• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "In-Vitro-Fertilisation: Ein ethisches Dilemma" (27.04.2007)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "In-Vitro-Fertilisation: Ein ethisches Dilemma" (27.04.2007)"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

V

or 28 Jahren wurde mit Lou- ise Brown das erste Retor- tenbaby geboren. Ihrer an tubarer Sterilität leidenden Mutter wurde damals laparoskopisch eine Eizelle während eines spontanen, das heißt nicht medikamentös stimulierten Zyklus entnommen und nach In- vitro-Fertilisation (IVF) in die Ge- bärmutter eingesetzt (1). Dieses Ver-

fahren – IVF im Spontanzyklus – weist eine relativ niedrige Schwan- gerschaftsrate von etwa fünf Pro- zent pro Zyklus auf (2).

Zur Verbesserung der Schwan- gerschaftsrate durch Erhöhung der Eizellausbeute wurde in den 80er- Jahren die ovarielle Überstimulati- on mit urinär gewonnenem huma- nem Menopausengonadotropin oder

später auch rekombinantem follikel- stimulierendem Hormon eingeführt.

Dadurch können pro Versuch häufig zehn bis 15 Eizellen gewonnen wer- den, die sich zu durchschnittlich 60 bis 70 Prozent befruchten lassen.

Doch damit stellt sich die Frage, wie man mit diesem Überschuss an befruchteten Eizellen verfährt. Das deutsche Embryonenschutzgesetz (ESchG) setzt in diesem Fall sehr enge Grenzen (3). Gemäß § 1 ESchG ist es verboten, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sol- len, und innerhalb eines Zyklus mehr als drei Embryonen auf eine Frau zu übertragen.

Kryotransferzyklen

Da gemäß dieser rechtlichen Vorga- be keine Embryonen verworfen werden dürfen, können von den be- fruchteten Eizellen maximal drei über das Vorkernstadium hinaus kultiviert werden. Diese müssen dann alle eingepflanzt werden. Die verbleibenden Eizellen befinden sich im Vorkernstadium und gelten de jure als noch nicht vollständig befruchtet, da zu diesem Zeitpunkt die DNA von mütterlichem und vä- terlichem Zellkern noch nicht ver- schmolzen sind. In diesem Stadium ist in Deutschland sowohl das Ver- werfen als auch die Kryokonservie- rung der Zellen möglich. Im weite- ren Verlauf einer Behandlung kann auf die im Vorkernstadium kryokon- servierten Eizellen zurückgegriffen werden, indem diese aufgetaut und nach ein- bis dreitägiger Kultivie- rung als Embryonen in die Gebär- mutter transferiert werden.

Der Nachteil dieser Verfahrens- weise ist, dass sich im Vorkernstadi- um das Entwicklungspotenzial der befruchteten Eizellen nicht gut ab- schätzen lässt. Daher werden unter Umständen Embryonen mit schlech- tem Entwicklungspotenzial kultiviert und transferiert, während eventuell Embryonen mit einem vergleichs- weise guten Entwicklungspotenzial im Vorkernstadium eingefroren wer- den. Da der Einfrier- und Auftau- vorgang zu Schäden bei den befruch- teten Eizellen führen kann, sind die Schwangerschaftsraten bei diesen so- genannten Kryotransferzyklen ver-

IN-VITRO-FERTILISATION

Ein ethisches Dilemma

Universitätsfrauenkli- nik Würzburg (PD Dr.

med. Rieger, Dr. med.

Hönig, Prof. Dr. med.

Dietl, Dr. med. Engel) Frauenklinik, Medizini- sche Universität Schleswig-Holstein, Campus Lübeck (Dr.

med. Griesinger)

Nicht nur der Präimplantationsembryo in der Petrischale, sondern auch die Feten und die werdenden Eltern sollten geschützt werden – ein Plädoyer für eine Ethik der Reproduktionsmedizin.

