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Ausschließlichkeitsrecht und Warenverkehrsfreiheit

Im Dokument 2 Zeitschrift Geistiges Eigentum (Seite 74-79)

Verkehrsfähigkeit „Digitaler Güter“

IV. Erschöpfung als Interessenausgleich

3. Ausschließlichkeitsrecht und Warenverkehrsfreiheit

Die dritte Abwägung findet statt zwischen dem urheberrechtlichen Ausschließ-lichkeitsrecht und dem Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit.128 Dieser Aspekt

121 Vgl. auch Response of Member States, European Commission, Report on the responses to the Public Consultation on the Review of the EU Copyright Rules, July 2014, S. 22. Ähnlich wohl auch Hauck, NJW 2014, 3616, 3618.

122 Erfreuliche Ausnahmen sind etwa Katz, 2014 BYU Law Review 55, 136 (2014); Perzanowski/

Schultz, 29 Berkeley Tech. L. J. 1535, 1538 (2014); Puig, 4 (2013) JIPITEC 3, 159. Empirische Studien gibt es bislang nur vereinzelt, etwa Shiller, Quantative Marketing and Economics 11.4 (2013), 403, der die Auswirkungen digitaler Zweitmärkte auf die Einnahmen der Hersteller von Videospielen ökonomisch untersucht.

123 Katz, 2014 BYU Law Review 55, 136 (2014); Serra, 93 B. U. L. Rev. 1753, 1777 (2013).

124 Katz, 2014 BYU Law Review 55, 136 (2014) beispielsweise meint, dass das Phänomen der

„perfekten Kopie“ nicht per se ein Problem („public policy problem“) darstelle, solange die verkaufte Datei stets gelöscht werden müsse, denn dann erhöhe sich die Gesamtanzahl von Werkstücken nicht.

125 So beispielsweise durch Blockchains, die An- und Verkauf in einer öffentlich zugänglichen, dezentralen Datenbank verzeichnen, vgl. nur Plaum, Wie man den Weiterverkauf von E-Books (vernünftig) organisieren könnte, in bookbytes. Blog für Digitales, Beitrag vom 22. 2. 2016, abrufbar unter: http://www.boersenblatt.net/artikel-blockchain-bibliothek.1102755.html.

126 Nach Mezei, 6 (2015) JIPITEC 23, 55, para 189 führt beispielsweise die niederländische Platt-form Tom Kabinet einen Teil ihrer Kommission an die Autoren ab.

127 Perzanowski/Schultz, 29 Berkeley Tech. L. J. 1535, 1538 (2014). Ähnlich Mezei, 6 (2015) JIPI-TEC 23, 55, para 189: „Copyright law would be treated as a useful tool to support this system, rather than an obstacle that hinders downstream commerce, culture and personal property.“

128 Anders Schricker, FS Dietz, 2001, S. 447, 457: Die Warenverkehrsfreiheit sei nicht in die

urhe-klingt insbesondere beim EuGH an,129 und zwar unter Berufung auf (die heu-tigen) Art. 27–38 AEUV. So urteilte das Gericht bereits 1971, dass ein Parallel-import von rechtmäßig hergestellten Schallplatten aus anderen Mitgliedstaaten von der Warenverkehrsfreiheit gedeckt sei.130

Die Bestimmungen der InfoSoc-Richtlinie sind ebenfalls geleitet von diesem Binnenmarktziel.131 In seinem Schlussantrag in UsedSoft betont denn auch Gene-ralanwalt Yves Bot, dass der Erschöpfungsgrundsatz ein Gleichgewicht herstellen soll zwischen dem Verwertungsmonopol des Urhebers und der Warenverkehrs-freiheit.132 In konsequenter Fortführung dieses Plädoyers spricht der EuGH in seinem Urteil von der Gefahr einer Abschottung der Märkte, die es rechtfertige, auch digitale Güter dem Erschöpfungsgrundsatz zu unterstellen.133

