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Archiv "DIABETES-SERIE: Humaninsulin, ein therapeutischer Fortschritt" (12.11.1982)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

r 1 1

EDITORIAL

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DIABETES-SERIE

Humaninsulin,

ein therapeutischer Fortschritt

Friedrich Arnold Gries

A

ngesichts der zahlreichen ungelösten Probleme des Diabetes mellitus, der auch heu- te noch zu einer deutlichen Ein- schränkung der Lebenserwar- tung führt, Ursache zahlreicher Folgeerkrankungen ist und die Lebensqualität beeinträchtigt, ist jeder therapeutische Fort- schritt zu begrüßen. So hat auch die nunmehr mögliche indu- strielle Herstellung von Hu- maninsulin ein lebhaftes Echo gefunden (1).

Humaninsulin kann derzeit durch chemische Vollsynthese, durch Partialsynthese aus Schweineinsulin und biosynthe- tisch durch Gentechnologie aus Escherichia coli gewonnen wer- den (2). Seine Aminosäurense- quenz ist mit der des Insulins aus

menschlichem Pankreas iden- tisch. Vermutlich liegt es in Lö- sung in der gleichen Rau mstru k- tur vor wie nativ sezerniertes Hormon. Angesichts der bisheri- gen Therapie mit Extrakten aus Tierkadavern haftet allein dieser Tatsache ein nicht zu unter- schätzender emotionaler „Ap- peal" auf Therapeuten und Pa- tienten an.

Die Struktur des Humaninsulins bedingt aber auch objektivierba- re Unterschiede zum Rinder- und Schweineinsulin. Aufgrund des Austausches von Alanin in der Position B 30 durch Threo- nin ist eine größere Hydrophilie des Moleküls zu erwarten. Diese dürfte bei Applikation in die Blut- bahn ohne Bedeutung sein, könnte jedoch bei subkutaner In- jektion zu einer beschleunigten

Resorption führen. Derartige pharnnakokinetische Eigen- schaften wären interessant: Bei der Nahrungsaufnahme kommt dem möglichst frühen Anstieg des Insulinspiegels eine große Bedeutung für die optimale Glu- kosehomöostase zu. Anderer- seits ist in der postresorptiven Phase ein rascher Abfall des In- sulins auf den Basalspiegel er- wünscht, um eine Hyperinsulin- ämie, einer der Risikofaktoren der Arteriosklerose, zu ver- meiden.

Leider sind die diesbezüglichen experimentellen Beobachtungen mit Humaninsulin noch wider- sprüchlich. In einigen Versu- chen, die bei gesunden Perso- nen mit gelöstem (regulärem) In- sulin durchgeführt wurden, wur- de Humaninsulin schneller aus dem subkutanen Gewebe resor- biert als Schweineinsulin (3). Un- terschiede bestanden sogar zwi-

schen den verschiedenen Hu- maninsulinpräparaten (4), so daß vermutet werden kann, daß nicht nur die Struktur des Insulinmole- küls, sondern auch die Galenik der Präparate von Bedeutung ist.

Entsprechend der beschleunig- ten Resorptionskinetik trat der Blutglukoseabfall früher und verstärkt ein, und der Plasmain- sulinspiegel kehrte rascher zum Ausgangswert zurück. In ande- ren Versuchen wurden solche Unterschiede jedoch nicht be- stätigt (5). Sie fehlen erwar- tungsgemäß völlig bei Insulin- präparationen mit verzögerter Wirkkinetik. Auch die Hoffnung darauf, daß die Anwendung von Humaninsulin Vorteile bei der Stoffwechseleinstellung erbrin- gen könnte, haben sich in einer ersten vergleichenden Studie mit kontinuierlicher subkutaner Insulininfusion noch nicht bestä- tigt (6).

Ein anderer Vorteil des Huma- ninsulins ist hinsichtlich der im- munologischen Eigenschaften zu erwarten. Obwohl sich Schweineinsulin nur in einer Aminosäure vom Humaninsulin unterscheidet, ist dadurch seine Primär- und Raumstruktur so verändert, daß es für den menschlichen Organismus als fremd erscheint. Schweineinsu- lin besitzt deshalb eine —wenn auch nur geringe —Antigenität, die dem Humaninsulin fehlen sollte. Die Antigenität eines Insu- linpräparates hängt aber auch von seinem Reinheitsgrad ab.

Hohe Reinheit ist bei den neuen Humaninsulinen gegeben. Aller- dings unterliegen Insuline bei der Lagerung einer spontanen Desaminierung mit der Bildung von Desamidoinsulin. Es ist noch nicht genau bekannt, wie Verständlich ist, daß besonders

solche Krankheitsbilder im Mit- telpunkt der Publizistik stehen, bei denen heuristische, diagno- stische oder therapeutische Fortschritte erzielt wurden. So auch hier. Vergessen sollte dar- über aber nicht werden, daß das Gros der Diabetiker nicht mit In- sulin behandelt wird. Nur eine Minderheit der Diabetiker erhält Insulin, und nur diesen könnte durch neue Insuline ein poten- t tieller Nutzen erwachsen.

