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Archiv "In-vitro-Fertilisation und intrazytoplasmatische Spermieninjektion" (12.11.1999)

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ls 1978 das erste Kind nach ei- ner In-vitro-Fertilisation (IVF) geboren wurde, konnte eine Behandlungsmöglichkeit für viele Paa- re erschlossen werden, die bisher unge- wollt kinderlos geblieben waren (40).

Der Verschluß der Eileiter bedeutete nun nicht mehr den Verzicht auf ein ge- netisch eigenes Kind. Nach größeren Statistiken darf man annehmen, daß nach bis zu vier IVF-Behandlungsver- suchen bis zu 60 Prozent aller Paare schwanger werden.

1992 berichten Palermo et al. (29) über die ersten Geburten nach einer Technik, die sie intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) nannten: Es war ihnen gelungen, einzelne Spermi- en in Eizellen zu injizieren. Weitere Untersuchungen zeigten, daß somit auch in schweren Fällen der männli- chen Subfertilität eine Befruchtung von Eizellen und Schwangerschaften erzielt werden konnten (43, 44). Weni- ge Jahre später konnte auch über die Erfolge dieser Behandlung bei Män- nern mit einer Azoospermie und Ver- wendung von Spermien aus Neben- hodenpunktaten (39) beziehungsweise aus Hodenbiopsaten (13) berichtet werden. Die Gewinnung von Spermien

aus dem Nebenhoden (MESA, micro- surgical epididymal sperm aspiration) und aus Hodenbiopsaten (TESE, testi- cular sperm extraction) sowie deren Verwendung im Rahmen der ICSI sind mittlerweile weltweit etablierte Maß- nahmen. Nach vorsichtigen Schätzun- gen sind wohl mehr als 100 000 Kinder bereits geboren worden.

Bestehen Risiken für die Kinder?

Schon lange wird die Gesundheit der nach IVF und ICSI geborenen Kindern kritisch hinterfragt. Manche wendeten ein, daß die Erwartungen an das „Phantasiekind“ durch die „kalte“

Konzeption die „warme“ Eltern- Kind-Beziehung beeinflussen könnte, andere befürchteten, daß die Erwar- tungen an das „Phantasiekind“ durch das „reale“ geborene Kind nicht er- füllt werden könnten, und so zu Pro- blemen während der frühkindlichen Entwicklung führten (20). Colpin et al.

(10) schließlich kritisierten, daß der Arzt als dritter Elternteil einen Stör- faktor der Eltern-Kind-Beziehung bil- de. Insbesondere fragte man sich, ob nicht vermehrt Fehlbildungen durch diese „unnatürlichen“ Maßnahmen provoziert werden könnten.

ICSI schließlich barg nach Auf- fassung von Kritikern zusätzliche ge- netische Risiken, wie einer vermehr- ten Anzahl von Chromosomenaber- rationen, Mutationen des Mukoviszi- dose-Gens (CFTR) und Y-chromoso- malen Deletionen bei Männern mit einer Subfertilität. Diese wurden kürzlich in einem Übersichtsreferat dargestellt und kritisch diskutiert (14). Insbesondere möchten wir daher in dieser Arbeit folgenden Fragen nachgehen:

c Welche Daten liegen zur Ent- wicklung von Kindern vor, die nach einer konventionellen IVF-Behand- lung geboren worden sind?

c Hat die Kryokonservierung Auswirkungen auf die Häufigkeit von Auffälligkeiten bei Geburt oder post- nataler Entwicklung?

c Wird das Risiko für die Ge- sundheit der Kinder durch eine ICSI-

Behandlung erhöht? !

In-vitro-Fertilisation

und intrazytoplasmatische Spermieninjektion

Gibt es ein Gesundheitsrisiko für die geborenen Kinder?

