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Archiv "Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Außerhalb der wissenschaftlichen Medizin stehende Methoden der Arzneitherapie" (03.04.1998)

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er folgende Beitrag ist das Er- gebnis einer Diskussion im Rahmen der letzten Plenarsit- zung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, einem Fach- ausschuß der Bundesärztekammer, im Dezember 1997. Er gibt in einer Zeit, die durch Qualitätssicherung, beleg- gestützte Medizin und knappe finan- zielle Ressourcen gekennzeichnet ist, die Meinung der Arzneimittelkom- mission zu sogenannten alternativen arzneitherapeutischen Methoden wie- der.

Situation

In einer Zeit, in der im Gesund- heitswesen Fragen der Qualitätssi- cherung und Finanzierbarkeit zuneh- mend an Bedeutung gewinnen, ist ei- ne rationale, das heißt wissenschaft- lich fundierte Nutzung der zur Verfü- gung stehenden Mittel zu fordern.

Dies ist bereits seit langem im Sozial- gesetzbuch V (§ 70 Abs. 1) formu- liert: „Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben eine be- darfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der Erkenntnisse entsprechende Versor- gung der Versicherten zu gewährlei- sten. Die Versorgung der Versicher- ten muß ausreichend und zweck- mäßig sein, darf das Maß des Not- wendigen nicht überschreiten und muß wirtschaftlich erbracht werden.“

Die moderne Medizin wird im Rah- men der Qualitätssicherung das ge- samte Spektrum diagnostischer und therapeutischer Methoden an diesen Kriterien messen müssen, um Über- flüssiges und Veraltetes zu vermei-

den. Hierbei kann die beleggestützte Medizin („Evidence Based Medi- cine“) einen wertvollen Beitrag lei- sten.

Im Widerspruch hierzu stehen Bemühungen verschiedener Interes- sengruppen, nicht auf wissenschaftli- chen Erkenntnissen beruhende Be- handlungsverfahren in der Öffentlich- keit einzuführen und gesetzlich zu verankern. Unterstützt wird diese Entwicklung durch

1 Krankenkassen, die, um die Gunst ihrer Klienten ringend, die Ko- sten für derartige Methoden zu La- sten der wissenschaftlich begründeten Therapie erstatten, Regelungen, die von einigen Kassenärztlichen Vereini- gungen geduldet werden (1),

1Ärzte, die sich dieser Verfah- ren annehmen und dabei den Boden ihrer wissenschaftlich geprägten Aus- bildung unbewußt oder bewußt ver- lassen,

1 Politiker, die aus Furcht vor dem Verlust von Wählerstimmen die- se Behandlungsverfahren fördern und für hoffähig erklären (Sonder- stellung der „besonderen“ Therapie- richtungen im Arzneimittelgesetz, sog. Binnenanerkennung, Sozialge- setzbuch V, § 135 Abs. 1), aus man- gelnder Sachkenntnis diesen Metho- den vertrauen oder aus Kostenüber- legungen auf geringere Ausgaben hoffen (2), und das

1 Marketing der entsprechen- den pharmazeutischen Unternehmer,

die ein direktes ökonomisches Inter- esse am Umsatz „alternativer“ Thera- peutika haben.

Die Arzneimittelkommission ist sich bewußt, daß „alternative“ thera- peutische Verfahren zahlreiche An- hänger in der Bevölkerung haben.

Dies zeigen auch Umfragen, die aber eher den von vielfältigen Interessen beeinflußten Zeitgeist erkennen las- sen als die medizinische Bedeutung dieser Verfahren beweisen. Die zu- nehmende Akzeptanz „alternativer“

Heilmethoden in der Bevölkerung gleichzusetzen mit einer neu erwor- benen Mündigkeit (3) würde bedeu- ten, die Popularität zur Bemessungs- grundlage der Mündigkeit zu ma- chen.

„Öffentliche Diskussion ist ein wichtiges Element gelingenden Le- bens, aber sie ist weder die Quelle sitt- licher Verpflichtung, noch ist Konsens ein Wahrheitsbeweis. (. . .) Auch wenn wir uns leichtfertig über das Falsche verständigen, dann bleibt es doch das Falsche.“ (4)

Die Reflexion über Bedürfnisse am Markt, über die Gründe der Zu- wendung zur „anderen“ Medizin oder über das wahre Spektrum der Wün- sche eines Kranken kommt oft zu kurz. Die Arzneimittelkommission, ein unabhängiges Gremium der ver- faßten Ärzteschaft und daher der Ver- mittlung einer objektiv bestmöglichen Pharmakotherapie zum Wohle der Patienten verpflichtet, sieht im Grundsätzlichen Handlungsbedarf und Anlaß zur Kritik an Methoden, die sich einer wissenschaftlichen Ana- lyse entziehen, aber gleichwohl dem Kranken als „gleichberechtigt“ entge- gentreten.

