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Archiv "Deutsche Diabetes-Gesellschaft: „Der Fortschritt ist eine Schnecke“" (14.09.2001)

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ie Behandlung des Diabetes melli- tus war in den letzten Jahren we- der in Bezug auf den Typ 1 noch auf den Typ 2 durch spektakuläre Fort- schritte gekennzeichnet. Andererseits aber gebe es Neuerungen und Weiterent- wicklungen, welche die Behandlungs- chancen verbessern und mit Vorteilen für die Patienten einhergehen, berich- tet Prof. Hans-Georg Joost (Aachen) beim Kongress der Deutschen Diabe- tes Gesellschaft in Aachen. „Der Fort- schritt ist eben eine Schnecke“, mahnte Kongresspräsident Joost vor übertrie- benen Hoffnungen.

Doch auch zu Pessimismus gebe die derzeitige Situation keinen Anlass, denn es zeichneten sich durchaus neue Strategien ab. Die Diabetologen setzen vor allem auf präventive Ansätze. So wird beim Typ-2-Diabetes eine Präven- tion auf zwei Ebenen angestrebt; zum einen soll verhindert werden, dass der Diabetes Folgekomplikationen nach sich zieht, andererseits wird intensiv nach Strategien gefahndet, die den Übergang von der Glucosetoleranz- störung in den manifesten Typ-2-Dia- betes verhindern oder verzögern.

Typ-1-Diabetes vorhersagbar

In die gleiche Richtung gehen die For- schungsaktivitäten beim Typ-1-Diabetes, der sich mit neuen Testverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen lässt. Nun wird nach Dr. Michael Hum- mel (München) intensiv daran gearbei- tet, Methoden zu entwickeln, mit denen sich verhindern lässt, dass der Typ-1-Dia- betes voll zum Ausbruch kommt. Denn solange den Betroffenen keine Therapie- optionen offeriert werden könnten, seien Reihenuntersuchungen nutzlos.

Die neuen Tests, mit denen sich An- tikörper gegen Inselzellen im Blut be-

reits frühzeitig aufspüren lassen, sind nach Hummel dennoch für Risiko- personen bedeutsam, da sie es erlau- ben, mit einer 85-prozentigen Wahr- scheinlichkeit den späteren Diabetes vorherzusagen. Die Betroffenen haben damit die Möglichkeit, an Studien und

Therapiemaßnahmen teilzunehmen, die das Fortschreiten der Inselzellenent- zündung aufhalten und möglicherweise damit den Diabetes hinauszögern. Ein weiterer Vorteil der Testung liegt darin, dass Frühsymptome durch das Wissen um die hohe Gefährdung eher erkannt, die Krankheit also eher richtig diagno- stiziert wird, was die Gefahr schwerer Stoffwechselentgleisungen bei der Ma- nifestation minimiert.

Die prädiktive Testung empfiehlt sich nach Meinung des Mediziners bei erstgradigen Verwandten von Typ-1- Diabetikern, die ein Risiko von fünf bis sieben Prozent haben, selbst einen Typ- 1-Diabetes zu entwickeln. Bei Kindern von Typ-1-Diabetikern ist nach Hum- mel deshalb alle drei bis fünf Jahre ein gezieltes Antikörperscreening ratsam mit einer Erstuntersuchung um das

zweite Lebensjahr herum. Bei Erwach- senen rät der Diabetologe zu Testunter- suchungen alle zehn bis 20 Jahre.

Eine weitere Gruppe, bei denen Anti- körpertests indiziert sind, sind Frauen mit einem Gestationsdiabetes. Denn rund 15 Prozent von ihnen werden im späteren Leben einen manifesten Typ-1-Dia- betes entwickeln. Auch Kinder mit einer Zölia- kie oder anderen Au- toimmunerkrankun- gen tragen ein deutlich erhöhtes Diabetesrisi- ko, sodass auch bei ih- nen in regelmäßigen Abständen ein solcher Test zu erwägen ist. So- bald präventive Be- handlungsstrategien entwickelt und evalu- iert sind, muss nach Hummel ein generelles Screening propagiert werden.

