. Der BGH verwarf diese Ansicht zwar, verlegte sich dafür aber auf eine normative Zurechnung des Privatkopienprivilegs, vgl. BGH GRUR 2009, 845 Rn. 15 ff. – Internet-Videorecorder; kritisch M. Becker, GRUR 2009, 851.

Lösungsansätze möglichst unkompliziert in der Anwendung sein und für das Gros der Fälle eine zuverlässige Rechtsfolgenabschätzung ermöglichen.

c) Effizienz

Eng mit diesen Überlegungen verbunden ist ein speziell durch Digitalisierung und Internet entstandenes Problem: Man kann Nutzungshandlungen heut-zutage nicht mehr sinnvoll zählen und einzeln verfolgen. 1965 gab es täglich einige hunderttausend Nutzungshandlungen in Deutschland, es wurde gedruckt, gepresst, aufgeführt, gesendet und diese illegalen Handlungen waren ebenso wie die dadurch entstandenen illegalen Werkexemplare als Einzelfälle verfolgbar.

Aufgrund der Einführung des Internets finden heute allein in Deutschland täg-lich – technisch betrachtet – Abermilliarden Nutzungshandlungen statt. Es wäre realitätsfern, diese zählen, bewerten und einzeln verfolgen zu wollen.

Hieraus ergibt sich die Forderung, dass Modernisierungsvorschläge beson-deren Wert auf Effizienz legen sollten. Die Zahl der zu bewältigenden Anwen-dungsfälle ist weit höher als z. B. die des Kaufrechts, da das Urheberrecht auf große Teile der Infrastruktur des Internets anwendbar ist (dazu unten V.3.a.).

Erforderlich ist daher ein von der Einzelhandlung gelöstes digitales Urheber-recht, das in größeren Abschnitten denkt und stärker auf Zwecke als auf Einzel-handlungen abstellt. Das Internet ist zu groß und zu kompliziert, um es urheber-rechtlich einheitlich zu regeln.

Im Dokument 2 Zeitschrift Geistiges Eigentum (Seite 127-131)