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Archiv "Ältere Autofahrer: Medizinische Aspekte zur Fahreignung" (16.03.2001)

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er in allen Industrie- nationen zunehmende Anteil älterer Personen an der Gesamtbevölkerung führt auch zu einer wachsen- den Zahl älterer Verkehrs- teilnehmer. Mehr als zehn Millionen Führerscheininha- ber in Deutschland sind über 60 Jahre alt. Insbesondere in der Gruppe der „jungen Al- ten“ zwischen 60 und 75 hat sich die Zahl der Führerschein-

inhaber zwischen 1990 und 2000 etwa verdoppelt. Diese in hohem Grad motorisierte Generation wird mit zuneh- mendem Lebensalter Führer- schein und PKW behalten, wodurch der Anteil älterer Führerscheininhaber noch ra- scher zunimmt als der älterer Menschen insgesamt.

Besonders häufig in Unfälle verwickelt

Der motorisierte Straßenver- kehr stellt hohe Anforderun- gen an die körperliche und gei- stige Leistungsfähigkeit. Dies bringt für viele ältere Fahrer Schwierigkeiten mit sich. 1997 waren in Deutschland mehr als 45 000 mindestens 65 Jahre al-

te Personen an Verkehrsunfäl- len beteiligt. Stellt sich die Fra- ge, ob mit dem wachsenden Anteil älterer Verkehrsteil- nehmer auch die Gesamt- unfallzahlen ansteigen wer- den? Hierzu muss betont wer- den, dass ältere Autofahrer durch Kompensationsstrategi- en oft zur Risikoreduzierung beitragen. So vermeiden zum Beispiel viele ältere Menschen Nacht- und Autobahnfahrten,

fahren insgesamt weniger und auch vorsichtiger. Zudem wird die langjährig erlernte und ausgeübte Fahrtätigkeit erst bei erheblichen Funkti- onseinbußen beeinträchtigt.

Trotzdem sind ältere Auto- fahrer – bezogen auf die Ki- lometerleistung – besonders häufig in Verkehrsunfälle verwickelt. Dabei sind mehr als drei Viertel der Fahrer über 75 Jahre auch die Un- fall-Hauptverursacher.

Ältere Autofahrer unter- scheiden sich von jüngeren im Unfallverhalten: Überhöhte Geschwindigkeit oder andere riskante Fahrmanöver spie- len ebenso wie Alkohol am Steuer eine geringere Rolle.

Im Vordergrund stehen Miss- V A R I A

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 11½½16. März 2001 AA711

Ältere Autofahrer

Medizinische Aspekte zur Fahreignung

Physiologische Alterungsprozesse können zu sicherheitsrelevanten Leistungseinschränkungen im Straßenverkehr führen.

Verkehr

Experten fordern regelmäßige Sehtests für ältere Autofahrer.

Foto: Peter Wirtz

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achtung der Vorfahrt, Fehler beim Abbiegen und Gefähr- dung von Fußgängern infolge verlangsamter Informations- verarbeitung und Schwierig- keiten bei der Reaktion auf komplexe Reizmuster.

Physiologische Alterungs- prozesse mit Funktionsein- bußen des Herz-Kreislauf-Sy- stems, des Bewegungsappara- tes oder der Sensorik kön- nen zu Leistungseinschränkun- gen führen, die sich negativ auf die Verkehrssicherheit auswir- ken. Die früher eintretende Erschöpfung von Reserven und verminderte Kompensati- onsmöglichkeit in Krisensitua- tionen zeigt dabei große inter- individuelle Unterschiede. Al- tersassoziierte Defizite des vi- suellen Systems führen zur Verdopplung des Unfallrisikos und müssen besonders berück- sichtigt werden. Multimorbi- dität und Chronizität von Er- krankungen kennzeichnen den geriatrischen Patienten. Vor al- lem Seh- und Hörstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und degenerative Erkrankun- gen des Bewegungsapparates sind altersspezifische patholo- gische Ursachen eingeschränk- ter Fahrtüchtigkeit.

