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Archiv "Ärztenetz: Zukunftsträchtiges Modellprojekt" (01.03.2002)

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T H E M E N D E R Z E I T

A

A550 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 9½½½½1. März 2002

D

ie Diskussion über die künftige Ausgestaltung des Gesundheits- systems ist seit Jahren zentraler Bestandteil der politischen Debatte in Deutschland. Hauptstreitpunkt ist da- bei die ambulante ärztliche Versorgung.

Ihr werden zunehmende Fragmen- tierung, unzureichende Zusammenar- beit mit dem stationären Sektor sowie Überkapazitäten attestiert. Auch das Vergütungssystem wird kritisch be- trachtet, weil es nur suboptimale Anrei- ze setze.

Anfang 1996 nahmen eine Reihe nie- dergelassener Ärzte aus Bünde (Nord- rhein-Westfalen) diese Kritik zum An- lass, gemeinsam ein Modell zu ent- wickeln, dass sich durch Förderung der Kooperation untereinander und hohes Engagement der beteiligten Ärzte in der Präventivmedizin auszeichnet. Als weitere Ziele des Bünder Modell- projekts wurden der Abbau von Ver- waltungstätigkeiten in den Arztpraxen durch (fachgruppenspezifische) Pau- schalhonorare sowie eine Neuordnung des Notdienstes zur Vermeidung unnö- tiger Krankenhausbehandlungen formu- liert. Bei dem neu zu gründenden Ärz- tenetz sollte es sich nicht ausschließlich um ein Honorarmodell (Textkasten 1) handeln. Vielmehr sollten gleichzeitig Netzstrukturen (Textkasten 2) zur Ver- besserung der Kommunikation und Ko- operation aufgebaut werden.

Im Februar 1997 fand die erste Kon- taktaufnahme mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), Dortmund, statt. Nach diversen Ge- sprächen wurde zum vierten Quartal 1997 ein Honorarmodell eingeführt. In der Zwischenzeit konnten interne Ma- nagementstrukturen für das Ärztenetz

„Medizin und Mehr“ (MuM) aufge-

baut und eine Gesellschaft bürgerli- chen Rechts (GbR) gegründet werden.

Außerdem wurde eine Geschäftsord- nung zur Regelung der internen Ho- norarverteilung für 36 Teilnehmer in 32 Praxen beschlossen. Das Modell- projekt wurde durch einen Vertrag zwischen KVWL und MuM zunächst auf zwölf Quartale befristet und im Mai 2000 um weitere zwei Jahre ver- längert.

Wissenschaftliche Begleitforschung

Entsprechend der Zielsetzungen wurde gemeinsam mit der KVWL und den be- teiligten Ärzten ein Evaluationsdesign entworfen. Dieses konzentrierte sich im Wesentlichen auf die Bewertung der Fallzahlentwicklung, die Analyse der Abrechnungsfrequenzen sowie auf die Erhebung von Daten zur Patienten- und Ärztezufriedenheit. Zusätzlich wurden veranlasste Arzneimittel- und physikalisch-medizinische Leistungen sowie Krankenhauseinweisungen in die

Bewertung einbezogen. Als Referenz- daten wurden zwei Vergleichsregio- nen („Westfalen“, 175 Praxen, sowie

„Fachärzte Bünde und Umgebung“, 91 Praxen) gebildet, um Fallzahl- und Fre- quenzentwicklung sowie das Überwei- sungsverhalten aus dem Netz heraus zu analysieren. Für die Bewertung der Krankenhauseinweisungen konnte auf Daten des örtlichen Krankenhauses und der AOK Minden zurückgegriffen werden.

Die Fallzahlentwicklung im Ver- gleich zu Westfalen zeigte nur unwe- sentliche Effekte der Pauschalvergü- tung. Grundsätzlich hatte man erwar- tet, dass eine Pauschalvergütung die Abrechnungsfälle, insbesondere durch schnellere Überweisungsabsprachen bedingt, ansteigen lässt. Im Bünder Mo- dellprojekt wurde jedoch seitens der Vertragspartner eine Fallzahlbeschrän- kung vereinbart, sodass eine ähnlich verlaufende Fallzahlentwicklung wie in der Vergleichsregion Westfalen zu ver- zeichnen war.

