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Außerordentliche Sitzung

Was sind die wesentlichen Inhalte der EBR +

13. Außerordentliche Sitzung

13.1 Gesetz

Meist sind geplante Maßnahmen und Projekte nicht immer zur jährlichen Sitzung gerade so konkret, dass über sie sinnvoll informiert und eine Anhörung eingelei-tet werden kann. Deshalb gibt es das Recht des EBR + SE-BR zur außerordentli-chen Sitzung (§ 30 EBRG, § 29 SEBG).

Wenn außergewöhnliche Umstände oder Entscheidungen anliegen, die erheb-liche Auswirkungen auf die Interessen der Arbeitnehmer haben, ist der EBR + SE-BR zu unterrichten und anzuhören. Als Beispiele dafür werden Verlegung von Unternehmen und Betrieben, Stilllegungen und Massenentlassungen genannt.

Vorsitz

Außergewöhnliche Umstände

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Diese Beispiele sind nicht abschließend. Umfasst sind auch alle kurzfristigen Entscheidungen der zentralen Leitung der SE, die nicht bis zur nächsten regel-mäßigen Sitzung warten können.45 Es geht wieder um Information unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen vor der Entscheidung. Wenn ein geschäftsführen-der Ausschuss besteht, ist dieser zu unterrichten. Zur außerordentlichen Sitzung müssen die Mitglieder des EBR + SE-BR eingeladen werden, die aus den von der Entscheidung betroffenen Ländern kommen.

Zur Frage der Einberufungsfrist ist ein Vergleich zu außerordentlichen Aufsichts-ratssitzungen sicher zulässig, für deren Einberufung eine Zweiwochenfrist als an-gemessen gesehen wird (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AktG). Insbesondere die Organisation des Sitzungsorts, der Anreise, der Dolmetscher und der Zusendung der Informati-onen in den jeweiligen Landessprachen wird diesen Zeitraum benötigen.

13.2 Vereinbarung

Während der Katalog der regelmäßigen Unterrichtung sich zum Teil auf Sachver-halte aus der Vergangenheit bezieht, richten sich die als außergewöhnlich be-zeichneten Sachverhalte in die Zukunft. Hier geht es darum, dass das Gremium mit seiner eigenen Meinung angehört wird, es geht um Beratung.46 Auch hier ist die Nähe zu den Rechten des Wirtschaftsausschusses nach BetrVG zu sehen. Pro-jekte und Umstrukturierungsprogramme, die Auswirkungen auf die Beschäftigten haben, sind in jedem Unternehmen mittlerweile an der Tagesordnung. Deshalb trifft es eigentlich der Begriff des »außergewöhnlichen Sachverhalts« nicht mehr.

Eine vertragliche Regelung kann die Unternehmenswirklichkeit aber gut aufneh-men. So kann beispielsweise vereinbart werden, dass es eine monatliche Unter-richtung des geschäftsführenden Ausschusses über alle neuen Sachverhalte oder den Fortgang von Projekten gibt. Zudem kann bei Themen, die der EBR + SE-BR mit der zentralen Leitung beraten und ihr gegenüber eine Stellungnahme abge-ben will, ein zweckmäßiges Verfahren zur Unterrichtung vereinbart werden. Eine monatliche Information kann dann auch mal in einer Telefon- oder Videokonferenz erfolgen. Wenn es im Ausschuss keine gemeinsame Arbeitssprache gibt, muss die Verdolmetschung sichergestellt sein.

Zwar kann in einer Vereinbarung der Gesetzestext wörtlich übernommen werden, aber die benannten Beispiele für eine Unterrichtung außerhalb der regelmäßigen Sitzungen werden relativ selten ausgelöst. Regelmäßig umgehen die zentralen

45 Wißmann/Kleinsorge/Schubert, MitbestR-Kommentar, 5. Auflage 2017, EU-Recht, Rn. 117.

46 Kühn in: Annuß/Kühn/Rudolph/Rupp, § 30 EBRG Rn. 23; Blanke, § 33 EBRG a. F. Rn. 12.

Einberufungsfrist

Projekte und Um-strukturierungen

Was sind die wesentlichen Inhalte der EBR + SE-BR-Vereinbarung?