Lorenz Rieger, Arnd Hönig, Georg Griesinger, Johannes Dietl, Jörg B. Engel

Foto:laif

(2)

gleichsweise schlechter: Laut Deut- schem IVF-Register betrug im Jahr 2005 die Schwangerschaftsrate bei frischen Embryonen im Mittel etwa 29 Prozent (IVF 30,08 Prozent; ICSI 28,02 Prozent), bei Kryo- transferzyklen hingegen le- diglich 17,96 Prozent, was sich unter anderem in einer Schädigung einzelner Vor- kernstadien durch die Kryo- konservierung begründen lässt (4).

Die Schwangerschaftsraten könn- ten substanziell verbessert werden, indem alle befruchteten Eizellen über das Vorkernstadium hinaus zu Embryonen kultiviert werden und dann lediglich die ein bis zwei mor- phologisch und damit entwick- lungsbiologisch Vielversprechends- ten transferiert werden. Dieses Pro- zedere ist in der Mehrzahl der Staa- ten im inner- und außereuropä- ischen Ausland üblich, weshalb mittlerweile immer mehr deutsche Patientinnen eine Behandlung im Ausland wahrnehmen.

Da bei diesem Verfahren wegen der höheren Schwangerschaftsrate (mehr als 40 Prozent) im Mittel weni- ger Stimulationszyklen und damit auch weniger Follikelpunktionen bis zur erfolgreichen Schwangerschaft notwendig sind, sind das medizini- sche Risiko und die psychische Be- lastung für die Patientin geringer (5).

Der bedeutendste Vorteil der Behand- lungsmethode liegt aber darin be- gründet, dass aufgrund der höheren Schwangerschaftsrate im Allgemei- nen nur ein bis zwei Embryonen transferiert werden, was zu einer Ver- ringerung der Anzahl von Zwillings- und Drillingsgraviditäten führt. Diese Mehrlingsgraviditäten bedeuten ein signifikant erhöhtes prä- und perina- tales Risiko für Mutter und Kind.

Bei höhergradigen Mehrlingen ist im Vergleich zu Einlingen die Rate an Totgeburten um das fast Fünffache höher, die frühe neonata- le Sterblichkeit (bis zum sechsten Lebenstag) multipliziert sich um das 25-Fache und die Sterblichkeit während des ersten Lebensjahrs um den Faktor 16 (6). Bei jeder fünften höhergradigen Mehrlingsschwan- gerschaft muss wegen Frühgeburt- lichkeit mit einem schwerbehinder- ten oder verstorbenen Kind gerech-

net werden (7). Um dies zu vermei- den, wird von manchen Arbeits- gruppen die Reduktion höhergra- diger Mehrlingsschwangerschaften durch selektiven Fetozid propagiert

(8). Auch in Deutschland ist dieses mit großen ethischen Bedenken be- haftete Verfahren nicht strafbar und wird in verschiedenen Zentren an- gewandt (9).

Eine Entlastung könnte die im Ausland praktizierte Methode der Kultivierung aller Eizellen im Vor- kernstadium und der späteren Aus- wahl der Embryonen bringen. Das Bestreben geht dabei zum Single Embryo Transfer (SET) nach Em- bryonenauswahl und Blastozysten-

kultur (10). Wird dabei eine Kryo- konservierung der nicht transferier- ten Embryonen zum Zweck der späteren Übertragung durchgeführt, so ist die kumulative Schwanger- schaftsrate nicht wesentlich schlech- ter als beim Transfer von zwei Embryonen. Mehrlingsschwanger- schaften treten dabei so gut wie überhaupt nicht mehr auf (5, 11). Aus Sicht der betroffenen Patientinnen

und ihrer Ärzte, aber auch aus Sicht des Gesundheitswesens spricht alles für die Methode der Embryonenaus- wahl mit anschließendem SET.

Wenig Berücksichtigung findet bei dieser Betrachtungsweise der Status des Embryos, dem manche Autoren schon von Anfang an, ab dem Zeitpunkt der Verschmelzung von mütterlichem und väterlichem Vorkern, volle Menschenwürde zu- sprechen.

