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5. ERGEBNISDARSTELLUNG

5.1 N ATURVERSTÄNDNIS

5.1.1 Natur als Ort des Lernens

Innerhalb dieser Dimension wurden alle Textstellen zusammengefasst, die darauf hinweisen, dass Natur als Ort der Kompetenzvermittlung wahrgenommen wird. Natur als Lernort wird als ein stimulierender Raum wahrgenommen, der nicht nur zum Lernen einlädt, sondern an dem ein Nicht-Lernen unmöglich erscheint: „es ist auch ein Ort, wo man lernen kann, wo man lernen soll sozusagen“ (WK02:21). Dies gilt für Kinder wie für Erwachsene: „also Natur gibt´s nichts Besseres, wo man lernen kann […] vor allem als Kind, also nicht nur als Kind, also als Erwachsener auch“ (WK03:211). Insbesondere Eltern aus Waldkindergärten gaben an, dass sie als Erwachsene durch den Besuch ihres Kindes in einer Waldkita in Bezug auf Natur vieles dazu lernen: „[…] weil es war alles ALLES unbekannt. Auch die Kräuter, ich kannte keine von hier, ne? Die große Tochter, die hier auch vier fünf Jahre war, und die [Name des Kindes], also wenn wir in den Wald mit denen gehen, die erzählen alles. Und die Vögel, die Namen der Vögel. Alles eigentlich“ (WK01:24). Das erwachsene Lernen scheint im Bereich der Kognition zu liegen, während der Natur für Kinder ein starker Einfluss auf die Ausbildung und Verfeinerung motorischer, sprachlicher oder handlungsspezifischer Fähigkeiten zugeschrieben wird. Für die Interviewpartner bedeutet die Veränderung in der Naturwahrnehmung das Erleben kleiner Wunder (RK04:320) und ein aufmerksamerer Blick im Jahresablauf: „Ich lerne sehr viel hier. Also diese Unterschied zwischen Jahreszeit. Auch was das auch zu meinem Leben bringt, weißt du? Wir haben das nicht und durch diese Beobachtung hier, wie sich die Natur ändert. Ich kannte das vorher nicht. Es ist auch (..) ich lerne sehr viel hier“ (WK01:18). Diese Wahrnehmungsveränderungen sind desto größer, je abweichender die Naturgegebenheiten in den Heimatländern waren.

Als Lernort für Kinder wird Natur als besonders stimulierend wahrgenommen mit Fokus auf der sinnlichen Wahrnehmung: „Ich glaube Kinder sind extrem neugierig. Die Natur gibt unendliche Möglichkeiten. Also für alle Sinne. Der Sand oder die Geräusche, das Wasser, Schnee, Wind - alles können sie fühlen. Und dann (...) spielen ohne Ende und recherchieren ohne Ende“ (RK01:110). Natur ermöglicht einen endlosen Spiel- und Forschungsrahmen, in dem die Kinder umfassend angesprochen werden. Dabei geht es nicht um den Erwerb konkreter Kompetenzen und Fähigkeiten, sondern um das Lernen durch Erfahren und Ausprobieren:„Man muss das machen! Ja. Weil schließlich muss das Kind für sich selbst wissen, wie tief ist die Pfütze? Was passiert, wenn ich da reinlaufe? Oder wenn ich da reinhüpfe? Da ist was anders, also einfach so durchlaufen versus reinzuhüpfen, das ist was anderes. Oder man steht so am Rand und so steckt vorsichtig die Finger so rein. Das ist

107 alles verschiedene Erfahrungen zu machen“ (RK02:178). Natur zählt für die Interviewpartner grundsätzlich zu einer Umgebung, die das Lernen auf natürliche Weise fördert, in der sowohl positive als auch negative Lernsituationen nebeneinander bestehen:

„Es gibt ja natürlich förderlich und unförderlich […] Also wenn man z.B. eine giftige Pflanze anfasst und dadurch Ausschlag kriegt, ist es gleichzeitig förderlich, weil man lernt es nicht nochmal anzufassen. Aber es ist manchmal auch nicht förderlich, weil es tut manchmal ganz schön weh“ (RK05:158-164). Insbesondere in den frühen Jahren ist Natur elementarer Bestandteil kindlichen Lernens, wenngleich dieser häufig unbewusst stattfindet.

