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78 Die erste Gleichstellung eines Waldkindergartens zu Regelkindergärten in Deutschland erfolgte 1993 in Flensburg (Bickel 2001; Miklitz 2011). Durch die staatliche Anerkennung sowie eine nachhaltige Öffentlichkeitsarbeit seitens des Flensburger Waldkindergartens verbreitete sich das Konzept deutschlandweit (Miklitz 2011). Hier wurde das ständige Draußensein und die Nutzung des Waldes als Lern-, Lehr- und Forschungsraum aktiv als pädagogische Grundlage in den Mittelpunkt gerückt (Micklitz 2011; Schede 2000). Ein Jahr später eröffnete der Waldkindergarten Lübeck (Schede 2000). In den Folgejahren zeigte sich ein besonderer Anstieg der Neugründungen von Natur- und Waldkindergärten in Deutschland. Von 1995 – 1997 kamen etwa 50 neue Natur- und Waldkindergärten deutschlandweit hinzu (Bickel 2001). Schede (2000) fasste im Jahr 2000 die Vielfalt der Natur- und Waldkindergärten zusammen in Wald-, Wander-, Strand-, Farm- und Naturkindergärten. Konzepte (und Namen) richten sich in der Regel nach den zur Verfügung stehenden Naturräumen. So zählen zu den genannten Formen auch Land-, Tier- oder Wiesenkindergärten.

3.1 Aktuelle Situation der Natur- und Waldkindergärten in Deutschland

Eine repräsentative Umfrage aus dem Jahr 2014 (Deutsche Wildtier Stiftung 2014) zeichnet ein Bild der deutschen Natur- und Waldkindergartenlandschaft. 353 Natur- und Waldkindergärten nahmen an der Studie teil und wurden auf ihre strukturellen Parameter untersucht. Im Folgenden soll diese Studie zusammenfassend dargestellt werden:

§ Verbreitung und Lage

Die meisten Natur- und Waldkindergärten sind in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Hessen und Schleswig-Holstein (in absteigender Rangfolge) angesiedelt. Die wenigstens Natur- und Waldkindergärten findet man in Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und dem Saarland. In der Regel sind Natur- und Waldkindergärten in Kleinstädten bzw. in einer dörflichen Umgebung (57%) ansässig. Etwa 14% der Natur- und Waldkindergärten sind in Großstädten vertreten, etwa 27% in mittelgroßen Städten.

§ Träger

Der Großteil der Natur- und Waldkindergärten ist in privater Trägerschaft einer Elterninitiative oder eines Vereins (73%). An zweiter Stelle stehen sonstige Träger wie gGmbHs (12%). Kommunale Träger sind eher unterrepräsentiert (7%), ebenso konfessionelle bzw. gemeinnützige Träger wie AWO, DRK, Diakonie, etc. (gesamt 8%).

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§ Betreuungszeiten und Randzeitenbetreuung

Mehr als die Hälfte der Natur- und Waldkindergärten bot 2014 eine Halbtagsbetreuung bis maximal 14 Uhr an (71%). Eine Ganztagsbetreuung findet nur bei 17% statt, 12% haben eine Halbtagsbetreuung mit zusätzlichen Nachmittagsstunden. 7% bieten eine Randzeitenbetreuung vor 7.30 Uhr und nach 16.30 Uhr an.

§ Rückzugsmöglichkeiten/Schutzbehausungen

Zwei Drittel (66%) der Natur- und Waldkindergärten verfügen über einen Bauwagen als Rückzugsmöglichkeit. Etwa ein Viertel (24%) der Kindergärten verfügt über eine Schutzhütte für wetterkritische Situationen, 13% können auf ein benachbartes Gebäude ausweichen. Fast die Hälfte (48%) der Natur- und Waldkindergärten können auf Toiletten in Rückzugsmöglichkeiten zurückgreifen, 40% auf sanitäre Anlagen zum Händewaschen.

Weitere 28% bieten Schlaf- und Ruheplätze an.

