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2.2 Bedeutung der Protozoen für die ruminale Fermentation und das Wirtstier insgesamt

2.2.8 Bedeutung der Protozoen für das Wachstum des Wirtstieres

BECKER et al. (1929) und BECKER und EVERETT (1930) untersuchen erstmalig Beziehungen zwischen Protozoen und Wachstum der Wiederkäuer und stellen wie auch BIRD und LENG (1978, 1983, 1984), BIRD et al. (1979), DEMEYER et al. (1982b), KAYOULI et al. (1982), VAN NEVEL et al. (1985) und HABIB et al. (1989) in neueren Arbeiten fest, daß defaunierte Tiere eine höhere Wachstumsrate besitzen als konventionell faunierte. POUNDEN und HIBBS (1950), EADIE (1962a), CHALMERS et al. (1968), EADIE und GILL (1971) und WILLIAMS und DINUSSON (1973b) finden dagegen keinen signifikanten Effekt nach Inokulation mit Protozoen in bezug auf die Lebendgewichtzunahme. BRYANT und SMALL (1960), ABOU AKKADA und EL-SHAZLY (1964), ABOU AKKADA (1965), CHRISTIANSEN et al. (1965), BORHAMI et al. (1967), OSMAN et al. (1970) und RAMAPRASAD und RAGHAVAN (1981) beschreiben in ihren Untersuchungen sogar erhöhte Werte.

VEIRA (1986) und COLEMAN (1988) erklären die beobachteten Unterschiede folgendermaßen: Jungtiere profitieren von einer Defaunation bei Diäten, die mittel bis stark

energiehaltig sind und einen adäquaten Gehalt an im Pansen abbaubaren Stickstoffverbindungen aufweisen (typische Futterzusammensetzung bei Masttieren und in tropischen Regionen). Ausgewachsene Wiederkäuer sind bei erhöhtem Gehalt im Pansen abbaubarer Stickstoffverbindungen dagegen benachteiligt, da die ruminale Verdaulichkeit insgesamt abnimmt. Gleichermaßen sind faunierte Jungtiere bei energie- statt proteinlimitierten Rationen im Vorteil. Die Qualität der Karkasse ändert sich laut BIRD und LENG (1984) und VAN NEVEL et al. (1985) bei Mastrindern nicht, bei Schafen ist laut RAMAPRASAD und RAGHAVAN (1981), DEMEYER et al. (1982b) und VAN NEVEL et al. (1985) das Verhältnis zwischen Fleisch und Knochen gleich, der Fleisch- gegenüber dem Fettanteil bei defaunierten Tieren jedoch erhöht.

Darüber hinaus kommen faunierte Schafe schneller in Pubertät als defaunierte (ABOU AKKADA 1965). In den ersten zehn Wochen der Gravidität erzielen ziliatenfrei gehaltene Tiere ein um 12 % erhöhtes Geburtsgewicht ihrer Einzellämmer (BIRD u. LENG 1983).

Elimination der Infusorien fördert sowohl bei gering als auch bei stark proteinhaltigen Rationen das Wollwachstum bei Schafen (BIRD et al. 1979; BIRD u. LENG 1983, 1984;

COTTLE 1988a, b; FORSTER u. LENG 1989a, b; HABIB et al. 1989). Wollwachstum ist abhängig von der Menge an Protein, die das Duodenum erreicht. Der Bestandteil an schwefelhaltigen Aminosäuren wirkt sich dabei besonders günstig aus (BIRD et al. 1979;

BIRD u. LENG 1983, 1984; LENG u. NOLAN 1984; FENN u. LENG 1989). Der potentielle Wert ist für die Produktion der qualitativ hochwertigen Vliese südamerikanischer Kameliden (Guanako, Alpaka, Lama) noch zu untersuchen (WILLIAMS u. COLEMAN 1992).

2.2.9 Defaunation

Die Entfernung von Infusorien aus dem Pansen wird durch chemische oder physikalische Behandlungen erreicht, die möglichst keinen negativen Effekt auf das Wirtstier und auf die anderen ruminalen Mikroorganismen haben sollten. Obgleich viele verschiedene Methoden und Mittel (s. Tab. 2.15) beschrieben werden, ist eine zufriedenstellende Lösung noch nicht gefunden (LOVELOCK et al. 1982; JOUANY et al. 1988; HOBSON u. JOUANY 1989;

COLEMAN u. WILLIAMS 1997). Als besondere Schwierigkeit hat sich die gleichzeitige Eliminierung omasaler Protozoen beim Rind herausgestellt, die den defaunierten Pansen reinokulieren können (TOWNE u. NAGARAJA 1990).

GUNTHER (1899), BECKER (1929) und BECKER et al. (1929) führen ihre erstenVersuchemit Salzsäure, Azetat oder Kupfersulfat durch, die alle nachweislich toxisch für Pansenziliaten sind (EADIE u. OXFORD 1954; EADIE et al. 1956; BAILEY u.

