Bei BÄK und KBV, aber auch bei den KVen in den neuen Ländern sieht man das anders. Der Grad der Versor- gung in einem Planungsbereich sagte mitunter wenig darüber aus, wie sich die Situation vor Ort für die Patienten dar- stellt, betonte Kopetsch unlängst ge- genüber dem Deutschen Ärzteblatt.
Theoretisch kann ein Planungsbereich weit entfernt von der Unterversor- gungsgrenze sein (Fachärzte 50 Pro- zent, Hausärzte 75 Prozent) und doch weiße Flecken haben.
Im Zuständigkeitsbereich der KV Mecklenburg-Vorpommern gebe es ge- rade einmal zwei Planungsbereiche, die für Hausärzte gesperrt seien, berichtet Dr. med. Ingolf Otto, stellvertretender KV-Vorsitzender. Zwar könne man im Moment noch nicht von Unterversor- gung sprechen. Doch weil 40 Prozent der Hausärzte älter als 60 Jahre sind, sieht Otto Probleme kommen, wenn die aussscheidenden Kollegen keine Nach- folger finden. Für ihn ist es auf jeden Fall „ein Warnzeichen“, dass in den letz- ten drei, vier Jahren immer mehr Ärzte ihre Praxis nicht verkauft bekommen, wenn sie sich zur Ruhe setzen.
Manchen potenziellen Kandidaten schreckt nach Einschätzung des KV- Chefs weniger ein unzureichendes kul- turelles Angebot als die Sorge, dass er zum Beispiel als Hausarzt auf dem Land in Arbeit versinken werde. Niederlas- sungszuschläge als Lockmittel sind für Otto kein Ausweg: Dann müsse man den Ärzten im Osten, die sowieso weniger verdienen als die Kollegen im Westen, auch noch Geld wegnehmen. Zwar hat das bundesweite Initiativprogramm zur Förderung allgemeinmedizinischer Wei- terbildungsstellen durchaus bewirkt, dass auch in Mecklenburg-Vorpommern eine ganze Menge hausärztlicher Nach- wuchs ausgebildet wurde. Doch inzwi- schen finden sich dort nicht mehr genug Ärzte, die teilnehmen wollen. Und die Absolventen suchen sich anschließend oft anderswo eine Arbeit.
Daran, findet Dr. med. Karl Grö- schel, müsste sich etwas ändern. Der Vorsitzende der KV Thüringen weiß jedoch, dass man Absolventen des För- derprogramms nicht so einfach zum Verbleib in der Region zwingen kann.
Außerdem könnten sie den Bedarf an Hausärzten in Thüringen auch nicht
komplett decken. Und Sicherstellungs- zuschläge? „Wo wollen Sie die denn hernehmen?“ fragt Gröschel. Dass junge Ärztinnen und Ärzte lieber an- derswo hingehen, in größere bayeri- sche Städte zum Beispiel, kann er ih- nen nicht wirklich verdenken. Betrof- fen von der zunehmenden Knappheit des Arztnachwuchses sind in der Regi- on im Übrigen auch die Krankenhäu- ser. In Thüringen fehlen nach Angaben von Gröschel 400 Klinikärzte. Im am- bulanten Bereich sind derzeit rund 170 Arztstellen nicht besetzt. Dass an Uni- kliniken Arztstellen frei bleiben, weil
keiner hin möchte – das habe es doch früher weder in der DDR noch in der Bundesrepublik gegeben, sagt Sa- nitätsrat Dr. med. habil. Hans-Jürgen Hommel, Vorsitzender der KV Sach- sen. „Früher haben sich doch die Leute nach einer Uniklinik die Finger ge- leckt!“ Das ist in Sachsen vorbei. Und im Einzugsbereich der dortigen KV schließen mehr und mehr Arztpraxen, ohne dass ein Nachfolger in Sicht ist.
Doch Hommel hofft, dass man in sei- nem Bundesland in Zukunft Lösungen mit den Selbstverwaltungspartnern vor Ort findet. Sabine Rieser P O L I T I K
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A2264 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 365. September 2003
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nschwer an dem anschwellenden Umfang der Stellenangebote in un- serem geschätzten Deutschen Ärzteblatt zu erkennen: Es herrscht Ärztemangel. Jawohl, wir befinden uns auf der Talsohle einer Berufs- flaute. Ich als Vertreter der Baby-Boom-Generation kann es kaum fassen:Geprägt von der Erfahrung, dass 50 Bewerbungen zu drei Absagen und sonst nichts führen, könnte ich nun pro Woche 30 verschiedene Stellen an- treten.
In der Not werden häufig Lösungen geboren, die eben danach benannt werden; so sind viele Verwaltungsdirektoren und Chefärzte gezwungen,
Kollegen aus fernen Ländern einzustellen, die des Deutschen meist nicht sonderlich mächtig sind.
Ein Patient berichtete mir, dass er sich während seines kürzlichen sta- tionären Aufenthaltes mit einem Assistenzarzt konfrontiert sah, dem er die Handhabung der Patientenkurve erklären musste. Sie haben richtig gelesen:
Der Patient erklärte dem Assistenzarzt die Kurve.
Sie finden das schlimm? Dann sollten Sie doch die Chancen sehen, die in solchen Notlösungen stecken: Nachdem unsere Patienten wahrgenommen haben, dass ihr Wohl und Wehe von simplen Sprachbarrieren abhängt, werden sie sich umfangreiche Sprachkenntnisse aneignen. Doch wer soll diese ver- mitteln? Ganz einfach: Im Kielwasser der Doctores werden gut ausgebildete Sprachlehrer aus diesen Ländern unseren lieben Mitbürgern Herzschmerzen und Muskelzucken auf Polnisch, Tschechisch oder Rus- sisch beibringen. Und so wie die Tat dem Gedanken folgt, so folgt das Reisen der Sprachkenntnis: Unsere lie- ben Mitbürger werden in Scharen diese Länder berei- sen, die kulturellen Kleinode entdecken, Freundschaf- ten schließen.Althergebrachte Vorurteile werden aufge- weicht, alte Mauern in den Köpfen eingerissen. Es wächst ein wirklich großes, vereintes Europa zusammen.
Sehen Sie, so heilsam kann Ärztemangel sein.
Dr. med. Thomas Böhmeke