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Allgemeine Grundsätze der kumulativen Risikobewertung von Mehrfachrück-

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1.3 Allgemeine Grundsätze der kumulativen Risikobewertung von Mehrfachrück-

Grundsätzlich werden im Bereich der Risikobewertung drei Formen unterschieden, die die toxikologische Gesamtwirkung eines Gemisches beschreiben: Effekt-Additivität, Dosis-Addi-tivität und Wechselwirkung (FERON u. GROTEN 2002). In Anlehnung an diese Einteilung werden verschiedene Bewertungskonzepte angewandt bzw. entwickelt, anhand derer Pflan-zenschutzmittelmehrfachrückstände auf ihr mögliches Gesamtrisiko eingeschätzt werden.

1.3.1 Effekt-Additivität

Bei einem Wirkstoffgemisch wird von Effekt-Additivität gesprochen, wenn die einzelnen Substanzen nicht nur auf unterschiedliche Weisen wirken, sondern sich in ihren Wirkungen auch nicht gegenseitig beeinflussen. Das Gesamtrisiko einer solchen Stoffkombination geht von der Substanz aus, die die geringste Differenz zwischen der aufgenommenen Wirkstoff-menge und ihrem LOAEL-Wert aufweist.

Eine unabhängige Arbeitsgruppe unter dem Akronym WiGRAMP (Working Group on Risk Assessment of Mixtures of Pesticides and Similar Substances) des britischen Committee on Toxicity of Chemicals in Food, Consumer Products and the Environment (COT) empfiehlt in diesem Zusammenhang, Wirkstoffe mit unterschiedlichen Wirkmechanismen einzeln zu bewerten (COT 2002). Darüber hinaus vertritt die Europäische Behörde für Lebensmittel-sicherheit (European Food Safety Authority, EFSA) bei Gemischen mit Effekt-Additivität die Meinung, dass diese für eine kumulative Risikobewertung ohne Relevanz sind, solange die Konzentrationen der einzelnen Wirkstoffe unterhalb des jeweiligen NOAEL-Wertes liegen (EFSA 2007; 2008). Dies wiederum ist bei ordnungsgemäßem Einsatz der Pflanzenschutz-mittel der Regelfall und wird durch die Einhaltung des gesetzlich festgelegten Rückstand-höchstwertes gewährleistet. Es wird somit die Einzelstoffbewertung als ausreichend ange-sehen, um das Risiko eines Gemisches mit unabhängig voneinander und unterschiedlich wir-kenden Stoffen adäquat einzuschätzen.

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1.3.2 Dosis-Additivität

Dosis-Additivität tritt ein, wenn die einzelnen Wirkstoffe eines Gemisches nicht nur die gleiche Wirkung ausüben, sondern ihnen auch der gleiche Wirkmechanismus zugrunde liegt.

Die Substanzen unterscheiden sich lediglich in ihren Potenzen, und die Einzeleffekte summieren sich auf. Das Risiko eines Gemisches geht von der Gesamtheit aller gleich wir-kenden Stoffe aus.

Die EFSA sieht es als wissenschaftlich erwiesen an, dass Dosis-Additivität auch bei niedrig konzentrierten Chemikaliengemischen auftreten kann, und hält diese daher auch bei Pflanzen-schutzmittelmehrfachrückständen grundsätzlich für möglich. Daher beurteilte sie eingehend bereits bestehende Konzepte zur kumulativen Risikobewertung von Pflanzenschutzmittel-wirkstoffen mit additiven Wirkungen (EFSA 2008). Die WiGRAMP empfiehlt grundsätzlich, Wirkstoffe mit gleichem toxikologischen Wirkmechanismus gemeinsam zu bewerten (COT 2002). Dieses Vorgehen wurde bereits in der Vergangenheit im Rahmen der Rückstands-höchstmengen-Verordnung und nunmehr durch die EU-Verordnung 396/2005 durch die Etab-lierung von Summenhöchstmengen für einige Wirkstoffkombinationen und Pestizidklassen in die Praxis umgesetzt. Die Summe aus einzelnen Rückstandskonzentrationen darf somit einen gemeinsamen Höchstwert in einer Lebensmittelprobe nicht überschreiten. Beispiele hierfür sind Carbendazim und Benomyl, Triadimefon und Triadimenol sowie die Dithiocarbamate Maneb, Mancozeb, Metiram, Propineb, Thiram und Ziram.

Darüber hinaus wurden bereits in den USA für Wirkstoffe aus vier verschiedenen Pestizid-klassen (Organophosphate, N-Methyl-Carbamate, Chloracetanilide und Triazine) kumulative Bewertungskonzepte auf Grundlage von relative potency factors (RPFs) entwickelt (EPA 2006a; 2006b; 2006c; 2007). Hierfür werden die Substanzen nach detaillierten Recherchen jeweils einer common mechanism group (CMG) zugeteilt, d. h. den Substanzen liegt der gleiche Wirkmechanismus zugrunde und sie unterscheiden sich lediglich in ihrer Wirkpotenz.