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Leitungen durch eine »Salamitaktik« die Informationspflicht. So können z. B. die Schwellenwerte für die Massenentlassung nach § 17 KSchG durch einen sukzes-siven Stellenabbau umgangen werden. Folglich empfiehlt es sich über zusätzli-che Sitzungen des Ausschusses eine regelmäßige Unterrichtung sizusätzli-cherzustellen.

Diese zusätzlichen Möglichkeiten zur Unterrichtung sind in der Vereinbarung festzulegen.

Nach § 30 Abs. 2 EBRG wird für die außerordentliche Unterrichtung der geschäfts-führende Ausschuss einberufen, ergänzt durch die EBR-Mitglieder der durch die geplante Maßnahme betroffenen Länder. Diese Regelung ist für die verhandelte Vereinbarung nicht zwingend, sie hat sich aber als recht praktikabel zumindest für den Einstieg in die Anhörung erwiesen. Gerade die außergewöhnlichen Sach-verhalte haben in der Regel eine besondere Eilbedürftigkeit. Der Ausschuss kann sehr schnell zusammentreffen. Die Organisation eines Gesamttreffens erfordert erheblich mehr Zeit. Für Projekte oder geplante Umstrukturierungen ist dieses Gremium deshalb der richtige Ansprechpartner für das Unternehmen/die zentrale Leitung. So könnte festgelegt werden, dass der geschäftsführende Ausschuss von allen geplanten Projekten unterrichtet wird, die eine Auswirkung auf die Beschäf-tigten oder Arbeitsbedingungen haben könnten. Der Maßstab dürfen keineswegs erst Kündigungen sein.

Das SEBG überlässt dem SE-BR das Recht zu entscheiden, ob das gesamte Gre-mium oder nur der Ausschuss unterrichtet und angehört wird (§ 29 Abs. 3 SEBG).

Eine erste Information kann auf einer der zu vereinbarenden regelmäßigen Aus-schusssitzungen erfolgen (siehe dazu unten unter 48, 49), oder zur Not eine schriftliche Erstinformation. Der Ausschuss entscheidet dann, ob diese Informa-tion einfach weitergegeben wird. Das ist beispielsweise dann denkbar, wenn es sich nur um einen Zwischenschritt bei einem Projekt handelt. Oder er entscheidet, dass eine Informationssitzung mit dem Ausschuss, den Delegierten aus den be-troffenen Ländern und dem Management stattfinden muss, auf der die Informa-tion vertieft wird und erste Überlegungen zu einer Stellungnahme möglich sind.

Vorstellbar ist auch, dass die Planung sich auf einen so erheblichen Umstand be-zieht, dass eine außerordentliche Sitzung des gesamten Gremiums einzuberufen ist. Wichtig ist, dass der EBR + SE-BR sich nicht sofort nach der Information zu einer Stellungnahme drängen lässt. Wie ein solches Informationsverfahren regelmäßig ablaufen soll, kann im Anhang der Vereinbarung festgelegt werden. In die Verein-barung selbst kann aber aufgenommen werden, dass bei Projekten, die über einen längeren Zeitraum umgesetzt werden, über wesentliche anstehende Umsetzungs-schritte jeweils unterrichtet und gegebenenfalls angehört wird. Selbst wenn die Ausschuss und

betroffene Länder

Ablauf der Anhörung

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Erstinformation schriftlich oder per Telefon erfolgt, muss ein Treffen der Beteiligten unbedingt stattfinden. Die EBR + SE-BR-Mitglieder müssen von Angesicht zu An-gesicht über eine Stellungnahme beraten können. Diese Präsenztreffen sind in der Vereinbarung festzulegen.

