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3 Ausstattung und Zustand des Natura 2000-Gebiets

3.3 Lebensstätten von Arten des Anhangs II der FFH-Richtlinie

3.3.2 Bauchige Windelschnecke (Vertigo moulinsiana) [1016]

Erfassungsmethodik

Stichprobenverfahren, Kartierjahr 2016

Auf der Grundlage der §-32-Biotopkartierung/Waldbiotopkartierung wurden zunächst alle potenziell geeigneten Habitatflächen (z. B. Verlandungsröhrichte, Großseggenbestände) ermittelt.

Die Erfassung der Bauchigen Windelschnecke (Vertigo moulinsiana) [1014] erfolgte an ins-gesamt 15 Stichprobenflächen. Hierzu wurden die Blattspreiten von Röhrichtpflanzen (insbe-sondere von Großseggen wie Carex acuta und Carex gracilis) visuell abgesucht. Da sich die braunen Gehäuse der Tiere farblich gut von den grünen Blattspreiten abheben, sind selbst die winzigen Jungschnecken (Gehäusehöhe << 1 mm) leicht aufzufinden.

Insgesamt konnte Vertigo moulinsiana an 14 von 15 Stichprobenflächen (= 93,3 %) nachge-wiesen werden. Nachrichtlich übernommen werden konnten außerdem Daten aus eigenen Erhebungen im Auftrag der Gewässerdirektion am Regierungspräsidium Freiburg (Ref. 53.3, Integriertes Rheinprogramm):

• 32 Fundstellen aus den Untersuchungen zum geplanten Rückhalteraum Ichen-heim/Meißenheim/Ottenheim (IMO) (KLEMM 2018a, Funddaten vom 24.10., 6.11. und 10.12.2016 sowie vom 7.2.2017),

• 15 Fundstellen aus den Untersuchungen zum geplanten Rückhalteraum Elzmündung (KLEMM 2011a, Funddaten vom 24. und 25.11.2010) sowie

• Eine Fundstelle aus aktuellen Untersuchungen im Polder Altenheim (Klemm, private Erhebung, Funddatum 26.05.2017).

Somit liegen für das gesamte FFH-Gebiet insgesamt 62 Fundpunkte der Bauchigen Windel-schnecke vor.

Bei den Geländeerhebungen wurde in Anlehnung an die Bewertungskriterien für das bun-desweite FFH-Monitoring (BfN & BLAK 2017) eine Abschätzung der Populationsdichte in drei Größenklassen vorgenommen:

(1) Geringe Dichte (Schätzwert: < 20 Ind./m2, entspricht einem mittleren bis schlechten Zustand der Population [C])

(2) Mittlere bis hohe Dichte (Schätzwert ≥ 20 bis < 100 Ind./m², entspricht einem guten Zustand der Population [B])

(3) Sehr hohe Dichte (Schätzwert > 100 Ind./m2, entspricht einen hervorragenden Zu-stand der Population [A]).

Die Informationen zur Dichteabschätzung sind in der NAIS-Datenbank bei den Punktinforma-tionen hinterlegt, wobei folgende Schlüsseleinträge entsprechend des Artenkatasters Baden-Württemberg verwendet wurden

(1) w – wenige, vereinzelt (2) m – etliche, mehrere (3) z – zahlreich, viele

Die Abgrenzung der Lebensstätte erfolgte anhand der konkreten Artnachweise und der im Rahmen der Übersichtsbegehungen gewonnenen Einschätzung der Habitateignung der im GIS ermittelten Potenzialflächen. Die abgegrenzte Lebensstätte besteht aus 146 Teilflächen mit einer Gesamtfläche von 91,7 ha.

Erhaltungszustand der Lebensstätte der Bauchigen Windelschnecke LS = Lebensstätte

Erhaltungszustand

A B C Gebiet

Anzahl Erfassungseinheiten -- 1 -- 1

Fläche [ha] -- 91,7 -- 91,7

Anteil Bewertung an LS [%] -- 100 -- 100

Flächenanteil LS

am Natura 2000-Gebiet [%]

-- 2,4 -- 2,4

Bewertung auf Gebietsebene B

Beschreibung

Die Bauchige Windelschnecke [1016] hat ihren Siedlungsschwerpunkt in (dauer-) nassen Röhrichten und Großseggenbeständen im Verlandungsbereich von (temporären) Stillgewäs-sern. Die aktuellen Funde in Baden-Württemberg stammen vor allem aus Großseggenbe-ständen, seggenreichen Schilfröhrichten und Schneiden-Rieden. Darüber hinaus wurde die Art auch in (locker bewaldeten) Quellsümpfen, lichten Erlenbruchwäldern, Fließ-gewässerröhrichten und in grabenbegleitenden Hochstaudenfluren nachgewiesen.

