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Der Beitritt Zyperns und der Türkei als Strategie der Beendigung des Konfliktes

TEIL V: DIE EU-MITGLIEDSCHAFT ZYPERNS ALS KATALYSATOR FÜR

12.2 Kontinuierliche Verfolgung von Friedensstrategien

12.2.5 Der Beitritt Zyperns und der Türkei als Strategie der Beendigung des Konfliktes

Im Fall der ZF steht ein struktureller Antagonismus. Er besteht aus Auseinandersetzungen zwischen den TZ und GZ und den Mutterländern z.B. darüber, welche Verfassung Zypern haben soll, wobei jeweils die eine Gruppe von der Geltung einer bestimmten Verfassung in dem Maße

620 Siehe Joachim Sikora/Hans Nitsche (Hrsg.), Migration – Konflikte und Lösungsstrategien, Manuskripte und Arbeitsunterlagen der 2. Honnefer Migrationstage, Bad Honnef 1997.

621 Dr. Dudley Weeks, Conflict Resolution Workshop, Berlin, März 1997.

profitiert, wie die andere Gruppe davon Nachteile erleidet oder auf Vorteile verzichten muss.

Durch die Mitgliedschaft verändert die ZF für alle Beteiligten die Situation. Die Kosten für die Weiterführung des Konfliktes werden mit dem ersten Lösungsschritt sinken, und die Risiken für die Nachgiebigkeit mit dem Ziele der Beendigung des Konfliktes erhöhen sich. Nun ist die Beendigung des Konfliktes ein Gefangenendilemma für das Handeln zwischen den Konfliktparteien auf Zypern: Die Seite, die den Konflikt einseitig aufgibt, hat sofort alles verloren, die andere dagegen alles gewonnen. Und deshalb wird der Zypernkonflikt weitergeführt bis zum bitteren Ende622. Eine Möglichkeit für die Beendigung des Konfliktes ist die Erschöpfung der Kräfte auf beiden Seiten als unmittelbare Folge des Konflikts. Die «Erschöpfung der Kräfte beider Seiten»

als Faktor, der beide Seiten zwingt, ihre Auseinandersetzung zu beenden, scheint im Moment nicht gegeben zu sein. Auch wenn der zypriotische Konflikt seit fast einem halben Jahrhundert besteht, so ist der Kampf um die Vorherrschaft jeder Seite stark ausgeprägt. Der Grund dafür, dass die Kräfte nicht ausgeschöpft sind, ist darin zu suchen, dass die Auseinandersetzung langjährig ist, mit verschiedenen Phasen und Zuspitzungen. Der Konflikt in Zypern gestattet, dass sich die Wirtschaft der RZ entwickelt. Ähnlich gestattet er die ungehinderte Entwicklung der TZ, auch wenn ein internationales Embargo besteht. Auf der Ebene der beiden Seiten in Zypern ist also keine Ausschöpfung der Kräfte festzustellen, so dass die Auseinandersetzung zu einem Ende führt.

Dennoch ist die Aufrechterhaltung des Konflikts auf Seiten der Mutterländer nicht länger eine wünschenswerte Strategie, weil auf dieser Ebene das Ausmaß der Folgen der ZF viel größer ist. Es wird immer stärker aufgerüstet, was sich negativ auf den Haushalt und die wirtschaftliche Entwicklung auswirkt. Der Konflikt behindert die normale Entwicklung der Wirtschaft und Gesellschaft. Der Konflikt führt dazu, dass die Folgen nicht direkt zu spüren sind, auch wenn beide Länder viel Geld in den Erhalt des Konflikts gesteckt haben. Man konnte also zumindest bis 2003 noch nicht sagen, dass beide Länder die Folgen erkannt haben und dass sie, nachdem sie ihre Möglichkeiten ausgeschöpft haben, eine Politik zur Beendigung des Konflikts zu Lasten ihrer nationalen Interessen verfolgen. Die Türkei dagegen, deren Wirtschaft von riesigen Problemen geplagt wird und Druck vom internationalen Währungsfonds erhält, die Krise in Zypern zu beenden, erklärt nicht die Erschöpfung ihrer Reserven um den Zypernkonflikt zu beenden. Dieser Konflikt besteht seit vielen Jahren und weist unterschiedliche Zuspitzungen zu verschiedenen Zeitpunkten auf, was dazu führte, dass die Erschöpfung der Reserven der am Konflikt Beteiligten nicht als erwartetes und direktes, sondern nur als indirektes und allgemeines Ergebnis zum Ausdruck kommt.

