DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
D
ie Behandlung der menschlichen Sterilität mittels In-vitro-Fertilisa- tion und Embryotransfer wirft eine Reihe schwerwiegender ärztlicher, ethischer und rechtlicher Fragen auf, die grundsätzlicher Erörterungen und verbindlicher Entschei- dungen auf der Basis eines breiten Konsenses der Gesell- schaft bedürfen. Der Vorstand der Bundesärztekammer hat deren Wissenschaftlichen Beirat gebeten, die hierzu er- forderlichen Grundlagen zu erarbeiten.In die zu diesem Zwecke ge- bildete interdisziplinäre, be- rufsübergreifende Kommis- sion wurden von dem Wissen- schaftlichen Beirat berufen:
Vertreter aller zuständigen medizinischen und naturwis- senschaftlichen Disziplinen der Rechts- und Sozialwissen- schaften, der Philosophie, Moraltheologie und Psycholo- gie sowie Repräsentanten der Bundesärztekammer, der Ar- beitsgemeinschaft Wissen- schaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF), der Deutschen Forschungsge- meinschaft (DFG), der Max- Planck-Gesellschaft (MPG)
In-vitro-
Fertilisation und Embryotransfer
und des Arbeitskreises Medi- zinischer Ethikkommissionen.
In einem ersten Arbeitsab- schnitt hat die Kommission
„Richtlinien zur Durchfüh- rung von In-vitro-Fertilisation (IVF) und Embryotransfer (ET) als Behandlungsmethode der menschlichen Sterilität"
erstellt. Sie wurden dem Deutschen Ärztetag 1985 vom Vorstand der Bundesärzte- kammer vorgelegt und als Anlage zur Berufsordnung beschlossen. Diese Richtli- nien sind im vorliegenden
(Dr. K. Vilmar) Präsident der
Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages
Heft (auf den Seiten 1691 bis 1698) dokumentiert.
Der zweite Arbeitsabschnitt der Kommission hat die Rege- lung und Begrenzung wissen- schaftlicher Untersuchungen an nicht transferierten Em- bryonen durch eine verpflich- tende Selbstbindung der For- scher und Ärzte zum Ziel. Ei- ne entsprechende Stellung- nahme wird zur Zeit vorberei- tet und in Kürze veröffent- licht.
Die Reproduktionsmedizin befindet sich in einem schnel- len Fluß. Die Bundesärzte- kammer und ihr Wissen- schaftlicher Beirat werden ih- re Entwicklung und die sich hieraus ergebenden ethi- schen Fragen, ärztlichen Auf- gaben und rechtlichen Konse- quenzen sorgfältig verfolgen und ihnen in ihrer zukünfti- gen Arbeit Rechnung tragen.
(Prof. Dr. H. P. Wolff) Vorsitzender des Wissen- schaftlichen Beirates der Bundesärztekammer
W
as im Klinikalltag so passieren kann: An- fang Mai verurteilte das Bonner Schöffengericht einen 45 Jahre alten Mann wegen „fortgesetzten Betru- ges" zu 18 Monaten Freiheits- strafe — ohne Bewährung. Der völlig mittellose Sozialhilfe- Empfänger hatte in fünf Bon- ner Krankenhäusern zunächst erfolgreich einen Herzinfarkt vorgetäuscht, um ins warme Klinikbett gelegt zu werden und um an eine wohlschmek- kende Mahlzeit zu gelangen.Insgesamt soll der gesund- heitlich völlig intakte kleine Gauner in den vergangenen drei Jahren über 100 Klini- ken(!) mit dem Vorspiegeln einer akuten Erkrankung so düpiert haben, daß sich sogar der Kölner Regierungspräsi- dent genötigt sah, die nord-
Gaunerei im Klinikalltag
rhein-westfälischen Hospitä- ler vor dem „falschen Patien- ten" zu warnen. Der hinter schwedische Gardinen Einge- buchtete ist jetzt fürs erste wohl versorgt. Warmer Mahl- zeiten, wenn auch ein wenig spartanischer als gewohnt, und guter Behandlung dürfte er gewiß sein. Der geschlosse- nen Anstalt ist nämlich ein Gefängnis-Lazarett angeglie- dert . . .
Was die berichtende Nach- richtenagentur unerwähnt
ließ, kann zu allerlei Spekula- tionen Anlaß geben. Handelt es sich bei dem ins Klinikbett gelegten 45jährigen Mann um einen Einzelfall, oder wer- den Simulanten und betrü- gende „Selbsteinweiser" bei uns bereits zur „Landplage"?
Oder sind die Vorwürfe, die Krankenhäuser als Institution würden allzu leicht den Be- gehren einer Patienten- Selbsteinweisung entspre- chen, berechtigt? Was aber soll das unter- und übergeordnete Klinikpersonal —vom Stations- arzt bis zur Oberschwester, vom Chefarzt bis zur Klinik- verwaltung — tun, um eine sol- che moderne Köpenickiade zu verhindern? Sie machen sich strafbar, wenn sie einen „Pa- tienten" abweisen, nur weil sie in ihm einen „Schauspieler"
vermuten. HC
Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 22 vom 29. Mai 1985 (1) 1649