Ethische Überlegungen zur Embryonenbeobachtung

Prinzipienethischen Ansätzen ist ein ethisches Prinzip gemeinsam, das a priori Gültigkeit haben soll. Das jeweilige Prinzip wird durch den postulierten Willen eines höheren Wesens (zum Beispiel Gott) oder ei- ner abstrakten Entität (zum Beispiel Naturrecht) legitimiert. Es wird ar- gumentiert, dass der Embryo von Beginn an, das heißt ab dem Mo- ment der Verschmelzung der Zell- kerne von Ei- und Samenzelle, die volle Menschenwürde besitzt (12).

Von diesem Moment an sei die vol- le Individualität eines Menschen durch die Einzigartigkeit seines ge- netischen Materials determiniert.

Begründet wird dies häufig mit vier Argumenten (13):

Das „Speziesargument“ beruht auf der Solidarität der eigenen Spe- zies gegenüber. Es besagt, dass der Embryo aufgrund seiner Zugehörig- keit zur Spezies Mensch von Anfang an die gleiche Würde und damit die gleichen Rechte wie ein Mensch ha- ben muss. Letztlich wird dies mit der Achtung des Menschen um seiner selbst willen begründet: Der Mensch soll stets Zweck und niemals nur Mittel sein. Gegner dieses Argu- ments führen an, dass der Embryo noch nicht über speziestypische Ei- genschaften, wie Autonomie, freien Willen und die Fähigkeit, Entschei- dungen zu treffen, verfügt (14).

Das „Kontinuitätsargument“ be- sagt, dass jede Grenzziehung in der Entwicklung von der befruchteten Eizelle bis zum Menschen mit Be- wusstsein willkürlich und damit un- gerechtfertigt ist. Von Gegnern die- ses Arguments wird angeführt, dass dabei das Prozesshafte der Mensch- werdung vernachlässigt werde. Der

Bei höhergradigen Mehrlingen ist im Vergleich zu Einlingen die Rate an Tot- geburten um das fast Fünffache höher.

Louise Brown:

Das erste Retor- tenbaby wurde vor 28 Jahren geboren.

Seine Geburt mar- kierte den Beginn der In-vitro-Fertili- sationsbehandlun- gen.

Foto:dpa

(3)

Beginn der genetischen Selbststeue- rung, der Verlust der Totipotenz und damit die Fähigkeit zur Mehrlings- bildung sowie die Ausbildung des Gehirns können als Einschnitte auf- gefasst werden.

Das „Identitätsargument“ zielt darauf ab, dass jeder Mensch ur- sprünglich ein Embryo war und da- her jeder Embryo in Antizipation sei- ner Menschwerdung Menschenwür- de besitzt. Aus biologischer Sicht lässt sich dagegen vorbringen, dass sich aus dem frühen Embryo sowohl Fetus als auch Plazenta bilden kön- nen und dass in den ersten Tagen noch eine Mehrlingsbildung möglich

ist. Leben kann nur in einer Richtung auf der Zeitachse verlaufen, daher er- scheint die angenommene Bidirek- tionalität der Zeit sehr konstruiert.

Das vierte Argument ist das „Po- tenzialitätsargument“: Jeder Embryo kann potenziell ein Mensch werden und hat daher von Anfang an Men- schenwürde. Allerdings ist das volle Potenzial erst durch die Einpflan- zung in das Endometrium gegeben.

Im Rahmen der Implantation finden komplexe Interaktionen zwischen ei- nerseits Embryo und Trophoblasten und andererseits dezidualisiertem Endometrium statt, ohne die es zu keiner weiteren Entwicklung der Schwangerschaft kommt. Treibt man das Potenzialitätsargument auf die Spitze, so müsste man auch jedem Spermium und jeder Eizelle Men- schenwürde zubilligen, da sie nach ihrer Vereinigung das Potenzial be- sitzen, ein Mensch zu werden (15).

Utilitaristische Ansätze

Kritiker werfen prinzipienethischen Ansätzen generell eine zu große Rigidität vor, die der Komplexität der menschlichen Lebenswelt nicht Rechnung trägt und damit zu un- lösbaren Problemen führt. Ethische Dilemmata, die sich aus der Em- bryonenauswahl zur Senkung der mütterlichen und kindlichen Risi- ken ergeben, sind eine fast zwingen- de Konsequenz starr interpretierter prinzipienethischer Ansätze.