A-800 (32) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 14, 3. April 1998

Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft

Außerhalb der

wissenschaftlichen Medizin stehende Methoden der Arzneitherapie

Knut-Olaf Haustein, Dietrich Höffler, Rainer Lasek, Bruno Müller-Oerlinghausen

Für ihre wertvollen Beiträge dankt die Arznei- mittelkommission der deutschen Ärzteschaft den Kollegen Dr. med. J. Bausch, Prof. Dr.

med. H. Friebel, Prof. Dr. med. E. Haber- mann, Prof. Dr. med. W. Rummel.

D

(2)

Mahnungen

Die Politik mißachtet Mahnun- gen aus Wissenschaft und verfaßter Ärzteschaft.

In der Vergangenheit hat es nicht an sachlich begründeten kritischen Stellungnahmen zu den sogenannten alternativen Therapierichtungen ge- fehlt, wie zum Beispiel die „Marbur- ger Erklärung“ von 16 Professoren als auch von wissenschaftlichen Gesell- schaften, so

1 der Deutschen Gesellschaft für Pharmakologie und Toxikologie,

1der Kommission für klinische Pharmakologie der Deutschen Ge- sellschaft für Kinderheilkunde,

1 der Deutschen Krebsgesell- schaft, der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie und der Deutschen Gesellschaft für Päd- iatrische Onkologie und Hämatologie mit einer gemeinsamen Stellung- nahme,

1 der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkun- de,

1 der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), des Dachverbandes aller medizinisch-wis- senschaftlichen Fachgesellschaften

sowie von Gremien der verfaßten Ärzteschaft wie

1des Deutschen Ärztetages und 1des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer (5–20).

In seinem Entschließungsantrag zu diesem Punkt formulierte der 100.

Deutsche Ärztetag 1997 in Eisenach:

„Diese Verfahren (gemeint sind die besonderen Therapierichtungen) hal- ten einer Prüfung auf Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit nicht stand und sprengen somit die Grenzen des oh- nehin bis an den Rand der Leistungs- fähigkeit strapazierten Sozialversi- cherungssystems. . . . Die Finanzie- rung dieser Wünsche kann jedoch nicht zu Lasten der gesetzlichen Kran- kenversicherung gehen, wenn man nicht die Grundlagen einer wissen- schaftlich orientierten Medizin in Fra- ge stellen will“ (15). Mit großer Mehr- heit verwarf das Europäische Parla- ment die im sogenannten Lannoye- Bericht (21) geforderte Finanzierung alternativer Therapiemethoden durch die Sozialsysteme (22). Deutsche Poli-

tiker hingegen mißachteten den Sach- verstand der oben genannten Gremi- en und der gesamten medizinischen Wissenschaft, indem sie der „Bin- nenanerkennung“ sogenannter alter- nativer Therapierichtungen zustimm- ten.

Besonders in Zeiten der knap- pen Kassen und drohender Rationie- rung ist auch zu überdenken, ob Mit- tel, die in die Erforschung alternati- ver Therapierichtungen investiert werden*, nicht bei Verwendung zur Erforschung ernsthafter und kosten- trächtiger Erkrankungen, wie zum Beispiel von Krebs- und Herz-Kreis- lauf-Erkrankungen, der Demenz, von immunologisch oder infektiös bedingten Erkrankungen, effektiver angelegt wären und einem humane- ren Ziel dienen würden als die nach Maßstäben der wissenschaftlichen Medizin fragwürdige Suche nach ei- nem wissenschaftlichen Beleg für die Wirksamkeit paramedizinischer Me- thoden.

Die in Deutschland existierende Integration alternativer Therapiever- fahren in Aus- und Weiterbildung (zum Beispiel Zusatzbezeichnung

„Homöopathie“) ist nur historisch und berufspolitisch zu erklären, nicht aber wissenschaftlich zu begründen.

Freilich spiegeln sich darin unleugbar auch bestehende Defizite in der Ver- mittlung und praktischen Ausübung der wissenschaftlichen Medizin.