Fortschritte in der Diabetestherapie gibt es bei der Blutzuckermessung, wie Prof. Theodor Koschinsky vom Düssel- dorfer Diabetesforschungsinstitut dar- legte. Die neuen Testsysteme kommen mit erheblich kleineren Blutmengen aus; Blutentnahmen müssen nicht zwangsläufig aus der Fingerbeere ge- wonnen werden, sondern können auch aus dem Daumenballen oder dem Un- ter- oder Oberarm erfolgen. „Diese Re- gionen sind weniger schmerzempfind- lich, und wir hoffen, dass sich durch die- se Neuerung eine höhere Bereitschaft der Patienten zur Blutzuckerkontrolle ergibt“, betonte Koschinsky.

In der Entwicklung ist ferner ein in- travenöser Glucosesensor, der direkt vor das Herz implantiert wird. Erste Versuche beim Menschen verliefen hoff- nungsvoll, und es gibt, so Koschinsky P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 37½½½½14. September 2001 AA2317

Deutsche Diabetes-Gesellschaft

„Der Fortschritt ist eine Schnecke“

Obwohl spektakuläre Fortschritte fehlen, wurde auf der Jahrestagung in Aachen über technische und medikamentöse Innovationen diskutiert.

Medizinreport

Die Injektion wird nicht die einzige Applikationsform von Insulin bleiben: Die Einführung von inhalativem Insulin steht bevor, und am transdermalen System wird gearbeitet. Foto: Lilly Deutschland

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abschließend, „derzeit eine spannende Entwicklung am Markt“.

Ganz anders sieht die Situation beim Typ-2-Diabetes aus, wenngleich auch bei dieser Krankheitsform Bemühun- gen um die Prävention im Vordergrund stehen. Dass diese zwingend notwendig sind, machte in Aachen Prof. Markolf Hanefeld (Dresden) deutlich. So wird die Prävalenz des Diabetes mellitus derzeit auf fünf Prozent der Bevölke- rung geschätzt. Die Diabetesrate könn- te dabei in absehbarer Zeit drama- tisch ansteigen. Denn Untersuchungen belegen, dass etwa 15 Prozent der Menschen im Alter zwischen 40 und 50 Jahren eine Glucosetoleranzstörung aufweisen. Die Konversionsrate zum Diabetes liegt bei 40 Prozent, sodass nach Hanefeld mit einem erheblichen Anstieg der Diabetesprävalenz in den kommenden Jahren zu rechnen ist.

In einer chinesischen wie auch einer finnischen Studie wurde nach Hanefeld klar dokumentiert, dass eine Änderung des Lebensstils die Konversationsrate von der verschlechterten Glucosetole- ranz (IGT, impaired glucose tolerance) hin zum Diabetes reduziert, und das sogar um bis zu 25 Prozent. Allerdings ist es schwierig, eine solche Umstellung der Lebensweise hin zu einer gesün- deren Ernährung, zur Gewichtsreduk- tion und einer vermehrten körperlichen Aktivität bundesweit durchzusetzen.

„Die Lebensumstellung alleine wird deshalb nicht die Lösung des Problems bringen“, gab der Diabetologe zu be- denken. Es laufen zurzeit gleich meh- rere große Studien, die den Einfluss medikamentöser Strategien auf die IGT und die Diabetesmanifestation überprüfen.

Ganz unabhängig davon muss ver- sucht werden, die Behandlung des ma- nifesten Typ-2-Diabetes zu optimieren, denn mit der Diagnosestellung verkürzt sich die verbleibende Lebenszeit der Betroffenen nach Joost derzeit um etwa ein Drittel. Ursache hierfür sind vor al- lem Folgeerkrankungen, in erster Linie kardiovaskuläre Komplikationen. „Wir haben damit bei konsequenter Behand- lung ein erhebliches Potenzial, wertvol- le Lebensjahre zu gewinnen“, mahnte der Kongresspräsident in Aachen.

Dass eine konsequente Therapie sehr frühzeitig erfolgen muss, zeigen

neuere Daten, wonach schon ab einem HbA1c-Wert von nur 5,5 Prozent mit ei- nem deutlichen Anstieg der kardiovas- kulären Mortalität zu rechnen ist. Es müssten deshalb „alle Hebel in Bewe- gung gesetzt“ werden, so Joost, um bei den Patienten eine möglichst normge- rechte Blutzuckereinstellung zu ge- währleisten.