Michael Ludwig Klaus Diedrich

Die Gesundheit der Kinder, die nach einer künstlichen Be- fruchtung (IVF) mit und ohne Mikromanipulation der Ei- zelle (ICSI, intrazytoplasmatische Spermieninjektion) ge- boren werden, ist der wichtigste Parameter für die Qua- lität einer Sterilitätsbehandlung. Die in der Literatur vor- handenen Daten zur Gesundheit der nach herkömmli- cher IVF-Behandlung sowie der nach ICSI-Behandlung geborenen Kinder werden zusammengefaßt und hinsicht-

lich ihrer Bedeutung diskutiert. Die bisherige Datenlage läßt vermuten,

daß durch diese Behandlungen kein Risiko für die gebo- renen Kinder besteht. Die Fehlbildungsrate ist nicht er- höht, die nachgeburtliche Entwicklung zeigt keine Auffäl- ligkeiten.

Schlüsselwörter: IVF, ICSI, Kryokonservierung, Fehlbildungsrate

ZUSAMMENFASSUNG

Children’s Health After In Vitro Fertilization

The health status of children born after either conventional IVF (in vitro fertilization) or IVF/ICSI (intracytoplasmic sperm injection) is the most important quality criterion for assisted reproductive technologies. Data of the world liter-

ature are reviewed and discussed in this article.

These data demonstrate that neither convention-

al IVF nor IVF/ICSI has any impact on the malformation rate of these children or on postnatal development.

Key words: IVF, ICSI, cryopreservation, malformation rate

SUMMARY

A

Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe (Direktor: Prof. Dr. med. Klaus Diedrich) der Medizinischen Universität zu Lübeck

(2)

Tabelle 1

Postpartale Entwicklung von Kindern nach IVF, Alter von 9 bis 14 Monaten

Literatur Zahl Alter (Monate) Test/Untersuchungsziel Ergebnis

Yovich et al. (1986)*1 20 12 Griffith-Skala teilweise bessere und schnellere

Entwicklung Raoul-Duval et al. (1990)*2 37 9 psycho-motorische Entwicklung unauffällig Rufat et al. (1994)*1 1411 ~ 12 physische Entwicklung unauffällig (aber Effekt der

Erkrankungen höheren Frühgeburtlichkeit!) Fehlbildungen

Bowen et al. (1998)*2 84 13 Bayley-Skala unauffällig

Fehlbildungen

Gezeigt sind die Zahl der untersuchten Kinder, deren durchschnittliches Alter, die angewendeten Testverfahren und die Studienergebnisse.

Keine Untersuchung konnte eine auffällige Entwicklung nachweisen. Es fiel lediglich die erhöhte Frühgeburtlichkeit, zurückzuführen auf den höheren Mehrlingsanteil in der Studienpopulation, auf. Gesondert gekennzeichnet sind nicht kontrollierte Studien(*1) und kontrollierte Studien*2.

Tabelle 2

Postpartale Entwicklung von Kindern nach IVF, Alter von 1 bis 7 Jahren

Literatur Zahl Alter (Monate) Test Design Ergebnis

Mushin et al. (1986) 33 12–37 Bayley-Skala nicht kontrolliert unauffällig

Morin et al. (1989) 83 13–30 Bayley-Skala kontrolliert unauffällig

(bessere Werte bei geistiger und psychomotorischer

Entwicklung)

De Vos und Alberda (1991) 173 12–43 – nicht kontrolliert unauffällig

Brandes et al. (1992) 85 12–30 Bayley-Skala kontrolliert, blind, unauffällig Matching

Brandes et al. (1992) 31 30–45 Standfort-Binet kontrolliert, blind, unauffällig Intelligence Scale Matching

Ron-El et al. (1994) 30 >28 General Cognitive kontrolliert, blind unauffällig Index

Saunders et al. (1996) 314 22,5–25,5 physische Entwicklung kontrolliert unauffällig

Cederblad et al. (1996) 99 33–85 Griffith-Skala kontrolliert unauffällig

Achenbach Child Behavious Checklist

Bonduelle et al. (1998) 131 22–26 Bayley-Skala kontrolliert unauffällig

Angegeben sind die Zahl der untersuchten Kinder, die Altersspanne, das Studiendesign und das Studienergebnis. Die meisten Studien be- dienten sich eines Meßinstruments zur Beurteilung der mentalen Entwicklung (Bayley-, Standford-Bindet- und Griffith-Skala) und waren zumindest kontrolliert, bei zwei Untersuchungen konnten eindeutige Matching-Kriterien herausgestellt werden. Hier war dem Untersucher nicht bekannt, ob das Kind aus der IVF- oder der Kontrollpopulation stammte. Es ergaben sich keinerlei Hinweise auf eine auffällige men- tale Entwicklung.