Beispiel Homöopathie

Die Homöopathie ist die heute am meisten verbreitete Behandlungs- richtung außerhalb der wissenschaftli- chen Medizin. Auch wenn in ihre Konzepte und Erklärungen Aspekte moderner physikalischer Theorien, wie zum Beispiel der Quantentheorie, aufgenommen wurden, basiert sie auch heute noch auf den Vorstellun- gen des ausgehenden 18. Jahrhun- derts: auf dem Vitalismus (Krankheit und Heilung sind immaterielle Pro- zesse) und einer mit modernen biolo-

gischen Konzepten schwer kompa- tiblen Definition des Krankheitsbe- griffs (Krankheiten sind Regulations- störungen, wobei nicht zwischen Sym- ptomen und Krankheit unterschieden wird). Nachprüfungen an Gesunden ergaben, daß homöopathische „Arz- neimittel“ die ihnen früher zuge- schriebenen Symptome beziehungs- weise Wirkungen („Arzneimittelbil- der“) häufig gar nicht zeigen (23). Der mehrfach und kürzlich nochmals wie- derholte Schlüsselversuch von Hah- nemann mit Chinarinde war nicht zu reproduzieren (24).

Das derzeitige Aufleben der Homöopathie im Umfeld anderer

„naturgerechter“ Behandlungsver- fahren ist nicht ohne Beispiel in der Geschichte. In der Zeit des National- sozialismus wurde die „Alternativme- dizin“ intensiv gefördert. In Berlin wurde ein Lehrauftrag für Homöopa- thie vergeben, in Stuttgart ein homöo- pathisches Krankenhaus, in Leipzig eine homöopathische Poliklinik ge- gründet (25–27). Das Rudolf-Heß- Krankenhaus in Dresden erhielt die Aufgabe, „Schul-“ und Außenseiter- medizin zu integrieren (26). Dort wur- de unter anderem versucht, die Syphi- lis mit Saftfasten zu kurieren (28). Es sollte eine „Neue Deutsche Heilkun- de“ etabliert werden (26, 27, 29). Die vom Reichsgesundheitsamt verordne- te Testung zahlreicher homöopathi- scher Verdünnungen verlief nieder- schmetternd, so daß die Homöopa- then seinerzeit gegen die Fortführung der Untersuchungen beim Reichsge- sundheitsführer intervenierten. Die Ergebnisse wurden bis heute nicht veröffentlicht (23, 26). Die homöopa- thische „Forschung“ stagnierte nach 1945 über 40 Jahre.

Sie bedient sich nunmehr bei der Deutung des Wirkungsmechanismus von bis zur Wirkstofffreiheit verdünn- ten homöopathischen Lösungen an- dernorts nicht reproduzierbarer Ver- suchsanordnungen (30) oder physika- lischer Thesen von der „Einführung des Wassergedächtnisses“ (30) bis hin zur Bemühung quantenphysikalischer Erklärungen (31–34). Alle derartigen Untersuchungen zum Wirkungsme- chanismus sind hier, wie auch in der wissenschaftlichen Medizin, nicht ge- eignet, die therapeutische Wirksam-

keit zu belegen. !

A-801 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 14, 3. April 1998 (33)

T H E M E N D E R Z E I T

ARZNEIMITTELKOMMISSION DER DEUTSCHEN ÄRZTESCHAFT

* Im Haushaltsplan der EU zum Beispiel wa- ren für 1994 eine Million Ecu, für 1995 drei Millionen Ecu zur Erforschung der Homöopa- thie, für 1996 eine Million Ecu zur Erforschung anderer nichtkonventioneller Therapieverfah- ren enthalten (21).

(3)

Wirksamkeit

Die in allen hochindustrialisier- ten Ländern erfolgreich praktizierte Arzneimitteltherapie als eines der tragenden Therapieangebote in der Medizin basiert auf der wissen- schaftlichen Erkenntnis von Gesetz- mäßigkeiten (Arzneimittel-Rezep- tor-Wechselwirkungen, Dosis-Wir- kungs-Beziehungen, Nachweis der Beeinflussung biochemischer bis hin zu psycho-physiologischen Regulati- onsstörungen) und der Prüfung ihrer Wirksamkeit anhand international akzeptierter klinisch-pharmakologi- scher und biometrischer Methoden.

Der „Goldstandard“ zur Über- prüfung der therapeutischen Wirk- samkeit von Arzneimitteln ist der kontrollierte klinische Versuch mit einer ausreichenden Patientenzahl (35). Die nicht wissenschaftlich fun- dierten Therapierichtungen machen in der Regel Besonderheiten geltend, um sich der wissenschaftlichen Prü- fung ihrer Hypothesen zu entziehen.

