A 1414 Deutsches Ärzteblatt
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9. Juli 2012L
ängst überfällig sei es, die heimärztliche Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen zu fördern, hatte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr.med. Frank Ulrich Montgomery, Anfang des Jahres erklärt. Zuvor hatte das Bundesgesundheitsminis- terium einen entsprechenden Pas- sus in seinem Entwurf zum Pflege- Neuausrichtungsgesetz (PNG) vor- gesehen. Einen Tag vor der parla- mentarischen Sommerpause hat der Bundestag das Gesetz nun verab- schiedet. Während des Gesetzge- bungsvorgangs hat die Koalition noch verschiedene Änderungen vorgenommen – die Förderung der ärztlichen Versorgung in Pflegehei- men ist geblieben.
Bereits mit dem Pflege-Weiterent - wicklungsgesetz aus dem Jahr 2008 sollten die Kassenärztlichen Verei- nigungen (KVen) auf Antrag eines
Pflegeheims einen Kooperations- vertrag zwischen dem Heim und niedergelassenen Ärzten anstreben, um die Versorgung in den Heimen zu verbessern. Bislang haben je- doch nur wenige Einrichtungen da- von Gebrauch gemacht (siehe DÄ, Heft 19/2012). Nun werden die KVen zur Vermittlung eines Koope - ra tionsvertrages verpflichtet, wenn ein Pflegeheim dafür einen Antrag gestellt hat. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV- Spitzenverband sollen bis zum 30.
September 2013 „Anforderungen an eine ärztliche und pflegerische Versorgung von pflegebedürftigen Versicherten in stationären Pflege- einrichtungen“ festlegen. Auf die- ser Grundlage können die KVen mit den Landesverbänden der Kranken- kassen bis zum 31. Dezember 2015 Zuschläge vereinbaren, um die Ko- operationsverträge zu fördern.
Vollstationäre Pflegeeinrichtun- gen sind ab dem Jahr 2014 dazu verpflichtet, die Landesverbände der Pflegekassen nach einer Regel- prüfung darüber zu informieren, wie die ärztliche Versorgung und die Arzneimittelversorgung in den Einrichtungen geregelt sind. Hin- weisen sollen sie dabei insbesonde- re auf den Abschluss der von den KVen vermittelten Kooperations- verträge oder die Einbindung der Einrichtung in ein Ärztenetz.
Demenzkranke erhalten Geld aus der Pflegeversicherung
Die Verbesserung der ärztlichen Versorgung in Heimen ist jedoch nur ein Aspekt der schwarz-gelben Pflegereform. Im Kern geht es dar - um, Demenzkranke an den Leistun- gen der Pflegeversicherung teilha- ben zu lassen. Auch die ambulante Pflege soll gestärkt, und die Wahl- PFLEGEREFORMMehr Geld für die ärztliche Betreuung
Es war ein langer Weg bis zur Verabschiedung der Pflegereform. Die Regierung verspricht bessere Leistungen für viele, die Opposition beklagt eine verpasste Chance. Klar ist: Die Reform liefert Anreize für eine bessere ärztliche Versorgung in Heimen – und den Einstieg in die Kapitaldeckung.
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Zuschläge für Heimbesuche sollen die ärztliche Versorgung in statio- nären Einrichtungen verbessern.
P O L I T I K
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9. Juli 2012 möglichkeiten der Pflegebedürfti-gen sollen erweitert werden. Kurz vor Toresschluss fand auch der Pfle- ge-Bahr über einen Änderungsan- trag Eingang in das PNG – eine pri- vate Zusatzversicherung für die Pflege, mit der sich die Versicherten eine ergänzende individuelle Kapi- taldeckung aufbauen können. Im Falle einer Pflegebedürftigkeit wird das Geld entsprechend der jeweili- gen Pflegestufe wieder ausgezahlt.
Die Änderungen im Einzelnen:
Patienten mit erheblich einge - schränkter Alltagskompetenz, zum Beispiel Demenzkranke, erhalten Geld aus der Pflegeversicherung:
In der Pflegestufe I können sie zum Beispiel zwischen 305 Euro Pflege- geld (70 Euro mehr als bislang) oder Pflegesachleistungen von bis zu 665 Euro (215 Euro mehr als bisher) wählen.