(3)

Postpartale Entwicklung von Kindern nach In-vitro-Fertilisation

Daten hinsichtlich der Fehlbil- dungsrate von Kindern nach einer IVF-Behandlung wurden in den ver- gangenen 20 Jahren bisher zahlreich publiziert. Tatsächlich konnte in kei- ner der Arbeiten ein Unterschied hin- sichtlich der Fehlbildungsrate der Kinder nach IVF gezeigt werden.

Qualität der Elternschaft

Entgegen der dargestellten Er- wartung einer auffällig negativen Fa- milienstruktur zeigte sich in ver- schiedenen Publikationen kein Un- terschied im Vergleich zu spontan konzipierten Kindern beziehungs- weise im Vergleich zu Kindern, die nach einer hormonellen Stimulation geboren worden waren (10, 34).

Kentenich und Stauber (21) fanden keinen Unterschied hinsichtlich des Stillverhaltens von IVF-Müttern im Vergleich zu Müttern spontan konzi- pierter Kinder.

Andere Autoren beschrieben durchaus Unterschiede zu spontan konzipierten und geborenen Kin- dern, diese waren jedoch eher als positiv einzuschätzen: so fanden Weaver et al. (46) eine Tendenz zur vermehrten Sorge um das Kind (overprotection) und Golombok et al. (15) mehr Emotionalität im Um- gang mit den Kindern sowie eine vermehrte Beteiligung des Vaters in der Eltern-Kind-Beziehung. An an- derer Stelle beschrieben diese Au- toren eine qualitativ bessere Eltern- schaft in IVF-Familien (16). Kürz- lich wurden die Verhältnisse in Fa- milien mit Zwillingen nach einer IVF-Behandlung untersucht. In ei- nem sehr kleinen Kollektiv von nur 14 Familien fanden die Autoren ein erhöhtes Streßpotential der Eltern und deuteten dies als Ausdruck der hohen Anforderungen an die Qua- lität der eigenen Elternschaft. Es konnte jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß diese Unterschiede sich bei Erhöhung des relativ kleinen Kollektivs relativieren, und daß viel- leicht andere Faktoren, wie der

deutlich höhere Anteil Mehrge- bärender im Vergleichskollektiv, die erfahrungsgemäß weniger Streß im Rahmen der Elternschaft zeigen, diesen Unterschied verursacht hat- ten (11).

In einer retrospektiv-prospekti- ven Untersuchung versuchten Bra- verman et al. (7) kürzlich Daten hin- sichtlich des Schwangerschaftsver- laufs, aber auch hinsichtlich der El- ternschaft nach einer IVF-Behand- lung zu ermitteln. Es zeigte sich, daß insgesamt die Eltern sowohl die Schwangerschaft als auch die Eltern- schaft an sich positiv sahen, sie emp- fanden sich nicht als vermehrt vor- sichtig im Umgang mit ihren Kin- dern und sahen keinen Unterschied, auch hinsichtlich medizinischer oder emotionaler Probleme, im Vergleich zu spontan konzipierten Kindern.

Postpartale Entwicklung der Kinder

Keine der zitierten Studien ver- mochte für diese Kinder eine auffälli- ge Entwicklung aufzuzeigen (Tabellen 1–3). Verschiedene Autoren wiesen jedoch darauf hin, daß natürlich die Mehrlingsrate und die damit verbun- dene Frühgeburtenrate die Gesamt- morbidität der Kinder entsprechend beeinträchtigt. Die Reduzierung der Mehrlingsrate ist daher eines der vor- rangigen Ziele moderner Sterilitäts- therapie und hat auch Eingang in die neu überarbeiteten Richtlinien zur Durchführung der assistierten Repro- duktion der Bundesärztekammer ge- funden (48).

Kryokonservierung von Embryonen

In Deutschland dürfen nur im- prägnierte Eizellen, keine Zygoten („Embryonen“) kryokonserviert wer- den. Es bestehen jedoch Erfahrungen aus anderen Ländern.