Dies gilt für die im Arzneimittelge- setz explizit erwähnten Formen wie

„Homöopathie“, anthroposophisch begründete Heilverfahren und für die Therapie mit sogenannten tradi- tionellen Phytopharmaka ebenso wie für die Vielzahl heterogener Metho- den von Ayurveda bis zur Bach-Blü- ten-Therapie. Alle diese Verfahren haben einen gemeinsamen Nenner:

Trotz jahrzehnte- bis jahrhunderte- langer Anwendung derartiger Me- thoden liegen bislang für diese keine den modernen arzneitherapeuti- schen Heilmethoden vergleichbaren Wirksamkeitsnachweise vor. Seltene Ausnahmen, zum Beispiel im Rah- men der Phytotherapie, sollten An- regung zur Herstellung chemisch de- finierbarer Präparate sein und sind nicht als Beleg für diese Therapie- richtung zu werten.

Der viel zitierte Satz „Wer heilt, hat recht“ ist spätestens seit der 1932 erschienenen „Methodenlehre der therapeutischen Untersuchungen“

von Paul Martini (36) um die Beweis- pflicht für die Wirksamkeit nach wis- senschaftlichen Prinzipien zu ergän- zen. Erst mit dem Instrumentarium der wissenschaftlichen Medizin ist ei- ne in ihrer Wirksamkeit gesicherte Behandlung ernsthafter Erkrankun-

gen, wie der arteriellen Hypertonie (zum Beispiel mit Betarezeptoren- blockern, Diuretika oder ACE- Hemmern), von Stoffwechselerkran- kungen wie dem Diabetes mellitus (mit Insulin) oder von Infektions- krankheiten (mit Antibiotika), mög- lich geworden. Ihren therapeuti- schen Wert haben große Studien belegt, was für Homöopathika nicht zutrifft (37).

Die Arzneimittelkommission stellt sich nicht gegen den berechtig- ten Anspruch, daß Begrifflichkeit und Qualität von Gesund- oder Kranksein in einem umfassenden Sinne immer wieder neu definiert werden müssen, und sie verschließt sich nicht gegen- über neuen theoretischen Zugängen, die den Menschen als biopsychosozia- les Wesen begreifen. Jedoch kann dies nicht bedeuten, den Boden klinisch- pharmakologischer Bewertungskrite- rien für die Wirksamkeit von Behand- lungsmethoden zu verlassen, wenn es um deren Stellenwert innerhalb der Solidargemeinschaft der Versicherten geht.

Prinzipiell müssen auch „alter- native“ Therapieverfahren als mit moderner biometrischer Methodik überprüfbar angesehen werden (38), wie zum Beispiel die für Aurum D8 beziehungsweise Aconitum D8 re- klamierte Senkung des Blutdruckes (39). In einer Entschließung des Eu- ropäischen Parlaments zur nichtkon- ventionellen Medizin wird im Gegen- satz zu dem Kriterienkatalog der Aufbereitungskommissionen E und C des ehemaligen BGA (40) eine

„Beurteilung mit Hilfe der in jeder Humantherapie üblichen Methoden“

gefordert, „das heißt der Methoden, die sich auf die jeweils aktuellen wis- senschaftlichen Erkenntnisse, insbe- sondere der Biologie und Statistik, gründen“ (41). Daß dies in praxi möglich ist, belegt zum Beispiel eine sauber geplante und durchgeführte plazebokontrollierte, doppelblinde Studie zur Behandlung chronischer Kopfschmerzen in einer homöopa- thischen Praxisgemeinschaft in Mün- chen, bei der die Randomisierung unter Einbeziehung eines Notars er- folgte. Das Ergebnis wurde 1997 in der in Oslo erscheinenden Zeitschrift

„Cephalalgia“ publiziert und zeigt keinen Unterschied zwischen der

homöopathischen Behandlung und der Plazebomedikation (42).

Unkontrollierte Untersuchun- gen, wie zum Teil von Krankenkassen initiiert und gefördert (43), sind zum Nachweis der Wirksamkeit nicht ge- eignet.