Ein gewisses Pendant findet diese Argumentation in der Verkehrssicherungs-theorie, wie sie in Deutschland vertreten wird. Sie stellt die „Erhaltung eines freien und ungehinderten Wirtschaftsverkehrs“134 in den Mittelpunkt und dient damit dem „Allgemeininteresse an klaren und übersichtlichen Verhältnissen im Rechtsverkehr“135. Mit seiner Zustimmung zur Veräußerung gebe der Urheber dieses Werkstück „frei“.136 Dies ermögliche den freien Verkehr an Verkörperun-gen immaterialgüterrechtlich geschützter Güter.137 Wenn das Recht dem Urheber die Kontrolle über den weiteren Vertrieb des Werkstücks gewähre, würde diese

„ausschließliche Gewerbeberechtigung mit absoluter Wirkung gegenüber jedem

berrechtliche Wertung einzubeziehen, sondern (lediglich) aus wettbewerbsrechtlicher Sicht relevant.

129 Kohler hingegen erachtete eine (national-)territoriale Begrenzung der Erschöpfungswirkung für sinnvoll. Ihm war gerade daran gelegen, dem Urheber in gewissem Umfang Kontrolle über ausländische Verwertungshandlungen zu ermöglichen. Daher plädierte er für ein ausschließ-liches Verbreitungsrecht. Vgl. oben III.2.

130 EuGH, Urteil v. 8. 6. 1971 – Rs 78/70, NJW 1971, 1533 – Deutsche Grammophon. § 17 Abs. 2 UrhG wurde daraufhin im Rahmen des Dritten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechts-gesetzes modifiziert. Vgl. zu dem Urteil auch Mezei, 6 (2015) JIPITEC 23, 27, para 26 ff. Das Urteil bezieht sich nur auf den europäischen Binnenmarkt; eine internationale Erschöpfung sieht Art. 4 II InfoSoc-Richtlinie nicht vor, vgl. EuGH, Urteil v. 12. 9. 2006 – Rs. C-479/04, GRUR Int 2007, 237 – Laserdisken.

131 Vgl. Metzger, GRUR 2012, 118, 120.

132 EuGH, Schlussantrag v. 24. 04. 2012, C-128/11 – UsedSoft, Rn. 43.

133 EuGH, Urteil v. 3. 7. 2012, C-128/11 – UsedSoft, Rn. 62.

134 BGHZ 80, 101, 106 = GRUR 1981, 587, 589 – Schallplattenimport; Reimer, GRUR Int 1979, 221, 222.

135 Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 17 Rn. 44.

136 BGHZ 145, 7, 12 = GRUR 2001, 153, 154 – OEM-Version.

137 BGHZ 145, 7, 12 = GRUR 2001, 153, 154 – OEM-Version. Schack, Urheber- und Urheberver-tragsrecht, 7. Aufl. 2015, § 13 Rn. 429 f.; Wandtke, Urheberrecht, 4. Aufl. 2014, 8. Kap. Rn. 16;

Reimer, GRUR Int 1972, 221, 224.

Dritten“138 den Verkehr erheblich stören.139 Insbesondere würden Transaktionen über Werkstücke mit Kosten belastet.140

Der Konflikt besteht letztlich zwischen möglichst unbeschränktem (grenz-überschreitenden) Handel und (territorialer) Ausschließlichkeit des Urheber-rechts. Wer die Erschöpfung auf nationales Territorium beschränkt, „multipli-ziert“ Ausschließlichkeitsrechte141 und behindert den Handelsverkehr. Welche Vor- und Nachteile der freie Handel mit digitalen Gütern hat, gilt es noch zu erforschen.142 Die Herausforderungen sind allerdings nicht in jedem Punkt neu-artig. Beispielsweise weist das Argument, dass rechtswidrige digitale Kopien schwer als solche erkennbar seien und daher befürchtet werden müsse, dass vermehrt illegale Vervielfältigungsstücke in Umlauf gelangen würden, wenn die