Bei kontinuierlich steigen- der Lebenserwartung neh- men Demenzerkrankungen an Häufigkeit und Bedeutung auch für den Straßenverkehr zu. Bei 60-Jährigen sind es un- ter zwei Prozent, bei 75-Jähri- gen über fünf Prozent, und bei über 85-Jährigen lassen sich bei mehr als einem Drittel al- ler Personen demenzielle Pro- zesse nachweisen. Ältere Au- tofahrer mit kognitiven Ein- schränkungen schätzen ihre Defizite oft nicht realistisch ein. Etwa 20 Prozent der De- menzpatienten fahren weiter Auto, zwei Drittel von ihnen sind dabei nur eingeschränkt fahrtauglich. Ältere Autofah- rer mit kognitiven Einschrän- kungen haben ein rund vier- fach höheres Unfallrisiko.

Nicht zu unterschätzen ist die Bedeutung von Medika- menten – insbesondere in Form einer Polymedikation – für die Fahrtauglichkeit Älte- rer. Die über 60-jährigen Pati- enten verbrauchten 1995 circa

54 Prozent des gesamten Arz- neimittelumsatzes; als fünft- größte Indikationsgruppe be- sonders hervorzuheben sind Psychopharmaka. Tri- und te- trazyklische Antidepressiva erhöhen das Unfallrisiko um das bis zu Vierfache, Neuro- leptika etwa um den Faktor 2,9. Probleme ergeben sich vor allem bei Neueinstellung, Dosissteigerung oder Inter- aktion mit anderen Medika- menten. Analgetika, Antihy- pertensiva, Antidiabetika und andere können ebenso die Fahrtüchtigkeit älterer Perso- nen beeinflussen.

Die ärztliche Beurteilung Bei der Beurteilung der Fahr- tauglichkeit älterer Menschen muss der Arzt im Sinne einer Güterabwägung zwischen dem Recht auf individuelle Mobilität und der möglichen Gefährdung der allgemeinen Verkehrssicherheit entschei- den. Dabei kann er sich in Deutschland auf weniger ge- setzliche Regelungen stützen als in anderen Ländern. So müssen sich zum Beispiel in der Schweiz über 70-jährige Autofahrer regelmäßig unter-

suchen lassen, in Finnland so- gar den Führerschein neu beantragen. In einigen Bun- desstaaten der USA besteht eine ärztliche Meldepflicht für fahruntaugliche Führer- scheininhaber. Eine Umfrage in den EU-Staaten zeigte eine beträchtliche Heterogenität hinsichtlich der Beurteilung der Verkehrstüchtigkeit Älte- rer. Regelmäßige Gesundheits- prüfungen finden in zehn von 15 Staaten statt, eine ärztliche Meldepflicht besteht in fünf Ländern. In allen Ländern feh- len spezifische Richtlinien für alterstypische Erkrankungen wie Demenz, Apoplektischer Insult oder Morbus Parkinson.

Auch die „Begutachtungs- leitlinien zur Kraftfahreig- nung“ der Bundesanstalt für Straßenwesen vom Februar 2000 formulieren grundsätzli- che Fahruntauglichkeit nur bei einer „ausgeprägten“ De- menz oder „schweren“ alters- bedingten Persönlichkeits- störung und nicht bei einer

„leichten“ hirnorganischen Wesensänderung. Klare Dia- gnosekriterien fehlen.

Einzelne psychometrische Testverfahren erlauben keine sichere Beurteilung der Fahr-

