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2.1 Die Rabbit Haemorrhagic Disease

2.1.1 Ätiologie / Das Rabbit Haemorrhagic Disease Virus

Das RHDV gehört zum Genus Lagovirus innerhalb der Familie Caliciviridae (OHLINGER et al. 1990; OHLINGER u. THIEL 1991; MEYERS et al. 1991b; MOUSSA et al. 1992). Es ist eng verwandt mit dem European Brown Hare Syndrome Virus (EBHSV), dem zweiten bisher beschriebenen Lagovirus. Außerdem existiert ein apathogenes Rabbit Calicivirus (RCV, CAPUCCI et al. 1996b), welches der Species RHDV zugeordnet ist. Weitere Genera innerhalb der Familie Caliciviridae sind die humanmedizinisch relevanten Genera Norovirus und Sapovirus, sowie das veterinärmedizinisch bedeutsame Genus Vesivirus mit den Species Felines Calicivirus (FCV) und Vesicular exanthema of swine virus (VESV).

2.1.1.2 Morphologie und physikalische Eigenschaften

Beim RHDV handelt es sich um ein unbehülltes Virus mit einem sphärischen Kapsid von ikosaedrischer Symmetrie. Die Virionen sind mit 32 - 42 nm relativ klein und einfach aufgebaut. Mittels elektronenmikroskopischer Untersuchung lassen sich die Vertiefungen der Ikosaederseitenflächen darstellen (GRANZOW et al. 1989, 1996; VALICEK et al. 1990).

Diese „calices“ (lat. Kelch) sind bei allen Caliciviren zu finden, und der Name der Familie leitet sich von diesen Strukturen ab. Das Kapsid wird von dem Hauptstrukturprotein mit einem Molekulargewicht von 60 kDa gebildet (VP60). Beim RHDV handelt es sich um ein hämagglutinierendes Virus, es sind jedoch auch nicht-hämagglutinierende Stämme beschrieben worden (CAPUCCI et al. 1996a; SCHIRRMEIER et al. 1999).

Eine zweite Art von Viruspartikeln wurde mehrfach beschrieben (CAPUCCI et al. 1991; DU 1991; MOUSSA et al. 1992; ALEXANDROV et al. 1993; BARBIERI et al. 1997). Diese als

„core-like particles (CLPs)" (GRANZOW et al. 1996) bzw. „smooth RHDV (s-RHDV) particles“ (BARBIERI et al. 1997) bezeichneten Viruspartikel sind mit 25 - 33 nm kleiner als die üblicherweise gefundenen Virionen und haben eine unstrukturierte Oberfläche. Sie bestehen aus einem 30 kDa Strukturprotein, sind nicht-hämagglutinierend und werden bei

LITERATURÜBERSICHT

einem protrahierten Verlauf der RHD nachgewiesen. Für ihr Auftreten wird eine unvollständige Expression des Gens für das VP60 bzw. die Expression eines trunkierten Genoms verantwortlich gemacht (GRANZOW et al. 1996). Als weitere Ursache wird eine Degradation der Virionen genannt (CAPUCCI et al. 1991; MOUSSA et al. 1992), die als Folge der Clearance von RHDV-Ig (Immunglobulin)M-Immunkomplexen auftreten soll (BARBIERI et al. 1997). Ferner werden die beschriebenen Partikel als Core-Partikel ohne Kapsomere (DU 1991) oder frühes Stadium in der Reifung der RHDV-Partikel (ALEXANDROV et al. 1993) angesehen.

Das RHDV ist als unbehülltes Virus verhältnismäßig stabil in der Umwelt. Die Infektiosität des RHDV bleibt in einer Organsuspension bei 4 °C über 225 Tage erhalten, im getrockneten Zustand bei Raumtemperatur (RT) über 105 Tage und bei 60 °C für 2 Tage sowohl als Organsuspension als auch im getrockneten Zustand (SMID et al. 1991).

2.1.1.3 Genomorganisation und Proteine

Das Genom der Caliciviren besteht aus einem Molekül linearer einzelsträngiger RNA mit Plusstrangorientierung und ist nicht segmentiert. Im Falle vom RHDV umfasst es 7437 Nukleotide (ohne Poly A-Schwanz) und ist von nicht-translatierten Regionen (NTR) flankiert. MEYERS et al. (1991b) bestimmten die vollständige Nukleinsäuresequenz des RHDV als erste komplette Sequenz eines Calicivirus. Am 5´-Ende ist die RNA kovalent an das Vpg (virales Protein, genomassoziiert) gebunden, und am 3´-Ende ist sie polyadenyliert (Abbildung 1).

Abbildung 1: Genom des RHDV. An die 5´NTR schließen sich die codierenden Bereiche für die Nichtstrukturproteine (hellgrau) und die beiden Strukturproteine, das VP60 und das VP10 (dunkelgrau), an (modif. nach MEYERS et al. (2000)).