Eine erste Studie zur Gesundheit von 283 Kindern, die nach Kryokon- servierung von Embryonen und deren Transfer nach Auftauen geboren wor- den waren, ergab keinen Unterschied hinsichtlich der Fehlbildungsrate und perinatalen Daten beim Vergleich mit 253 Kindern, die nach dem Transfer

nicht kryokonservierter Embryonen geboren worden waren (45).

Sutcliff et al. (41) veröffentlich- ten Daten von 91 Kindern nach Kryo- konservierung von Embryonen mit ei- nem mittleren Alter von etwa zwei Jahren (25,08 ± 12,86 Monate). Die Griffith-Skala, ein Instrument zur Be- urteilung der mentalen Entwicklung, zeigte unauffällige Ergebnisse.

Über 84 Kinder mit einem mittle- ren Alter von 5,2 ± 1,0 Jahren berich- teten Salta-Baroux et al. (36). Hier fand sich eine unauffällige Fehlbil- dungsrate von 4,7 Prozent und auch ansonsten eine unauffällige Datenla- ge.

89 Kinder im Alter von ein bis neun Jahren schließlich waren Gegen- stand einer Untersuchung von Oli- vennes et al. (28). Auch hier fand sich nach Kryokonservierung im Embryo- nalstadium kein Unterschied in der al- tersentsprechenden Entwicklung im Vergleich mit der Normalbevölke- rung.

Auch wenn die Datenlage hier nur begrenzt ist, so kann die momen-

Tabelle 3

Schulische Leistung von Kindern von IVF, Alter 6 bis 13 Jahre

Anzahl prozentua- ler Anteil

Begabt 8 2,2

>1 Jahr voraus 24 6,5

< 1 Jahr voraus 180 48,6 Durchschnittlich 129 34,9

< 1 Jahr zurück 14 3,8

>1 Jahr zurück 14 3,8

Sonderschule 1 0,2

Ergebnisse der Untersuchung von 370 Kindern im Alter von 6 bis 13 Jahren hin- sichtlich ihrer schulischen Leistungen in Relation zu der erwarteten Leistung ei- ner entsprechenden Altersgruppe (nach:

Olivennes et al., 1997 [27]). Mehr als 90 Prozent der Kinder waren entweder als durchschnittlich begabt einzustufen oder ihren gleichaltrigen Schulkameraden hin- sichtlich ihrer schulischen Leistung vor- aus. Ein Kind besuchte eine Sonderschu- le aufgrund einer mentalen Retardierung bei Down-Syndrom.

(4)

tane Aussage nur die sein, daß tatsächlich kein Unterschied hinsicht- lich der Fehlbildungsrate und post- partalen Entwicklung nach Kryokon- servierung von Embryonen angenom- men werden kann.

Intrazytoplasmatische Spermieninjektion

Pränataldiagnostik

Eine Übersicht der Datenlage zur pränatalen Chromosomenanalyse gibt die Tabelle 4. Bis auf drei Studien, die nachfolgend diskutiert werden, ent- sprechen die Ergebnisse denen spon- taner Schwangerschaften. In’t Veld et al. (20) berichteten über eine Häufig- keit chromosomaler Auffälligkeiten bei Schwangerschaften nach ICSI von 33 Prozent – wobei das Kollektiv nur 15 Fälle umfaßte. In’t Veld verfügt als

Humangenetiker über kein eigenes Kollektiv von Fällen, sondern referier- te über ihm vorliegende Befunde, so daß von einer hohen Selektion aus- gegangen werden muß. Dennoch sorg- te ein Brief an Lancet für eine erheb- liche Verunsicherung hinsichtlich der Sicherheit von ICSI. In ähnlicher Wei- se sind die Daten von van Opstal et al.

(42) zu beurteilen, die über neun chro- mosomale Auffälligkeiten bei 71 inva- siven Pränataldiagnosen berichteten.

