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Änderung des Naturverständnisses durch den Aufenthalt in Deutschland

5. ERGEBNISDARSTELLUNG

5.1 N ATURVERSTÄNDNIS

5.1.11 Änderung des Naturverständnisses durch den Aufenthalt in Deutschland

früheren Vorstellungen ergab in einigen Fällen eine Änderung des Naturverständnisses. Eine veränderte Naturwahrnehmung konnte oftmals an der neuen Lebensumgebung festgemacht

123 werden. Es zeigte sich, dass Veränderungen insbesondere in der Dimension „Natur als landschaftliche Verortung bzw. als grüner Ort (inkl. Pflanzen/Tiere)“ festgestellt wurden:

Dann in Spanien war mehr Berge, Berge, Strand, ja Wandern. Aber hier ist mehr See und Wald“ (RK01:4). Durch den deutschen Naturraum scheint zudem eine neue kognitive Verknüpfung entstanden zu sein. So erweiterte sich das Naturverständnis oftmals um die Komponente Wald: „Also Wald ist für mich Deutschland […] wenn ich dann nach Deutschland gefahren bin immer, mir kam immer der Himmel größer vor und immer voller Wälder. Also das ist eben für mich das Land der Wälder […] ich habe das hier eher gelernt, einfach mal so sich dann die eine Stunde nehmen und durch den Wald zu laufen“ (WK07:33-37). Der Gegensatz zwischen Sozialisationsumgebung und gegenwärtiger Umgebung sowie deren Einfluss auf den Menschen und dessen Verständnis für Natur wird in diesem Beispiel deutlich. Einige Interviewpartner gaben an, dass sich ihr Naturverständnis nicht verändert hat – weder affektiv noch kognitiv. Dies belegten sie in der Regel damit, dass sich der sie umgebende Naturraum nicht verändert hätte und somit keine Veränderung im Naturverständnis hervorgerufen wurde: „Hat für mich keinen anderen Stellenwert. Ja es ist ja und auch in Russland und in Deutschland, Natur ist ganz (...) ähnlich SO. Und auch [Ort]

und [Ort] sind große Städte, die haben ganz viele Parks und auch kann man ins Grüne gehen, um mehr Natur zu genießen sozusagen“ (RK03:48-53).

Sofern eine Änderung des Naturverständnisses auftrat, konnte dieses an unterschiedliche Aspekte geknüpft werden, welche im Folgenden dargestellt werden sollen:

Änderung des Naturverständnisses - gesellschaftliche Ebene

Die gesellschaftlichen Veränderungen scheinen einen Einfluss auf das Naturverständnis auszuüben. Hier sollen der verstärkte Wunsch von Familien nach urbanen Lebensstrukturen oder der Einzug digitaler Medien in den Alltag der Menschen genannt werden. Während Natur in der eigenen Kindheit Teil des Alltags war, findet diese heute nur noch wenig statt (WK01:14; WK08:22; RK08:29-41):

„Weil man mit der Natur da aufwächst. Gerade bei uns war das so, unser Haus grenzte an ein Waldstück. Und 500 Meter war ein See. Also man kommt gar nicht drum herum.

Man kommt nach Haus, macht die Hausaufgaben und dann ist man draußen. Man lebt draußen, man hält sich immer draußen auf […] Heutzutage ist das anders. Vor zwanzig Jahren war das auch anders. Aber man hält sich überwiegend in der Wohnung auf oder im Haus oder macht da keine Ahnung was“ (WK08:119).

124 War Natur früher eine Selbstverständlichkeit und aktiver oder passiver Teil des Alltags, wird heute eine Aktivität der Individuen vorausgesetzt, um ein Naturerleben zu ermöglichen. Die Vielzahl möglicher Aktivitäten konkurriert mit der Natur.

Änderung des Naturverständnis - kulturelle Ebene

Das Naturverständnisses scheint zudem auf kultureller Ebene Veränderungen zuzulassen.

Deutschland scheint ein starker kultureller Naturzugang zugeschrieben zu werden: „Das ist ja typisch deutsch und so. Das ist dann immer so Natur und draußen´“ (WK07:81). Die kulturellen Zuschreibungen belegen einen stärkeren Alltagsbezug und respektvolleren Umgang mit Natur sowie einen stärkeren Naturschutzgedanken in Deutschland. Natur scheint in Deutschland einen höheren Stellenwert innerhalb der Gesellschaft einzunehmen (RK02:174, RK04:244, RK06:107, RK08:19; RK09:47, WK07:37-41, WK10:40).

Aus den Daten wird ersichtlich, dass sich der Aktionsraum einiger Interviewpartner durch das Leben in Deutschland stärker nach draußen verlagert hat. Neben der guten Erreichbarkeit von Naturräumen fällt den Interviewpartnern auf, dass in Deutschland Freizeitgestaltung häufig in der Natur stattfindet:

„Und jetzt in Deutschland merke ich, dass viele Leute sich fürs Wandern interessieren oder für Sachen, die in der Natur stattfinden, wie weiß ich nicht Reiten, Wandern, was weiß ich Ski fahren, whatever. Und das war, also das ist sehr viel mehr außen, also outdoors sagt man im Englischen, das es soviel mehr so outdoors passiert als wo ich herkomme, weil natürlich ist das Wetter besser hier und in England regnet es ständig, wie man immer hört“ (RK07:20).