§ Anzahl der Kinder / Anzahl der Gruppen / Gruppengrößen

Mehr als die Hälfte (56%) der Natur- und Waldkindergärten betreuen weniger als 20 Kinder in ihrer Einrichtung. Ein Drittel (36%) betreut zwischen 21 und 49 Kinder. In wenigen Fällen sind Natur- und Waldkindergärten größere Einrichtungen und betreuen 50 bis 99 Kinder (3%) bzw. mehr als 100 Kinder (1%). Analog gestaltet sich die Gruppenanzahl. Mehr als zwei Drittel (68%) der Einrichtungen betreuen die Kinder in einer Gruppe, etwa jeder fünfte Natur- und Waldkindergarten (22%) betreut zwei Gruppen. Nur eine geringe Anzahl an Natur- und Waldkindergärten betreut mehr als drei Gruppen (3%). Die Gruppengrößen liegen in der Regel zwischen 16 und 20 Kindern (57%) bzw. bei weniger als 15 Kinder (26%). Etwa jeder zehnte Natur- und Waldkindergarten betreut Gruppen mit mehr als zwanzig Kindern (12%).

§ Betreuung von U3-Kindern

Eine Betreuung von Kindern unter drei Jahren wird oftmals nicht in Natur- und Waldkindergärten angeboten (63%). Etwa jeder dritte (34%) Natur- und Waldkindergarten betreut ein bis zwei (46%) bzw. drei bis vier (30%) Kinder unter drei Jahren. Einige Natur- und Waldkindergärten betreuen mehr als vier Kinder unter drei Jahren (19%).

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§ Inklusion

Dreiviertel der Natur- und Waldkindergärten betreuen keine Kinder mit Inklusionsbedarf (75%). Nur etwa jeder fünfte Natur- und Waldkindergarten bietet eine Betreuung von Inklusionskindern an (22%). In der Regel werden in diesen Einrichtungen ein bis zwei Kinder mit Inklusionsbedarf pro Gruppe betreut (92%).

§ Integration / Migrationshintergrund

Etwa die Hälfte der Natur- und Waldkindergärten gab an, dass sie keine Kinder mit Migrationshintergrund betreuen (54%). Von den 43% der Einrichtungen, in denen Kinder mit Migrationshintergrund angemeldet sind, werden ein bis zwei Kinder mit Migrationshintergrund (86%) betreut, in 10% drei bis vier Kinder und lediglich in 3%

werden fünf bis zehn Kinder mit Migrationshintergrund betreut.

§ Personalschlüssel / Betreuungsverhältnis

Fast alle Natur- und Waldkindergärten gaben an, dass für eine Kindergartengruppe zwei (46%) oder mehr als zwei Betreuer (48%) eingesetzt werden. Nur 1% gab an, dass ein Betreuer pro Gruppe zur Verfügung steht. In Natur- und Waldkindergärten arbeiten vorrangig Frauen (85%). Der männliche Betreueranteil liegt bei 15%.

3.2 Formen von Natur- und Waldkindergärten

Die Gesamtheit der Natur- und Waldkindergärten unterscheidet vier Grundformen (Bickel 2001; Miklitz 2011; Schede 2000):

§ Reine Wald- und Naturkindergärten

Entsprechend dem skandinavischen Vorbild und heute am ehesten der ursprünglichen Form des Waldkindergartens entsprechend, ist der reine Waldkindergarten (Schede 2000). Diese Form setzt auf eine längst mögliche Aufenthaltsdauer der Kinder im Wald bzw. der Natur sowie auf den bewussten Verzicht eines festen Kindergartengebäudes (Miklitz 2011). Eine Schutzhütte, ein Schutzraum oder ein fester Unterschlupf muss dem reinen Natur- oder Waldkindergarten nach gesetzlicher Vorschrift für extreme Wetterlagen (Unwetterwarnungen, extreme Kälte oder Hitze, Gewitter, etc.) zur Verfügung stehen. Reine Waldkindergärten verfügen in der Regel über einen Bauwagen o. ä. als Materiallager, Rückzugsort, Werkstatt, Schutzraum, Arbeitsplatz oder Schlafwagen. Mehr als die Hälfte dieser Form werden von Vereinen und Elterninitiativen getragen (Bickel 2001).

81 Betreut werden die Kinder in diesen Einrichtungen in der Regel von Montag bis Freitag zwischen vier und sechs Stunden (ebd.). In der Regel werden Kinder zwischen drei und sechs Jahren betreut. Je nach Betriebserlaubnis und landesrechtlichen Vorschriften können Kinder unter drei Jahren aufgenommen werden.

§ Integrierte Natur- und Waldkindergärten

Neben der reinen Form setzte sich in den vergangenen Jahren eine integrierte Form des Natur- und Waldkindergartens durch. Augenscheinlichster Unterschied der integrierten Natur- und Waldkindergärten zur reinen Form sind das vorhandene Kindergartengebäude und die daraus resultierenden längeren Betreuungszeiten (Schede 2000). Miklitz (2011) spricht grundsätzlich von der Integration des Waldkindergartens in den Regelkindergarten und zeigt damit die richtungsgebenden Kräfte auf. Es ist sowohl eine Betreuung von U3-Kindern möglich als auch eine größere Gruppen- und Kinderanzahl.