Falls der Konflikt in seiner heutigen Form fortgesetzt wird, so ist der Preis dieser Auseinandersetzung nicht so hoch, dass er die beiden Seiten in Zypern zur Erschöpfung ihrer Reserven führt. Im Gegensatz zu den Mutterländern, die einen sehr hohen Preis für die Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts in diesem Konflikt bezahlen, ohne einen wirtschaftlichen Gegenwert. Der wirtschaftliche Nutzen muss derart sein, dass er im Verhältnis zu den nationalen Folgen, die sich aus der Beendigung des Konflikts ergeben würden, eingeschätzt und bemessen werden kann. Wenn sich die Form des Konflikts nicht ändert und er weiterhin dieselbe Form hat, d.h. ohne Zuspitzungen mit kriegerischen Auseinandersetzungen, dann wird keine Erschöpfung der Reserven zu verzeichnen sein, und der Konflikt wird nicht wegen der Erschöpfung der Kräfte beider Seiten beigelegt werden.

Wenn es nicht mehr viel zu gewinnen gibt, oder wenn gar der beiderseitige Untergang, und eben nicht mehr der Sieg der eine Seite über die andere das absehbare Ergebnis der Fortführung des Konfliktes ist, dann wandelt sich das Gefangenendilemma, das der gütlichen Beendigung im Wege steht, in ein sog. Chicken Game.

Diese Änderung in der strategische Situation hat eine wichtige Folge: Nun ist die Weiterführung des Konfliktes nicht mehr die unausweichliche, dominante Strategie beider Konfliktparteien auf der Insel. Jetzt kann es zu Verständigung kommen, freilich immer noch auf einer sehr fragilen Grundlage, weil jede Chance, den anderen zu übervorteilen, sofort genutzt wird, wenn der gemeinsame Untergang momentan eben nicht mehr droht. Das ist der Hintergrund für die vielen erfolglosen Waffenstillstandsvereinbarungen: Sie helfen, den eigenen Untergang zu vermeiden,

622 Diese Eigendynamik einmal begonnener Konflikte sei als Pfadabhängigkeit in der Konfliktforschung bezeichnet. Gering sind die Hoffnungen, dass einmal in die Pfadabhängigkeit geratene Konflikte aus sich heraus verfallen und endogen zu einem Ende finden.

aber sie verlocken auch jeweils, dem anderen sofort wieder zu schaden, wenn es nur eben möglich ist und die Katastrophe nicht unmittelbar droht.

Wenn also der Konflikt nicht gelöst wird, weil beide Seiten durch die langjährige Auseinandersetzung ihre Reserven ausgeschöpft haben, muss man untersuchen, inwieweit die eine Seite die andere Seite völlig beherrschen kann. Im Falle, dass der Konflikt ohne zusätzliche Parameter in der ZF fortgeführt würde, d.h. den Parameter des EU-Beitritts, würden beide Seiten ihren Kampf fortsetzen, die andere Seite zu beherrschen. Die türkische Seite würde im Laufe der Zeit versuchen, die Folgen der Invasion aufzuerlegen, während die griechisch-zypriotische Seite ihren Kampf um die Rechte, die sich aus dem internationalen Recht ergeben, fortführen würde.

Dieser Form der Fortsetzung des Konflikts hat ein zusätzlicher Parameter, nämlich der EU-Beitritt der Türkei und Zyperns, eine neue Dynamik verliehen, denn beide Seiten ziehen aus der EU einen Nutzen. Neben dem gemeinsamen Nutzen muss man die Tatsache betonen, dass, falls die türkische Seite nicht zur Beendigung des Konflikts beiträgt, der anderen Seite daraus Vorteile erwachsen, da kraft der Beschlüsse von Helsinki der EU-Beitritt Zyperns nicht mit der Lösung der ZF verbunden ist. In der aktuellen Phase befindet sich die türkische Seite in dem Dilemma, dass bei einer eventuellen Fortsetzung des Konflikts in Zypern die Türkei gegenüber Zypern im Nachteil wäre.