Eine Abstimmung mit den Beteiligungsrechten der nationalen oder örtlichen Arbeitnehmervertretungen ist auch im Sinne des § 1 Abs. 7 EBRG anzustreben, wonach der EBR spätestens gleichzeitig mit der nationalen Vertretung zu unter-richten und anzuhören ist. Da nicht in allen nationalen Regelungen eine Reihen-folge der Information festgelegt ist, lohnt es sich, in der Vereinbarung festzulegen, dass der EBR + SE-BR zuerst informiert und konsultiert wird. Auf jeden Fall ist wichtig zu vereinbaren, dass nationale Verhandlungen z. B. über Sozialpläne erst dann beginnen können, wenn die Anhörung im EBR + SE-BR abgeschlossen ist.

Ansonsten könnte eine durch die Anhörung veränderte Unternehmensentschei-dung nicht mehr im nationalen Verfahren berücksichtigt werden.

In der Praxis gibt es leider auch genug Beispiele, in denen noch nicht mal eine Betriebsschließung mitgeteilt, sondern die Umsetzung schon eingeleitet wurde, was einen klaren Gesetzesverstoß darstellt. In den bereits o. g. Fällen Renault und Visteon (siehe S. 54) entschieden ein französisches und ein deutsches Gericht bezüglich der Rechtsfolgen trotz vergleichbaren Sachverhalten unterschiedlich.

Da ist also noch einiges in Bewegung, verlässliche Aussagen sind derzeit noch schwierig.

Das Gesetz trifft keine Aussage darüber, ob es nur eine Sitzung gibt, auf der infor-miert und angehört wird. Eine sinnvolle Stellungnahme zu einer schwerwiegen-den Maßnahme, wie der Anspruch voraussetzt, ist kaum direkt am Anschluss an eine Sitzung möglich. Haben die Mitglieder das Recht, sich nach Einholung von Informationen vor Ort und sachkundiger Beratung zur Formulierung einer Stel-lungnahme noch einmal zu treffen? Dem geschäftsführenden Ausschuss wird man dieses Recht zugestehen müssen, denn bedingt durch die »Vielsprachigkeit« des Gremiums ist eine Abstimmung der Stellungnahme schriftlich oder am Telefon ausgeschlossen.

Letztlich kann die zentrale Leitung aber bei ihrer Entscheidung bleiben. Zwar hat der SE-BR an dieser Stelle ein noch weitergehendes Recht als der EBR: Wenn das Unternehmen nicht entsprechend der Stellungnahme des SE-BR seine Entschei-dung treffen will, hat der SE-BR bzw. der Ausschuss das Recht, noch einmal mit der zentralen Leitung zusammenzutreffen, um sich zu einigen (§ 29 Abs. 4 SEBG).

Aber auch das stellt keine Mitbestimmung dar.

Abstimmung untereinander

Versuch der Einigung

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Exkurs: Tendenzunternehmen

Unseligerweise hat in § 31 EBRG und in § 39 SEBG auch der schon im BetrVG umstrittene Tendenzschutz Einzug gehalten. Bei EBR + SE-BR in Tenden-zunternehmen (§ 118 Abs. 1 BetrVG) besteht das Recht auf Information und Anhörung nur sehr eingeschränkt. Wirtschaftliche Informationen beispiels-weise zur Geschäftslage, zur Personalsituation oder zu Investitionen müssen gar nicht gegeben werden. Bei Organisationsänderungen oder Verlagerungen braucht nicht über das »Ob und Wie« gesprochen werden. Die Information und Anhörung bezieht sich nur auf die »soziale Abfederung« der nachteiligen wirtschaftlichen Folgen für die Beschäftigten. Das schränkt die Rechte der EBR + SE-BR-Mitglieder erheblich ein, obwohl außerhalb von Deutschland das Tendenzunternehmen völlig unbekannt ist. Gerade in diesen Unternehmen ist ein EBR + SE-BR umso wichtiger, insbesondere für die deutsche Arbeitnehmer-vertretung. Der Austausch mit den Kollegen und Kolleginnen aus den anderen Ländern bringt sicher ein »Mehr an Informationen« für die deutschen Arbeit-nehmervertretungen.