Tatsächlich handelt es sich auch hier um ein selektiertes Patientenkollektiv und nicht um die Gesamtergebnisse eines einzelnen Zentrums. Wichtig ist ferner die Angabe der Autoren, daß 25 der 71 Pränataluntersuchungen aufgrund des mütterlichen Alters, zwei aufgrund von Auffälligkeiten bei einem pränatalen Ultraschall und zwei aufgrund vorangehender Schwan- gerschaften mit Kindern mit angebo- renen Auffälligkeiten durchgeführt

wurden. Es wird nicht näher angege- ben, aus welchem Kollektiv die auffäl- ligen Fälle resultierten. Auch Palermo et al. (31) berichten über eine Auffäl- ligkeitsrate von 7,3 Prozent. Aller- dings scheint auch hier zuvor eine er- hebliche Selektion vorzuliegen. Von insgesamt 1 105 Schwangerschaften wurde nur bei 9,8 Prozent überhaupt eine Pränataldiagnostik durchgeführt.

Die umfangreichsten Informatio- nen zu diesem Diskussionspunkt lie- gen aus der Brüsseler Arbeitsgruppe um van Steirteghem vor (4). Hier wird über 1 082 pränataldiagnostische Ein- griffe berichtet, in 28 Fällen fand sich eine genetische Auffälligkeit. In zehn Fällen handelte es sich um vererbte Auffälligkeiten, die durch die erhöhte Anzahl an Chromosomenanomalien bei einem Männerkollektiv mit ver- minderter Spermienzahl zu erklären sind. Bei diesen Männern wird vor Durchführung der ICSI schon seit Jahren in Deutschland eine Chromo- somenanalyse empfohlen, was kürz- lich in den Richtlinien zur Durch- führung der assistierten Reprodukti- on festgeschrieben wurde (vergleiche Kommentar zu Punkt 3.2.13) und so- mit Bestandteil der ärztlichen Berufs- ordnung (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer, 1998 [Heft 49]) geworden ist. Es soll so möglich sein, diesen Paaren eine ausgewogene genetische Beratung vor Durchfüh- rung der ICSI zukommen zu lassen.

Insgesamt ergibt sich aus den Da- ten von Bonduelle et al. (4) eine Rate von De-novo-Auffälligkeiten in der Größenordnung von 1,7 Prozent, wo- bei in neun Fällen Gonosomenstörun- gen, in fünf Fällen autosomale Triso- mien und in vier Fällen strukturelle Aberrationen nachgewiesen wurden.

Wenn somit die Rate insbesondere gonosomaler Auffälligkeiten margi- nal erhöht zu sein scheint, so muß man doch bedenken, daß neun von 1 082 Fällen noch immer ein geringer Anteil ist, was jedoch weiterer Überprüfun- gen bedarf.

Dennoch haben diese Daten be- rechtigterweise dazu geführt, Paare vor einer ICSI dahingehend zu bera- ten. Hierzu sollte man zusätzlich be- denken, daß viele dieser beschriebe- nen Aberrationen nur selten zu Auf- fälligkeiten bei der Geburt führen und manchmal erst im weiteren Verlauf Tabelle 4

Chromosomale Auffälligkeiten nach ICSI

Literatur Zahl prozentualer

Anteil

In’t Veld et al. (1995) de novo 5/15 33,3

vererbt 0/15 –

ICSI Task Force (1996) – 8/361 2,2

Testart et al. (1995) de novo 0/108 –

vererbt 5/7 71,4

Van Optal et al. (1997) de novo 9/71 12,7

Bonduelle et al. (1998) de novo 2/70 2,9

Meschede et al. (1998) vererbt 3/18 16,7

Bonduelle et al. (1998) de novo 18/1082 1,7

vererbt 10/1082 0,9

Ludwig et al. (1999 [51]) de novo 0/74 –

vererbt 2/4 50

ICSI Task Force (1998) – 15/666 2,3

Palermo et al. (1998) – 11/150 7,3

Daten zur Häufigkeit chromosomaler Auffälligkeiten bei invasiven pränataldiagnostischen Eingriffen in Schwangerschaften nach ICSI. Angegeben ist jeweils – soweit bekannt – die Häufigkeit für neuaufgetretene (de novo) Auffälligkeiten und für vererbte Auffälligkeiten.

Die Häufigkeit der De-novo-Auffälligkeiten liegt zumeist im Rahmen dessen, was auch für spontane Schwangerschaften zu erwarten ist. Die hohen Häufigkeiten von In’t Veld et al.