Die vermehrte Wahrnehmung von Outdoor-Aktivitäten in Deutschland scheint einen Einfluss auf die eigenen Aktivitäten in der Natur sowie auf die Wahrnehmung von Natur als Ort für Aktivitäten und sportliche Betätigung zu haben. Damit einher geht die Beobachtung der Interviewpartner zur Nutzungsabsicht von Natur durch die Bevölkerung. Deutsche scheinen demnach die Natur vorrangig zu Erholungszwecken und als Ruhepol zu nutzen.

Besonders deutlich wird dieser empfundene Gegensatz der Nutzungsabsicht von Natur im Vergleich mit amerikanischen Interviewpartnern. Innerhalb ihres Verständnisses von Natur wird diese aus der eigenen Sozialisation vorrangig als Abenteuerort wahrgenommen, an dem Spaß und Spannung stattfinden. Eine Anpassung an die deutsche Nutzungsmentalität von Natur ist den Interviewpartnern entsprechend schwergefallen:

„B: There is a […] change (..) I mean I had a I had a really grasp the difference here in Germany […] there was a huge difference, nature was adventure and adventure is fun […] nature really wasn’t a relaxing thing for me until (..) yeah until I came here.

I mean of course I suppose you do relax I mean there is times in the states you’re hanging around, having a camp fire and it’s fine, but it´s a different feeling to it and I

125 wouldn’t call it relaxing but it is fun to of out into the nature […] coming here it’s different like I don’t (..) it’s harder to get excited about `let’s go out for a walk´ outside the house turn the road and we’re in the nature. We’re in nature and I’m like `what´“

(WK11:10-24)

Hier scheinen sich verschiedene Nutzungscharaktere entgegen zu stehen. Einerseits die Unmittelbarkeit von Natur sowohl die Unmittelbarkeit von Natur und deren Erreichbarkeit in Deutschland, sowie die vorrangige Nutzung als Ort von Ruhe und Entspannung und im Gegensatz dazu die Nutzung von weiter entfernten Naturflächen (wie Nationalparks, Campingplätze u.ä.) und einem Empfinden von Abenteuer. Es wird zudem von einer höheren Bereitschaft von Natur- und Umweltschutz in Deutschland gesprochen, welche in den Heimatländern der Interviewpartner manchmal zu fehlen scheint (WK10:52).

Änderung des Naturverständnisses – soziale Ebene

Bei der Frage nach einer Veränderung des Naturverständnisses nennen die Interviewpartner häufig (Ehe-)Partner, deutsche Freunde und Arbeitskollegen als Grund. Durch deren Einfluss und Perspektive änderte sich das eigene Verhältnis zu Natur sowie die Nutzungsabsicht: „Sicherlich habe ich sozusagen gelernt Freude an der Natur zu haben (..) D.h. wenn ich fertig war mit unserem Studentenunterricht […] war ich auf der Piste und […] klettern oder war ich Fahrrad fahren oder wandern“ (WK02:27). In diesem Beispiel folgte die Änderung des Naturverständnisses auf einer sozialen Ebene durch das gemeinsame Verbringen von Zeit mit Kommilitonen und Freunden. Die Nutzung von Natur als Ort für Ausflüge und sportliche Aktivitäten war eine neue Komponente im Leben der Interviewpartnerin. Es ist anzunehmen, dass diese Nutzung im Heimatland weniger oder gar nicht stattgefunden hat. Die Nutzungsabsicht von Natur ist jedoch stark an die Umgebung angelehnt, so dass in anderen Regionen andere Aktivitäten vorgenommen werden: „In [Ort]

ist das wieder ganz anders“ (ebd.).

In kulturell gemischten Familien mit einem deutschen Elternteil wird erkennbar, dass dieser einen Einfluss auf das Naturverständnis der Interviewpartner ausübt: „Ich denke […] das ich so viel gemacht habe seit ich hier bin, ist weil ich einen Deutschen geheiratet habe, der irgendwie eine bessere Verbindung zur Natur hat als ich“ (RK09:47). Neben der Wahrnehmung von Natur scheint sich auch die Aufenthaltsdauer und -intensität in der Natur durch die familiäre Situation erhöht zu haben. Die Sozialisationsumgebung des Mannes wird angeführt für dessen Nähe zur Natur. Grundsätzlich wird die Veränderung des Naturverständnisses durch den Mann als positive Erfahrung gewertet: „Ich bin sehr froh

126 darüber, dass mein Mann mich hier für die Natur begeistert hat. Er kommt vom Land, für ihn ist Natur sehr wichtig. Das hat sich bei mir auch etwas verändert“ (RK09:5-6). Eine weitere Komponente wird der beruflichen Orientierung des Ehepartners in Bezug auf das Naturverständnis zugeschrieben, die wiederum eine Veränderung des Naturverständnisses im Sinne einer Sensibilisierung für zusätzliche Aspekte mit sich bringen kann: Mein Mann hat (..) in England im Naturschutz gearbeitet […] der wollte so ein Naturschutzgebiet zeigen […] Ja, ich dachte so: Ja, okay. Ein Wald […] Ah, hier gibt es ja Pilze! Ich bin so (..) gelaufen […] Aber das DARFST du nicht! […] Durch meinen Mann so Naturschutz […] bin ich ein bisschen mehr darauf aufmerksam geworden“ (RK06:69-79).