§ Kooperationen mit Regelkindergärten

Als weitere Form existieren pädagogische Kooperationen zwischen Regel- und Natur- oder Waldkindergärten. Besonders häufig ist dies in Waldkindergärten zu beobachten, die ausschließlich eine Vormittagsbetreuung anbieten dürfen. Kooperierende Regelkindergärten übernehmen dann die Nachmittagsbetreuung, die Randzeitenbetreuung sowie in manchen Fällen die Mittagsversorgung (Miklitz 2011; Schede 2000). Es gibt zudem die Variante der tageweisen Nutzung des Regelkindergartens: So verbringen die Kinder bspw. drei Tage im Wald und zwei Tage in der Regeleinrichtung (Bickel 2001).

§ Feste Waldgruppe im Regelkindergarten

Des Weiteren haben sich feste Waldgruppen in Regelkindergarteneinrichtungen etabliert.

Diese folgen unterschiedlichen organisatorischen Festlegungen, was den zeitlichen Rhythmus oder die Gruppenzusammenstellung für Aufenthalte in der Natur betrifft.

Weiterhin sind Regelkindergärten mit offenen Wandergruppen bekannt, die bspw. einmal wöchentlich stattfinden (Bickel 2001). Schede (2000) sieht einen Grund in der Erweiterung von Regelkindergärten um Wald-, Natur- oder Wandergruppen in der höheren Auslastung und Nachfrage von Plätzen in Kindertageseinrichtungen und den daraus oft resultierenden Platzmangel. Regelkindergärten sehen Wald- und Naturgruppen in der Regel als Bereicherung ihres pädagogischen Repertoires an (Bickel 2001; Schede 2000).

82 3.3 Konzept / Pädagogischer Hintergrund

Ein „Kindergarten ohne Tür und Wände“ und die „Natur als dritter Erzieher“ (in Anlehnung an das Konzept des Raumes als dritter Erzieher) sind die zentralen Schlagworte der Waldkindergartenbewegung. Die Natur wird zum kindlichen Spiel-, Lern- und Erfahrungsraum (Bickel 2001). Die Fläche des Kindergartens ist nicht begrenzt und nach allen Seiten offen. Pädagogische Inhalte werden anhand von jahreszeitlichen Phänomenen, mit Hilfe von Naturmaterialien und insbesondere durch die intrinsische Lernfreude und Neugierde der Kinder vermittelt (Bickel 2001; Huppertz 2004). Schede beschreibt die pädagogische Arbeit im Natur- und Waldkindergarten als nicht reglementierbar und vorgegeben: „Man muss sich dem Rhythmus der Natur anvertrauen, um mit ihr vertraut zu werden. Insofern ist es folgerichtig, dass sich die Erzieherinnen in den Waldkindergärten bis heute auf keine einheitlichen pädagogischen Richtlinien verpflichtet haben.“ (2000, S.

18). Huppertz bezeichnet die Konzeption und die damit verbundene didaktische Verortung dennoch als „Kernstück aller Kindergartenarbeit“ (2004, S.43). Die soziale Erziehung, die Umwelterziehung, die Förderung der Sinne und die Motorik gelten als Basis der Kompetenzvermittlung eines Natur- und Waldkindergartens (Bickel 2001, Häfner 2002).

Die Gewichtung der konzeptionellen Schwerpunkte unterliegt der jeweiligen Einrichtung.