tauglichkeit. Zur Erkennung fahruntüchtiger Patienten ins- besondere mit Demenz vom Alzheimer-Typ scheint vor al- lem die Prüfung der selek- tiven Aufmerksamkeit geeig- net. Trotz einer Vielzahl ge- bräuchlicher Testverfahren existieren jedoch hinsichtlich des Verhaltens im Straßen- verkehr keine „vorhersage- validen“ Testverfahren. Ne- ben kognitivem Status, Visus und (Poly-)Medikation ist der Einfluss insbesondere chroni- scher Erkrankungen zu prü- fen. Dabei ist weniger die ein- zelne Diagnose als vielmehr die Auswirkung einer Er- krankung auf die sensomoto- rische Leistungsfähigkeit von Bedeutung. Die unterschied- lichen Dimensionen einer möglichen Funktionsbeein- trächtigung können durch ein funktionelles Assessment zum Beispiel von Muskelkraft, Mobilität, Koordination und alltagsrelevanten Leistungen erfasst werden. Standardisier- te Fahrproben unter Alltags- bedingungen, wie sie etwa nach Hirnschädigungen emp- fohlen werden, wären am ehesten zur Einschätzung der Fahrtauglichkeit Älterer ge- eignet. Auch simulierte Fahr- proben sind analog zu den Er- fahrungen aus der Flugmedi- zin denkbar, aber teuer.

Die vom deutschen Ge- setzgeber geplante generelle Pflichtuntersuchung für alle ab dem 60. Lebensjahr, die weiterhin ein Fahrzeug zwi- schen 3,5 bis 7,5 Tonnen steu- ern möchten, wäre eine poli- tische Vorgabe, die vor dem Hintergrund der medizini- schen Datenlage ähnlich zu rechtfertigen ist wie die auch diskutierte Altersgrenze von 65 Jahren. Wegen des deutlich erhöhten Unfallrisikos pro ge- fahrenem Kilometer ab dem 75. Lebensjahr scheinen spä- testens in dieser Altersgruppe regelmäßige Pflichtuntersu- chungen von Visus, kogniti- vem und funktionellem Sta- tus, beispielsweise in Form von Sehtests, psychometri- schen Testverfahren und Fahr- proben, geboten.

Dr. med. Frank J. Hensel Dr. med. Wilfried Wüst V A R I A

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A712 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 11½½16. März 2001

Gesetzlicher Handlungsbedarf

Im Jahr 1956 hat die WHO erstmals „Richtlinien für medizinische Untersu- chungen von Bewerbern um eine Kraftfahrerlaubnis“ veröffentlicht, die in überarbeiteter Form auch in die europäische Gesetzgebung Eingang fanden.

Die 1999 in Kraft getretene „Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr“ (Fahrerlaubnis-Verordnung) sollte die zweite EG-Richtli- nie über den Führerschein von 1991 in deutsches Recht umsetzen. Eine we- sentliche Aufgabe für den Gesetzgeber bestand darin, Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Fahrtauglichkeit festzuschreiben. In der Vorga- be wird für Führer von Kraftfahrzeugen über 3,5 t ausnahmslos vor der erst- maligen Erteilung der Fahrerlaubnis und danach in bestimmten Zeitabständen eine ärztliche Untersuchung gefordert.

Der neue PKW-Führerschein der Fahrerlaubnisklasse B (vormals Klasse 3) ge- stattet demnach auch nur noch das Führen von Fahrzeugen bis 3,5 Tonnen. In Deutschland gibt es jedoch weiterhin keine Pflichtuntersuchungen für PKW-Fah- rer mit dem alten Führerschein Klasse 3, der das Führen von Fahrzeugen bis 7,5 t gestattet. Dies muss nun im Rahmen der ersten Revision der Fahrerlaubnisver- ordnung nachgebessert werden. Hinsichtlich des Zeitpunktes einer geforderten ärztlichen Untersuchung für die Altführerscheininhaber sowie des Umfanges und der Häufigkeit von pflichtgemäßen Wiederholungsuntersuchungen hat der natio- nale Gesetzgeber dabei einen Regelungsspielraum, der auf der Basis medizini- scher Erkenntnisse ausgefüllt werden sollte. Der Bundesgesetzgeber plant, regel- mäßige ärztliche Untersuchungen ab dem 60. oder dem 65. Lebensjahr für die Er- laubnis zum Führen eines Fahrzeugs über 3,5 t vorzuschreiben. Das würde be- deuten, dass es ohne ärztliche Untersuchung ab diesem Alter nicht mehr gestat- tet ist, Fahrzeuge zwischen 3,5 und 7,5 t mit dem alten Führerschein Klasse 3 zu

fahren. ✮

Referenzen

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