Utilitaristische Ansätze messen den Wert einer Handlung nicht an der Konformität mit einem morali- schen Prinzip, sondern an den zu er- wartenden Folgen für die Mehrheit.

Der Utilitarismus entstand im Eng- land des 18. Jahrhunderts und geht auf Jeremy Bentham und John Stuart Mill zurück. Alles Streben sollte dahin gehen, das möglichst große Glück für möglichst viele zu erreichen (16). Da ein Embryo noch über kein Gehirn verfügt und somit empfindungsunfähig ist, müsste das Glück des Kinderwunschpaares so- wie das des geborenen Kindes oberste Priorität genießen, außer-

dem sollten die Kosten für die All- gemeinheit möglichst gering sein.

Ein moderner Vertreter des Utili- tarismus ist der australische Philo- soph Peter Singer, der in der Vergan- genheit für heftige Kontroversen gesorgt hat. Singers „Präferenzutili- tarismus“ hat als Ziel nicht das Glück einer möglichst großen An- zahl. An dessen Stelle ist als besser objektivierbares Ziel die Erfüllung der Interessen möglichst vieler In- dividuen getreten. Singer hat sich explizit mit dem Problem der Em- bryonenselektion beschäftigt und kommt zu dem Schluss, dass eine Embryonenauswahl ethisch nicht verwerflich, sondern geradezu ge- boten sei. Der Embryo ist in seinem Sinne kein menschliches Wesen, da er, weil er noch kein Gehirn hat, über keine Interessen verfügen kann (15). Daher lehnt er das allgemein anerkannte Tötungsverbot allein aufgrund der Artzugehörigkeit ab.

Gegen diesen utilitaristischen An- satz ergeben sich ethische Bedenken, da er die Rechte der Allgemeinheit weit über die des Individuums stellt und somit fest verankerte Grundwer- te wie den Minderheitenschutz ver- letzen würde. So könnte mit Ansätzen wie diesem zum Beispiel auch die Euthanasie unheilbar kranker Men- schen zur Reduzierung der Kosten der Allgemeinheit gerechtfertigt wer- den. Satirisch zugespitzt wurde von Aldous Huxley in seinem Roman

„Brave New World“ eine auf rein uti- litaristischen Prinzipien fußende Ge- sellschaft porträtiert, in der für die je- weilige gesellschaftliche Funktion maßgeschneiderte Individuen im Reagenzglas gezüchtet werden.

Der pragmatische Ansatz

Im Bereich der Medizinethik wird heutzutage oftmals der pragmatische Ansatz von Tom Beauchamp und James Childress angewandt. Diese schlagen vier Hauptprinzipien als Richtschnur für ärztliches Handeln vor: Nichtschädigung von anver- trauten Personen, Fürsorge, Wahrung der Autonomie des Individuums und Gerechtigkeit (17). Jedes dieser Ar- gumente kann im Sinne des Embry- os oder des Kinderwunschpaares verwendet werden. Durch eine Aus- wahl der Embryonen wird das be- troffene Paar unter Umständen weni- ger geschädigt, weil weniger belas- tende Stimulationszyklen durchge- führt werden müssen. Da weniger Mehrlingsschwangerschaften entste- hen, ist auch die perinatale Morbi- dität niedriger. Umgekehrt wird durch eine Auswahl dem nicht er- wählten Embryo Schaden zugefügt, da er entweder kryokonserviert oder verworfen wird.

Der Soziologe Niklas Luhmann sieht die Gesellschaft als System, das sich aus autonomen Subsystemen zusammensetzt. Jedes dieser Sub- systeme bedürfe einer eigenen Ethik, um widerspruchsfrei funktionieren zu können. In dieser systemtheore- tischen Perspektive erscheinen so- wohl utilitaristische als auch prin- zipienethische Ansätze mit ihrem universalistischen Anspruch, eine Ge- sellschaft durch einfache Prinzipien zusammenhalten zu können, illuso- risch (18). Starr angewandte prinzi- pienethische Modelle münden gera- dezu zwangsläufig in ethische Di- lemmata. Eine von utilitaristischen Prinzipien gestützte Ethik läuft hin- gegen immer Gefahr, die Rechte von Minderheiten zu verletzen und damit inhuman zu werden.

