A K T U E L L
Deutsches ÄrzteblattJg. 97Heft 277. Juli 2000 AA1849
Jürgen Bausch zur Rationierung
Ethisches Dilemma
Der KBV-Arzneimittelexperte äu- ßert sich zu den Thesen des VFA.
DÄ:Der VFA behauptet: „Der Patient ist längst Opfer von Rationierung.“ Stimmt das?
Dr. med. Jürgen Bausch:In der Tendenz führen die Budgets zu einer Rationie- rung, das ist bekannt. Die KBV hat seit längerem durch eigene Untersuchungen festgestellt, dass in einigen Bereichen offene und stille Rationierungen statt- finden.
DÄ:Sind die Budgets die einzige Ursa- che für Unterversorgung, oder gibt es noch andere Gründe?
Bausch:Der Arzt, der unter Budgetdruck steht – und das ist die ganze Ärzteschaft Deutschlands – über- legt sich bei jeder Ver- ordnung: Kann ich mir das noch leisten oder nicht? Das ergibt auto- matisch eine Situation, wo der Arzt in einem ethischen Dilemma zwischen „Wollen“ und
„Können“ steht.
DÄ: Und andere Gründe?
Bausch: Es mag im Einzelfall so sein, dass Ärzte manche Indikationen nicht so bedienen, wie man es sich im Hin- blick auf Leitlinien wünschen würde.
Das scheint mir aber nicht der Punkt zu sein. Der Punkt ist, dass die hochinnova-
tiven und sehr teuren Produkte deswegen sehr zurückhaltend ver- schrieben werden, weil die Sorge besteht, man könne das Budget über- ziehen.
DÄ:Gibt es aus dem po- litischen Bereich mittler- weile Signale, dass man das Problem erkannt hat?
Bausch:Ich habe keine Signale, dass man im Bundesgesundheitsministerium Hand- lungsbedarf sieht. Politik und Kran- kenkassen gehen davon aus, dass die Rationalisierungsreserven nicht voll ausgeschöpft sind und dass man bei der Budgetierung bleiben muss, um diese
zu heben. Sabine Rieser
Arzneimittelbudget
Patienten sind die Opfer
Forschende Arzneimittel- hersteller belegen akute Versorgungsdefizite.
Der Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) hat eine Dokumentation „De- fizite in der Arzneimittelver- sorgung in Deutschland“ vor- gelegt. Darin werden beispiel- haft 13 Indikationsgebiete auf- gelistet, in denen nach Ansicht des VFA deutliche Versor- gungsdefizite bestehen, unter anderem Schizophrenie, De- pressionen, Schmerz, Diabe- tes, Allergien/Asthma.
Als Beispiel für eine dra- matische Unterversorgung nannte VFA-Geschäftsführe- rin Cornelia Yzer die Alzhei- mer-Krankheit. Seit fünf Jah- ren sei die Behandlung mit Acetylcholinesterase-Präpa- raten (AChE) möglich. Von 325 000 Erkrankten im leich- ten bis mittelschweren Stadi- um, für die eine Behandlung infrage komme, seien jedoch nur rund 40 000 damit behan- delt worden.
Den Zusammenhang von Arzneimittelbudget und Un- terversorgung belegt nach Ansicht des VFA auch, dass 1999 lediglich 18,5 Prozent der Alzheimer-Patienten, die in der Gesetzlichen Kranken- versicherung waren, AChE- Präparate erhalten hätten. In der privaten Krankenversi- cherung seien es dagegen 35 Prozent gewesen.
Arbeitsunfähigkeit
Krankenstand steigt wieder
Aktuelle Daten der DAK deuten auf eine Trend- wende hin.
Arbeitnehmer, die bei der Deutschen Angestellten-Kran- kenkasse (DAK) versichert sind, waren im vergangenen Jahr im Durchschnitt 12,7 Ta- ge krank. Damit lag der Kran- kenstand um 0,3 Prozent höher als 1998. Trotz des An- stiegs sind die Fehlzeiten im langjährigen Vergleich nach wie vor gering. Der Trend zum rückläufigen Krankenstand
bis Mitte der 90er-Jahre scheint sich aber umzukehren.
Auffallend sind die unter- schiedlichen Fehlzeiten in den alten (3,3 Prozent) und den neuen (4,1 Prozent) Bun- desländern. Berlin ist mit 4,9 Prozent Spitzenreiter. Nach
Angaben der DAK sind die Arbeitnehmer in der öffentli- chen Verwaltung mit 4,3 Pro- zent und die Beschäftigten im Gesundheitswesen mit 4,1 Prozent Fehlzeiten im Ver- hältnis zu den Arbeitstagen besonders häufig krank.
Fehlzeiten in Prozent der Arbeitstage: Gegenüber dem Vorjahr nahm der Krankenstand geringfügig zu. Quelle: DAK
Dr. med. Jürgen Bausch Foto:
Bernhard Eifrig