So wird bspw. die Nutzung von Kinderliedern genannt, um musisch-künstlerische Kompetenzen der Kinder zu stärken, aber auch Sozialkompetenz, Emotionalität oder Körperbewusstsein. Diesen Liedern liegen oftmals naturrelevante Texte und Inhalte zu Grunde: „ALLE Lieder, ALLE Aktivitäten, ALLE gehen um die Natur. Man malt eine Blume, man singt über wie das Wetter sich ändert, das es regnet und dann die Sonne kommt und es donnert. Also es geht in diesem Alter alles um die Natur, bloß […] auf einer abstrakten Ebene“ (WK09:89). Hinzu kommt die Auffassung, dass Lernen im künstlichen Raum weniger effektiv sei als in natürlichen Umgebungen (ebd.). Natur muss für die Interviewpartner nicht in der reinen Form (Wald, Wiese, etc.) als Lernort zur Verfügung stehen, auch die Stadt und der Ausflug auf den Spielplatz werden als Naturerfahrung eingeschlossen.

Natur als Lernort konkreter Kompetenzen in Hinblick auf naturverwandte Themen

Natur im Kitaalltag wird als besonders wertvoll in Hinblick auf das Erlernen fachlicher Kompetenzen im Sinne von Gärtnern, Tier- und Pflanzenkunde oder verschiedener Projekte empfunden. Häufig werden dadurch die eigenen fehlenden Möglichkeiten, bspw. für den Anbau von Pflanzen, kompensiert. Das Verständnis der Kinder in Hinsicht auf den natürlichen Anbau von Pflanzen wird von vielen Interviewpartnern als wichtig empfunden:

„Man kann solche Konzept aufbauen, z.B. sowas wie Agrikultur (Landwirtschaft/Anbau) so zum Beispiel […] So ich kann mir gut vorstellen was mit Plantagen machen, also sowas ernten. Ich glaube so Mini-Pflanzen, so Gärtnerei. In einem Kontext von kleine Kinder natürlich, ne?“ (WK10:104). Ebenso relevant scheint die Beschäftigung der Kinder mit Insekten und Kleintieren. Zu beobachten ist eine Mitnahme der Naturerfahrungen aus dem Kindergartenkontext in den privaten Alltag: „Sie waren oft spazieren im Wald in der Kita […] [Name des Kindes] war sehr zufrieden. Er guckt alle Insekten, er sucht (..) Würmer,

108 diese Erd- ähm Regenwürmer. Und er muss immer im Holz gucken, ob es noch mehr Insekten gibt“ (RK01:86).

Natur als Lernort konkreter Kompetenzen im Hinblick auf die Schule

Natur scheint für die Interviewpartner eine Kompetenzvielfalt bereit zu halten. Diese gilt jedoch nicht in Form von Schreib- oder Lesekompetenzen in Hinblick auf die Schulvorbereitung. Die Möglichkeit des Erwerbs von Sprach- und Schriftkompetenz in der Natur wird teilweise sogar verneint: „Vorbereitung auf Zahlen auf jeden Fall, Schreiben lernen weiß ich jetzt so nicht. Jetzt in Verbindung mit der Natur, wüsste ich nicht. Motorik ganz klar […] Schreiben lernen da bin ich mir nicht sicher. Das glaube ich nicht“

(WK08:149). Es ist anzunehmen, dass Natur auch deshalb nicht als Ort für explizite Schulvorbereitung wahrgenommen wird, da eine gezielte Vorbereitung im Sinne von Lesen, Schreiben oder Rechnen nur von den wenigsten Interviewpartnern als in der Kita relevant eingestuft wurde. Vielmehr ist den Eltern der Erwerb einer gewissen Lebenserfahrung in der Kita wichtig.

§ Lebenskompetenzen in der Natur erwerben

Das Erlernen übergeordneter Fähigkeiten in der Natur wird von den Interviewpartnern auf unterschiedliche Weise angesprochen: dies geschieht bspw. im Sinne des Sammelns von Lebenserfahrung (WT03:356) durch das wahrhaftige Erleben von Situationen. Das Lernen vor Ort mit echten Gegenständen, die nicht nur visuell, sondern auch taktil oder teilweise olfaktorisch zu erfahren sind, erhöhen den Lernwert für Kinder:

„Ob man jetzt […] aus dem Buch sich irgendwelche Kenntnisse verschafft oder direkt vor einem Baum steht und sagt `Ja, das ist so und so ein Baum und hier ist Süden und hier ist Norden und das sind die Spuren von einem keine Ahnung was und das ist der Vogel´. Das ist, glaube ich, in der Natur alles ganz anders“ (WK08:147).