Brauchen wir also eine Ethik der Reproduktionsmedizin? Ja, denn ei- ne Ethik wird ein umso konkreteres und wirkungsvolleres Regulativ sein, je bereichsspezifischer sie ist.

Damit wird der Agierende, also der

Eine Ethik wird ein umso konkreteres und wirkungsvolleres

Regulativ sein, je bereichsspezifischer sie ist.

(4)

Reproduktionsmediziner, durch ver- wendbare Normierungsvorschläge von der im Einzelfall nicht prakti- kablen Anwendung universeller Prinzipien entlastet. Zur Erarbeitung solcher Normen ist die Einbezie- hung wissenschaftlicher und ethi- scher Fachkompetenz, aber auch die Berücksichtigung der Perspektive der Betroffenen, also der Kinder- wunschpatienten, unabdingbar.

Ein Beispiel für den Versuch einer Güterabwägung unter Einbeziehung aller Betroffenen ist die Abtreibungs- regelung nach § 218. Dabei wird das Recht auf Selbstbestimmung der po- tenziellen Mutter gegen das Recht auf Leben des Ungeborenen abge- wogen. Die daraus resultierende Rechtslage ist ein Kompromiss, der versucht, der tatsächlich bestehen- den Situation Rechnung zu tragen und nicht bloß starre Prinzipien anzuwenden. Ziel des Embryonen- schutzes sollte eine Gesetzgebung sein, die nicht einseitig den Präim- plantationsembryo in der Petrischa- le, sondern auch den Fetus und die werdenden Eltern schützt. Die be- handelnden Ärzte sollten mit in den Entscheidungsprozess einbezo- gen werden, da sie durch das derzeit geltende Recht, zum Beispiel bei der Frage nach einem Fetozid bei hö- hergradigen Mehrlingsschwanger- schaften, in eine ethische Zwick- mühle geraten können. Die besseren Überlebenschancen der verbleiben- den Feten werden in diesem Fall durch die aktive Tötung eines oder mehrerer Feten erkauft. Die Embryo- nenbeobachtung mit nachfolgen- dem Transfer des Embryos mit dem besten Entwicklungspotenzial ist für die Reproduktionsmediziner, aber auch für die werdenden Eltern der weniger belastende Weg, die hohe perinatale Mortalität und Morbidität höhergradiger Mehrlingsschwanger- schaften zu verringern.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2007; 104(17): A 1146–50.

Anschrift für die Verfasser PD Dr. Lorenz Rieger, Universitätsfrauenklinik

Josef-Schneider-Straße 4, 97080 Würzburg E-Mail: lrieger@gmx.de

Weitere Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit1707

@

V

or 50 Jahren, am 23. April 1957, strahlten Radio Oslo, die Rundfunkstation in der Stadt des Friedensnobelpreises, und etwa 150 angeschlossene Stationen in 50 Staa- ten einen von Albert Schweitzer (*14. Januar 1875, † 4. September 1965) verfassten „Appell an die Menschheit“ (1) aus. Damit war bei dem für sein Wirken in Lambarene und durch seine Ethik der „Ehrfurcht vor dem Leben“ weltweit hoch aner- kannten Arzt, Theologen, Philoso- phen und Musiker eine Entwicklung zu einem vorläufigen Abschluss ge- langt, die bereits über vier Jahrzehn- te zuvor begonnen hatte (2–6).