HOWARD 1962). Diese werden bald durch oberflächenaktive Detergentien ersetzt:

anionische (z. B. Dioktylnatriumsulfosukzinat, Alkanate) und neutrale (Terix, Pluronix, Poloxalene), die sowohl im Labor (WRIGHT u. CURTIS 1976; CAMPBELL et al. 1982) als auch in Tierversuchen eingesetzt werden (DAVIS u. ESSIG 1972; ORPIN 1977c;

BURGGRAAF u. LENG 1980). ABOU AKKADA et al. (1968a) empfehlen folgende

Vorgehensweise für die Behandlung mit Dioktylnatriumsulfosukzinat (DSS) beim Schaf, das laut LOVELOCK et al. (1982) allerdings auch unerwünschte Nebenwirkungen (z. B.

Anorexie, Debilität, Tod) für das Wirtstier besitzt:

1. Intraruminale Behandlung mit 10 g DSS in Lösung pro ml Suspension 24 Stunden nach letzter Fütterung;

2. Intraruminale Behandlung mit 5 g DSS in Lösung pro ml Suspension nach weiteren 24 Stunden sowie Anbieten von Futter.

WILLARD und KODRAS (1967), die über 170 verschiedene Stoffe untersucht haben, und BURGGRAAF und LENG (1980) finden unabhängig voneinander heraus, daß anionische oberflächenaktive Substanzen - insbesondere langkettige Sulfat- und Phosphatderivate - am effektivsten sind, neutrale aber ebenfalls brauchbare Ergebnisse erbringen.

Nonylphenolethoxylate (Terix GN9, Synperonix NP9) sind dabei die wirksamsten Terix und werden bei Rind und Schaf eingesetzt (BIRD u. LENG 1978; BIRD et al. 1979; EADIE u.

SHAND 1981). Die erforderliche Dosis hat jedoch unerwünschte Nebenwirkungen sowohl auf das Wirtstier (BURGGRAAF u. LENG 1980; EADIE u. SHAND 1981; LOVELOCK et al. 1982) als auch auf die Bakterienpopulation (ORPIN 1977c). Pluronix (WRIGHT u.

CURTIS 1976) und Poloxalene (BARTLEY 1965; BARTLEY et al. 1965) bewirken beim Einsatz zur Tympanieprophylaxe nur eine partielle Defaunation (OXFORD 1959; DAVIS u.

ESSIG 1972). Pluronix L62 hat beispielsweise kaum Auswirkungen auf die Population holotricher Ziliaten, aber auf Epidinium ssp..

Auch Kalziumperoxid (DEMEYER 1982), freie Öle (VAN NEVEL u. DEMEYER 1981;

SUTTON et al. 1983; NEWBOLD u. CHAMBERLAIN 1988; BROUDISCOU et al. 1988), Lipide (NEWBOLD u. CHAMBERLAIN 1988; BROUDISCOU et al. 1990; BROUDISCOU u. LASSALAS 1991; MATSUMOTO et al. 1991) und neuerdings pflanzliche Stoffe wie z. B.

Saponine (GUPTA et al. 1993; NAVAS-CAMACHO et al. 1994; WALLACE et al. 1994;

THALIB et al. 1995) kommen zum Einsatz.

Eine physikalische Methode, Infusorien aus dem Pansen zu entfernen, ist nach JOUANY und SENAUD (1979a) durch sequentielle Waschungen des Pansens bei fistulierten Schafen möglich: 1. Fasten des Tieres für 48 Stunden vor der ersten Behandlung;

2. Pansen an 3 aufeinanderfolgenden Tagen ausräumen und hintereinander mit Wasser, Formaldehydlösung und wieder Wasser waschen;

3. Anbieten von Futter 36 Stunden nach der letzten Behandlung.

Bei so behandelten Tieren kann bis zu 6 Monate ein ziliatenfreier Status aufrecht erhalten werden. JOUANY und SENAUD (1979a), LOVELOCK et al. (1982) und JOUANY et al.

(1988) berichten jedoch auch von Todesfällen.

EADIE und OXFORD (1957) räumen ebenfalls den Pansen aus und unterziehen diesen mehreren Waschungen. Zusätzlich filtrieren sie den Panseninhalt durch Gaze und erhitzen das Filtrat 50 Minuten bei 50 °C, bevor sie es in das Tier zurückgeben.

Die wirksamste Art, ziliatenfreie Wiederkäuer zu erhalten, ist jedoch immer noch die Isolierung Neugeborener direkt nach der Geburt (BRYANT u. SMALL 1960; EADIE 1962a;

ABOU AKKADA u. EL-SHAZLY 1964).