Durch die Unmittelbarkeit der Erfahrungen prägen sich die Erlebnisse besser ein und geraten weniger schnell in Vergessenheit. Sie erhöhen zudem die Möglichkeit für vernetztes Denken. Laut der Eltern funktioniert dies deswegen so gut, weil die Wissensvermittlung nicht mit Druck passiert, sondern von den Kindern als spaßig empfunden wird: „Sie hat einfach Spaß gehabt. Also sie kennt jetzt mehr Blumennamen sozusagen (..) sie kennt mehr Bäume, weiß wie Obst und Gemüse wachsen“ (RK08:109). Natur vermittelt zudem Respekt vor (gefährlichen) Situationen und unterstützt die Kompetenz zur Einschätzung gefährlicher Situationen (RK06:191). In gleicher Weise erhoffen sich die Interviewpartner durch Naturaufenthalte eine erhöhte Sensibilität und die Entwicklung eines Respektgefühls

109 (RK10:164-166) der Kinder in Bezug auf zukünftiges Umweltdenken und -handeln: "Ja klar. (..) Ja ich meine, die lernen, wie man damit umgeht und das ist auch wichtig, ne? Dass die nicht einfach sagen `da ist ein scheiß Baum, ich reiß jetzt die Äste da ab´ oder was weiß ich“ (RK07:120). Darin eingeschlossen ist die Hoffnung, dass im Erwachsenenalter verinnerlichte Bilder, wie bspw. ein unerklärbarer Ekel vor Spinnen oder Käfern, aufgebrochen und nicht entwickelt wird: „Ich meine, meine Kinder sind voll so `Ah, da ist eine Spinne, aaahhhhh´ (ahmt ihre leicht-panischen Kinder nach). Aber wahrscheinlich die Kinder, die im Waldkindergarten sind […] die werden Tierfreunde hoffe ich. Also auch wenn die Tiere nicht so schön sind“ (RK07:120). Aus den Daten wird ersichtlich, dass Insekten (insbesondere Spinnen) in der Kindheit der Interviewpartner nicht als unschön oder eklig empfunden wurden. Das Ekelempfinden nahm unbewusst und unerklärlich mit dem Jugend- und Erwachsenenalter zu. Es wird jedoch versucht, diese Gefühle nicht auf die eigenen Kinder zu übertragen, da Insekten und Kleintiere einen besonderen Reiz auf Kinder ausüben und dadurch ein großes Potenzial in der Vermittlung von Wissen und Kompetenzen ermöglicht: „Sie wissen jetzt von Experimente […]das die Schmetterlinge aus Raupen kommen“ (RK03:92-96).

§ Dinge in Beziehung setzen

Natur bietet die Möglichkeit Lerninhalte miteinander in Beziehung zu setzen. Dabei wurden insbesondere Lebenszyklen von Tier und Pflanzen angesprochen: „Was Tiere sind […]

Wann haben sie Eier und Babyvogel. Und manchmal finden sie tote Tiere auf dem Boden einen kleinen Vogel und dann muss man erklären wie das ist, was das ist“ (RK01:110) aber auch der Erwerb von Allgemeinwissen, wie dem natürlichen Aussehen von Tieren: „So in gewissen Stücken sind die Kinder wirklich so abgeschnitten von (..) von der Natur, von den Tieren. Was kennen die? Nur Autos, (..) Großstadt (..) viele wissen auch gar nicht (lacht) wie eine Kuh aussieht, vielleicht. (..) Und dann wie sollen sie später eine Beziehung aufbauen zu dem nicht die Tiere quälen oder so? […] Nicht nur das ich ein Tier aus dem Zoo kenne“ (RK10:165-166). Ein unmittelbares Erleben heimischer Tiere ist für die Eltern von Bedeutung, um eine gesunde Mensch-Tier-Beziehung aufzubauen (RK03:96-98) und darüber hinaus Aspekte wie die Herkunft von Lebensmitteln und deren Erzeugung mit den Kindern zu besprechen. Ein Nichtwissen der Zusammenhänge des Lebensmittelursprungs wird von den Interviewpartnern als nicht tolerierbar wahrgenommen (RK03:100-114;

RK06:921). Eine Interviewpartnerin gab dazu folgendes Beispiel: „Euter, ja. Und mein Sohn hat mich gefragt, was es ist […] Aber da dachte ich so: Oh mein Gott! […] Also für mich ist

110 auch sehr wichtig, dass er weiß, woher das Essen kommt, ja? […] Nämlich nicht aus dem Supermarkt […] Und für mich ist es auch so ein bisschen die Natur, ja?“ (RK06:909-931).