„digitale Erschöpfung“ gestattet werde, auffallende Ähnlichkeit zu jenem Argu-ment auf, das gegen eine weltweite (analoge) Erschöpfung vorgebracht wird.143 Befürchtet wird auch dabei, dass Piraterieprodukte leichter in den (Welt-)Handel gelangen könnten.144

Zudem sind die positiven Effekte der (zwingenden) Erschöpfung im Analogen und Digitalen teilweise vergleichbar: Transaktionskosten – insbesondere Infor-mationskosten – sinken, wenn Nachforschungen über die Bedingungen des Erst-verkaufs entbehrlich sind.145 Wer für die internationale Erschöpfung darauf abge-stellt, wie stark die betreffenden Märkte integriert oder isoliert sind,146 müsste

138 Riezler, Deutsches Urheber- und Erfinderrecht, 1909, S. 258.

139 BGHZ 145, 7, 12 = GRUR 2001, 153, 154 – OEM-Version; BGHZ 129, 66, 73 = GRUR 1995, 673, 676 – Mauerbilder; RGZ 63, 394, 397 f. – Koenigs Kursbuch; Rehbinder/Peukert, Urhe-berrecht, 17. Aufl. 2015, § 23, Rn. 462; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 7. Aufl.

2015, § 13 Rn. 429. Nach Koehler, Der Erschöpfungsgrundsatz des Urheberrechts im Online-Bereich, 2000, S. 55, schränkt das Verbreitungsrecht den Verkehr gleichwohl ein, weil es sich nur bei einem Inverkehrbringen durch „Veräußerung“ erschöpfe, nicht etwa bei Miete oder Verleih.

140 Puig, 4 (2013) JIPITEC 3, 159, 161. Ganea, GRUR Int 2005, 102, 105, spricht plastisch von

„Reibungsverlusten aufgrund von Unsicherheit“ und betont zugleich, dass die Verkehrssiche-rungstheorie die freie Handelbarkeit von Waren und nicht eine möglichst weite Verbreitung von Werken bezwecke, weshalb sie bei Online-Transaktionen eigentlich nicht einschlägig sei (106). Die digitale Erschöpfung könne die Unsicherheiten am Markt sogar steigern, weil sie den vielfältigen Formen der Werkverbreitung im Internet nicht gerecht zu werden vermöge (107). Ähnlich Bergmann, FS Erdmann, 2002, S. 17, 26: Gestatte man die online Erschöpfung, werde „nicht die Verkehrsfähigkeit des Werkstücks erhalten“, sondern es werde „das Werk selbst unbeschränkt verkehrsfähig“ gemacht.

141 Verma, IIC 1998, 534, 539.

142 Vgl. Senftleben, NJW 2012, 2924, 2927.

143 Vgl. auch Berger, AcP 201 (2001), 411, 440 f.: Die Ablehnung internationaler Erschöpfung führe bei digitaler Verbreitung zu erheblichen Problemen, weil oft nicht festgestellt werden könne, in welchem Staat ein digitales Werkexemplar in Umlauf gebracht wurde.

144 Verma, IIC 1998, 534, 562.

145 Vgl. Perzanowski/Schultz, 58 UCLA L. Rev. 889, 896 (2011); Reese, 44 B. C. L. Rev. 577, 592 (2003).

146 Dies tut Ganea, GRUR Int 2005, 102, 105.

den europäischen Bestrebungen, einen einheitlichen digitalen Binnenmarkt zu schaffen, entscheidende Bedeutung beimessen.