Änderung des Naturverständnisses – temporäre Ebene

Menschen unterliegen in ihrer Entwicklung einer Reihe kognitiver und emotionaler Veränderungen. Das schließt auch eine Veränderung der Bewertungs- und Entscheidungskompetenz ein. Besondere Ereignisse, wie etwa die Geburt des ersten Kindes, haben Einfluss auf die Persönlichkeit, Aufgeschlossenheit, Gewissenhaftigkeit sowie kognitive, affektive und emotionale Aspekte (Specht, Egloff & Schmukle 2011). Aus den Daten geht hervor, dass zeitliche Faktoren Einfluss auf die Wahrnehmung bzw. die Bedeutungszuschreibung von Natur ausüben können. Die Geburt des ersten Kindes und ein damit einhergehendes, erhöhtes Verantwortungsgefühl scheint das Naturverständnis in verschiedenen Richtungen zu beeinflussen. Dem Gesundheitsfaktor in der Natur scheint eine positive Bedeutung zugemessen zu werden. Natur wird zur Verbesserung der physischen Gesundheit der Kinder stärker geschätzt: „Also ich glaube, ich […] habe eine engere Verständnis […] mit Natur. Und (...) ich glaube, das ist für mich wichtiger ist. […] Seit ich [Name des Kindes] bekommen habe, (...) habe ich verstanden, wie wichtig es ist […] also jeden Tag viel frische Luft zu bekommen und dass man rausgeht“ (RK04:34-36). Es scheint eine erhöhte Sensibilisierung für gesundheitliche Themen und ein erhöhter intrinsischer Bedarf an Naturaufenthalten als Folge daraus stattgefunden zu haben. Mit Kindern wird ein erhöhter Zeit- und Wegeaufwand in Kauf genommen, um sich in der Natur aufhalten zu können „Ich weiß die Natur jetzt mehr wertzuschätzen […] ich wäre auch nicht irgendwie in die Natur gefahren so absichtlich […]Aber jetzt das ich hier bin und wohne in [Ort], und manchmal denke ich mir `Boah, es wäre nicht schlecht irgendwie jetzt dieses Wochenende in die Natur zu fahren und irgendwie ein bisschen was anderes erleben´“ (RK07:20). Natur hat demnach nicht nur positive Auswirkungen auf die Kinder, sondern wird mit steigendem Alter als Abwechslung zum Alltag in der Stadt wahrgenommen. Natur wird zum Ausgleich,

127 der vorab nicht benötigt wurde. Mit steigendem Alter und veränderter Familiensituation kommt es zu einer Neubewertung des Lebensstils bzw. der Einstellung zur Lebensumgebung. Natur wird zu einer Instanz im Sinne von Ruhe und Entspannung:

„Vielleicht hat sich […] nicht so wirklich meine Meinung über die Natur, sondern meine Meinung über die Städte [geändert] und dadurch hat sich die Beziehung zur Natur geändert. Weil mit 20 […] wollte ich immer nur eine große Metropole und viel […] Stress, also viel zu tun und so weiter. Und jetzt würde ich gerne in eine noch kleinere Stadt als[Ort] umziehen, um näher an der Natur zu sein. Mit dem Auto einfach in die Berge zu fahren, vielleicht jedes zweite Wochenende im Winter Ski fahren […]

Das kommt mit dem Alter (lacht). Jetzt bin ich nicht mehr so Disco und Ausgehen in Clubs und so. Ich will jetzt lieber einen schönen Spaziergang machen am Sonntagnachmittag (..) und so […] [Das liegt am] Alter und Familie“ (RK10:14-22).

Durch das erhöhte Verantwortungsgefühl scheint zudem die Wahrnehmung eines von der Natur ausgehenden Gefahrenpotentials zu steigen (vgl. Kap. 5.1.8 Natur als Ort für Abenteuer, Wildnis und Gefahren). Die eigene Unbekümmertheit als Kind in der Natur

„früher als Kind da habe ich mich halt richtig so rum gewälzt in der Natur quasi und das war halt so, man wollte da so richtig rein tauchen. Also man konnte das ja nicht essen, aber schön wär´s gewesen irgendwie (lacht). Ähm (..) und da habe ich jetzt schon, bin ich jetzt doch ein bisschen mehr so `nein, bis hier und nicht weiter´ irgendwie (WT01:201) steht einem erhöhten Verantwortungsgefühl und Angsterleben entgegen. Dies gilt jedoch auch für andere Wahrnehmungen außerhalb des Naturverständnisses „Das spür ich bei anderen Sachen auch zum Beispiel, also anderen Ängste werden halt größer dadurch, dass ich Kinder bekommen hab. Weil man halt sich einfach Sorgen um die macht“(ebd.).