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Archiv "Kritik am Gesundheitssystem: Von Kassen und Klassen" (22.06.2007)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 25⏐⏐22. Juni 2007 A1781

S E I T E E I N S

S

topp! Wer sicher weiß, dass er die Erwähnung der Begriffe Unter-, Über- und Fehlversorgung nicht noch einmal erträgt, der möge besser weiterblättern. Eben- so diejenigen, die niemals mehr lesen wollen, dass der Bürger fürs bundesdeutsche Gesundheitswesen wie für ei- nen Mercedes zahlt, dafür aber nur einen Golf fahren darf.

Alle anderen – bitte hier entlang. Prof. Dr. med. Karl Lauterbach hat ein Buch geschrieben: „Der Zweiklas- senstaat. Wie die Privilegierten Deutschland ruinieren“

(erschienen bei Rowohlt, 14,90 Euro). Es geht um Bil- dung, Medizin, Rente und Pflege. Erwartungsgemäß kommen im Kapitel über die Medizin, genauer: die Zweiklassenmedizin, Stichwörter im wahrsten Sinne des Ausdrucks vor. Zur Buchvorstellung erscheint der SPD-Bundestagsabgeordnete ohne Fliege. Er hat sich auch eine lässigere Frisur zugelegt. Doch er gibt sich kämpferisch, ist sparsam mit dem ein oder anderen Be- leg und duldet keine Einwände, so wie immer.

Eine Leseprobe: „Wenn man eine ernste, seltene oder schwerwiegende Erkrankung hat, kommt alles darauf an, von einem der sehr guten Leute behandelt zu wer- den . . . Tritt der Ernstfall ein, bleibt der gesetzlich Versicherte oft auf der Strecke, weil er keinen oder nur einen sehr späten Zugang zu Spezialisten hat. Die Ex- perten in fast allen Bereichen der Medizin behandeln vornehmlich oder ausschließlich Privatpatienten.“

So geht das weiter. 70 Seiten übers Gesundheitswe- sen reichen Lauterbach, damit viele ihr Fett abbekom- men: Ärzte, die sich in Internetforen abfällig über ihre Kassenpatienten auslassen, von ihnen auch „Chips- letten“ genannt; die Kassenärztlichen Vereinigungen, die er gern abgeschafft sähe; Gesundheitspolitiker, die seine Befunde leugnen; private Krankenversicherer, Verbände und und und . . .

Seine Analysen kann man angreifen. Sie mögen viele Ärzte auch ärgern. Stärker als sonst verteidigt Lauter- bach immerhin Ärztinnen und Ärzte und schildert, wel- chen Systemzwängen er sie ausgesetzt sieht: „Ein Gramm des Gehirns eines Spezialisten kann mehr helfen als eine tonnenschwere Bestrahlungskanone. Diese Fachärzte können sich ihre Patienten aussuchen, es gibt immer mehr, als sie zu behandeln vermögen . . . Es sind die Besten ihres Jahrgangs, und es ist nicht einzusehen, weshalb drittklassige Manager, die den Börsenwert der Firma halbieren, Höchstgehälter kassieren, während KRITIK AM GESUNDHEITSSYSTEM

Von Kassen und Klassen

Sabine Rieser

voll austrainierte Spezialisten mäßig bezahlt wer- den . . . Wirklich problematisch bleibt jedoch, dass das hohe Einkommen nur zustande kommt, wenn Ärzte sich auf privat Versicherte konzentrieren. Die Zweiklassen- medizin ist im heutigen System die Voraussetzung dafür, dass Spezialisten in Deutschland gut bezahlt werden können: eine groteske Situation. Sie führt dazu, dass die Fachleute die am schwersten erkrankten und auch medi- zinisch interessantesten Patienten oft gar nicht sehen, weil diese zu 90 Prozent gesetzlich versichert sind.“

Lauterbach findet zudem, dass das bestehende Sys- tem die Forschung hierzulande ruiniere. Denn mit der Forschung allein könne an einem deutschen Univer- sitätskrankenhaus nicht viel Geld verdient werden. Im Vergleich mit den USA schreibt er: „Unsere Spitzenleute sind weder dümmer noch fauler. Nur wenige Spezia- listen in der Universitätsklinik schaffen es aber, gleich- zeitig die Privatklinik zu schmeißen, die Weiterbildung durchzuführen, die Kontrolle der Assistenzärzte bei der Versorgung der gesetzlich versicherten Patienten zu gewährleisten und daneben international anerkannte Spitzenforschung zu betreiben.“

Komplexe Finanzierungs- oder Reformfragen spie- len in Lauterbachs Buch keine Rolle, eher Warnungen vor dem ökonomischen Niedergang des Landes. Zumin- dest einen seiner Sätze übers Gesundheitswesen werden vielleicht auch diejenigen unterschreiben, die ganz an- dere Reformvorstellungen vertreten als er: „Dieses System kann nur überleben, wenn man nicht darüber nachdenkt oder spricht.“

Sabine Rieser Leiterin der Berliner Redaktion

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