Schließlich kann auch der analoge Weiterverkauf von Gütern mit einer Ver-vielfältigung einhergehen, die mit der für die Weiterveräußerung digitaler Werk-stücke erforderlichen Vervielfältigung vergleichbar ist. So befand der BGH, der Abdruck eines Parfumflakons zur Bewerbung einer (rechtmäßigen) Weiterver-äußerung des Flakons stelle keine Urheberrechtsverletzung dar.147 Vervielfälti-gungen seien zulässig, wenn sie „üblicherweise“ mit der Verbreitung einhergin-gen, der Erschöpfungsgrundsatz anderenfalls also leer liefe.148 Teilweise wird diese Ausdehnung für bedenklich gehalten, weil der BGH damit eine „generelle Vorrangregelung“ des Verkehrsinteresses schaffe.149 Dagegen wird angeführt, dem BGH sei „ersichtlich (nur) daran gelegen, dass der mit der Erschöpfung des Verbreitungsrechtes verfolgte Zweck erfüllt werden kann.“150 Dieser Gedanke lässt sich möglicherweise auf die für eine digitale Übertragung zwingend erforderli-che Vervielfältigung übertragen.151

V. Fazit

Der Erschöpfungsgrundsatz dient dem Ausgleich widerstreitender Interessen.

Dieser Gedanke kommt bereits bei Kohler zum Ausdruck. Der Erschöpfungs-grundsatz schafft eine Balance zwischen urheberrechtlicher und eigentums-rechtlicher Berechtigung, zwischen den wirtschaftlichen Interessen von Urheber und Erwerber sowie zwischen dem Urheberrecht als Ausschließlichkeitsrecht und dem Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit. Die herkömmlichen Rechtfer-tigungstheorien  – Eigentumstheorie, Belohnungstheorie und Verkehrssiche-rungstheorie  – betonen jeweils Aspekte dieses Interessenausgleichs, erfassen ihn jedoch nicht ganz. Die hier vorgeschlagene Unterteilung in drei Ebenen, in die sich auch die Argumente des EuGH in UsedSoft einordnen lassen, macht Nuancen sichtbar, die bislang verborgen geblieben sind, und sie verdeutlicht, in welchen Bereichen noch Forschungsbedarf besteht.

147 BGHZ 144, 232 = GRUR 2001, 51 – Parfumflakon.

148 BGHZ 144, 232, 239 = GRUR 2001, 51, 53 – Parfumflakon. Ganea, GRUR Int 2005, 102, 106, gibt zu Bedenken, der Parfumflakon sei letztlich nur die „Verpackung“ der eigentlichen Ware Parfum gewesen.

149 Schricker, FS Dietz, 2001, S. 447, 545, der zudem kritisiert, dass urheberrechtliche und wett-bewerbliche Interessen vermengt würden.

150 Bergmann, FS Erdmann, 2002, S. 17, 24.

151 A. A. Bergmann, FS Erdmann, 2002, S. 17, 25.

Summary

In UsedSoft, the ECJ famously decided that someone who had bought software online could

“resell” that software. There is an ongoing debate as to whether the ECJ created a “digital exhaustion doctrine” which would apply to the resale of digital goods in general. This article examines the reasoning for and against such a doctrine, and categorizes the various argu-ments that were brought forward over the past few years (II.). Moreover, the article explores whether and how the thoughts of Josef Kohler, the founder of the principle of exhaustion as applied in contemporary German copyright law, may enhance today’s discussion. To this end, Kohler’s ideas and motives are presented within their historical context (III.). The article shows that the exhaustion doctrine is a mechanism for reconciling opposing interests (IV.).

Today’s prevailing theories regarding the exhaustion of copyrighted works – which focus on the concept of property, the author’s remuneration and market protection respectively – each emphasize one aspect of exhaustion but fall short of covering the whole picture.

Humboldt Universität zu Ber-linJuristische Fakultät

Prof. Dr. Katharina de la Dur-antaye, LL.M. (Yale)

Linda Kuschel, LL.M. (Har-vard)

Unter den Linden 6 10099 Berlin

Im Dokument 2 Zeitschrift Geistiges Eigentum (Seite 74-79)