Trotz seiner seit dem Ersten Welt- krieg bestehenden geistigen Nähe zum Pazifismus vermied Schweit- zer bis in sein neuntes Lebensjahr- zehnt hinein öffentliche Äußerun- gen zu politischen Problemen (4). In seinem Selbstverständnis als „Mann der individuellen Tat“ wollte er vor allem durch die Verbreitung von Ideen von Mensch zu Mensch, im

„Kampf des denkenden Einzelgeis- tes gegen den gebundenen Gesamt- geist“ zur Umgestaltung der öffent- lichen Meinung beitragen (7).

Erst 1954, nach dem Beginn der Wasserstoffbombenversuche in der Atmosphäre mit dem BRAVO-Test auf dem pazifischen Bikini-Atoll am 1. März 1954, begann er eine intensive Beschäftigung mit den wissenschaftlichen und politischen Aspekten der atomaren Tests und Bewaffnung. Verschiedene Ereig- nisse und Begegnungen der Jahre 1954 bis 1957 führten Schweitzer dazu, seine bisherige Zurückhaltung aufzugeben und seine Ablehnung

der Atomrüstung öffentlich zu ma- chen. Dazu gehörten insbesondere:

die von ihm als Verpflichtung emp- fundene Verleihung des Friedensno- belpreises für das Jahr 1952 im Ok- tober 1953; der Tod des Freundes Albert Einstein, der tief verzweifelt war über die von ihm mit heraufbe- schworene atomare Gefahr, am 18.

April 1955; die Teilnahme am 3.

Lindauer Treffen der Nobelpreisträ- ger im Juli 1955 und ein Gespräch mit dem britischen Philosophen Bertrand Russell am 20. Oktober 1955 (2–6).

Erst der Herausgeber der „Satur- day Review“, Norman Cousins, konnte Schweitzer jedoch bei einem Lambarene-Besuch im Januar 1957 von der Bedeutung seiner Stimme in der Öffentlichkeit überzeugen; die Atomtests erschienen ihnen als der geeignete Ansatzpunkt für eine öf- fentliche Stellungnahme: „Ein Test- stopp bedarf zu seiner Durchsetzung keines komplizierten Systems. Da alle Völker betroffen sind, geht die Angelegenheit über die militärischen Interessen der testenden Nationen hinaus. . . Tritt ein Teststopp in Kraft, könnte dies die Grundlage für andere, breiter angelegte Maßnah- men für den Frieden sein. . . “ (8).

Im „Appell an die Menschheit“

(1) analysierte Schweitzer als Arzt nüchtern die medizinisch-biologi- schen Folgen von Kernexplosionen und rief dazu auf, die damit verbun- dene zunehmende Gefährdung der Menschheit durch Fortsetzung der Versuchsexplosionen unter allen Umständen zu verhindern. Nur eine gemeinsame öffentliche Meinung der Völker könne den Verzicht auf

ALBERT SCHWEITZER UND DER ATOMTEST-STOPP

„Appell an

die Menschheit“

Schweitzers Engagement war es wesentlich mit zu verdanken, dass die Atomwaffenmächte auf

Versuchsexplosionen in der Atmosphäre verzichteten.

Christian Jenssen

(5)

LITERATUR

1. Steptoe PC, Edwards RG. Birth after the reimplantation of a human embryo. Lancet 1978; 2: 366.

2. Janssens RM, Lambalk CB, Vermeiden JP, Schats R, Schoemaker J. In-vitro fertilizati- on in a spontaneous cycle: easy, cheap and realistic. Hum Reprod 2000; 15:

314–8.

3. BGB1. Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz-EschG). 1990 1:

2746.

http://www.bmgesundheit.de/rechts/

genfpm/embryo/embryo.htm 4. Ärztekammer Schleswig-Holstein, Bad-

Segeberg. Deutsches IVF-Register (DIR).

2004. http://www.deutsches-ivf- register.de

5. Henman M, Catt JW, Wood T, Bowman MC, de Boer KA, Jansen RP. Elective trans- fer of single fresh blastocysts and later transfer of cryostored blastocysts reduces the twin pregnancy rate and can improve the in vitro fertilization live birth rate in yo- unger women. Fertil Steril 2005; 84:

1620–7.

6. Doyle P. The outcome of multiple pregnan- cy. Hum Reprod 1996; 11 Suppl 4:

110–7.