Die griechische Seite zieht Vorteile sowohl aus dem Beitritt als auch aus der Tatsache, dass sie innerhalb der EU einen Vorsprung gewinnt, was die Beschlüsse zur ZF anbelangt. Die bisherige regulierende Rolle der Türkei in der ZF wird stark beeinträchtigt werden. In diesem Dilemma wird sich die Türkei tatsächlich befinden, falls sie dem Konflikt kein Ende setzen will

Möglich ist auch die Entdeckung gemeinsamer Interessen, wie der Beitritt der Türkei und Zyperns in der EU. Dies würde die Situation der Beendigung des Konfliktes in ein Assurance Game überführen. Dies wäre eine weitaus günstigere Chance als bei der Struktur des Chicken Games, weil es nun nur noch darauf ankäme, die Ausnutzung einseitiger Vorleistungen der Konfliktbeendigung auszuschließen. Da in diesem Falle aber beide Parteien ein Interesse am Ende des Konfliktes haben, reichen geringe vertrauensbildende Maßnahmen und externe Garantien aus, um den Konflikt in eine gewisse Art der vernünftigen Kooperation umzuwandeln.

In diesem Fall bietet die EU den Ausweg, wo beide Beteiligten am Konflikt (Zypern und Türkei) aus ihrem EU-Beitritt einen Nutzen ziehen können. Die Beendigung des Konflikts im Gegenzug zum Beitritt nützt erstens beiden Seiten und zweitens kann jede Seite der öffentlichen Meinung ihren Rückzug in dem Maße, das die politische Vereinbarung erfordert, vermitteln, nicht als Niederlage, sondern einfach als Kompromiss im Austausch gegen Vorteile, die den ureigensten Interessen jeder Seite dienen. In diesem Fall spielt der Zeitpunkt der Lösung und des Beitritts eine besonders entscheidende Rolle. Die Lösung der ZF und der EU-Beitritt (Zyperns und der Türkei) dürfen nicht weit auseinanderliegen, damit sie gleichzeitig bewertet werden und auf die öffentliche Meinung einwirken können. Was den Zeitpunkt anbelangt, besteht zwischen den beiden Seiten ein wesentlicher Widerspruch. Die griechische Seite sagt, dass der Beitritt vor der Lösung stattfinden muss, insofern die Lösung bis zum Tag des Beitritts nicht möglich sein wird. Die türkische Seite hingegen sagt, dass der Beitritt Zyperns nicht erfolgen kann, bevor die ZF gelöst ist. So gesehen, zieht die griechische Seite für sich den Nutzen aus dem Beitritt vor der Lösung bzw. der Beendigung des Konflikts. Der Genuss der Vorzüge, die sich aus dem Beitritt für diese Seite ergeben, wird zu einem Zeitpunkt erfolgen, wo sie noch keine Opfer für die Lösung bringen muss.

Der Konflikt wird mit einer verbesserten Position der griechisch-zypriotischen Seite in der ZF fortgesetzt. Das heißt, dass die griechisch-zypriotische Seite ihre Forderung nach einem Beitritt erfüllt, ohne bereits Opfer in der ZF zu bringen, während die Opfer erst zu einem späteren Zeitpunkt gebracht werden müssen, und in die öffentliche Meinung der GZ eingehen muss, dass ein zusätzlicher entscheidender Nutzen geschaffen wird. Mit dem EU-Beitritt Zyperns befriedigt die Türkei keines ihrer ureigensten Interessen, sondern sie befriedigt im Gegenteil ein ureigenstes Interesse der anderen Seite. Die Türkei kann jedoch, wenn sie die ZF vor dem EU-Beitritt Zyperns löst, keinen wesentlichen Nutzen für sich daraus ziehen. Ein wesentlicher Nutzen für die Türkei wäre die Zustimmung zu ihrem EU-Beitritt gleichzeitig zum EU-Beitrittsabkommen Zyperns. Doch die Beitrittsprozesse der beiden Länder wurden nicht abgestimmt, und es ist auch nicht möglich, sie abzustimmen, da sie sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit entwickeln.