Neuere Metaanalysen oder Re- views (44–46) zur Wirksamkeit der homöopathischen Therapie geben Auskunft über die mangelnde Qua- lität der zugrundeliegenden Studien oder erregen Verdacht auf nicht publi- zierte Studien mit negativem Ergeb- nis (Publikationsbias). Sie sind aber keinesfalls geeignet, einen Beleg für die Wirksamkeit der Homöopathie zu liefern. Gegen die Aussagefähigkeit dieser Metaanalysen spricht auch, daß zur Auswertung die verschiedensten Anwendungsgebiete unter Verzicht auf einen gemeinsamen Wirksam- keitsparameter zusammengefaßt wer- den. Daher fehlen in diesen Studien Erkrankungen, die anhand einer ex- akt reproduzierbaren Größe (zum Beispiel Blutdruck, Blutzucker, Ent- zündungsparameter) zu kontrollieren sind. Die verglichenen Ergebnisse stammen zum Teil von der gleichen Arbeitsgruppe. Da über 140 Jahre Existenz von und Erfahrungen mit Homöopathie einschließlich der Aus- wertung ihrer Ergebnisse mit moder- nen Metaanalysen nicht in der Lage waren, ihre Wirksamkeit wahrschein- lich zu machen, erregt es sogar kriti- sche publizistische Aufmerksamkeit, und es ist bedenklich, wenn dennoch immer weitere kostenträchtige Studi- en gefordert werden anstatt Konse- quenzen aus dem bisherigen Wissens- stand zu ziehen (47, 48).

Komplementäre Therapie?

Einige Vertreter der Homöopa- thie oder anderer „besonderer“ The- rapierichtungen argumentieren, ihre Arzneimittel seien nur komplementär zur Unterstützung der Behandlung gedacht. Es erscheint nicht sehr über- zeugend, einerseits bei ernsthaften Erkrankungen wie Tumorleiden und Infektionskrankheiten die Errungen- schaften der modernen Medizin in Anspruch zu nehmen, andererseits aber deren Bedeutung zu relativieren.

Da den wissenschaftlich begründeten A-802 (34) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 14, 3. April 1998

(4)

und den allein von persönlichen Überzeugungen getragenen Behand- lungsverfahren Paradigmen zugrunde liegen, die sich gegenseitig aus- schließen, erscheint eine „ökumeni- sche Gemeinschaft“ beider undenk- bar und alles Beschwören von „Ge- meinsamkeit“, „Ergänzung“, „Kom- plementarität“ oder „Erweiterung“, wie zum Beispiel im Lannoye-Bericht (21), zwar politisch opportun, aber wissenschaftstheoretisch unhaltbar (49). Dies ist eigentlich auch eine ori- ginär von der Homöopathie vertrete- ne Auffassung: „Es gibt nur zwei Haupt-Curarten: . . . die . . . homöo- pathische, und . . . die . . . allöopathi- sche. . . . nur wer beide nicht kennt, kann sich dem Wahne hingeben, daß sie sich je einander nähern könnten oder wohl gar sich vereinigen ließen, kann sich gar so lächerlich machen, nach Gefallen der Kranken, bald homöopathisch, bald allöopathisch in seinen Curen zu verfahren; dieß ist verbrecherischer Verrath an der gött- lichen Homöopathie zu nennen!“ (50) Wissenschaftliche Medizin und Paramedizin sind in ihren Konzepten unvereinbar. Dieser Aussage steht die Toleranz eines aufgeklärten Bürgers zum Beispiel verschiedenen Glau- bensrichtungen gegenüber nicht ent- gegen. Die seitens der Politik einge- räumte Sonderstellung der besonde- ren Therapierichtungen entbehrt nicht nur jeder wissenschaftlichen Grundlage, sondern bedeutet außer- dem, daß Wirksamkeit mit zweierlei Maß gemessen wird. Sie transferiert Konzepte des individuell oder staat- lich praktizierten Wertepluralismus fälschlicherweise in die Bewertung der von wissenschaftlichen Gesetz- mäßigkeiten bestimmten modernen Arzneitherapie.

Recht auf wirksame Therapie

Therapiefreiheit bedeutet nicht Therapiebeliebigkeit. Jeder Patient hat Anspruch darauf, mit nachweis- lich wirksamen Arzneimitteln behan- delt zu werden, wie umgekehrt der Arzt die Pflicht hat, auch die Richtig- keit seines Tuns unter Beweis zu stel- len (51). „Anhänger von medizini- schen Außenseitermethoden und

Neulandbehandlungen müssen dar- über hinaus die konkurrierenden Ver- fahren der Schulmedizin sowie die wissenschaftlichen Grundlagen der eigenen Heilmethode kennen. Die Sachkunde über die Schulmedizin muß sogar so weit gehen, daß der Arzt genau zu wissen hat, wie die Schulme- dizin den Kranken im konkreten Ein- zelfall behandeln würde. Der Patient, der sich der Behandlung eines medizi- nischen Außenseiters anvertraut, muß alle Umstände seines Falles ken- nen.“ (52) . . . „Je angefochtener oder umstrittener eine gewählte medizini- sche Methode, je stärker der Arzt von eingeführten oder als anerkannt gel- tenden Heilverfahren abweichen möchte, das heißt von dem, was der Patient erwarten darf, und je tiefer der Arzt in Neuland vorstoßen will, desto weiter reichen die Informati- onspflichten. Es besteht eine Wech- selwirkung zwischen Therapiewahl und Aufklärungspflicht.“ (53)

So erscheint der Einsatz von un- ter Umständen äußerst kostspieligen Verfahren mit unbewiesener Wirk- samkeit anstelle gesicherter therapeu- tischer Methoden im Rahmen der Krebstherapie prinzipiell unethisch.

