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Archiv "Ärzte und Gesundheitssystem in der Kritik: Der Preis des Fortschritts" (27.10.2000)

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T H E M E N D E R Z E I T

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A2838 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 43½½½½27. Oktober 2000

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er Berufsstand der Ärzte und das Medizin-Versorgungssystem sind nicht unangefochten. Die Streit- sachen zwischen Ärzten und Patienten nehmen seit Jahren zu; und auch die in der Öffentlichkeit an den Ärzten geäußerte Kritik wird lauter und viel- fältiger. Zwei Verlautbarungen mögen als partes pro toto stehen: Die Bun- desgesundheitsministerin hat im De- zember 1999 erklärt: „Es ist der er- klärte Wille der Bun-

desregierung, den Patientenschutz in Deutschland ent- scheidend zu verbes- sern. Ich begrüße es daher, wenn die Ver- braucherverbände als unabhängige Ver- treter von Versicher- ten und Patienten ein Beratungsnetz auf- bauen wollen.“ Einer qualifizierten Schät- zung zufolge rechnet man mit jährlich 120 000 Todesfällen durch iatrogene Scha- densereignisse in den Akutkrankenhäusern der Vereinigten Staa-

ten, die Hälfte davon infolge ärztlicher Behandlungsfehler.

Liegt die Krankenbehandlung also in den Händen eines Dienstleistungssy- stems mit derartigen Mängeln, dass die Regierung zum Schutz der Benutzer dieses Systems eingreifen muss? Zum Verständnis der gegenwärtigen Situati- on erscheint es angebracht, zunächst ei- nige der Entwicklungen und Einflüsse zu nennen, die in den vergangenen Jahrzehnten die Arbeit der Ärzte und die Funktion des Gesundheitssystems verändert haben.

Technisierung und Spezialisierung des ärztlichen und pflegerischen Han- delns haben erheblich zugenommen.

Ultraschall-Verfahren, Computertomo- graphie, Monitoring (kontinuierliche Darstellung von Funktionsgrößen), in- vasive und endoskopische Diagnostik und Therapie, jetzt flächendeckend ein- gesetzt, waren im ersten Jahrzehnt mei- ner Berufstätigkeit nicht oder nur sehr begrenzt verfügbar. Technik und Spe-

zialisierung haben definitive Fortschrit- te in der Behandlung von Krankheiten bewirkt. So waren früher die quälenden Bewusstseinsverluste durch extreme Herzschlagverlangsamung meist nicht wirksam zu behandeln; seit circa 1964 sind sie durch die Implantation eines künstlichen Herzschrittmachers auf Dauer zu verhindern. Die nicht mehr traktable Angina pectoris ist durch die allgemeine Verfügbarkeit von Kathe- ter-Interventionen und Bypass-Chirur- gie selten geworden. Schwerste Organ- funktionseinbußen von Nieren und

Herz, früher in kurzer Zeit tödlich, kön- nen durch Dialyse und Transplantation wirksam und nachhaltig behandelt, le- bensbedrohliche Infektionen durch Antibiotika geheilt werden. Und diese Beispiele stehen für viele andere ähn- lich große Erfolge der Medizin.

Aber diese Erfolge haben auch ihren Preis: Unerwünschte Wirkungen, Kom- plikationen und iatrogene Schäden sind vermutlich häufiger als zu den Zeiten ei- ner weniger wirksa- men Medizin. Die er- höhten Anforderun- gen, die aufgrund von Technisierung und Spezialisierung an die ärztliche Organisati- on und Kooperation gestellt werden, kön- nen nicht immer er- füllt werden; der ganze kranke Mensch wird vom hoch spe- zialisierten Fachmann manchmal nur noch am Rande gewürdigt.

Die technischen Ver- fahren faszinieren junge Ärzte; die en- doskopische Gallen- gangs-Untersuchung zu erlernen, finden viele attraktiver, als sich in der Kunst der Anamneseerhe- bung zu vervollkommnen – auch wenn die Anamnese vielfach diagnostisch er- giebiger ist als andere Verfahren. Das Arsenal der modernen Methoden birgt die Gefahr von Missbrauch und Über- nutzung durch Ärzte und Patienten.

