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Der griechische Faktor beeinflusst den türkischen Beitritt

TEIL IV: KANN DIE EU DIE LÖSUNG DER ZYPERN-FRAGE DURCH

10. DER BEITRITT DER TÜRKEI ALS NEUER FAKTOR FÜR DIE

10.4 Existieren Probleme einer Mitgliedschaft der Türkei in der EU, die den Beitritt

10.4.2 Der griechische Faktor beeinflusst den türkischen Beitritt

Die wichtigste außenpolitische Frage, die unmittelbar mit dem türkischen Beitritt in die EU zu Komplikationen führen könnte, ist der griechisch-türkische Konflikt.455 Die alte Feindschaft der beiden Nachbarländer ist nach allen Bemühungen um eine friedliche Koexistenz auch heute immer noch vorhanden, da beide Staaten zu sensibel reagieren. Es gab viele Stationen in einer Kette von Streitigkeiten,456 die nicht für eine problemlose Partnerschaft beider Staaten innerhalb der EU

453 Diese Modalitäten sehen insbesondere zweimal im Jahr Tagungen (auf der Ebene der Troika) zwischen hohen Beamten und den politischen Direktoren vor. Die Türkei wird von dem Präsidium oder dem Generalsekretariat des Rates regelmäßig über die Ergebnisse der Tagungen des Europäischen Rates unterrichtet. In der Entschließung ist ferner vorgesehen, dass Konsultationen zwischen türkischen Experten und Experten der EU in bestimmten Arbeitsgruppen der GASP stattfinden.

Die Türkei hat die in diesem Rahmen vorgesehenen Mechanismen aktiv genutzt. Seit 1995 haben regelmäßig Tagungen der hohen Beamten (auf der Ebene der Troika) sowie der Sachverständigen der verschiedenen Arbeitsgruppen des Rates stattgefunden.

454 Die Türkei beteiligt sich z.B. an der IFOR/SFOR und den multinationalen Schutzkräften in Albanien.

455 Kramer Heinz: Die Europäische Gemeinschaft und die Türkei. Entwicklungen, Probleme und Perspektiven einer schwierigen Partnerschaft. Herausgegeben von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen. Internationale Politik und Sicherheit, Stiftung Wissenschaft und Politik – SWP 21. Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden. 1988, Seite 265-274.

456 1821, 1920, 1955, 1963, 1974, 1983, 1976, 1987, 1997 und 1999.

sprechen.457 Besonders die frühere Haltung Griechenlands gegenüber der Türkei behinderte die Entwicklung der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei. In den Gremien der EU versuchte Griechenland alle Beschlüsse über die Türkei zu blockieren, oder erschwerte auf andere Art und Weise die Beziehung zwischen der EU und der Türkei. Mit dem Beitritt Griechenlands in die EU gab es einen Stillstand des Beitritts der Türkei, wegen ebendiesen griechisch-türkischen Differenzen. Tatsache ist, dass der Beitritt der Türkei sehr kompliziert ist, sowohl wirtschaftlich und gesellschaftlich, als auch politisch. Alle bisherigen griechischen Regierungen haben bis zum Jahr 2000 einen türkischen Beitritt kategorisch abgelehnt. Die Verschiebung dieser historischen Auseinandersetzungen in das Innere der EU wäre eine große Gefahr für die weitere Entwicklung der EU.