Der bewußte Einsatz sogenannter al- ternativer Arzneimittel als Plazebo oder Pseudoplazebo in Einzelfällen ist nicht mit der Ausübung der ent- sprechenden „alternativen“ Thera- pierichtung gleichzusetzen. Hier hat der verordnende Arzt, gerade bei der Behandlung von Befindlichkeits- störungen, Raum für eine der indivi- duellen klinischen Situation angemes- sene Entscheidung, die aber wie jegli- che arzneitherapeutische Entschei- dung zu begründen ist. Gerade bei der Behandlung von Befindlichkeits- störungen mag es hinsichtlich des feh- lenden Wirksamkeitsbelegs auch Berührungsflächen zwischen „schul- medizinischen“ und „alternativen“

Therapiemethoden geben. In derarti- gen Situationen muß der Arzt aber wissen, daß er sich auf wissenschaft- lich ungesichertes Gelände begibt, und auch den Patienten darüber auf- klären; er darf keine erforderlichen Therapien unterlassen, und er darf weder den Patienten noch das Sozial- system ungebührlich belasten.

Die Arzneimittelkommission verkennt nicht, daß eine Vielzahl rea-

ler oder vermeintlicher Gründe den Patienten zum „alternativen“ Thera- peuten führt, wie zum Beispiel Situa- tionen krankheitsbedingter existenti- eller Not, das jedem Menschen inne- wohnende Maß an Irrationalität, aber auch Defizite in der ärztlichen und mitmenschlichen Zuwendung, die mangelnde Beachtung von Befin- densstörungen, die scheinbare, uner- läuterte Dominanz technischer Un- tersuchungen oder „chemischer The- rapien“, die Suche nach weiteren the- rapeutischen Möglichkeiten, der Wunsch nach aktiver Teilnahme am Heilungsprozeß oder einfach nach ei- ner zusätzlichen Meinung. Diese An- lässe, sich sogenannten alternativen Therapieverfahren zuzuwenden, kön- nen jedoch eine Kritik am Wesen der wissenschaftlichen Medizin nicht be- gründen. Sie sind aber gegebenenfalls als Kritik an der praktischen Umset- zung der Medizin als „Anwendungs- und Handlungswissenschaft“ ernst zu nehmen und sollten für jeden Arzt Herausforderung und Verpflichtung zugleich sein, derartige Defizite nicht erst entstehen zu lassen, um damit un- ter Respektierung der Wünsche und möglicher Ängste von Patienten eine für sie wirksame und das Überflüssige in Diagnostik und Therapie vermei- dende Therapie zu gewährleisten.

Gegenüberstellungen wie

„menschliche“ versus „wissenschaft- liche“ oder „Apparatemedizin“, „che- mische“ versus „sanfte“ Medizin, wie auch im sogenannten Lannoye- Bericht (21), werden ohne Sach- kenntnis und oft mit dem Versuch der bewußten Diskriminierung der

„Schulmedizin“ vorgenommen. Die wissenschaftliche Medizin ist Grund- lage für eine humane Medizin und – von ärztlichem Ethos bestimmt – immer auch eine Medizin für den ganzen Menschen. Auch die wissen- schaftliche Medizin ist fehlbar. Ihr Erkenntnisstand ist vorläufig und be- darf der ständigen Verbesserung. Die Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft dient dieser Selbst- kontrolle. Sie prüft ständig, ob der Einsatz „schulmedizinischer“ Mittel hinsichtlich Wirksamkeit und Sicher- heit den wissenschaftlichen An- sprüchen gerecht wird, und muß, auch unter Umständen gegen den Wi- derstand von Kommerz und Lobby- A-804 (36) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 14, 3. April 1998

T H E M E N D E R Z E I T

ARZNEIMITTELKOMMISSION DER DEUTSCHEN ÄRZTESCHAFT

(5)

gruppen, stets auf rational begründe- te therapeutische Strategien dringen.

Den besonderen Therapierichtungen fehlt ein vergleichbares Kontrollsy- stem. An diesem Mangel sind sie er- kennbar.