Die Lebenserwartung der Menschen hat zugenommen. Der Anteil alter Menschen an den behandlungsbedürfti- gen Kranken ist gestiegen; in einer Inne- ren Abteilung zum Beispiel sind über 60 Prozent der Kranken älter als 69 Jahre

Ärzte und Gesundheitssystem in der Kritik

Der Preis des Fortschritts

Blickt heute ein Arzt zurück auf die vergangenen Jahrzehnte seiner ärztlichen Tätigkeit, werden die grundsätzlichen

Veränderungen sichtbar, die sich in der Medizin vollzogen haben.

Klaus-Dieter Scheppokat

In den vergangenen Jahrzehnten sind die Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten im- mer mehr verfeinert worden. Dieser Fortschritt hat seinen Preis. Foto: Peter Wirtz

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(Grafik 1). Die Medizin hat spezielle Methoden zur Behandlung alter Men- schen entwickelt. Noch in den 50er-Jah- ren mutete man über 70-Jährigen keine größere Operation mehr zu, während solche Grenzen heute kaum noch exi- stieren. Aber das Schädigungs-Risiko alter Patienten ist erhöht. Multimorbi- dität ist bei alten Kranken fast die Re- gel. Die Betreuung alter Patienten stellt zum Teil Aufgaben, für deren Lösung der Arzt nicht ausgebildet wird: Linde- rung und kleine Funktionsverbesserun- gen statt Heilung und eindrucksvolle Erfolge, „Rückbau“ statt Ausbau des medizinischen Aufwands, Geduld statt Aktion.

Die Struktur des Medizinversor- gungssystems hat eingreifende Verän- derungen erfahren. Moderne und gut ausgestattete Rehabilitations-Kliniken sind errichtet worden und haben zum Teil Leistungen übernommen, die frü- her Akutkrankenhäuser erbracht ha- ben. Auch haben sich spezialisierte Ar- beitseinheiten für begrenzte Sachge- biete etabliert, zum Beispiel für Endo- prothetik oder für Hernienchirurgie.

Kennzeichnend für etliche der neuen Einrichtungen sind die Begrenzung ih- res Angebots und die gute Kalku- lierbarkeit der gebotenen Einheitslei- stungen. Unabhängig davon ist in den letzten zwei Jahrzehnten ein Rettungs- system entstanden, das die Überle- bens-Chancen bei Notfällen verbes- sert, das aber Personal-Ressourcen der Kliniken in Anspruch nimmt und ihre Intensivbehandlungs-Kapazitäten be- lastet.

Das Akutkrankenhaus hat ein weni- ger gut kalkulierbares Komplettangebot vorzuhalten. Es muss Nierenkoliken und akute Gefäßverschlüsse ebenso behan- deln wie Leberversagen, Herzinfarkte, Vergiftungen und Polytraumata, lebens- bedrohende Atemnot wie auch Magen- geschwüre, Depressionen und Kompli- kationen ambulanter Eingriffe, tags und nachts und an sieben Tagen jeder Woche.

In jedem klinischen Bereich muss stets ein Facharzt verfügbar sein. Auftreten und Behandlungsdauer der Notfälle sind nicht vorauszusagen. Der Rationalisie- rung von Leistungen und Personalein- satz sind im Akutkrankenhaus engere Grenzen gesetzt als zum Beispiel in einer Venenklinik. „Das Krankenhaus“ wird

von Kostenträgern, Politikern und ärztli- chen Vertretern der nicht hospitalbezo- genen Dienste stets als Systemteil mit den höchsten Kosten apostrophiert. Die Institution Krankenhaus hat wenige Für- sprecher. Vor allem fehlen ihr solche, die Konzeptionen mit erarbeiten und durch- setzen, die weniger an ökonomischen Zielen als an ihrem Hauptzweck orien- tiert sind, der ärztlichen Behandlung und Pflege von Patienten in der modernen Klinik – die ein möglichst menschliches Gesicht haben soll.