Bei der Abrechnungsfrequenz ist seit Beginn des Honorarmodells eine Ver- ringerung der abgerechneten Leistun- gen festzustellen. Dabei fällt jedoch auf, dass sich die Reduktion nicht kontinu- ierlich fortsetzt, sondern sich auf einem Niveau von circa 1 000 Einzelleistungen pro Praxis einpendelt. Die Abrech- nungshäufigkeiten liegen demnach im Vergleich der zwei Regionen nahezu im- mer um 1 000 Leistungen pro Praxis auseinander. Vor der Einführung des Honorarmodells verliefen sie dagegen annähernd gleich. Dies kann als Verrin- gerung überflüssiger Leistungen und somit als positiver Effekt der Pauschal- vergütung interpretiert werden. Grund- sätzlich bestätigt die weitere Analyse

Ärztenetz

Zukunftsträchtiges Modellprojekt

Die Verbindung von Honorarmodell und Netzstrukturen zeichnet das Bünder Ärztenetz „Medizin und Mehr“aus, an dem 36 Teilnehmer in 32 Praxen beteiligt sind.

1Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissen- schaften

2Medizin und Mehr, Bünde

3Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe

Dieter Ahrens

1

Bernhard Güntert

1

Robert Kluger

2

Robert Fischer

2

Wolfgang Aubke

3

Wolfgang Kriedel

3

Eckpfeiler des Honorarmodells

Gesamtbudget für alle beteiligten Praxen

Selbstbestimmte Aufteilung des Budgets nach praxisindividuellen Leistungsprofilen (Anteil am Gesamtbudget)

Auf das Kalenderjahr bezogene individuelle Fallzahlbegrenzung für jede Praxis

Praxisindividuelle Fallpauschale

Honorarzunahme analog zur Steigerung der Gesamtvergütung im Bereich der KVWL Textkasten 1

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der einzelnen EBM-Ziffern-Gruppen dieses Bild, wobei festzustellen ist, dass die aufwendigen und technikintensiven Leistungen einen größeren Rückgang aufwiesen als die anderen.

Ein vergleichsweise heterogenes Bild zeigt sich beim Einweisungsver- halten. Während die Zahl der einge- wiesenen Fälle bei einigen Praxen zurückgeht und die Verweildauer zu- nimmt, erhöhen sich in anderen Praxen derselben Fachgruppe sowohl Fallzahl als auch Verweildauer. Dabei fällt aber die Fallzahlsteigerung sehr gering aus.

In den meisten Praxen kann die Ver- weildauerzunahme am ehesten durch einen veränderten Fall-Mix erklärt werden, weil die parallel aufgebauten Netzstrukturen unter anderem die Krankenhauseinweisung verhindern sollen und somit leichte Fälle mit gerin- ger Verweildauer die Durchschnitts- verweildauer steigen lassen.

Im Rahmen der Evaluation wurden drei Patientenbefragungen vorgenom- men. Ziel war die Erfassung der Qua- lität der Versorgung aus Sicht der Pati- enten. Es zeigten sich positive Ergeb- nisse. In Bezug auf die allgemeine Zu- friedenheit, die Compliance und das Vertrauensverhältnis konnten Verbes- serungen erreicht werden, die zum Teil signifikant waren. Das von den Ärzten formulierte Ziel der Versorgungsver- besserung wegen der Pauschalvergü- tung wurde somit bestätigt. Wahr- genommen wurde von den Patienten der verbesserte Informationsfluss zwi- schen den Ärzten. Hier konnten hoch- signifikante Veränderun-

gen verzeichnet werden, die aber vermutlich eher auf die eingeführten Netz- strukturen und nicht auf die Pauschalvergütung zu- rückzuführen sind. Nega- tiver beurteilt wurden so- wohl Hausbesuche als auch Öffnungszeiten. Da- bei ist aber festzustellen, dass die Ausgangswerte mit durchschnittlich 1,5 sehr positiv waren. Fest- zuhalten ist, dass die er- freulichen Ergebnisse der Patientenbefragung ange- sichts eines Rücklaufs von durchschnittlich 30 Pro-

zent nur eingeschränkte Aussagekraft besitzen.

Die Ergebnisse der Ärztebefragung zeigten ebenfalls ein sehr positives Bild.

Hier sind insbesondere die befürwor- tenden Aussagen zur Kommunikation und Kooperation sowie die Angaben zur finanziellen Situation hervorzuhe- ben. In diesen beiden Bereichen sind durchweg positive, zum Teil auch signi- fikante Veränderungen zu verzeichnen.

