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Denken in zweckorientierten Verwertungs- und Nutzungssphären Für die Herausbildung distinkter Rechtssphären im Urheberrecht gibt es noch

Im Dokument 2 Zeitschrift Geistiges Eigentum (Seite 133-136)

Ein modernes Urheberrecht

V. Anstöße für ein modernes Urheberrecht

3. Denken in zweckorientierten Verwertungs- und Nutzungssphären Für die Herausbildung distinkter Rechtssphären im Urheberrecht gibt es noch

einen grundlegenderen Anlass als die bloße Vergütungsproblematik. Das Urhe-berrecht berührt im Internet zunehmend Bereiche des Kernzivilrechts, insb. des Wirtschaftsrechts. Diese sogleich unter Punkt V.3.a. darzulegende Erkenntnis soll der Ausgangspunkt für die Abgrenzung und Ausgestaltung von Lebens-bereichen im digitalen Urheberrecht sein.

a) Das Urheberrecht als Wirtschaftsrecht

Es gibt nur wenige Bereiche der in den vergangenen 30 Jahren entstandenen digitalen Lebenswelt, in denen das Urheberrecht keine bedeutende Rolle spielt.

Das Urheberrecht hat sich dank der Digitalisierung vom Randgebiet kulturel-ler Belange zu einer zentralen Disziplin des Wirtschaftsrechts entwickelt.122 Ursprünglich diente das Urheberrecht speziell der Verwertung von Werken.

Im Internet hingegen ist die Infrastruktur großteils urheberrechtlich geschützt.

Aufgrund dieser durch sicht- und hörbare geistige Schöpfungen geprägten Beschaffenheit des Internets (im Gegensatz etwa zu einem reinen Datennetz ohne Bild- und Tonelemente) ist das Urheberrecht dort weit mehr als ein blo-ßer Sonderschutz für geistige Schöpfungen. Es erfüllt neben der unmittelbaren Werkverwertung originäre Aufgaben eines Wirtschaftsrechts, das Bewegungen und Handlungen im Netz regelt, die mit der konkreten Verwertung geistiger Schöpfungen nichts zu tun haben. Es hat beinahe die Bedeutung eines digita-len Sachenrechts. Die eigentlichen urheberrechtlichen Verwertungshandlungen werden heutzutage von unzähligen infrastrukturellen, urheberrechtlich erfass-ten Vorgängen begleitet. Das Ausleihen einer physischen DVD oder ein Kino-besuch kennen jeweils nur eine urheberrechtliche Handlung: den Vermietvor-gang (§§ 17 Abs. 2; 27 UrhG) bzw. die Aufführung (§ 19 Abs. 4 UrhG). Der Weg zur Videothek / zum Kino, der Betrieb von Ladenlokal bzw. Lichtspielhaus,

122 Vgl. vor allem den identisch überschriebene Beitrag von Ohly, in: Depenheuer/Peifer, Geisti-ges Eigentum: Schutzrecht oder Ausbeutungstitel, 2008, S. 141 ff. (legt den Akzent allerdings weniger auf die neuen Aufgaben als auf den gewandelten Charakter und die Rechtfertigung des Urheberrechts); zur wirtschaftlichen Bedeutung des Urheberrechts siehe auch BT-Drucks.

16/5939, S. 30 (Entschließungsantrag der FDP zu einem dritten Korb des UrhR); Schack (o.

Fn. 74), Rn. 30 ff.; Fromm/Nordemann/A. Nordemann (o. Fn. 84), Einl., Rn. 1 ff.; Dreyer/

Kotthoff/Meckel/Dreyer (o. Fn. 20), Einl., Rn. 13.

das Abspielen der DVD, der Kino-Zuschauervertrag etc. sind vom allgemeinen Zivilrecht und – je nach Verkehrsmittel – öffentlich-rechtlichen Gesetzen gere-gelt. Betroffen sind allgemeine Kategorien wie z. B. der Beförderungsvertrag, der Mietvertrag nebst Nutzung der Mietsache (für die DVD, den Sitz im Kino, die Räumlichkeiten von Videothek und Kino), der Zuschauervertrag oder auch eine vorvertragliche Sonderverbindung für Auskünfte durch den Videotheks-angestellten. Im Internet hingegen ist der Weg von der Suche eines Films mit einer Suchmaschine123 über den Besuch der Filmplattform bis hin zum Abspielen des Films urheberrechtlich erfasst. Dies ist einer der Gründe, aus denen es durch die Einführung des Internets zur oben skizzierten, explosionsartigen Zunahme urheberrechtlicher Nutzungshandlungen kam. Für solche Zwecke wurden weder das deutsche noch das europäische Urheberrecht geschaffen. Dieser Umstand könnte auch das in der Öffentlichkeit mitunter aufkommende Gefühl der Unver-hältnismäßigkeit urheberrechtlicher Sanktionen und Durchsetzungsmittel im Verhältnis zur gefühlten Legitimität oder zumindest Üblichkeit mancher Ein-griffshandlungen erklären.124