Arbeit im Krankenhaus ist schwerer geworden

Die dargestellten Entwicklungen der vergangenen Jahre und der Kosten- druck haben im Krankenhaus zu einer Konzentration schwerer und problema- tischer Fälle, zur Verkürzung der Ver-

weildauer und zum Wegfall redundanter Arbeitsgänge geführt. Die Arbeit der Pflegekräfte und Ärzte ist jetzt schwerer, emotional belastender und noch verant- wortungsvoller als vor 30 oder 50 Jahren.

Die Dienstnächte der Krankenhausärz- te sind härter und gehetzter geworden;

ihr Morgenreport malt oft ein Bild von dramatischen Notsituationen, vom Er- fahren erschütternder menschlicher Schicksale und von ärztlichen Entschei- dungssituationen, die kaum „richtig“ zu bewältigen waren. Das seit Jahren gülti- ge Arbeitszeitgesetz schreibt eine an sich vernünftige Lösung vor: Freizeit für den Diensthabenden sofort nach Beendi- gung seines Bereitschaftsdienstes. Aber

damit kommt es zur Beeinträchtigung der Kontinuität der Routinearbeit dieses Arztes, der auf seiner Station tagsüber fehlt.

Ähnliches gilt sicher auch für viele Praxen: Eine Konzentration aufwendi- ger und zum Teil riskanter Arbeitsgänge bei schwierigen Kranken mit breit ge- fächertem Krankheiten-Spektrum; da- bei ungenügend Zeit, sich dem kranken Menschen und seinen Sorgen und Nö- ten ausreichend zuzuwenden. Ange- sichts der hohen Arbeitsbelastung in den Praxen erschienen mir als Kranken- hausarzt die Sicherheit der ärztlichen Disposition (solange sie nicht durch Einflussnahme von außen malträtiert wird) und die niedrige Fehlerquote der niedergelassenen Ärzte stets bewun- dernswert.

Die Güte der Patientenbetreuung im Krankenhaus hängt nicht nur vom Kön- nen der Fachkräfte ab, sondern auch vom Zusammenwirken der Dienste, insbesonde- re des ärztlichen und des Pflege-Dienstes. Hier ist es mit der Zeit dazu ge- kommen, dass die Ko- operation Lücken auf- weist. Gründe dafür mö- gen unter anderem darin liegen, dass die schwere und verantwortungsvol- le Arbeit der Pflege- kräfte von Krankenhaus- leitungen und -trägern nicht genügend gewür- digt und inadäquat ho- noriert worden ist und dass die Pflegekräfte dem zunehmenden und für die Kranken belastenden Aufwand, den die Ärzte mit apparativer Diagnostik und Thera- pie trieben, nicht mehr mit Verständnis und Einsicht folgen konnten. So haben sich Schwestern und Pfleger auf den Weg gemacht, ihren Ausbildungsberuf durch das akademische Fach der Pflege- wissenschaft zu ergänzen und sich bei der beruflichen Arbeit von den Ärzten zu emanzipieren. Pflegedokumentation und Pflegevisite markieren die Selbst- ständigkeit der Arbeitsgestaltung. Aber die Kontakte zwischen Arzt und Pfleger erfolgen mehr und mehr schriftlich statt mündlich und direkt, oft zum Schaden

der Krankenbetreuung. ✁

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Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 43½½½½27. Oktober 2000 AA2839

Altersverteilung der stationären Patienten in der Inneren Medizin auf der Basis der Belegung zweier Akutkrankenhäuser an einem Stichtag 1998

Grafik 1 in % 40 35 30 25 20 15 10 5

0 bis 19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 80 Jahre

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Das Gesundheitssystem der Gegen- wart ist nicht nur komplexer, unüber- sichtlicher und riskanter als das von 1950. Es ist auch außerordentlich teuer, bedingt durch die hohen Kosten für moderne und personalintensive Be- handlung und Pflege, aber nicht nur durch diese: Die Heilberufe sind inzwi- schen von einem mächtigen und um- fangreichen Tross verwaltender, kon- trollierender und dirigierender Institu- tionen, von Versicherungen und Indu- strie umgeben, der nicht kostenfrei tätig ist. Darüber hinaus sind Nutzer und Ko- stenträger in diesem System meistens getrennte Instanzen. Der Nutzer, der Patient, ist sich der Kosten seiner Be- handlung in der Regel nicht bewusst und kann sich demzufolge nicht kosten- bewusst verhalten.