Tab. 2.15: Verschiedene Defaunationsmethoden

Methode Autor und Jahr

I. Physikalische Behandlung

EADIE u. OXFORD 1957 JOUANY u. SENAUD 1979a

BRYANT u. SMALL 1960; EADIE 1962a;

ABOU AKKADA u. EL-SHAZLY 1964 II. Chemische Behandlung

HSU et al. 1989; WILLIAMS u. COLEMAN 1992

BECKER 1929; BECKER et al. 1929 GUNTHER 1899

BECKER 1929; BECKER et al. 1929 DEMEYER 1982

ABOU AKKADA et al. 1968a; ORPIN 1977c WRIGHT u. CURTIS 1976

BURGGRAAF u. LENG 1980

ORPIN 1977c; CAMPBELL et al. 1982 WRIGHT u. CURTIS 1976; BURGGRAAF u. LENG 1980; LOVELOCK et al. 1982 WRIGHT u. CURTIS 1976

BARTLEY 1965; DAVIS u. ESSIG 1972 NEWBOLD u. CHAMBERLAIN 1988;

BROUDISCOU et al. 1990; BROUDISCOU u. LASSALAS 1991; MATSUMOTO et al.

1991

HART 1992 III. Pflanzliche Stoffe

- Saponine GUPTA et al. 1993; NAVAS-CAMACHO et al. 1994; NEWBOLD et al. 1994; WALLACE et al. 1994; THALIB et al. 1995

Tab. 2.15: Verschiedene Defaunationsmethoden (Fortsetzung)

Methode Autor und Jahr

IV. Diätetische Behandlungen - Hungern

- Milchfütterung - Ölverfütterung

- Stark stärkehaltiges Futter zur Induzierung einer milden Azidose

- Sehr energiereiches Futter bei Jungtieren - Stark zinkhaltiges Futter (1 g Zn/kg TM)

MANGOLD u. SCHMIDT-KRAMER 1927;

MANGOLD u. USUELLI 1930; WARNER 1962b

DOGIEL u. WINOGRADOWA-FEDOROWA 1930; KREUZER u.

KIRCHGESSNER 1987a

VAN NEVEL u. DEMEYER 1981;

IKWUEBU u. SUTTON 1982; SUTTON et al. 1983; NEWBOLD u. CHAMBERLAIN 1988

WHITELAW et al. 1984

KREUZER u. KIRCHGESSNER 1987b DURAND u. KAWASHIMA 1980

Eine partielle Defaunation dient dazu, Vorteile einer bestimmten Protozoenpopulation für das Wirtstier zu nutzen oder eine Monokultur für biochemische und morphologische Untersuchungen heranzuzüchten.

Die Etablierung spezifischer Pansenziliaten erfolgt in zwei Schritten:

1. Entfernung der originären Protozoenpopulation (Defaunation);

2. Inokulation der gewünschten Infusorien aus einem Spendertier oder aus einer angezüchteten Laborkultur.

Teilweise genügt aber auch eine partielle oder selektivierende Defaunation, um ein Wirtstier mit speziellen Protozoenpopulationen zu erhalten.

So kann sich selbst bei der oben beschriebenen Defaunation nach EADIE und OXFORD (1957) trotz übrig gebliebener entodiniomorphider Ziliaten eine stabile Population von Dasytricha ruminantium aufbauen. Holotricha werden gezielt durch Behandlung mit 1,2-Dimethyl-5-Nitroimidazol entfernt (CLARKE et al. 1969). Holotriche Ziliaten reagieren weniger sensibel auf Monensin als entodiniomorphide (HINO 1981; DENNIS et al. 1986).

Die Wirkung von Monensin und Lasalozid ist von der Diät des Wiederkäuers abhängig (DINIUS et al. 1976; RICHARDSON et al. 1978; POOS et al. 1979; DENNIS et al. 1986;

KATZ et al. 1986; GYULAI u. BARAN 1988). Große Pansenprotozoen und Holotricha sind allgemein leichter durch oberflächenaktive Substanzen (WRIGHT u. CURTIS 1976; ORPIN 1977c; BURGGRAAF u. LENG 1980) zu beeinträchtigen und können daher durch niedrigere Dosierungen als bei kompletter Defaunation gezielt eliminiert werden (COLEMAN u.

WILLIAMS 1992).

Einige Antibiotika (s. 2.1.3) besitzen ebenfalls das Potential für selektive Ziliateneliminierungen (z. B. PURSER et al. 1965; O´CONNOR et al. 1970, 1971;

PANJARATHINAM et al. 1973; KUBO et al. 1981; OLUMEYAN et al. 1986; GYULAI u.

HUDOUSKOVA 1987; NEWBOLD et al. 1988).

Tiere mit manipulierter Protozoenpopulation verlangen ein spezielles Management, um eine Refaunation zu vermeiden. Sorgfältiges Aufstallen (Isolierung von faunierten Tieren, deren Speichel und Pansenflüssigkeit) und bedachtes Handling (tiereigene Futter- und instrumentelle Utensilien sowie tierspezielle Kleidung des Pflegers und Desinfektionswannen vor jeder Box) sind für die Aufrechterhaltung des gewünschten Status erforderlich (EADIE 1962a; LOVELOCK et al. 1982).