Ein modernes Urheberrecht sollte daher – wie in großen Zivilrechtskodifi-kationen üblich – in Lebensbereichen denken, für die allgemeine Regeln durch spezielle Regeln angepasst werden. So sind im allgemeinen Zivilrecht identi-sche Lebensvorgänge wie z. B. Kaufverträge oder die Vergabe von Vollmachten für unterschiedliche Lebensbereiche unterschiedlich ausgestaltet (Kauf / Ver-brauchsgüterkauf / Handelskauf; allgemeines Vertretungsrecht / handelsrecht-liche Vollmachten); für den speziellen Lebensbereich der Familie gibt es ein eigenes Buch im BGB; das WEG ergänzt das BGB um spezielle Regeln für den abgrenzbaren Lebensbereich des Wohnungs-/Teileigentums. Eine exakte Ent-sprechung zur vorliegenden, urheberrechtlichen Thematik findet sich freilich nicht. Dennoch kann dieser Vergleich helfen, um das Urheberrecht aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, der seinen neuen, größeren Aufgaben gerecht wird.

b) Abgrenzung „digitaler Lebensbereiche“

Anlehnend an diese Charakterisierung des Urheberrechts ist die Abgrenzung der Pauschalvergütungen anhand der Herausbildung digitaler Lebensbereiche vorzunehmen. Vorgeschlagen wird ein verstärktes Denken in zweckorientierten Verwertungs- und Nutzungssphären, das es erlaubt, Zweifelsfragen stärker über Wertungen als über technische Einzelheiten zu entscheiden.

123 Es ist bezeichnend, dass (Bilder)suchmaschinen als Kernbestandteil des Internets über ein wackeliges Einwilligungsmodell legitimiert werden müssen, BGH GRUR 2010, 628 – Vor-schaubilder I; GRUR 2012, 602 – VorVor-schaubilder II; zurecht kritisch Kleinemenke ZGE / IPJ 5 (2013), 103, 107 ff.

124 Dazu Schwartmann/Hentsch ZUM 2012, 759, 760.

Bei diesen Sphären handelt es sich explizit nicht um Schrankenregelungen, sondern um pauschal finanzierte digitale Lebensbereiche, die mit Blick auf die dort typischerweise vorliegenden Interessenkonstellationen speziellen, passende-ren Regeln unterworfen werden. Zwar ähneln die Freistellungen samt Pauschal-vergütungen letztlich Schrankenregelungen mit Kompensationsansprüchen, zumal Letztere durchaus auch als gesetzliche Lizenzen aufgefasst werden.125 Der Zweck von Schranken liegt aber in der Freistellung von Handlungen auf Basis unterschiedlichster Gründe (z. B. mit Blick auf Art. 5 GG, die gesellschaftliche Teilhabe des Privilegierten, die Unbeachtlichkeit der Handlung, die Freiheit des öffentlichen Raums). Zweck der vorzuschlagenden Rechtssphären ist hingegen durchweg vor allem die Vergütung nicht verfolgbarer Handlungen. Die damit einhergehende Freistellung digitaler Lebensbereiche hat keinen privilegieren-den Charakter, sondern ist als zeitgemäße Anpassung der urheberrechtlichen Vergütungstechnik an eine Welt des ständigen technischen Wandels (Technik-neutralität), die damit verbundene Nichtzählbarkeit von Nutzungshandlungen sowie das gestiegene Bedürfnis nach Privatheit (Datenschutzproblematik) zu verstehen. Die entstehenden Freiräume werden nicht gewährt, sondern erkauft, es sind keine Beschränkungen, sondern Vergütungstechniken des Urheberrechts.

Die Abgrenzung spezieller Nutzungssphären hat zugleich den Vorteil, dass sich dadurch komplexere und flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. Für die einzelnen Bereiche sind nämlich auch strengere Regeln denkbar. Z. B. könnte man Framing nicht generell der Zustimmung des Urhebers unterwerfen, son-dern es punktuell reglementieren, etwa im Falle der Einbindung urheberrecht-lich geschützter Inhalte in soziale Netzwerke. Vergleichbares gilt für die Frage einer Beschränkung des Bearbeitungsrechts (§ 23 UrhG), möglicherweise wäre es sinnvoll, die abhängige Bearbeitung in bestimmten Lebensbereichen, nicht aber für alle Internetsachverhalte freizustellen. Dieser größere Gestaltungsspiel-raum ist insb. mit Blick auf die erweiterten Aufgaben des Urheberrechts als Wirt-schaftsrecht nützlich.

Die Abgrenzung der Sphären sollte funktional erfolgen, also anhand des Zwecks der Sphäre (funktionale Abgrenzung). Dafür bedürfte es geeigneter tech-nikoffener Formulierungen, die Raum für Wertungen lassen. Ziel ist ein stark zweckgesteuertes Recht, das seine Tatbestände eher über Zwecke als über Einzel-handlungen formuliert. Innerhalb der Sphären wäre ein weitgehend freier Ver-kehr digitaler (urheberrechtlicher) Güter möglich. Erneut zu betonen ist, dass die Sphären generell keine Handlungen freistellen, für die realistisch Einzel-lizenzen verlangt werden können. Die urheberrechtliche Verwertung soll nicht beschränkt sondern gefördert werden.

125 Vgl. Stieper (o. Fn. 101), S. 128 ff.; Schricker/Loewenheim/Melichar (o. Fn. 7), vor §§ 44a ff., Rn. 6, 23 f.; Obergfell/Hauck/Obergfell/Hauck, Lizenzvertragsrecht, 2016, Kap. 3, Rn. 23.

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