Äußere Einflussnahme

Früher war die ärztliche Arbeit wesent- lich orientiert an Wissenschaft und Pro- fessionalität. Heute fordern mächtige Einflüsse die Orientierung auch an den Regeln von Ökonomie und Industrie.

Professionalität sollte aber immer die Verpflichtung des Arztes bedeuten, bei seinen ärztlichen Entschlüssen dem In- teresse seines Patienten Priorität vor al- len anderen Interessen zu garantieren.

Als ethische Richtlinie für diesen Aspekt ärztlicher Professionalität sind

die wesentlichen Regeln des hippokra- tischen Eids meines Wissens bisher nicht durch Besseres ersetzt worden.

Die ärztliche Arbeit leidet auch un- ter dem Überhandnehmen von büro- kratischen Tätigkeiten, die Kostenträ- ger, Administrationen und Regierun- gen oktroyieren. Offenbar wird der Da- tenakquisition, den dirigistischen und Kontroll-Absichten der Krankenkas- sen Priorität vor der ärztlichen Schwei- gepflicht eingeräumt und werden die ethischen Regeln unseres Berufs dies- bezüglich mit Füßen getreten. Eine an- dere Entwicklung der letzten Jahre ver- langt vom Arzt, sich als Leistungsanbie- ter und seinen Patienten als Kunden zu sehen. Diese Forderung ist da berech- tigt, wo ärztliche Institutionen dem Pa- tienten vor allem Macht demonstrieren und ihre Regeln verkünden, statt zu- zuhören und den Auftrag sowie die Au- tonomie des Patienten zu beachten. Ih- re Grenze findet die Kunden-Rolle des Patienten an den Härten und Unbe- quemlichkeiten, die Ärzte – unähnlich Geschäftsleuten – ihren Patienten im Rahmen sachgerechter Behandlung im- mer wieder zumuten müssen: Wieder- vorstellungen zu Kontrollen, diäteti- sche Einschränkungen, belastende Ent- scheidungen und schmerzhafte Proze- duren.

So stehen die Ärzte auf der Höhe ei- ner glanzvollen Entwicklung ihres fach- lichen Angebots einer Fülle von Pro-

blemen gegenüber, die in zunehmender Patienten-Unzufriedenheit und öffent- licher Kritik zum Ausdruck kommen.

Was sagt die Ärzteschaft dazu, und was tut sie dagegen?

Ärztliches Handeln mit

Schädigungsrisiko verbunden

Ärzte sind sich grundsätzlich seit lan- gem des mit ihrem Handeln verbunde- nen Schädigungsrisikos bewusst. Das zeigt die weit mehr als 2 000 Jahre alte und in jeder Generation erneuerte Mahnung „Primum Nil Nocere“. Aber quantitative Informationen zu Häufig- keit und Verteilungsmodalitäten der Arztfehler und Patientenschäden stan- den den Ärzten bis vor kurzem nicht zur Verfügung.

Durch die Krankenaktenstudie, die 1991/92 von Harvard-Medizinern und -Juristen vorgelegt worden ist, verfügen wir über fundierte Daten bezüglich des Krankenhaussektors: Im Staat New York waren 1984 bei 3,7 Prozent der Krankenhausbehandlungen iatrogene Schadensereignisse zu verzeichnen, gut ein Viertel davon durch Arztfehler ver- ursacht. Die Folgen dieser Schädigun- gen waren in einem Fünftel der Fälle schwerwiegend und bestanden in Dau- er-Invalidität oder Tod. Bei alten Pati- enten und bei Patienten mit komplexen Krankheitszuständen waren die Scha- densraten erhöht. Die Schadens- und Fehler-Raten der in die Harvardstudie einbezogenen Hospitäler zeigten große Unterschiede, unabhängig von Rang und Versorgungsauftrag der Häuser.

