A2146 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 4110. Oktober 2008
P O L I T I K
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um vierten Mal trafen sich Mitte September Ärztinnen und Ärzte aus Sachsen und dem angrenzenden Niederschlesien zum deutsch-polnischen Symposium.Diesmal hatte die Sächsische Lan- desärztekammer das Treffen ausge- richtet. Zwischen den Kammern be- stehen bereits seit 17 Jahren „sehr gute freundschaftliche Beziehun- gen“, wie die beiden Präsidenten, Prof. Dr. med. habil. Jan Schulze und Dr. med. Andrzej Wojnar, in Dresden betonten.
Zwar gibt es nach wie vor große Unterschiede in den gesundheits- politischen Entwicklungen beider Länder. Thema des Symposiums in Dresden waren aber auch die Ge- meinsamkeiten, vor allem gemein- same Probleme. Sowohl Sachsen als auch Polen kämpfen zurzeit gegen den Ärztemangel. Nicht erst seit dem Beitritt Polens zur Europä- ischen Union (EU) im Jahr 2004 zieht es Ärzte von dort nach West- europa. „Das Gefälle bei den Gehältern und die besseren Arbeits- bedingungen sind nur zwei Gründe für diesen Trend“, erläuterte Woj- nar. Viele Ärzte verließen Polen, weil sie im Ausland bessere Weiter- bildungsmöglichkeiten hätten. Um die Ärzte im Land zu halten, müss- ten sie besser bezahlt werden, for- derte der Ärztekammerpräsident.
Außerdem müsse die EU-Richtli- nie zur Anerkennung der Bereit- schaftszeit als Arbeitszeit konse- quent umgesetzt werden.
Von der Unzufriedenheit der pol- nischen Ärzte im eigenen Land pro- fitieren die unterversorgten Regio- nen Sachsens. „In vielen sächsi- schen Kliniken müssten Abteilun- gen geschlossen werden, wenn
nicht Ärzte aus dem Ausland die Stellen besetzen würden“, betonte Kammerpräsident Jan Schulze. 159 polnische Ärzte tragen derzeit dazu bei, Engpässe an Sachsens Kran- kenhäusern zu beseitigen. Doch das Anwerben von Ärzten aus dem Ausland kann nach Ansicht von Schulze keine Lösung sein – zumal diese in ihren Heimatländern feh- len. Schuld an der Misere sei die
„einfallslose Spar- und Reglemen- tierungspolitik“ der Bundesregie- rung sowie eine ausufernde Büro- kratie. Beide Präsidenten forderten deshalb ihre Regierungen auf, die Arbeitsbedingungen so zu gestal- ten, dass die Ärzte im eigenen Land bleiben.
Afrika leidet unter Migration
Die Folgen des Ärztemangels in Deutschland und Polen nehmen sich allerdings vergleichsweise harmlos aus, wenn man die globa- le Perspektive einnimmt. Der Ge- neralsekretär des Weltärztebunds, Dr. med. Otmar Kloiber, sprach in Dresden von einem weltweiten Ar- beitskräftemangel im Gesundheits- wesen. „Wir haben eine Krisen- situation erreicht“, warnte er. Ge- rade die Migration von Gesund- heitspersonal aus den ärmeren Ländern nach Europa und Nord- amerika wirke sich auf die Her- kunftsländer verheerend aus. Zah- len der Weltgesundheitsorganisati- on (WHO) von 2006 belegen, dass Südafrika fast 40 Prozent seiner Ärzte ans Ausland verloren hat. In Ghana sind es 30 und in Angola 20 Prozent. „Die Folgen sind extrem“, sagte Kloiber. Denn während in reichen Ländern das Arzt-Patient- Verhältnis 1 : 500 beträgt, liegt es inmanchen Ländern Afrikas bei 1 : 50 000. Das heißt, wenn auch nur ein Arzt auswandert, bleiben mit einem Schlag Tausende Patien- ten unversorgt.
Laien als Arztersatz
Doch bessere Arbeits- und Lebensbe- dingungen, höhere Einkommen und nicht zuletzt der Ärztemangel in den reichen Ländern ziehen nach wie vor Ärzte aus ärmeren Ländern an. „Der gegenwärtige Ärztemangel in Europa ist also mehr als ein lokales Problem.
Er trägt mit zu der katastrophalen Versorgungslage in den ärmsten Län- dern der Welt bei“, meinte Kloiber.
Die Lösung des Problems liegt für ihn auf der Hand: bessere Arbeitsbedin- gungen schaffen, die professionelle Eigenständigkeit stärken und eine faire Bezahlung gewährleisten.
Stattdessen setzt man aber sowohl in reichen als auch in armen Ländern vermehrt auf die Substitution ärztli- cher Leistungen. „Task shifting heißt das neue Wundermittel, das die WHO insbesondere für die armen Länder empfiehlt“, erklärte Kloiber.
Dabei werden die Aufgaben von Ärz- ten, Krankenschwestern und Hebam- men auf medizinische Laien, soge- nannte community health workers, übertragen. Der Generalsekretär des Weltärztebunds kritisiert an dem Kon- zept vor allem, dass es nicht als
„Notfalllösung für Notsituationen“
gedacht ist. „Die WHO will daraus ein durchgehendes Prinzip für alle ma- chen.“ Er befürchtet, dass dieser An- satz nicht nur unter Qualitätsaspekten bedenklich ist, sondern in den betrof- fenen Ländern womöglich noch mehr qualifiziertes medizinisches Personal ins Ausland treibt. I Heike Korzilius
4. DEUTSCH-POLNISCHES SYMPOSIUM
Diesseits und jenseits der Grenze herrscht Ärztemangel
Die Präsidenten der Ärztekammern von Sachsen und Niederschlesien haben
ihre Regierungen aufgefordert, die Arbeitsbedingungen der Ärztinnen und Ärzte
so zu gestalten, dass sie wieder gern im eigenen Land arbeiten.
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M E D I Z I N R E P O R T
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