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Archiv "Versorgungsstrukturgesetz: Gegen den Ärztemangel" (18.08.2014)

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A 1394 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 33–34

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18. August 2014

D

r. med. Joachim Kluge ist ein vielbeschäftigter Arzt. Ge- meinsam mit seinem Sohn Stefan und seiner Kollegin Dr. med. Gisela Fröbe arbeitet er in einer Gemein- schaftspraxis im sachsen-anhaltini- schen Jessen, einem Ort mit 14 000 Einwohnern im Landkreis Witten- berg. Jessen ist die zehntgrößte Ge- meinde Deutschlands, das Einzugs- gebiet weitläufig, zusammen ma- chen die drei Hausärzte weit über 3 000 Scheine im Quartal.

Im Landkreis Wittenberg ist die Hausarztdichte nicht sehr hoch.

Deshalb schiebt Joachim Kluge den Beginn seines Ruhestands Jahr um Jahr nach hinten. Eigentlich wollte er vor vier Jahren in Rente gehen.

Bei der Praxisbörse der Kassenärzt- lichen Vereinigung (KV) Sachsen- Anhalt hat er die Praxis vorgestellt, über Vermittlungsstellen einen Nachfolger gesucht. Ohne Erfolg.

Heute ist Kluge 74 Jahre alt. Er weiß: Wenn er aufhört, wird er eine Lücke hinterlassen, die nur schwer zu füllen sein wird. Und seine Kol-

legin Gisela Fröbe hat das Renten- alter mit 66 Jahren ebenfalls bereits erreicht. Er möchte seine Patienten gut versorgt wissen, wenn er in den Ruhestand geht. Aber „irgendwann werde auch ich aufhören – auch, wenn wir die Stelle nicht nachbe- setzen können“, sagt er.

Kommunen sind aktiver Trotz Warnungen der Ärzteschaft hat die Politik den drohenden Ärz- temangel jahrelang ignoriert. Mit dem GKV-Versorgungsstrukturge- setz (VStG) unternahm die schwarz-gelbe Koalition im Jahr 2011 dann den Versuch, der Unter- versorgung entgegenzuwirken. Mit Honorarzuschlägen, dem Wegfall von Abstaffelungen oder einem neuen Anreiz für KVen, Eigenein- richtungen zu gründen, sollten ins- besondere Hausärzte aufs Land ge- lockt werden. Zweieinhalb Jahre ist das VStG nun in Kraft. Hat sich die Lage verbessert?

„Ja“, findet Dr. med. Max Ka- plan, Präsident der Bayerischen

Landesärztekammer und im Vor- stand der Bundesärztekammer mit zuständig für die ambulante Versor- gung. „Wichtig war zum Beispiel die Abschaffung der Residenz- pflicht und die Stärkung von Ko- operationsmöglichkeiten.“ Dies sei dem Wunsch vieler junger Ärzte entgegengekommen, auch im am- bulanten Bereich angestellt oder in Teilzeit arbeiten zu können. „Au- ßerdem hat das Gesetz das Pro- blembewusstsein der Kommunen gestärkt“, sagt Kaplan. Diese stell- ten zunehmend Immobilien zur Verfügung und versuchten, Kinder- tagesstätten einzurichten oder den öffentlichen Nahverkehr zu verbes- sern, damit die Patienten leichter die Praxen aufsuchen können.

„Das VStG hat viele Grundlagen gelegt, um die hohe Qualität der ambulanten Versorgung zu erhalten und weiterzuentwickeln“, sagt auch der Vorstandsvorsitzende der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med. Andreas Gassen.

Ein Beispiel sei die Neuordnung der Bedarfsplanung, die zu mehr als 2 000 neuen Niederlassungsmög- lichkeiten geführt habe. „Durch eine bessere Planung allein kommen je- doch nicht automatisch mehr Ärzte In Jessen arbeiten sechs Hausärzte – in der Gemeinschaftspraxis von Dr. Kluge haben zwei dieser Ärzte das Rentenalter erreicht.

VERSORGUNGSSTRUKTURGESETZ

Gegen den Ärztemangel

Vor zweieinhalb Jahren trat das Versorgungsstrukturgesetz in Kraft.

Ziel der Politik war es unter anderem, mehr Ärzte für eine Arbeit auf dem Land zu gewinnen. Was ist seither geschehen? Eine Bilanz

Foto: Panaoramo

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18. August 2014 A 1395 in die unterversorgten Regionen“,

betont Gassen. „Den Ärztemangel zu bekämpfen ist eine gesamtgesell- schaftliche Aufgabe, der sich die KBV unter anderem mit ihrer Imagekampagne stellt, mit der sie Medizinstudierende für die Nieder- lassung gewinnen will.“ Man dürfe aber nicht erwarten, dass sich die Si- tuation in wenigen Jahren grundle- gend verbessern werde. Entschei- dend sei, dass es auch ein klares Be- kenntnis zur Niederlassung gebe.

Dies müsse auch die langfristige wirtschaftliche Tragfähigkeit der Praxen betreffen. „Eine Benachteili- gung der möglichen Einkommenssi- tuation gegenüber dem Kranken- haus ist hier kontraproduktiv“, warnt Gassen.

Stabilisierende Maßnahmen Die KV Sachsen-Anhalt versucht nicht erst seit 2011, die richtigen Anreize für eine Niederlassung in ländlichen Regionen zu setzen. Seit 1994 werden hier zum Beispiel die Weiterbildung in der Allgemeinme- dizin sowie ambulante Famulatur- zeiten gefördert, seit 1996 gibt es Mindestumsatzgarantien für Sicher- stellungspraxen, seit 2006 Sicher- stellungszuschläge. 2010 wurde zu- dem ein Stipendienprogramm ge- meinsam mit dem Land und der AOK Sachsen-Anhalt für Studen- ten ins Leben gerufen, die sich dazu verpflichten, nach ihrer Weiterbil- dung in Sachsen-Anhalt zu arbei- ten. Seither wurden 46 Stipendien vergeben (zu einem ähnlichen Pro- jekt in Thüringen siehe Artikel

„Erste niedergelassene Stipendia- ten“ in diesem Heft).