Sektions-Ergebnisse sind zumeist ein- deutig und reproduzierbar. Große Sekti- onsstatistiken weisen eine Diagnostik- Fehlerrate von acht bis zwölf Prozent aus. Obwohl die Autopsie auch in mo- derner Zeit nichts von ihrem Potenzial, Unbekanntes zu entdecken und Fehler der Kliniker aufzuzeigen, verloren hat, nimmt die Autopsierate in den letzten Jahrzehnten stetig und erheblich ab.

Angesichts der Zunahme der Streit- sachen mit Haftungsansprüchen an Ärzte haben die Ärztekammern seit den 70er-Jahren Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen einge- richtet, an die 1998 über 9 000 Anträge gerichtet wurden. Dies scheint, trotz T H E M E N D E R Z E I T

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A2840 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 43½½½½27. Oktober 2000

Grafik 2

Norddeutsche Schlichtungsstelle – Entwicklung der unbegründeten und begründeten Schadener- satzansprüche

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mancher Kritik an den Stellen, für ihre Akzeptanz zu sprechen und dafür, dass hier einer ärztlichen Institution Neu- tralität und Sachkompetenz bei der Schlichtung von Streitsachen gegen Ärzte zugetraut wird. In mehr als 90 Prozent der Fälle bei der Schlichtungs- stelle für Arzthaftpflichtfragen der Norddeutschen Ärztekammern wird durch das Schlichtungsverfahren der Streit beendet.

Die große Mehrzahl der Schlich- tungs-Verfahren betrifft die operativen Fächer. Bei den nichtoperativen Fä- chern sind die am häufigsten kritisier- ten Maßnahmen Injektionen, eingrei- fende Diagnostik, Interventionen (wie etwa die Ballondilatation von vereng- ten Herzkranzarterien) und die nicht- invasive Diagnostik. Bei durchschnitt- lich einem Drittel der Schlichtungsver- fahren bewertet die Schlichtungsstelle die Ansprüche der Patientenseite als begründet (siehe Grafik 2), das heißt, sie stellt schuldhafte (vermeidbare) ärztliche Fehler fest, sieht diese als Ur- sache von Körperschäden an und emp- fiehlt der Versicherung des Arztes, in die Regulierung des Schadens einzutre- ten. Zahl und Schweregrad der in den Verfahren erkannten iatrogenen Schä- den sind zum Teil bedeutsam.

Qualitätssicherung

Die Zweifel an Ärzten, Praxen und Krankenhäusern haben im letzten Jahrzehnt zu einer regelrechten Bewe- gung zur Sicherung und Verbesserung der Qualität im Gesundheitswesen ge- führt. Realisierte Qualitätssicherungs- Verfahren im stationären Bereich be- treffen die Perinatologie, die Chirurgie und ihre Teilgebiete, die Nierener- satztherapie und viele andere mehr. Im ambulanten Versorgungsbereich die- nen der Qualitätssicherung vor allem ärztliche Qualitätszirkel. Zum Qua- litätsmanagement gehört auch die Er- stellung von Leitlinien durch die Fach- gesellschaften, gegen die aber gewichti- ge Einwände geltend gemacht werden.

Eine übergeordnete beratende und ko- ordinierende Funktion für die Bundes- republik hat die Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Qualitätssicherung in der Medizin in Köln, in der Bundes-

ärztekammer, Kassenärztliche Bundes- vereinigung, Deutsche Krankenhaus- gesellschaft und Bundesverbände der Krankenkassen vertreten sind.

Aus Sicht eines alten Arztes gibt der Klinikbetrieb herkömmlicher Art mit Morgenreport, Röntgen- und Fall-Be- sprechungen, mit gemeinsamen Visiten und sorgfältigem Konsiliardienst schon eo ipso eine relativ solide Basis für qua- lifizierte Krankenbetreuung ab.

Schlichtungsstellen

Damit sind wir am Ausgangspunkt an- gelangt mit den berechtigten Forderun- gen, dass die Schäden reduziert werden, dass die Patienten sachkundige Infor- mation und Beratung und gegebenen- falls ihr Recht finden müssen.