Das Genom besteht aus zwei offenen Leserahmen (engl. open reading frame, ORF), die um 17 Nukleotide überlappen (MEYERS et al. 1991b). Der ORF1 (Nukleotide 10 - 7044) codiert für ein 257 kDa Polyprotein, aus welchem durch proteolytische Prozessierung sieben

NTPase Vpg Pro Pol

Die Rabbit Haemorrhagic Disease

Nichtstrukturproteine (p16, p23, p37, p29, p13, p15, p58) und das Hauptstrukturprotein hervorgehen. Der ORF2 (Nukleotide 7025 - 7378) weist eine Leserasterverschiebung von (-1) auf und codiert für ein weiteres Strukturprotein mit einem Molekulargewicht von 10 kDa, das VP10 (MEYERS et al. 1991b, 2003). Neben der genomischen RNA kann eine 2,2 kb große subgenomische RNA aus Geweben infizierter Kaninchen isoliert werden. Sie ist kolinear mit dem 3´-Ende der genomischen RNA, ebenfalls proteingebunden und wird in Viruspartikel verpackt (MEYERS et al. 1991a, 1991b). Beide Strukturproteine können somit auch durch Translation der subgenomischen RNA entstehen (MEYERS et al. 1991b; PARRA et al.

1993).

Die Gene im ORF1 sind in der Reihenfolge NH2 - p16 - p23 - p37 - p29 - p13 - p15 - p58 - VP60 - COOH angeordnet. Als größere Vorläuferproteine wurden das p60 (p23 + p37), das p41 (p29 + p13) und das p72 (p15 + p58) nachgewiesen (WIRBLICH et al. 1996; KÖNIG et al. 1998; MEYERS et al. 2000). Unter den Nichtstrukturproteinen sind bisher die Nukleosidtriphosphatase (NTPase, p37), das Vpg (p13), die Protease (Pro, p15) und die Polymerase (Pol, p58) identifiziert worden; die Funktion der anderen Proteine ist nicht bekannt.

Das VP60 ist das Hauptstrukturprotein des RHDV und bildet das Kapsid, gegen das sich die neutralisierenden Antikörper richten (VIAPLANA et al. 1997). Es besteht aus zwei Domänen, von denen die innere durch die N-terminalen Aminosäuren und die äußere mit den antigenen Determinanten durch die C-terminalen Aminosäuren gebildet wird (CAPUCCI et al. 1995, 1998; SCHIRRMEIER et al. 1999). Es sind in Analogie zu anderen Caliciviren (NEILL 1992) die Regionen A - F beschrieben worden, von denen die Aminosäuresequenzen der Regionen C und E variabel sind und die der restlichen Regionen konserviert (SCHIRRMEIER et al.

1999). Die oberflächenexponierte Region E mit den wichtigsten antigenen Epitopen wird für phylogenetische Analysen der Nukleotidsequenzen sowohl beim RHDV (MOSS et al. 2002;

FORRESTER et al. 2003; GALL-RECULE et al. 2003) als auch beim FCV (RADFORD et al. 1997, 1999) genutzt. Basierend auf antigenetischen (Reaktivität mit monoklonalen Antikörpern im Antigen-ELISA und Western Blot) und genetischen Eigenschaften (Sequenzanalysen) wurde ein zweiter Subtyp des RHDV nahezu zeitgleich in Italien (CAPUCCI et al. 1998) und Deutschland (SCHIRRMEIER et al. 1999) beschrieben, der sich vor allem in der Region E (Aminosäuren 344 - 434) unterscheidet. Serotypen sind beim

LITERATURÜBERSICHT

RHDV bislang nicht bekannt, und die beschriebenen Isolate weisen eine geringe genetische Variabilität mit einem Homologiegrad von 95 - 98 % in der Aminosäuresequenz des VP60 auf (SCHIRRMEIER et al. 1999).

Das vom ORF2 kodierte VP10 ist ein kleines basisches Strukturprotein, dessen Funktion nicht vollständig geklärt ist. Es wird vermutet, daß es mit der RNA interagiert und bei der Verpackung des Genoms in die Virionen beteiligt ist (WIRBLICH et al. 1996).

Über die Nichtstrukturproteine ist bekannt, daß die NTPase die Helikaseaktivität beinhaltet.

Das Vpg ist kovalent an die RNA gebunden, seine Funktion ist noch nicht klar. Für das FCV wurde gezeigt, daß eine proteolytische Entfernung dieses Proteins zu einer herabgesetzten Translationseffizienz in vitro führte (HERBERT et al. 1997) und RNA-Transkripte eines cDNA-Klons des kompletten Genoms (engl. full-length cDNA clone) auch ohne Vpg infektiös sind (SOSNOVTSEV u. GREEN 1995). Die Protease ist verantwortlich für die proteolytische Prozessierung des Polyproteins. Mittlerweile wurde jedoch eine Spaltstelle im p41 identifiziert, die nur mit sehr geringer Effizienz von dieser Protease gespalten wird. Die proteolytische Spaltung an dieser Stelle führt zu zwei weiteren Proteinen, dem p23 und p18 (THUMFART u. MEYERS 2002). Bei der Polymerase handelt es sich um die RNA-abhängige RNA-Polymerase, die während der Virusreplikation den Minusstrang synthetisiert.