Forderung

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft wendet sich mit dieser Aufforderung an Ärzte, Krankenkassen, Politiker und Patien- ten, die Ergebnisse der wissenschaftli- chen Medizin zu achten, Bemühungen um eine rational fundierte Therapie zu fördern und so Qualität und Be- zahlbarkeit des Gesundheitswesens zu sichern. Eine solidarisch finanzier- te Krankenbehandlung kann sich nur auf das nachweislich Wirksame stüt- zen. Wollen Patienten wegen Befind- lichkeitsstörungen oder aus anderen Beweggründen ergänzend mit alter- nativen Methoden behandelt werden, so ist das zu respektieren. Diese Ko- sten können aber nicht zu Lasten der Solidargemeinschaft gehen, weil diese sich zunehmend außerstande sehen wird, schon die Behandlung akut auf- tretender und schwerwiegender chro- nischer Erkrankungen noch hinrei- chend zu finanzieren (15). Auch Aus- und Weiterbildung müssen sich an den Kriterien einer wissenschaftli- chen Medizin orientieren.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-800–805 [Heft 14]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser

Prof. Dr. med. Knut-Olaf Haustein Prof. Dr. med. Dietrich Höffler Prof. Dr. med. Rainer Lasek Prof. Dr. med.

Bruno Müller-Oerlinghausen Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Aachener Straße 233-237 50931 Köln

A-805 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 14, 3. April 1998 (37)

erkutane endoskopisch kon- trollierte Gastrostomie (PEG) ist die Ernährungssonde, die unter Umgehung aller normalen Nah- rungsaufnahmeorgane den Magen di- rekt durch die Bauchdecke erreicht und die täglich erforderliche Kalori- enmenge inklusive erforderliche Flüs- sigkeit in den Magen bringt. Eine sol- che Magensonde kommt in den letz- ten Jahren immer häufiger bei alten Menschen zur Anwendung.

Aufklärung über den Eingriff

Das Legen der PEG ist tatbe- standsmäßig eine Körperverletzung, die durch Einwilligung des Patienten selbst oder des Betreuers gerechtfer- tigt wird. Die Einwilligung eines Fami- lienangehörigen ist nur dann rechtlich bedeutsam, wenn dieser ausdrücklich zum Betreuer bestellt worden ist. Der Arzt, der eine PEG legen will, muß sich also zunächst vergewissern, ob der Patient selbst einwilligungsfähig ist.

Dabei geht es nicht nur um den Ein- griff selbst, der nach Angaben der Ärzte als Routineeingriff kein erhebli- ches Risiko in sich birgt. Es geht auch um die physischen und psychischen Auswirkungen einer PEG für den Pa- tienten und sein weiteres Leben. Wenn der Patient die nötige Einwilligungs- fähigkeit nicht hat, muß sich der Arzt an den Betreuer oder die Betreuerin wenden und diese über Eingriff und Auswirkungen aufklären, damit die entsprechende rechtswirksame Ein- willigung erteilt werden kann. Steht der Patient nicht unter Betreuung und

ist er auch nicht entscheidungsfähig, so muß beim Amtsgericht ein Antrag auf Betreuung gestellt werden.

Für die rechtlich wirksame Ein- willigung ist die Klärung folgender Fragen notwendig:

① Ist die ärztliche Indikation nachvollziehbar und durch Tatsachen abgesichert?

② Wird die PEG nicht nur vor- übergehend auf wenige Wochen, son- dern auf längere Dauer gelegt?

Wenn beide Fragen zu bejahen sind, handelt es sich um einen ärztli- chen Eingriff, durch den der Betreute einen schweren und längerdauernden gesundheitlichen Schaden im Sinne des § 1904 Bürgerliches Gesetzbuch erleidet. Der Eingriff bedarf dann richterlicher Genehmigung. Arzt und Betreuer sollten das Vormundschafts- gericht zur Absicherung der eigenen Entscheidung einbeziehen.

Ein Beispiel: Eine 76jährige Frau, bislang in einer Altenwohnung allein lebend, gern essend, „gut da- bei“, teilnehmend am Leben im Se- niorenclub, wird um 15 Uhr ohne Be- wußtsein gefunden, in die Klinik ge- bracht und akut intensiv behandelt. In der ersten Woche wird die an einem Schlaganfall leidende Frau maschinell beatmet und durch Infusion ernährt.