Mehr als eine Milliarde Euro Mehrausgaben für die Pflege
Pflegebedürftige können künftig statt der verrichtungsbezogenen Leistungskomplexe auch Zeitkon- tingente mit den Pflegediensten vereinbaren und frei entscheiden, welche Leistungen in dieser Zeit erbracht werden sollen. Pflegesach- leistungen umfassen in Zukunft ne- ben der Grundpflege und der haus- wirtschaftlichen Versorgung auch eine häusliche Betreuung.Finanziert werden soll die Pflege- reform durch eine Anhebung des
Beitragssatzes zur Pflegeversiche- rung ab 2013 um 0,1 Prozentpunkte.
Dem Bundesgesundheitsministerium ergeben sich dadurch für das kom- mende Jahr Mehreinnahmen von 1,1 Milliarden Euro, für die Folge- jahre von 1,2 Milliarden Euro. Bun- desgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) wies bei der abschließenden Le - sung des Gesetzes im Bundestag dar - auf hin, dass die Regierung mehr als eine Milliarde Euro Mehrausgaben für die Pflege beschließe, während in anderen europäischen Ländern auf- grund der Finanzkrise Sozial leis tun - gen eingeschränkt werden müssten.
Die Opposition sparte dennoch nicht mit Kritik. So habe die Regie- rung einen neuen Pflegebedürftig- keitsbegriff nicht in das Gesetz mit aufgenommen, sondern auf die nächste Wahlperiode verschoben, kritisierte die Gesundheitsexper - tin der SPD, Elke Ferner, vor dem Parlament. Und auch das Thema Fachkräftemangel komme im Ge- setz überhaupt nicht vor. Bereits 2009 hatte ein von der damaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) eingesetzter Pflege- beirat Empfehlungen zum neuen Pflegebegriff vorgelegt, den die Große Koalition damals jedoch nicht umgesetzt hatte. Im März hat Bahr nun einen neuen Beirat einge- setzt, um den Pflegebedürftigkeits- begriff abschließend zu erarbeiten.
Kritik entzündet sich vor allem an der privaten Zusatzvorsorge.
Diese kann künftig von allen Men- schen über 18 Jahre, die noch keine Leistungen aus der Pflegeversiche- rung erhalten haben, in Höhe von mindestens 120 Euro im Jahr abge- schlossen werden. Der Staat gibt dann weitere 60 Euro pro Jahr dazu.
„Sie glauben doch selbst nicht, dass der Pflege-Bahr von irgend - jemandem in Anspruch genommen wird!“, rief Ferner vor dem Bun- destag. Die von der Koalition ver- muteten 1,5 Millionen förderungs- fähigen Verträge im Jahr 2013 reichten zudem gerade einmal für zwei Prozent der Bevölkerung.
„Das hat mit Vorsorge nichts zu tun“, kritisierte Ferner.
Pflege-Bahr: PKV kann 2013 breites Angebot vorlegen
„Wir lehnen das entschieden ab“, erklärte auch Marco Frank vom Deutschen Gewerkschaftsbund wäh- rend einer Anhörung vor dem Ge- sundheitsausschuss am 25. Juni.
Denn nur Gesunde und Gutverdie- ner seien in der Lage, diese Versi- cherung abzuschließen. Vor allem Geringverdiener könnten sich diese Vorsorge nicht leisten.
Über den Strukturwechsel, den der „Pflege-Bahr“ begründet, wa- ren sich die Experten bei der An - hörung uneins: Während der Vor- standsvorsitzende der Debeka, Uwe Laue, sagte, es sei „höchste Zeit, eine Kapitaldeckung auch in der Pflege einzuführen“, meinte Korne- lia Hagen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, die Kapi- taldeckung sei grundsätzlich die falsche Finanzierung bei einer Risi- koversicherung. Zudem stehe sie in Zeiten des demografischen Wan- dels vor den gleichen Problemen wie eine Umlagefinanzierung.
Unterdessen betonte der Direktor des Verbandes der privaten Kran- kenversicherung (PKV), Volker Leienbach, dass die PKV ein breites Angebot an privaten Pflegezusatz- versicherungen vorlegen könne, wenn die entsprechenden Regelun- gen bis spätestens Ende August die- ses Jahres vorlägen. Er widersprach zudem der Befürchtung, der staatli- che Zuschuss von fünf Euro werde in der Bürokratie versickern.
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Falk Osterloh