(1995), Van Opstal et al. (1997) und Palermo et al. (1998) sind auf eine Selektion des Schwangerenkollektivs zurückzuführen.

(5)

des Lebens, eventuell zum Zeitpunkt eines Kinderwunsches, bekannt wer- den. Andererseits sollte es die Ent- scheidung des betroffenen Paares bleiben, eine ICSI vor diesem Hinter- grund durchführen zu lassen. Aus un- serer Erfahrung können wir berich- ten, daß bisher in keinem Fall ein Paar aufgrund dieses Risikos von ei- ner Behandlung Abstand genommen hat. Obwohl wir jedes Paar in dieser Weise aufklären, wird nur in 35 Pro- zent aller Schwangerschaften von den Paaren eine invasive Pränataldiagno- stik gewünscht.

Fehlbildungen

Nach der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion findet sich durch- weg eine Fehlbildungsrate von drei bis fünf Prozent (Tabelle 5), was der Rate großer internationaler Fehlbil- dungsregister entspricht. Man sollte somit annehmen dürfen, daß die Fehl- bildungsrate bei Geburt nach ICSI nicht erhöht ist. Dies wird jedoch von verschiedenen Kritikern angezwei- felt. Grund ist unter anderem eine Pu- blikation, in der die australischen Au- toren Kurinczuk und Bower (22) Da- ten der Brüsseler Arbeitsgruppe einer Nachuntersuchung unterzogen. Sie bedienten sich des australischen Fehl- bildungskatalogs und fanden so eine Fehlbildungsrate von über sieben Prozent, da die Brüsseler Arbeits- gruppe sich eines eigenen, nicht aner- kannten Fehlbildungsscores bedient hatte, der lediglich nach „größeren“

und „kleineren“ Fehlbildungen un- terscheidet. Dabei ist das Kriterium für eine „größere“ Fehlbildung die körperliche Beeinträchtigung des Kindes oder eine notwendige Opera- tion. Diese Rate von über sieben Pro- zent stellten die Australier den Ergeb- nissen der eigenen Perinatalstatistik mit über 100 000 geborenen Kindern gegenüber und fanden hier mit zwei bis drei Prozent eine signifikant nied- rigere Fehlbildungsrate und schlos- sen, daß nach ICSI die Fehlbildungs- rate erhöht ist. Problematisch bei die- ser Aussage ist aber, daß die vergli- chenen Fehlbildungsraten auf unter- schiedlichen Erhebungskriterien be- ruhen. Bei den Brüsseler Daten handelt es sich um prospektiv und standardisiert erhobene Daten unter

Einbeziehung apparativer Verfahren durch eine Gruppe geschulter Hu- mangenetiker, bei den Daten der aus- tralischen Perinatalstatistik um eine nicht standardisierte passive Erhe- bung. Diese Kritik an dem Verfahren wird durch Daten anderer Gruppen belegt, die schon seit mehreren Jahren Kinder nach spontaner Konzeption in ähnlicher Weise standardisiert unter- suchen, wie die Brüsseler Arbeits- gruppe es tut. Queißer-Luft und Spranger (32) zum Beispiel publizier- ten Daten von 20 248 Kindern aus der Mainzer Region, die im sogenannten Mainzer Modell – einem prospekti- ven, standardisierten Fehlbildungsre-

gister – erfaßt wurden. Auch hier liegt die Fehlbildungsrate bei 7,3 Prozent.

Wäre durch die Brüsseler Arbeits- gruppe eine Vergleichsgruppe mitun- tersucht worden, hätte sich die Beob- achtung von Kurinczuk und Bower (22) wohl vermeiden lassen.

