Sehr geehrter Papst!
Hiermit möchte ich Ihnen die ge- samte Chefetage der GKV Deutsch- land zur Heiligsprechung vorschla- gen. Deren Wirken, möchte ich Ihnen versichern, erfüllt den Tatbestand der Erbringung von Wundern. Tag für Tag und Jahr für Jahr widerstehen sie den natürlichen, allgemein geschäftsübli- chen Praktiken:
– unsittliches Treiben in der Spe- senrechnung zu Lasten der Beitrags- zahler
– Ehefrauen den Dienstwagen für eine Einkaufstour zu überlassen
– einen Bleistift für private Zwecke zu entwenden
– Urlaubs- und Dienstreisen stets gemischt zu führen
– Geschenke entgegenzunehmen für die Vergabe der Millionen-/ Milli- arden-DM-Aufträge für zum Beispiel den Bau ihrer Geschäftsgebäude, für deren Inneneinrichtungen, für deren Inventar und so weiter.
Als Advocatus Diaboli schlage ich die Bonner Staatsanwaltschaft und die Journalisten des Magazins
„Focus“ vor.
Mit freundlichen Grüßen! J.L.C.
Sie haben’s nicht leicht, die Jün- ger des Hippokrates: einerseits ran- gieren sie als „Halbgötter in Weiß“
unverändert an der Spitze der gesell- schaftlichen Wertschätzung, anderer- seits mutet man ihnen einen gefähr- lichen Eiertanz über dem Abgrund zu. Wie anders soll man den 1 200 Sei- ten dicken Wälzer über die ICD- 9/ICD-10 (Diagnosenverschlüsselung) einordnen, mit dessen Hilfe sie ihre Diagnosen in einem Buchstaben- und Zahlenkodex verschlüsseln sollten?
Einige Kostproben aus dem ICD- Kompendium:
„Abklärung bei Ladendiebstahl“
ist doch wohl eher eine juristische als eine diagnostische Fragestellung.
Ähnliches gilt auch für „unsanfte Be- handlung bei einer Rauferei“. Auch
„Sorge wegen Gefängnisstrafe“ kann man schwer medikamentös behan- deln. Bei „Sorge wegen Entlassung aus dem Gefängnis“ dürften die mei- sten Hippokrates-Jünger ziemlich rat- los sein. Hingegen ist die Sache bei
„Enthauptung“ völlig klar. Da wird der beste Arzt mit seinem Latein am Ende sein. Wer wird schon helfen kön- nen, wenn er „frühzeitiges Ergrauen der Haare“ oder „Haarknäuel im Ma- gen“ diagnostizieren muß? Wie rea- giert der verantwortungsbewußte Arzt auf „übermäßiges Erröten“? Hinge- gen ist solches Erröten bei „sexueller Frühreife“ kaum zu erwarten; da schon eher „sich verfangen in der Bett-
wäsche“. Eindeutigen Exitus dürfte zur Folge haben „Ertrinken nach Re- genguß“, auch „Ersticken durch ein Babytragetuch“. Ob nun Mutter oder Kind erstickt ist, wird sich klären las- sen. Nicht unbedingt so verhängnisvoll muß der „Sturz in eine Öffnung im Fußboden“ ausgehen oder auch ein
„Zusammenstoß von Fußgängern“;
dann schon eher der „Stich durch ei- nen giftigen Tausendfüßler“ oder der
„Biß einer Großechse“.
Schwierige und weniger schwieri- ge Situationen wechseln miteinander ab. Schwierig dürfte die Behandlung des „Zähneknirschens“ sein, falls sich nicht etwa inzwischen ein neues fachärztliches Feld eröffnet hat.
Leichter hat es dagegen der gute alte Hausarzt bei „stark vernachlässigter Körperpflege“. „Ungeeignete Eßge- wohnheiten“ können leicht zu
„Eßattacken“ führen. Da hilft dann eben nur noch „FdH“. Ungeahnte Möglichkeiten eröffnen sich für Schüler, wenn der Arzt „unvollständi- ge Entwicklung der Rechtschreib- fähigkeit“ diagnostiziert, und für Stu- denten bei „Examensangst“. Am be- sten, man legt vor dem Examen gleich ein Attest vor. Der Vollständigkeit halber sei vermerkt, daß der Arzt cir- ca 400 Arten von Fieber und 500 ver- schiedene Knochenbrüche zur Aus- wahl hat. Da steigt wohl nur noch durch, wer nicht als „leicht erregbare Persönlichkeit“ eingestuft wurde. HZ A-716 (24) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 12, 21. März 1997
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