Die von Vertigo moulinsiana besiedelten Standorte zeichnen sich durch hohe Grundwasser-stände aus. Nach den Ergebnissen aus Detailuntersuchungen in Großbritannien sank der (sommerliche) Grundwasserpegel an Standorten mit guter Habitateignung für Vertigo mou-linsiana nicht tiefer als 0,5 m unter Geländeniveau ab. In den am dichtesten besiedelten Flä-chen stand der Grundwasserspiegel ganzjährig über der Flur (0 bis max. 60 cm). Standorte mit Grundwasserflurabständen von mehr als 0,5 m wurden nur in geringer Dichte besiedelt (KILLEEN 2003; TATTERSFIELD & MCINNES 2003). Auch in der Rheinniederung südlich von Karlsruhe sinkt der spätsommerliche Grundwasserspiegel in den von Vertigo moulinsiana besiedelten Lebensräumen nur in Ausnahmefällen um mehr als 0,5 bis 0,69 m unter Flur, wobei es sich dann ebenfalls um individuenarme Bestände handelt (KLEMM 2008). Die Art

benötigt ein feuchtwarmes Mikroklima, weshalb gut besonnte Röhricht- und Großseggenbe-stände mit einer dicht geschlossenen Vegetationsmatrix bevorzugt werden.

Die Bauchige Windelschnecke verbringt im Gegensatz zu den anderen einheimischen Verti-go-Arten einen großen Teil des Lebens in der höheren Krautschicht (bis ca. 120 cm Höhe), die sowohl das Nahrungs- und vermutlich auch das Fortpflanzungshabitat darstellt. Dement-sprechend reagiert sie äußerst empfindlich auf eine Mahd ihrer Lebensräume (insbesondere während der Vegetationsperiode).

Über das Überwinterungsverhalten ist noch wenig bekannt. Nach eigenen Beobachtungen (KLEMM 2011a) verbleiben die adulten und subadulten Tiere auch während des Winters in der Krautschicht und sterben mit dem Zusammenfallen der Vegetation sukzessiv ab. Die zahlreichen, im Spätsommer bzw. Frühherbst geschlüpften Jungschnecken steigen vermut-lich aktiv aus der höheren Krautschicht hinab und überwintern dann in der Streuschicht oder auch in der bodennahen Vegetation.

Vertigo moulinsiana ist eine europäisch verbreitete Art, die in Deutschland hauptsächlich im nord(ost)deutschen Tiefland (Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Branden-burg) vorkommt (COLLING &SCHRÖDER 2003a). In Baden-Württemberg galt die Art noch An-fang der 1990er Jahre als sehr selten, die wenigen Nachweise beschränkten sich auf die Oberrheinniederung, das Bodenseebecken und zwei isolierte Vorkommen im Naturraum Schönbuch.

Ab 1990 erfolgten zahlreiche Neufunde der Art, v. a. aus dem Bodenseegebiet (Untersee, Bodanrück), dem Klettgau, der Mittleren und Nördlichen Oberrheinebene und dem Schön-buchgebiet. Zwischenzeitlich zeichnet sich damit ein – nur von der „Trockenaue“ bei Hart-heim unterbrochenes – kontinuierliches Verbreitungsgebiet vom Bodenseebecken/Hegau über den Hochrhein bis in die nördliche Oberrheinebene ab, hinzu kommt ein weiterer Vor-kommensschwerpunkt im offenbar sehr dicht besiedelten Naturraum Schönbuch zwischen Stuttgart und Tübingen.

Im FFH-Gebiet finden sich geeignete Biotope (grundwassernahe Standorte mit +/- seggen-reichen Schilfröhrichten) in großer Anzahl und Flächenausdehnung. Mit Ausnahme des Fa-schinats bei Wittenweier und dessen Umfeld sind aber geeignete Biotope im südlichen Teil des FFH-Gebiets (Rheinwald westlich Allmannsweier und Nonnenweier) nur kleinräumig anzutreffen. Die Habitatqualität ist deshalb insgesamt als gut (Wertstufe B) einzustufen.