Um verläßliche Daten hinsichtlich der Fehlbildungsrate nach ICSI erhe- ben zu können, bedarf es also einer pro- spektiven, kontrollierten Studie, die ei- ne standardisierte Untersuchung der Kinder sowie eine standardisierte Ver- schlüsselung der Fehlbildungen um- faßt; die Kontrollgruppe muß aus Kin- dern bestehen, die nach spontaner Konzeption in demselben Zeitraum ge- Tabelle 5

Häufigkeit schwerer Fehlbildungen nach ICSI

Literatur Anzahl schwerer Fehlbildungen

bezogen auf geborene Kinder

Bonduelle et al. (1995 [53]) 6/273 (2,2%)

Bonduelle et al. (1995 [54]) 23/848 (2,7%)

Govaerts et al. (1995) 3/76 (3,9%)

Palermo et al. (1996) 9/578 (1,6%)

Bonduelle et al. (1996) 23/877 (2,6%)

Wennerholm et al. (1996) 2/210 (1,0%)

ISCI Task Force 1994 (Bonduelle et al., 1995 [54]) 18/763 (2,3%) ICSI Task Force 1995 (Ludwig et al., 1996) 127/6692 (1,9%)

D.I.R. (1996) 18/662 (2,7%)

Govaerts et al. (1998) 4/143 (2,8%)

Bowen et al. (1998) 4/89 (4,5%)

Bonduelle et al. (1998 a) 4/164 (2,4%)

Bonduelle et al. (1998 b) 57/1987 (2,9%)

Danish Fertility Society, Loft et al. (1998) 16/730 (2,2%)

Palermo et al. (1998) 23/1131 (2,0%)

Ludwig et al. (1999 [50]) 9/267 (3,4%)

Häufigkeiten schwerer Fehlbildungen (major malformations) bei Geburt von Kindern nach ICSI. Die Fehlbildungsraten liegen durchweg bei zwei bis fünf Prozent. Dies entspricht der Häufigkeit, die auch nach spontaner Konzeption zu erwarten wäre. Eingeschlossen sind über 12 000 Kinder aus länderspezifischen Studien (Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Niederlande, Schweden, USA) und aus den weltweiten Statistiken der ESHRE Task Force on ICSI (European Society of Human Reproduction and Embryology).

(6)

boren werden. Eine solche Studie wur- de im August 1998 als bundesweite Multicenterstudie begonnen und wird Anfang 2001 die Frage nach der Fehl- bildungsrate verläßlich beantworten können. Fraglich ist, wie bis dahin das Fehlbildungsrisiko nach ICSI bewertet werden soll. Es existiert bisher keine Studie, die methodisch einwandfrei ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko nach ICSI gezeigt hat (Tabelle 6). Demgegenüber steht eine Reihe von Studien, die tatsächlich kein erhöhtes Fehlbildungs- risiko bei etwa 12 000 geborenen Kin- dern beschreibt. Die überarbeiteten Richtlinien zur Durchführung der assi- stierten Reproduktion der Bundesärz- tekammer zumindest kommen klar zu dem Schluß, daß „eine Indikation zur ICSI . . . dann gegeben (ist), wenn bei schwerer männlicher Infertilität oder aufgrund anderer Gegebenheiten . . . die Herbeiführung einer Schwanger- schaft höchst unwahrscheinlich ist“.

Postnatale Entwicklung

Bowen et al. (5) publizierten Da- ten von 89 Kindern nach ICSI, 84 Kin- dern nach IVF und 80 Kindern nach spontaner Konzeption. Ziel der Studie war die Untersuchung der Entwick- lung im Alter von durchschnittlich 13 Monaten. Die Autoren bedienten sich des Bayley-Score und betrachteten ne- ben dem mental developmental index (MDI), der die mentale Entwicklung widerspiegeln soll, auch den physical developmental index (PDI). Letzterer zeigte in keinem Punkt signifikante Unterschiede zwischen den drei Grup- pen, während der MDI im Kollektiv der nach ICSI geborenen Jungen signi- fikant niedriger lag als in beiden Ver- gleichsgruppen. In derselben Ausgabe des Lancet berichteten Bonduelle et al.

(2) über Daten von 201 Kindern nach ICSI und 131 Kindern nach IVF im Al- ter von 22 bis 26 Monaten. Unter Ver- wendung der gleichen Untersuchungs- methode findet sich kein Unterschied des MDI zwischen ICSI- und IVF-Kol- lektiv. Gegenüber dem Standardkol- lektiv liegen diese Kinder eher stets ein bis drei Monate weiter, als es ihr Alter erwarten ließe. Dies gilt für Mädchen ebenso wie für Jungen.