Die ZF sowie die Entwicklung in der Ägäis sind gute Beispiele für das allgemeine Problem, mit dem die EU konfrontiert werden könnte, wenn es zu einem türkischen Beitritt käme, ohne dass vorher der griechisch-türkische Konflikt beigelegt wäre. Der Entscheidungsprozess in den Gremien der EU würde gestört werden, und eine Blockierung wäre nicht auszuschließen. Man muss nämlich davon ausgehen, dass die Konfliktparteien die Brüsseler Foren als eine weitere Arena für ihre bilateralen Auseinandersetzungen nutzen würden. Man kann sich zum Beispiel eine Situation vorstellen, in der eine Entscheidung im Ministerrat über irgendeine Maßnahme im Rahmen der verteilungsorientierten EU-Politik von Griechenland oder der Türkei nur deshalb blockiert wird, weil es eine nationale Meinung gibt, dass das Land im Vergleich zum Gegner einen kleineren oder zumindest unfairen Anteil bekommen würde. Der heute schon schwierige Prozess der Integration könnte so durch die Hereinnahme des griechisch-türkischen Konflikts in die Gremien der EU entscheidend beeinträchtigt werden. Die türkische wie auch die griechische politische Kultur, von den Medien bis zu den politischen Parteien, verbindet jedes Thema der Außenpolitik sowie auch der Europapolitik mit der griechisch-türkischen Auseinandersetzung. Die Entwicklungen der Türkei in der EU verwandeln sich zu Zielen einer Auseinandersetzung zwischen Griechenland und der Türkei, und ähnlich geschieht es auch in Griechenland. Mit der Lösung der Differenzen verringert man die Möglichkeit, Streitigkeiten in die EU hinein zu bringen, welche nicht von den Institutionen der EU behoben werden könnten.

Die Türkei muss vor einem Beitritt konfliktfreie Beziehungen zu Griechenland hergestellt haben.

Der griechisch-türkische Konflikt hat stets auch die Beziehungen der Ägäis-Anrainerstaaten mit der EU erheblich beeinflusst. Wegen des griechischen Vetorechts ist, ohne die Überwindung der Feindschaft zwischen der Türkei und Griechenland, ein türkischer Beitritt in die EU schwer vorstellbar. Die EU verlangt, dass die Türkei zuerst die Probleme mit Griechenland löst, und erst dann der EU beitreten kann. Das Ziel der Türkei zum Beitritt in die EU ist verknüpft mit dem vitalen Interesse der Türkei in der Ägäis, da Griechenland auf Beilegung dieses Konfliktes drängt.

Die Entwicklungen und die Entscheidungen von Helsinki drängen die beiden Länder, ihre Differenzen zu lösen, bevor die Türkei in die EU beitritt. Es kann eine Wendung der türkischen Politik festgestellt werden, als Ergebnis der katalytischen Dynamik der EU.

Auch angesichts der türkischen Erklärung, dass jeder griechische Schritt zur Ausdehnung der Hoheitsgewässer als Casus Belli angesehen wird, scheint eine Lösung des Konflikts durch Verhandlungen auf der Basis des internationalen Rechts möglich. Eine Verhandlungslösung erscheint aber nur dann erfolgversprechend, wenn beide Staaten vorher ihr Misstrauen gegenüber der anderen Seite aufgeben würden. Die Lösung der Streitigkeiten würde der EU-Mitgliedschaft der Türkei sehr helfen, wobei Streitigkeiten die EU belasten würden und ihre Funktion sehr erschweren würden. Ein existentieller Beweis ist das Verhalten der beiden Länder in der NATO.

Die Türkei behauptet, dass umgekehrt, die sofortige Mitgliedschaft der Türkei mehr Mitwirkungsmöglichkeiten in der Lösung der Streitigkeiten einräumen würde, da es sich dann um einen Konflikt zwischen zwei Mitgliedsstaaten handeln würde. Die Mechanismen der EU, würden beim Abbau der Feindschaft zwischen Griechenland und der Türkei helfen. Dieses Argument wird jedoch auch aufgrund des Verhaltens der beiden Länder im Rahmen der NATO abgelehnt, da dadurch auch noch keine Lösung sichtbar wurde. Angesichts des Wunsches der Türkei, die Beitrittsverhandlungen zu beginnen, könnte die Beziehung zwischen der Türkei und Griechenland durch den Abbau des gegenseitigen Misstrauens und durch ein entsprechendes

457 Siehe, Volker Höhfeld, Türkei – Schwellenland der Gegensätze, Auf dem Weg nach Europa: Wunsch und Wirklichkeit, Justus Perthes Verlag Gotha, 1997, Seite 226-230.