Beurteilung des

Untersuchungsergebnisses

Bei der Beurteilung des Modellpro- jekts Bünde ist von grundlegender Be- deutung, dass es sich um ein Honorar- modell mit gleichzeitig aufgebauten Netzstrukturen handelt. Diese Netz- strukturen stellen bei einigen Evaluati- onsparametern „Störfaktoren“ dar. So wurde beispielsweise im Rahmen der Patientenbefragung die Verbesserung der Kommunikation und des Informa- tionsstands der Ärzte hervorgehoben.

Diese Ergebnisse wären bei einem rei- nen Pauschalvergütungssystem nicht zu erwarten gewesen. Alle Evaluati- onsaspekte konzentrieren sich auf die Besonderheit, dass es nicht allein um eine Bewertung des Honorarmodells geht, sondern dass die spezifische Aus- gestaltung des Modellprojekts MuM ein wesentliches Element darstellt.

Hierzu gehört vor allem das außer- gewöhnliche Engagement einzelner Ärzte, die das Projekt initiiert und we-

sentlich vorangetrieben haben. Ohne diese Einstellung der führenden Ärzte wäre eine derartige Ausgestaltung in diesem Zeitraum unwahrscheinlich.

Da diese Einstellung nicht ohne weite- res extern motiviert werden kann, son- dern von den Netzbetreibern einge- bracht werden muss, ist eine Übertra- gung der Evaluationsergebnisse pro- blematisch. Reine Pauschalvergütun- gen bieten ohne gleichzeitigen Aufbau von Netzstrukturen einen (zu) großen Anreiz zur Patientenselektion und Verschiebung von aufwendigen Lei- stungen. Die Einrichtung von Netz- strukturen zur routinemäßigen Ver- besserung der Kommunikation und Kooperation zwischen den Leistungs- erbringern ist stark vom Engagement der niedergelassenen Ärzte abhängig.

Insofern ist eine Kombination aus pau- schalierten Honorierungsformen bei gleichzeitigem Aufbau von Netzstruk- turen positiv zu beurteilen. Die durch Einkommensanreize motivierte Lei- stungserbringung entfällt, und nicht notwendige Leistungen werden somit nicht erbracht. Gleichzeitig führt die Verbesserung der Kommunikation und Kooperation zu einer Optimie- rung der Patientenversorgung.

Ärztenetz legt Grundstein für integrierte Versorgung

Grundsätzlich ist eine regionale sek- torübergreifende Vernetzung unter Beteiligung möglichst aller Leistungs- erbringer im Sinne einer „integrierten Versorgung“ anzustreben. Nur so kön- ne man die negativen Anreize der Ein- zelleistungsvergütung und Leistungs- verschiebung auffangen und gleichzei- tig die positiven Auswirkungen der Pauschalvergütung erreichen. In Bün- de ist durch die Beteiligung eines Großteils der niedergelassenen Ärzte bereits der wesentliche Grundstein für eine integrierte Versorgung gelegt.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 550–551 [Heft 9]

Anschrift für die Verfasser:

Dr. Dieter Ahrens MPH Universität Bielefeld

Fakultät für Gesundheitswissenschaften 33501 Bielefeld

T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 9½½½½1. März 2002 AA551

Charakteristika der Netzstrukturen

zentrale Diabetesschulung

zentrale Asthmaschulung für Erwachsene und Kinder

zentrale Adipositasschulung

Ernährungsberatung (zusammen mit AOK)

Qualitätszirkel (Hypertonus, Herzerkrankungen, Diabetes, Na- turheilverfahren, Akupunktur)

zentrale Notfallpraxis

Umstrukturierung des Notdienstes mit 24-Stunden-Erreichbar- keit und Hintergrund-Rufbereitschaft aller Fachgruppen

eigene, von der ÄKWL zertifizierte Fortbildungen

zentraler Einkauf von Praxisartikeln und PKW

Gruppentarif für Strom

Organisation für Wiederverwendung von Hilfsmitteln

Angestellte zur Erledigung von Steuerbuchhaltung und Lohn- buchhaltung der angeschlossenen Praxen

Gründung einer GmbH zur Errichtung eines Gesundheitszen- trums (Baubeginn Juni 2001)

Textkasten 2

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