Bei der kritischen Bewertung dieser diskrepanten Aussagen ist zu bedenken, daß die Kinder in der Stu-

die von Bowen et al. (5) jünger sind als die in der Erhebung von Bonduelle et al. (2). Das Kollektiv in der zweiten Studie ist mehr als doppelt so groß, die Aussagekraft der letzteren Daten dürfte, da dieselbe Untersuchungsme- thode verwendet wurde, daher eher besser sein. Eine nähere Betrachtung des sozialen Hintergrundes der Kin- der nach ICSI in der Publikation von Bowen et al. (5) zeigt zudem, daß er- hebliche Unterschiede insbesondere hinsichtlich des Ausbildungsstandes und des Ausländeranteiles der Eltern des ICSI-Kollektivs gegenüber den anderen beiden Kollektiven bestehen.

Interessant ist vor diesem Hinter- grund auch die Tatsache, daß sich der Leiter der Arbeitsgruppe von Bowen et al. (2), der australische Professor Saunders, an anderer Stelle aufgrund ähnlicher Argumente von den eigenen Ergebnissen eher distanziert hat (37).

Selbst wenn man diese Daten we- niger vorsichtig interpretiert, kann als Schlußfolgerung für die Praxis ledig- lich resultieren, daß die Sammlung weiterer Daten zur Entwicklung der Kinder nach ICSI notwendig ist.

Zusammenfassende Betrachtung

Die IVF- und ICSI-Behandlung wird hinsichtlich der Frage der Ge- sundheit der daraus entstandenen Kinder schon seit mehreren Jahren kritisch untersucht. Weder die kon- ventionelle IVF-Behandlung noch die Kryokonservierung zeigten ein er- höhtes Risiko der geborenen Kinder hinsichtlich auffälliger Familienstruk- turen, Fehlbildungen oder Auffällig- keiten in der weiteren postpartalen Entwicklung.

Die Datenlage zur ICSI ist inso- fern noch nicht abschließend geklärt, als hier durch Fehler in der Konzeption von Studien keine letzte Klarheit hin- sichtlich der Sicherheit dieser Behand- lung besteht. Zumindest genügt die Da- tenlage nicht den Anforderungen einer evidence based medicine. Beweise für ein erhöhtes Risiko der Kinder hin- sichtlich Fehlbildungen bei Geburt oder eine auffällige postpartale Ent- wicklung lassen sich bei kritischer Aus- einandersetzung mit den verfügbaren Daten nicht finden. Die Auffassung

deutscher Reproduktionsmediziner stimmt mit der internationalen Mei- nung überein: ICSI gehört zu den eta- blierten Methoden der assistierten Re- produktion, ist die einzige wirkungsvol- le Behandlungsmöglichkeit bei schwe- rer männlicher Subfertilität und ist of- fensichtlich nicht mit einem erhöhten Risiko für die geborenen Kinder asso- ziiert. Dennoch sind wegen der hohen Bedeutung sowohl in Deutschland als auch international weiterhin Studien nötig, die die Unbedenklichkeit von ICSI weiter untermauern sollen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-2892–2901 [Heft 45]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser

Prof. Dr. med. Klaus Diedrich Direktor der Klinik für Frauenheil- kunde und Geburtshilfe

Medizinische Universität zu Lübeck Ratzeburger Allee 160

23538 Lübeck

Literaturverzeichnisse

Aus Platzgründen können Literatur- verzeichnisse nur dann veröffentlicht werden, wenn sie nicht mehr als 15 Zitate umfassen. Alle Autoren wer- den bereits beim Einreichen des Manuskriptes auf diese Regelung hingewiesen und gebeten, bevorzugt Schlüsselpublikationen auszuwählen, die den Weg zur weiterführenden Li- teratur weisen. Auf Wunsch der Au- toren kann ein dem genannten Um- fang entsprechendes Literaturver- zeichnis mit dem Zusatz versehen werden „Weiterführende Literatur beim Verfasser“. Umfangreichere Li- teraturverzeichnisse sind über den Sonderdruck erhältlich und außer- dem im Internet unter der Adresse http://www.aerzteblatt.de abrufbar.

Ins Internet werden Literaturver- zeichnisse mit dem Erscheinungstag des Heftes eingestellt.

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