Miklitz (2011) nennt Motorik, Wahrnehmung und Sinneseindrücke, Jahreszeiten, das Erleben und den Umgang mit Pflanzen und Tieren, Grenzerfahrungen, ein grundlegendes Verständnis ökologischer Zusammenhänge, den Ausgleich durch Stille und Weite und die Wertschätzung sich selbst gegenüber sowie der umgebenden Umwelt mit allen in ihr vorkommenden Individuen, als zentrale und individuelle konzeptionelle Themen in Natur- und Waldkindergärten. Anhand von Umfrageergebnissen unter Natur- und WaldkindergartenerzieherInnen kommt Huppertz (2004) zu dem Ergebnis, dass Sozialerziehung, Umwelterziehung und Naturverbundenheit sowie die Stärkung des Selbstbewusstseins als die drei wichtigsten Bildungsziele der ErzieherInnen verstanden werden, währenddessen eben diese ErzieherInnen Motorik, Soziales Lernen und Naturbegegnung sowie Wahrnehmung als besondere Vorteile ihrer Arbeit im Natur- und Waldkindergarten ansehen. Dies geht einher mit den Leitlinien ökologischer Bildung und Umwelterziehung. Hier werden insbesondere die Ausbildung kognitiver, emotionaler und aktionaler Komponenten genannt sowie das Lernen aus Betroffenheit, Entwicklung der Sinne und Schulung der Wahrnehmung, Ausbildung von Urteilskraft, Handeln lernen sowie ganzheitlich orientierte Zugänge zur Welt zu schaffen (Raithel, Dollinger & Hörmann 2009).

Ihre Arbeit machen Natur- und WaldkindergartenerzieherInnen laut Huppertz (2004) primär

83 abhängig von Aktuellem und spontanen Anlässen in der Gruppe, von den logistischen und natürlichen Bedingungen (wie Wetter, verbleibende Zeit, örtliche Begebenheiten), von jahreszeitlichen Besonderheiten (wie Festen oder Feiertagen, etc.) und schließlich von den Kindern selbst, ihrer Entwicklung sowie deren Interessen.

3.4 Implikationen für die vorliegende Studie

Aus der vorgenannten Darstellung des Untersuchungsgegenstandes lassen sich folgende Rückschlüsse für die vorliegende Studie ziehen:

In erster Linie ist der Punkt der Betreuung von Kindern mit Migrationshintergrund interessant für das hiesige Forschungsvorhaben. So stellt es die Problematik einer unterrepräsentierten Betreuung der Kinder von Eltern nicht-deutscher Herkunft deutlich heraus. Aus der Studie wird jedoch nicht ersichtlich, inwiefern der Migrationshintergrund der Eltern von betreuten Kindern den Kriterien für die Sampleauswahl entsprechen. Es ist davon auszugehen, dass hier vornehmlich Eltern gemeint sind, die einen klassischen Migrationshintergrund haben, d.h. in zweiter oder dritter Generation in Deutschland leben und hier geboren sind. Daher ist davon auszugehen, dass die Zahl der Eltern, die für die vorliegende Studie interessant sind, noch wesentlich geringer ausfällt, als oben beschrieben.

Dies erschwert den Feldzugang.

Im Sinne der Ausführung von Natur- und Waldkindergärten nehmen integrierte Formen eine Sonderstellung ein und stellen ein Hybrid dar, denn sie vereinen die Vorzüge eines Regelkindergartens mit der maximalen Naturerfahrung in Natur- und Waldkindergärten. Für die vorliegende Studie werden integrierte Formen zur Vergleichsgruppe 1 (Natur- und Waldkindergärten) gezählt. Deren Besonderheit wird im Datenerhebungs- sowie Auswertungsprozess berücksichtigt. Ähnliches gilt für die Form der festen Waldgruppen in Regelkindergärten. Diese werden im hiesigen Forschungsvorhaben aktiv von den Natur- und Waldkindergärten getrennt und bilden die zweite Vergleichsgruppe. Sie bilden eine Art Zwischenlösung zwischen Regelkindergarten und Natur- oder Waldkindergarten, da die Naturerfahrung regelmäßig präsent ist, jedoch nicht im Vordergrund steht. Laut Felddarstellung wird diese Form des Kindergartens insbesondere von den ErzieherInnen als bereichernd erlebt. Aussagen von Eltern zu dieser Form ließen sich nicht finden. Es bleibt zu eruieren, inwiefern Natur als Kriterium für die elterliche Bildungswahl in diesen Einrichtungen präsent ist.

84 Einen dritten zentralen Punkt stellen organisatorische Faktoren dar, wie die oftmals schwerer zugängliche Lage, die oftmals verkürzten Betreuungszeiten, eine häufig fehlende U3-Betreuung oder die Trägerschaft in Elternvereinen. All dies sind Kriterien, die für Eltern in der Bildungswahl eine entscheidende Rolle spielen und in Konkurrenz zum pädagogischen Konzept bzw. der Naturerfahrung als Hauptkriterium treten. Es bleibt daher zu prüfen, inwieweit Natur sich gegen andere Kriterien durchsetzen kann und welchen Stellenwert Natur in den drei Vergleichsgruppen einnimmt.

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