Interessanter Mechanismus

Nach Ansicht von Prof. Eberhard Standl (München) bietet die Substanz- gruppe der Glitazone die Möglichkeit, gezielter in das Krankheitsgeschehen einzugreifen. Obgleich eine abschlie- ßende Bewertung der ersten Vertreter dieser Substanzgruppe – Pioglitazon und Rosiglitazon – derzeit noch nicht möglich sei, verfügten die neuen Wirk- stoffe über einen sehr interessanten Wirkmechanismus: Sie durchbrechen über eine Beeinflussung von PPAR␥- Rezeptoren die Insulinresistenz und sorgen dafür, dass die Körperzellen wieder empfindlicher auf das Insulin reagieren.

„Das kommt einer kausalen Thera- pie gleich, da die Glitazone damit direkt an einer der Grundlagen der diabeti- schen Stoffwechselstörung angreifen“, so Standl. Mithilfe der neuen Wirkstof-

fe sei zudem ein „neues“ Hormon – das Resistin – entdeckt worden, welches bei Diabetikern offenbar die Insulinresi- stenz vermittelt und eine wesentliche Klammer zur Adipositas gibt.

Als zweiten Fortschritt bei der medi- kamentösen Behandlung nannte Standl die Glinide, also Wirkstoffe wie das Re- paglinide und das Nateglinide, die über eine spezielle Wirkung auf die ATP-ab- hängigen Kaliumkanäle der pankreati- schen Betazellen bedarfsgerecht eine besonders rasche, kurz dauernde Insu- linsekretion auslösen. Damit lässt sich eine strikt mahlzeitenbezogene Thera- pie realisieren nach dem Motto: „eine Mahlzeit, eine Tablette – keine Mahl- zeit, keine Tablette“. Auch dies ist nach Ansicht von Standl ein deutlicher Vor- teil, der sich für den betroffenen Diabe- tiker in mehr Flexibilität und einer bes- seren Lebensqualität niederschlägt.

Nicht entschieden ist dagegen bis- lang, wann denn nun beim Typ-2-Dia- betes mit einer Insulinbehandlung be- gonnen werden sollte. So gibt es Stim- men, die sich zunächst für das Aus- reizen der oralen Antidiabetika einset- zen und Insulin erst beim sekundären Therapieversagen als indiziert sehen, während andere Diabetologen für eine frühzeitige kombinierte Therapie mit Insulin und oralen Antidiabetika plä-

dieren. Christine Vetter

P O L I T I K

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A2318 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 37½½½½14. September 2001

Drogenabhängige: Mehr Opiat-Rezeptoren

Drogensüchtige scheinen sich mit der Zeit an das Rauschgift zu gewöhnen. Als Grund für diesen Effekt vermutet man bisher eine Abnahme der Opiatrezep- toren im Gehirn. Auch Tierversuche schienen diese Theorie zumindest teil- weise zu stützen. Dr. Peter Schmidt vom Institut für Rechtsmedizin der Uni- versität Bonn machte eine gegenteilige Entdeckung. Die Ergebnisse werfen ei- ne Reihe von Fragen auf. Schmidt untersuchte das Gehirngewebe von zwölf Drogentoten und verglich es mit Hirnmaterial von 13 nicht drogenabhängigen Verstorbenen. Er stellte fest, dass die Konzentration der Opiatrezeptoren in der Hirnrinde Drogenabhängiger höher war als in der Kontrollgruppe. In Tier- versuchen dagegen war nach längerem Opiat-Konsum meist eine Abnahme der Rezeptorenzahl oder keine Veränderung festgestellt worden. Bei allen Drogentoten hatte eine Überdosis Heroin zum Tod geführt – eine häufige Ur- sache, da der Reinheitsgrad auf der Straße gehandelten Rauschgifts stark vari- ieren kann. „Es ist aber auch möglich, dass eine plötzliche Zunahme der Re- zeptorenzahl die Konsumenten empfindlicher für die Droge werden lässt“, mutmaßt der Rechtsmediziner. Vielleicht hätten einige Menschen aber auch von Natur aus mehr Opiatrezeptoren – und neigten aus diesem Grunde eher als andere dazu, opiathaltige Drogen zu konsumieren. EB

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