Im FFH-Gebiet besiedelt die Bauchige Windelschnecke geeignete Habitate in hoher Stetig-keit. An im Offenland gelegenen Röhrichten mit geringer Beschattung durch Gehölze werden im Regelfall hohe Dichten erreicht. An im Wald gelegenen Standorten nimmt die Besied-lungsdichte mit zunehmendem Beschattungsgrad ab. Eine Bewertung für die insgesamt 62 Probestellen (PS) mit Artnachweis ergibt folgendes Bild: Zustand mittel bis schlecht: 21 PS (34 %), Zustand gut: 31 PS (50 %), Zustand hervorragend: zehn (16 %). Insgesamt handelt es sich um eine aus zahlreichen Einzelvorkommen bestehende Metapopulation, wobei der Austausch von Individuen durch die passive Verfrachtung im Fell von Großsäugern (v. a.

Wildschweine) und Verdriftung in Gewässern bei Hochwasserereignissen gewährleistet ist.

Der Zustand der Population ist insgesamt gut (Wertstufe B).

Die festgestellten Beeinträchtigungen der Lebensstätte sind insgesamt als gering (Wertstufe A) einzustufen. An im Offenlandbereich liegenden Teilen der Lebensstätte findet teilweise diffuser Nährstoffeintrag aus angrenzenden Flächen mit landwirtschaftlicher Intensivnutzung statt. Vielfach ist eine zunehmende Beschattung infolge natürlicher Sukzession zu beobach-ten, welche sich zwar nachteilig auf die Besiedlungsdichte auswirkt, aber auch mittelfristig nicht zu einer Auslöschung von (einzelnen) Teilpopulationen führen dürfte.

Verbreitung im Gebiet

Die Bauchige Windelschnecke ist im FFH-Gebiet weit verbreitet und häufig. Sie besiedelt dort insbesondere

• Röhrichtgürtel im Verlandungsbereich von stehenden und langsam fließenden Ge-wässern sowie

• weitgehend verlandete Altwässer (Schluten) mit nassen, +/- großseggenreichen Schilfröhrichten.

Konkret wurde die Bauchige Windelschnecke in folgenden Teilflächen festgestellt:

• NSG Sundheimer Grund (eine Fundstelle, geringe Erfassungsintensität)

• Klemsbuckel NW Kehl-Goldscheuer (sechs Fundstellen)

• NSG Altwasser Goldscheuer (eine Fundstelle)

• Polder Altenheim Nord (vier Fundstellen)

• Feldflur NW Altenheim (drei Fundstellen)

• Riedwasser und Sauschollenlache NW Ichenheim (acht Fundstellen)

• NSG Sauscholle bei Ichenheim (neun Fundstellen)

• NSG Salmengrund (fünf Fundstellen)

• Schluten N Schützenkopf (zwei Fundstellen)

• NSG Thomasschollen (eine Fundstelle, geringe Erfassungsintensität)

• Langgrund W Ottenheim (13 Fundstellen)

• Feldflur S Ottenheim (zwei Fundstellen)

• Faschinat bei Wittenweier und Umgebung (sechs Fundstellen) Bewertung auf Gebietsebene

Die Bauchige Windelschnecke ist im Untersuchungsweitraum weit verbreitet und in geeigne-ten Biotopen mit sehr hoher Stetigkeit vertregeeigne-ten. Mit Ausnahme des Faschinats bei Witgeeigne-ten- Witten-weier sind jedoch Im südlichen Teil des FFH-Gebiets (Rheinwald westlich AllmannsWitten-weier und Nonnenweier) geeignete Biotope nur kleinflächig anzutreffen. Es handelt sich um eine große, aus zahlreichen Einzelvorkommen bestehende Metapopulation, wobei die Teilpopula-tionen infolge der regelmäßigen, passiven Verfrachtung von Individuen durch Säugetiere, Vögel oder Hochwasser in Verbindung stehen.

V. a. auch aufgrund des engen Habitatverbunds befindet sich die Lebensstätte der Bauchi-gen Windelschnecke im Gesamtgebiet in einem guten Erhaltungszustand (B).