Auch falls der Konflikt nicht mit dem EU-Beitritt Zyperns (als politischer Beschluss) endet, wird der Nutzen der Türkei aus der Beendigung des Konflikts in ihrem Beitritt bestehen. Der große Unterschied der Fortführung des Konflikts mit Zypern als EU-Mitgliedsstaat besteht darin, dass die

EU als Schlichter wirken wird, der mit seinen Instrumenten Schlichtungsregeln anwenden kann, und sie kann jederzeit der türkischen öffentlichen Meinung vermitteln, dass die Beendigung des Konflikts entweder zum Zweck ihres eigenen Beitritts oder aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt ist. Auf der Grundlage der türkischen Position, welche die Beendigung des Konflikts nicht zeitlich festlegt, sondern den EU-Beitritt Zypern vor der Lösung des Konflikts ablehnt, kann man sagen, dass der einen Seite (der griechisch-zypriotischen) die Möglichkeit entzogen wird, einen Nutzen aus der Beendigung des Konflikts zu ziehen. Die türkische Seite macht nur beim Akzeptieren ihrer Bedingungen einen Vorschlag zur Lösung des Problems. Das Hinnehmen ihrer Bedingungen durch die andere Seite würde wiederum eine einseitige Niederlage bedeuten, und es würde das erste Szenario gelten, wo der Konflikt bis zum Ende aufrecht erhalten werden muss. Während sich die Türkei um ihren EU-Beitritt bemüht, möchte sie die Befriedigung dieses Nutzens nicht mit der Beendigung des Konflikts in Zypern in Verbindung bringen.

Falls die Türkei anerkennen würde, dass beiden Seiten aus der Lösung des Konflikts ein Nutzen erwachsen muss, so müsste sie auch bedenken, dass auch der Zeitpunkt der Lösung beiden Seiten nützen muss. Für die Türkei wird aber der Zeitpunkt, wo sie die Auseinandersetzung in Zypern beenden möchte, derjenige sein, wenn eines ihrer ureigensten Interessen befriedigt wird, d.h. wenn sie handfeste Zusagen für ihren EU-Beitritt erhält. 623

Sowohl die Türkei als auch Zypern brauchen die EU zur Befriedigung ihrer ureigensten Interessen, weswegen die EU auch Druck auf beide Seiten ausüben könnte. Die Akzeptanz der Rolle der EU im Konflikt ist bereits von beiden Seiten erfolgt, was in den Verträgen von Helsinki deutlich wird.624 Die Übernahme dieser Rolle eines „Schutzschirms“ durch die EU könnte zur Erstellung eines Übergangsplanes zur Beendigung des Konflikts beitragen. Dieser Plan kann auch Maßnahmen zur Beschwichtigung der öffentlichen Meinung auf beiden Seiten sowie Maßnahmen der Vertrauensbildung zwischen beiden Seiten in der Phase der Beendigung des Konflikts zum Zweck des reibungslosen Übergangs in die Endphase der Lösung der ZF einschließen.

Mit der Beendigung des Konflikts muss eine umfassende Zusammenarbeit beider Seiten beginnen, damit der Konflikt tatsächlich ein Ende findet. Die Zusammenarbeit beider Seiten kann durch die Initiative und die Überwachung seitens der EU verstärkt werden. Hinsichtlich der umfassenden Zusammenarbeit beider Gemeinschaften nach Beendigung des Konflikts kann die EU sowohl auf politischer Ebene als auch auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene einen großen Beitrag leisten. Die Aufsicht über die Lösung des Konflikts und über den reibungslosen Übergang in die Endphase könnte durch die EU erfolgen, die ihre Instrumente dabei zum Einsatz bringen könnte.

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