vertrauenswürdiges Verhalten erreicht werden. Obwohl der Weg zur Aussöhnung schwierig erscheint, spricht alles für Kooperation und Frieden, statt Konfrontationen, angesichts des Wunsches der Türkei, Mitglied zu werden. Die Streitigkeiten sind nicht wirtschaftlichen Charakters. Möglich ist aber, dass im Bereich der Wirtschaft einige Initiativen unternommen werden, sodass ein positives Friedensklima erzeugt wird. Die zwei Nachbarstaaten wickeln nicht einmal zwei Prozent ihres Außenhandels miteinander ab. Somit wird deutlich, wie gering die Wirtschaftsbeziehung ist und wie viel brachliegendes Potential es gibt. Im Bereich der Politik würde sich ein Frieden auf die Stabilisierung des politischen und demokratischen Systems insbesondere in der Türkei, sowie auf den Abbau des gegenseitigen Rüstungswettlaufs positiv auswirken. Die Lösung der Streitigkeiten mit einer vorherigen Schaffung von Vertrauen wird für das weitere Schicksal des türkischen Antrags politisch entscheidend werden. Gemäß den vertraglichen Bestimmungen über die Aufnahme neuer Mitglieder in die EU kann ein türkischer Beitritt nicht ohne die Zustimmung Griechenlands erfolgen. Ohne die Lösung der Streitigkeiten würde die EU in eine Lage geraten, in der ein Problem, welches bisher externen Charakter hatte und die EU-Entwicklung nur am Rande berührte, sich zu einem entscheidenden internen Faktor für den Ablauf des gesamten politischen Prozesses entwickeln könnte.

Welche ist die Perspektive der beiden Länder in dem Fall der Lösung ihrer Differenzen als Mitgliedsstaaten der EU? Zukünftig werden die griechisch-türkischen Differenzen im Rahmen der EU Differenzen innerhalb der EU sein. Wenn die beiden Länder es schaffen, ihre Differenzen vor dem Beitritt zu lösen, wird eine ähnliche Situation entstehen wie etwa die deutsch-französischen Beziehungen. Es kommt natürlich darauf an, welches die endgültige Form der gemeinsamen Sicherheitspolitik der EU sein wird, ob zu diesem Zeitpunkt das Militär Griechenlands und der Türkei aufgelöst wird, oder ob es ein gemeinsames Militär sein wird, welches die äußeren Grenzen der EU verteidigen wird. Ähnliches gab es auch in Bezug auf die deutsch-französischen Beziehungen. Diese Entwicklung ist jedoch noch zu weit entfernt und steht im Zusammenhang mit zu vielen Parametern, welche sowohl die beiden Länder, als auch die weitere Entwicklung der EU angehen. Es ist jedoch sicher, dass die Differenzen der beiden Länder vor einem Beitritt der Türkei in die EU gelöst werden müssen. Der Druck von Seiten Griechenlands für eine friedliche Lösung der griechisch-türkischen Differenzen wird wahrscheinlich nach dem Beitritt Zyperns in die EU noch größer sein.458 Die Verbesserung der griechisch-türkischen Beziehungen legt einen erforderlichen Parameter der Lösung der ZF fest. Die Lösung der griechisch-türkischen Differenzen wird ein neues politischen Umfeld in der Region wie auch in Europa schaffen.