7. Ludwig M, Kohl M, Kruger A et al. Compli- cations in high order multiple pregnancies.

Geburtshilfe und Frauenheilkunde 2004;

64: 168–77.

8. Evans MI, Britt DW. Fetal Reduction. Semi- nars in Perinatology 2005; 29: 321–9.

9. Hansmann M. Fetozid bei Mehrlings- schwangerschaften. Z Arztl Fortbild (Jena) 1993; 87: 839–45.

10. El-Toukhy T, Khalaf Y, Braude P. IVF results:

optimize not maximize. Am J Obstet Gyne- col 2006; 194: 322–31.

11. Giorgetti C, Chabert-Orsini V, Barry B, et al.: Transfert electif d'un seul embryon:

une option justifiee pour une population de patientes selectionnees. Gynecologie Ob- stetrique & Fertilite 2006; 34: 317–22.

12. Hl.Stuhl. Instruktion über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung. Kongre- gation für die Glaubenslehre 1987; 1–23.

13. Damschen G, Schönecker D. Der morali- sche Status menschlicher Embryonen. W.

de Gruyter; 2002.

14. Merkel R. Contra Speziesargument: Zum normativen Status des Embryos und zum Schutz der Ethik gegen ihre biologistische Degradierung. In: Damschen G, Schönecker D, editors. Der moralische Status menschlicher Embryonen. W. de Gruyter; 2002. p 35–58.

15. Singer P, Kuhse H. The ethics of embryo research. Law Med Health Care 1986; 14:

133–8.

16. Troyer J. The Classical Utilitarians: Bent- ham and Mill. Hackett Pub Co Inc; 2003.

17. Beauchamp T, Childress J. Principles of Biomedical Ethics. Oxford University Press Inc, USA; 2004.

18. Luhmann N. Paradigm lost: Über die ethi- sche Reflexion der Moral. Suhrkamp;

2001.

LITERATURVERZEICHNIS HEFT 17/2007, ZU:

IN-VITRO-FERTILISATION

Ein ethisches Dilemma

Nicht nur der Präimplantationsembryo in der Petrischale, sondern auch die Feten und die werdenden Eltern sollten geschützt werden – ein Plädoyer für eine Ethik der Reproduktionsmedizin

Lorenz Rieger

1

, Arnd Hönig

1

, Georg Griesinger

2

,

Johannes Dietl1, Jörg B. Engel1

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Den Zusammenhang von Arzneimittelbudget und Un- terversorgung belegt nach Ansicht des VFA auch, dass 1999 lediglich 18,5 Prozent der Alzheimer-Patienten, die in

Anstatt den Patienten ehrlich ins Gesicht zu sagen, daß die Krankenkassen auf- grund der gegenwärtigen Kas- senlage die Kosten dieser und jener diagnostischen und

Diese Rate von über sieben Pro- zent stellten die Australier den Ergeb- nissen der eigenen Perinatalstatistik mit über 100 000 geborenen Kindern gegenüber und fanden hier mit zwei

Ethische Empfehlungen zur In-vitro- Fertilisation und zum Em- bryo-Transfer sind von der interdisziplinären Arbeits- gemeinschaft Ethik in der Medizin bei der Akademie für

Da Edwards an menschlichen Embryonen experimentieren möchte, schlug er schon 1984 vor, daß das menschliche Le- ben erst mit dem Beginn der Schmerzempfindung (die bisher

Als Ergebnis (Tabelle 2) zeig- te sich bei den Befragten in Deutsch- land, dass jeweils die Mehrheit der Be- fragten Zwangsmaßnahmen befürwor- tete, ein nicht unbedeutender

Die Kon- zeptionserwartung nimmt mit dem Alter ab und liegt für eine 35jährige nur noch bei dreißig Prozent, sie kann durch einen Ovulationsauslöser nicht gesteigert werden..

Wegener vertritt außerdem die Auffassung, dass die Inan- spruchnahme einer Präimplantations- diagnostik und ein Schwangerschaftsab- bruch nach pränataler Diagnostik gar nicht