Das VStG hat den KVen die Möglichkeit eröffnet, einen Struk- turfonds einzurichten, in den jähr- lich 0,1 Prozent der morbiditätsbe- dingten Gesamtvergütungen fließen – hinzu kommt derselbe Betrag von den Kassen. Seitdem bezahlt die KV Sachsen-Anhalt aus diesem Fonds unter anderem ihr Stipen- dienprogramm sowie zwei Vollzeit- stellen pro Jahr für die Weiterbil- dung zum Augen- und Hautarzt.

„Durch die Sicherstellungszuschlä- ge und Mindestumsatzgarantien konnten wir seit 2003 die Nieder- lassung von 92 Haus- und Fachärz-

ten in drohend unterversorgten be- ziehungsweise unterversorgten Pla- nungsbereichen unterstützen“, er- klärt der Vorstandsvorsitzende der KV, Dr. med. Burkhard John. Für die Stipendienprogramme ließen sich derzeit noch keine konkreten Aussagen treffen. Durch alle getrof- fenen Maßnahmen habe die Anzahl der Hausärzte im Land seit 2011 in jedem Fall stabilisiert werden kön- nen. Entwarnung gibt es in Sach- sen-Anhalt dennoch nicht. Denn im Land sind 165,5 Hausarztstellen nicht besetzt. Laut einer Prognose des Zentralinstituts für die kassen- ärztliche Versorgung (ZI) werden es im Jahr 2025 etwa 825 Stellen sein.

In Niedersachsen sieht die Situa- tion nicht besser aus. Hier sind 357 Hausarztsitze frei. Die Tendenz ist jedoch erfreulich. Denn: „Im vergan- genen Jahr waren es noch 391“, er- zählt der Vorstandsvorsitzende der KV Niedersachsen, Mark Barjen-

bruch. Auch in Niedersachen hat die KV viel unternommen, um dem Ärz- temangel entgegenzuwirken: von Patenschaften zwischen Arztpraxen und Medizinstudenten über eine fi- nanzielle Förderung der Studieren- den, die ihr praktisches Jahr in einer Hausarztpraxis absolvieren, bis zu einer Förderung für Praxisgründun- gen mit bis zu 50 000 Euro.

Zudem hat die KV in dem ems- ländischen 7 000-Einwohner-Ort Sögel eine Eigeneinrichtung ge- gründet, nachdem mit dem VStG klargestellt wurde, dass die in Ei-

geneinrichtungen erbrachten Leis- tungen aus der Gesamtvergütung bezahlt werden und nicht aus den Verwaltungskosten der KVen. In Sögel arbeitet seit einigen Tagen Dr.

med. Niels-Christian Höllger (45).

Was hat ihn dazu bewogen, sich von der KV anstellen zu lassen? „In der klassischen Hausarztvariante geht viel Zeit für Praxis-Administration und Personalmanagement verloren – Zeit, die für den Patienten fehlt.

Hier in Sögel kann ich mich jetzt ganz der eigentlichen Arzt-Tätigkeit widmen“, sagt er. Höllger hat eine klare Vorstellung davon, welche An- reize sinnvoll sind – und welche nicht: „Sinnvoll wäre die Abschaf- fung der Budgets und der Regresse im Heilmittel- und Arzneimittelbe- reich.“ Denn gerade in ländlichen Regionen trage der Allgemeinmedi- ziner bei niedriger Facharztdichte ein höheres Regressrisiko. Für we- niger sinnvoll hält er ein verpflich- tendes praktisches Jahr in der Allge- meinmedizin. Auch „Verlockungen wie vergünstigtes Bauland oder kos- tenlose Friseurbesuche“, hält er für keine nachhaltigen Anreize.

Nachhaltige Anreize sind die Schlüsselworte. Solche zu setzen, versuchen die KVen seit vielen Jah- ren; weitere sind durch das VStG hinzugekommen. Dass sie bislang nicht ausreichen, weiß auch die Poli- tik. So hat Bundesgesundheitsminis- ter Hermann Gröhe (CDU) ange- kündigt, im Herbst ein zweites Ver- sorgungsstrukturgesetz auf den Weg zu bringen. Bis alte und neue Anrei- ze greifen, hängt die Versorgung in Deutschland vielerorts an Ärzten wie Joachim Kluge, die ihren Ruhe- stand hinausschieben, um weiterhin für ihre Patienten da zu sein. Inso- fern erweist sich eine Maßnahme aus dem Jahr 2006 heute mehr denn je als wirksam – eine Maßnahme al- lerdings, die die Verantwortung auf die Ärzteschaft abwälzt: Seit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz gibt es in unterversorgten Gebieten keine Altersgrenzen mehr. Nicht nur im sachsen-anhaltinischen Jessen kann auf diese Weise noch die Ver- sorgung aufrechterhalten werden.

Ende 2013 war etwa jeder zehnte Hausarzt 66 Jahre oder älter.

Falk Osterloh Als angestellter

Arzt erhofft sich Höllger mehr Zeit für seine Patienten.

Sinnvoll wäre die Abschaffung der Budgets und Regresse im Heil -

mittel- und Arzneimittelbereich.

Niels-Christian Höllger, Hausarzt

Foto: pirvat

P O L I T I K

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