Die Veränderung der griechischen Politik im Jahr 2000 erzeugte neue Perspektiven für die Lösung der griechisch-türkischen Konflikte und auch eine Kettenreaktion für die Lösung der ZF. Früher erklärte die griechische Politik, dass die Türkei in ihrer gegenwärtigen wirtschaftlichen und politischen Lage für eine Mitgliedschaft noch nicht reif sei, und verlangte einen türkischen Truppenabzug von Zypern. Die Türkei stellt von der militärischen und wirtschaftlichen Ressourcenausstattung her die mächtigere Seite dar, und verfügt so über einen relativen Positionsvorteil gegenüber Griechenland. Hier schafft aber das Beitrittsargument einen gewissen Ausgleich, denn als EU-Mitglied, von dessen Zustimmung der Erfolg des türkischen Antrags abhängt, ist Griechenland in einer sehr starken Position, sowohl gegenüber der Türkei als auch gegenüber den übrigen EU-Partnern, sofern diese den ernsthaften politischen Willen für eine türkische Mitgliedschaft aufbringen sollten. Mit der Veränderung der griechischen Politik ändert sich das ganze Umfeld zum Thema des Beitritts. Die Türkei kann Mitglied werden, da Griechenland im Gegensatz zu vorher ihr dieses Recht einräumt, es stellt jedoch Forderungen und Voraussetzungen für den Beginn der Verhandlungen und für die Verhandlungen selbst. In der Vergangenheit hatte die negative Position Griechenlands ständige Streitereien hervorgerufen, und so konnte keine Lösung gefunden werden. Dies hatte auch Folgen für die ZF. Griechenland übergibt nun mit seiner positiven Haltung zum Beitritt der Türkei diese Verhandlungen an die EU, und fordert die Lösung der Differenzen mit der Europäischen Dynamik und nicht mehr der Dynamik Griechenlands. Der Parameter der Zeit bestimmt in einem wichtigen Grad den Verlauf

458 Das Zeichen dieser Politik hat der griechische Ministerpräsident Simitis am 19.4.03 gezeigt. Als Ratspräsident besuchte er, im Rahmen seiner Europareise, auch Zypern, gleich nach der Unterzeichnung des Beitrittsvertrages. Bei seiner Rede im Parlament betonte er, dass der Beitritt der Türkei in der EU nur über die Aufhebung der grünen Linie in Nikosia führen kann.

der Prozesse.

Trotz der Helsinki-Entscheidung,459 in der Griechenland seine Zustimmung für die Mitgliedschaft der Türkei gegeben hat, sind die Differenzen zwischen den beiden Seiten immer noch groß. Die Türkei erkennt jedoch die Bedeutung dieser Dimension. Wichtig an dieser Stelle ist die Einwilligung der Türkei, die Lösung der griechisch-türkischen Differenzen in den Internationalen Gerichtshof zu verlegen, was von Griechenland immer wieder beantragt, und jahrzehntelang von der Türkei abgewiesen worden war. Die Rolle der EU bei der Lösung der Differenzen der beiden Länder ist sehr entscheidend, da die EU den Verlauf des Beitritts der Türkei mit der Lösung der griechisch-türkischen Differenzen verbindet. Der Gang zum Internationalen Gerichtshof ist eine gute Möglichkeit für beide Länder, eine Lösung zu finden, ohne dass dem Prestige eines der beiden Länder geschadet wird. Aber auch durch die neue griechische Politik scheint der türkische Antrag wenig Erfolgsaussichten zu haben, solange die bilaterale Situation zwischen den Ägäis-Anrainern unverändert bleibt. Griechenland nutzt auf einer dauerhaften Basis die ihm zur Verfügung stehenden Mittel, insbesondere den europäischen Rahmen, um auf die türkischen Verletzungspraktiken, sowohl in der Ägäis als auch in Zypern, hinzuweisen, die nach griechischem Gesichtspunkt nicht den Praktiken eines Beitrittskandidaten entsprechen. Griechenland hat in der europäischen Kommission die schriftliche Berichterstattung durch ein Memorandum über das Verhalten der Türkei in der Ägäis durchgesetzt.460 Da Griechenland in diesem Punkt zunächst am längeren Hebel sitzt, kann eine Änderung wohl nur durch erste Schritte der Türkei in Gang gebracht werden. Dann bleibt für die Türkei hinsichtlich ihres Beitrittzieles aber kaum eine Alternative, als Bewegung in die türkische Ägäispolitik zu bringen, um mit Griechenland zu einem beidseitig akzeptierten Kompromiss in den Streitfragen zu kommen. Die Türkei wird sich allmählich daran gewöhnen müssen, dass die EU-Mitgliedschaft sehr wahrscheinlich auch einen politischen Preis haben wird.

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