In jeder CMG wird eine Index-Substanz festgesetzt, auf welche die Wirkpotenzen der übrigen Stoffe bezogen und durch die Ermittlung von RPFs beschrieben werden. (Im Falle der Triazine wurden allerdings alle Stoffe als gleichpotent zur Index-Substanz betrachtet.) Treten nun Wirkstoffe einer CMG zusammen in einer Lebensmittelprobe auf, werden die einzelnen Konzentrationen durch Multiplikation mit dem entsprechenden RPF in gleichpotente

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lente der Index-Substanz umgerechnet und addiert. Die Summe der relativen Konzentrationen wird anschließend mit einem toxikologischen Bezugspunkt (beispielsweise dem NOAEL) der Index-Substanz verglichen und darauf basierend eine Risikobewertung vorgenommen.

Neben den USA befassten sich auch andere Länder mit dieser Methode und wendeten diese mit modifizierten Vorgehensweisen insbesondere für eine kumulative Risikobewertung von Acetylcholinesterase-hemmenden Wirkstoffen an (Großbritannien (EFSA 2008), Niederlande (BOON u. VAN KLAVEREN 2003), Dänemark (JENSEN et al. 2003)).

Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart schlägt im Gegensatz hier-zu ein sehr pragmatisches Modell hier-zur toxikologischen Risikobewertung von Mehrfachrück-ständen in Obst- und Gemüseproben vor (CVUA 2007). Hierbei wird in einem ersten Schritt für jeden nachgewiesenen Wirkstoffrückstand einer Untersuchungsprobe die jeweilige national geschätzte kurzzeitige Aufnahmemenge (National Estimated Short Term Intake, NESTI) in mg/kg Körpergewicht berechnet. Anhand dieses Wertes wird anschließend für jede Rückstandskonzentration der prozentuale Ausschöpfungsgrad der korrespondierenden ARfD ermittelt. In einem zweiten Schritt erfolgt die Addition der einzelnen ARfD-Ausschöpfungs-raten aller Wirkstoffrückstände einer Untersuchungsprobe. Unterschreitet die Summe 100 %, wird eine Probe als toxikologisch unbedenklich eingestuft. Bei einer Überschreitung hingegen werden in einem dritten Schritt die Wirkstoffrückstände auf ihre tatsächlichen Wirkmechanis-men überprüft und auf Basis der Wirkprinzipien Dosis-Additivität und Effekt-Additivität spezifisch bewertet.

Wie zu erkennen ist, basiert das Stuttgarter Modell auf einer Worst-Case-Betrachtung, denn allen nachgewiesenen Pflanzenschutzmittelwirkstoffen einer Untersuchungsprobe wird zu-nächst der gleiche toxikologische Wirkmechanismus zugrunde gelegt, wonach angenommen wird, dass sich alle Einzelwirkungen aufaddieren. Durch dieses pragmatische Vorgehen sollen auffällige Lebensmittelproben schnell identifiziert und für eine nachfolgende detaillierte Risikobewertung zugänglich gemacht werden. Das CVUA Stuttgart weist allerdings darauf hin, dass dieses Bewertungsmodell noch Gegenstand aktueller Forschungen und Diskussionen sei.

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1.3.3 Wechselwirkung

Man spricht von Wechselwirkung, wenn sich einzelne Wirkstoffe eines Gemisches in ihren Wirkungen gegenseitig beeinflussen. Dies hat zur Folge, dass der Gesamteffekt entweder kleiner (Antagonismus) oder größer (Synergismus) ist als die Summe der Einzelwirkungen.

Das Gesamtrisiko wird somit von der spezifischen Zusammensetzung der Wirkstoffkombina-tion bestimmt.

Experten auf dem Gebiet der Risikobewertung sind der Meinung, dass das etwaige Auftreten von Antagonismen keine Gefahr für die Verbrauchergesundheit darstelle und daher für eine kumulative Risikobewertung von untergeordneter Bedeutung sei (EFSA 2007). Synergis-tische Kombinationswirkungen hingegen könnten in bestimmten Fällen möglicherweise rele-vant sein.

In Anlehnung an diese erste Einschätzung sowie nach intensiver Literaturrecherche beurteilte die EFSA in einem wissenschaftlichen Gutachten das mögliche Auftreten von toxischen Inter-aktionen zwischen Wirkstoffen grundsätzlich als weniger relevant für die Risikobewertung von Pflanzenschutzmittelrückständen in Lebensmitteln (EFSA 2008). Sie betont jedoch, dass Wechselwirkungen zwischen Mehrfachrückständen nicht generell ausgeschlossen werden können. Es solle daher in den Fällen, in denen ein Wechselwirken zwischen einzelnen Wirk-stoffen aufgrund eines biologischen Zusammenhanges plausibel erscheint, eine individuelle Fall-zu-Fall-Bewertung durchgeführt werden. Bislang gibt es aber kein allgemein gültiges Konzept für die Risikobewertung interagierender Pflanzenschutzmittelrückstände.

1.4 Identifizierung von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen für eine kumulative