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ie massiven Ärzteproteste vom 18.Januar in Berlin haben nach Auf- fassung der Gemeinschaft Fach- ärztlicher Berufsverbände (GFB) zu- mindest zwei Dinge gezeigt: Im Protest gegen die fortschreitende Mangelver- waltung im Gesundheitswesen sind sich alle Arztgruppen einig, und mehr als 80 Prozent der Bevölkerung stimmen den Anliegen der Ärzteschaft zu. „Wir wol- len jetzt dafür sorgen“, sagt GFB-Präsi- dent Dr. med. Jörg A. Rüggeberg, „dass dies im Bewusstsein der Bevölkerung haften bleibt.“
Die GFB, die Dachorganisation von 27 fachärztlichen Berufsverbänden, hat ein „Grundsatzpapier zur nachhaltigen Sicherung einer patientennahen fach- ärztlichen Versorgung auf hohem Qua- litätsniveau“ vorgelegt. Darin beschrei- ben die niedergelassenen Fachärzte die Defizite des Systems und plädieren für grundlegende Korrekturen. Rüggeberg:
„Es ist nicht mehr damit getan, die Löcher zu stopfen oder neue Regulie- rungen einzuziehen, denn so ist das Ge- sundheitswesen nicht mehr zu retten.“
Auf dem Weg in die krasse Unterversorgung
Der Chirurg aus Bremen hofft auf die Einsicht der Politik und auf eine breite Diskussion über die Notwendigkeiten und Grenzen der sozialen Sicherungs- systeme. „Das deutsche Gesundheitssy- stem“, heißt es im Grundsatzpapier der GFB, „bewegt sich als Folge einer chro- nischen und zunehmenden Unterfinan- zierung bedrohlich aus einer bereits be- stehenden Mangelversorgung in Rich- tung einer krassen Unterversorgung.“
Die Dachorganisaton der Fachärzte
macht dafür eine Vielzahl von Ur- sachen verantwortlich: fehlende Pla- nungssicherheit aufgrund ständig wech- selnder Gesetze, fehlende wirtschaft- liche Sicherheit infolge
der Budgetierung, Gefähr- dung der Therapiefrei- heit durch ökonomischen Druck und eine geradezu erstickende Bürokratie, die inzwischen gut ein Drittel der ärztlichen Ar- beitszeit binde.
Dass inzwischen rund 30 Prozent der Studienab- solventen im Fach Human- medizin dem Arztberuf den Rücken kehren, führt die GFB auf diese Ursa- chen zurück. Und das hat
dramatische Folgen: „Schon heute ist klar“, sagt Rüggeberg, „dass in zehn Jah- ren keine Fachärzte in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen werden, um die dann ausscheidenden Ärzte zu erset- zen.“ Selbst wenn sie da wären, bestün- den kaum Aussichten auf eine Praxis- gründung: „Die restriktiven Bedingun- gen für die Vergabe von Krediten bewir- ken, dass niederlassungswillige Ärzte wegen der auch von den Banken als pro- blematisch eingeschätzten Ertragssitua- tion nicht mehr auf eine fremdfinanzier- te Existenzgründung bauen können.“
Trübe Aussichten – wenn es nicht ge- lingt, das Ruder herumzureißen. Die GFB sieht eine reelle Chance in der Rückführung der Gesetzlichen Kran- kenversicherung (GKV) auf die solida- rische Absicherung des Existenzrisikos.
Die Aufgabe der Ärzteschaft werde es sein, gemeinsam mit dem Gesetzgeber die Definition eines Grundleistungs- kataloges zu erarbeiten. Eine solche
Grundsicherung müsse jeder Bürger er- halten – entweder über die GKV oder über private Krankenversicherer. Der Staat solle den dafür notwendigen Soli- darausgleich über Steuermittel finan- zieren. Darüber hinaus sollen freiwilli- ge Zusatzversicherungen möglich sein – aber auch Eigenbeteiligungen der Pati- enten im konkreten Behandlungsfall.
Die GFB glaubt, dass ein solches Mo- dell grundsätzlich sowohl im Rahmen einer Bürgerversicherung als auch in ei- nem System mit Gesundheitsprämien möglich ist. Allerdings sieht die GFB derzeit keine Anzeichen dafür, dass die Politik den Bürgern die Freiheit ein- räumen will, selbst zu entscheiden, wel- che Gesundheitsleistungen sie in wel- chem (versicherten) Um- fang in Anspruch nehmen wollen.
Nach Ansicht der Fach- ärzteorganisation kann sich eine marktwirtschaft- lich geprägte Wettbe- werbsordnung besser in direkten Vertragsbezie- hungen zwischen Patien- ten und Ärzten entfalten.
Die Kassenärztlichen Ver- einigungen könnten da- bei als Dienstleister hilf- reich sein. Ferner plä- diert die GFB für eine Gebührenordnung mit festen Preisen und diagnosebezogenen Fallpauschalen für Fachärzte, die um prozessbezogene Einzelleistungskomplexe ergänzt wer- den sollten.
Die GFB ist für die Zusammen- führung der ambulanten und statio- nären Versorgung und für die Aufhe- bung der bisherigen Bedarfsplanung nach Verhältniszahlen. An ihre Stelle solle eine regionale sektorübergreifen- de Versorgungsbedarfsplanung treten.
Aus diesen Maßnahmen folgt für die GFB eine gemeinsame Honorarverant- wortung „mehrerer Leistungserbringer an einem Behandlungsfall“.
An die Hausärzte sendet die Dachor- ganisation der fachärztlichen Berufsver- bände versöhnliche Signale. Rüggeberg:
„Wir brauchen ein gemeinsames Vorge- hen. Wir Fachärzte können unseren Ver- sorgungsauftrag ohne die hausärztliche Basisversorgung nicht erfüllen.Aber das gilt auch umgekehrt.“ Josef Maus P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 6⏐⏐10. Februar 2006 AA305
Gesundheitsreform
Fachärzte plädieren für Grund- und Wahlleistung
Die Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände hofft auf die Einsicht der Politik, dass nur noch eine grundlegende Reform nachhaltige Wirkung zeigen kann.
GFB-Präsident Jörg A. Rügge- berg: Grundlegende Reform
Foto:Johannes Aevermann