Die Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität sind umfangreich und be- eindruckend. Evaluationen dazu liegen vor, etwa von der Perinatalstudie (von 1950 bis 1990 ist die perinatale Sterb- lichkeit von 50 auf sechs Promille ge- sunken). Ob durch ärztliches Qua- litätsmanagement in einem Land die Fehler- und Schadens-Raten wirklich gesenkt werden, bleibt abzuwarten.

Wichtige Bereiche ärztlicher Tätigkeit sind der Erfassung durch Qualitätsma- nagement nicht oder jedenfalls nicht leicht zugänglich. Die Verwendung von Daten-Kompilationen für die Erken- nung von Qualitätsmängeln steckt noch in den Anfängen.

Beratungsstellen als Pfadfinder des Patienten durch die Unübersichtlich- keiten des Systems sind wünschens- wert. Wenn sie seriös sein sollen, müs- sen sie über verlässliche Daten und In- formationen von ärztlichen und ande- ren Leitungstellen verfügen. Program- me mit dem Ziel, Beratungsstellen mit den erforderlichen Daten zu versorgen, sind in Zentren für Qualitätssicherung in Vorbereitung. Bis vor einigen Jahren konnte die Überweisung eines bei ge- setzlichen Krankenkassen versicherten Patienten an Fachärzte nur durch den Primärarzt erfolgen, dem der Facharzt berichtspflichtig war. Der Primär- oder Hausarzt war durch diese Funktion und die Vollständigkeit seiner Sachinforma- tion theoretisch, und oft auch praktisch, der optimale Berater seines Patienten.

Der Patient steht mit seinen Sorgen um Behandlungs-Schäden oft allein.

Wenn er aber die Möglichkeit gefun- den hat, den strittigen Sachverhalt zu formulieren, begegnet er keinen beson- deren Hindernissen, sein Recht zu su- chen. Findet er kein Gehör beim Arzt und dessen Versicherung, kann er sei- nen Anspruch vor Gericht verfolgen oder ein Schlichtungsverfahren bean- tragen. Die Verhandlung von Streitsa- chen den Verbraucher-Verbänden an- zuvertrauen erscheint mir nicht ziel- führend: Die deutschen Schlichtungs- stellen verfügen über mehr als 20-jähri- ge Erfahrungen mit Verfahren, die me- dizinisch und juristisch den gegebenen Anforderungen genügen. Für ihre Neutralität und Unvoreingenommen- heit zeugt die hohe Zahl von jährlich nahezu 10 000 Anträgen, die Patien- ten an sie richten, und die Akzeptanz ihrer Empfehlungen (siehe oben). Die Schlichtungsstellen belasten mit ihren Kosten weder die öffentliche Hand noch den Patienten oder seine Kran- kenkasse. Streitsachen lassen sich übri- gens in keinem beruflichen Bereich oh- ne Sachverständige aus dem betroffe- nen Fach klären.

Aber Patientenberatung, Qualitäts- management und der Umgang mit Streitsachen sind nur modifizierende Stimuli für etwas, was im Wesentlichen bereitgestellt werden muss durch solide und moderne Aus-, Weiter- und Fort- bildung, sachgerechte und gründliche Examina und sorgfältige Bewerberaus- wahl, nämlich die angemessene fachli- che Qualifikation, charakterliche Eig- nung und Professionalität aller Patien- ten betreuenden Ärzte und Pflegekräf- te, insbesondere derjenigen mit Lei- tungsfunktionen. Das deutsche Ge- sundheitssystem ist besser als andere und erhaltenswert. Dazu bedarf es der fachlichen Dispositionsfreiheit des Arz- tes und des Kostenbewusstseins und fi- nanziellen Interesses des Patienten.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A 2838–2842 [Heft 43]

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Klaus-Dieter Scheppokat Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle für Arzt- haftpflichtfragen der Norddeutschen Ärztekammern Berliner Allee 20

30175 Hannover T H E M E N D E R Z E I T

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A2842 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 43½½½½27. Oktober 2000

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