34 Heft 45 vom 12. November 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe B

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Zur Fortbildung Aktuelle Mediz'

rasch Desamidoinsulin in Hu- maninsulinpräparaten entsteht und wie antigen dieses ist. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, daß Humaninsulin infolge Kreuz- reaktion zwar meist vollständig an präformierte Insulinantikör- per gebunden wird, die durch vorherige Therapie mit tieri- schen Insulinen induziert wor- den waren (7), daß aber das Auf- treten von Insulinantikörpern äu- ßerst gering ist (8), obschon nicht völlig verhindert wird (9), wenn nur mit Humaninsulin be- handelt wurde. Daraus ergeben sich therapeutische Indikationen bei der Unverträglichkeit tieri- scher Insuline, und bei der Erst- einstellung jugendlicher Diabeti- ker auf Insulin.

Eine derzeit noch schwer deut- bare Besonderheit stellt der nach i. v. Injektion von Humanin- sulin im Vergleich zum

Schweineinsulin beobachtete verminderte reaktive Anstieg von Plasmaadrenalin, der geringere Abfall des Plasmakaliums und die geringere Suppression der (am C-Peptid gemessenen) Insu- linsekretion sowie die verstärkte Hemmung der hepatischen Glu- koseproduktion dar. Sie bedür- fen der Bestätigung durch Kon- trollexperimente, zumal Unter- schiede in der gegenregulatori- schen STH- und Cortisolsekre- tion nicht bestätigt werden konnten (10, 11, 12).

Humaninsulin besitzt also im Vergleich zu tierischen Insulinen verschiedene nachgewiesene und einige vermutete besondere Eigenschaften, die seine klini- sche Erprobung rechtfertigen und in naher Zukunft eine weite Verbreitung in der Diabetesthe- rapie erwarten lassen. Allerdings

haben wir im hochgereinigten Schweineinsulin bereits ein zu- verlässig wirksames Medika- ment in Händen, dessen thera- peutische Möglichkeiten und Ri- siken aus langjähriger Erfahrung wohl bekannt sind und das bei der Behandlung der meisten in- sulinpflichtigen Diabetiker voll befriedigt. Die Erfahrungen mit Humaninsulin sind demgegen- über erst sehr kurz. Ein abschlie- ßendes Urteil über die prinzipiel- len Vorteile des Humaninsulins und einzelner Präparate im be- sonderen wird erst möglich sein, wenn Langzeitstudien vorliegen.

Allfällige Sorgen um eine dro- hende Erschöpfung tierischer In- sulinreserven sind aber durch die Entwicklung des biosyntheti- schen Humaninsulins bereits heute gegenstandslos ge- worden.

Obschon erwartet werden darf, daß die Entwicklung der Hu- maninsuline einen therapeuti- schen Fortschritt darstellt, muß dennoch bezweifelt werden, ob dieser Fortschritt geeignet ist, die brennenden Hauptprobleme der Diabetologie zu lösen. Beim Typ-I-Diabetes haben die neuen Erkenntnisse zur Ätiologie und Pathogenese Erwartungen auf eine kausale Therapie geweckt, die es ermöglichen sollte, den Ausbruch der Erkrankung zu verhindern oder zumindest die initial eintretende Remission zu verlängern. Humaninsulin dürfte hierbei keine entscheidende Wende herbeiführen.

Hauptproblem des Diabetes mel- litus ist aber das diabetische Spätsyndrom. Da wir inzwischen wissen, daß die Entwicklung des Spätsyndroms entscheidend von

der Güte der Stoffwechselein- stellung abhängt, ergeben sich daraus Forderungen an die Insu- lintherapie, die heute teilweise noch nicht oder nur sehr schwer erfüllbar sind: Die Substitution des Insulins soll zeit- und do- sisgerecht optimiert sein, um ei- ne Normalisierung des Stoff- wechsels ohne Hyperinsulinämie zu erreichen; die Insulinsubstitu- tion soll nebenwirkungsfrei sein;

die Therapie soll den Patienten nicht oder nur geringfügig belasten.

Abgesehen von der Hoffnung, durch eine raschere Absorp- tionskinetik subkutan injizierten Humaninsulins die zeitgerechte Substitution zu verbessern und durch geringere Antigenität im- munologische Nebenwirkungen zu vermindern, bleibt mithin eine Fülle von Problemen bestehen, zu deren Lösung Humaninsulin offenbar keinen spezifischen Beitrag leisten kann. Für die ab- sehbare Zukunft gelten unsere Erwartungen vielmehr der Wei- terentwicklung der Therapie mit kontinuierlicher Insulininfusion, den Bemühungen um eine konti- nuierliche Blutglukosemessung und last but not least der Schu- lung unserer Patienten zur Stoff- wechselselbstkontrolle. Hier eröffnen sich die Perspektiven, die eine Lösung des Diabetes- problems in Aussicht stellen.

Literatur beim Verfasser Professor Dr. med.

Friedrich Arnold Gries Direktor der

Klinischen Abteilung des Diabetes-Forschungsinstituts an der Universität Düsseldorf Auf'm Hennekamp 65

4000 Düsseldorf 1

Ausgabe B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 45 vom 12. November 1982 35

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