Die Spontanatmung kommt wieder, die Ernährung erfolgt durch eine Na- sensonde. Das Krankenhaus stellt beim Amtsgericht einen Antrag auf Betreuung und weist darauf hin, daß Eile geboten ist, um der Betreuten ei- ne PEG zu legen. Als Begründung wird angegeben, daß die Patientin die Ernährungssonde schon einmal her-

ausgezogen habe. !

Ernährung durch eine Magensonde (PEG)

Eine Entscheidung mit

rechtlichen Konsequenzen

Der folgende Beitrag behandelt die mit

der perkutanen endoskopisch kontrollierten Gastrostomie zusammenhängenden Rechtsfragen.

Alix Hubert-Fehler und Angela Hollmann

P

(6)

Der Richter entnimmt dem ärzt- lichen Kurzattest, es sei wegen einer Schluckstörung als Folge des Schlag- anfalls Gefahr in Verzug und die Pati- entin selbst könne sich nicht äußern.

Der Richter kommt zum Ergebnis, daß kein Notfall, aber Eile geboten ist und bestellt einen vorläufigen Betreu- er für den Wirkungskreis Gesund- heitsfürsorge. Der behandelnde Arzt ist daher verpflichtet, den Betreuer soweit aufzuklären, daß dieser eine rechtswirksame Entscheidung treffen kann.

Wenn der Arzt eine PEG für not- wendig hält, gibt es zwei mögliche Re- aktionen des Betreuers:

1 Die Unterschrift, die der Arzt erbittet, wird sofort gegeben. Diese Reaktion erfolgt häufig bei Familien- angehörigen, aber auch bei Betreu- ern, die sich im medizinischen Bereich unsicher fühlen.

1 Die zweite mögliche Reaktion eines Betreuers kann zunächst menschliche Irritation sein: „Künst- lich ernährt, ab jetzt an Apparate an- geschlossen?“ Darauf erhält er viel-

leicht die „beruhigende“ Antwort, die PEG schließe ja nicht aus, daß der Be- treute zusätzlich oder später selbstän- dig normal essen könne. Nur mit der PEG könne aber derzeit die volle Ernährung, insbesondere die notwen- dige Flüssigkeitszufuhr, aufrechter- halten werden.

Der Betreuer kann nicht von dem Idealfall ausgehen, daß der Arzt alle medizinischen und sozialen Fakten in Erwägung gezogen hat, bevor er sich zum Vorschlag einer PEG entschloß.

Der Betreuer, der die Einwilligung

A-806 (38) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 14, 3. April 1998

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Tabelle

Klinik schlägt PEG vor

Fragen, die vor Einwilligung vom Betreuer zu erfragen und vom Mediziner zu beantworten sind

Kann der Patient schlucken?

nein ja

das ergibt sich aus der Tatsachendokumentation das ergibt sich aus der Tatsachendokumentation

a) a)

b) b)

c) c)

Der Patient kann nicht oder nur schlecht schlucken Der Patient kann schlucken, will aber nicht

zeitlich unbegrenzt zeitlich begrenzt seine Wille ist bedacht sein Wille ist durch die Krankheit beeinträchtigt

bspw. in hohem Alter das ergibt sich aus den das ergibt sich aus den

Tatsachen Tatsachen

– Parkinson – Unfall a) a)

– Multiple Sklerose – Koma b) b)

– irreversible ausgedehnte c) c)

Hirnschäden d) d)

Überbrücken mit Hilfe von klären, ob Nasen- evtl. psychiatrisches evtl. psychiatrisches

Magensonden-Spritze Ernährungssonden Gutachten Gutachten

filiformer Ernährungssonde und Infusionen/

subcutaner Infusion/ Zentralkatheter Ergebnis: Ergebnis:

Zentral-Venen-Katheter ausreichen, sonst nach keine PEG Nasen-Ernährungssonde Abwägen der Risiken

im Einzelfall

hochkalorische Nahrung, PEG Respekt vor der wenn tatsächlich ungünstig,

evtl. nach Gespräch mit individuellen nach Abwägen der Risiken

Diätassistent Entscheidung

liebevoll pflegen und Würde wenn Patient wach, PEG

des Menschen respektieren Versuch oraler Ernährung, ggfls.

mit hochkalorischer aber:

Kost, evtl. nach Gespräch laufende Überprüfung der

mit Diätassistent Notwendigkeit der PEG

In allen Fällen muß der Betreuer direkt Kontakt aufnehmen zu Hausarzt und den Angehörigen.

Es könnte auch ein Patienten-Testament vorliegen.

Der Betreuer sollte in jedem Fall die Klinik zur Dokumentation über oral mögliche Ernährung dieses Patienten veranlassen.

(7)

zur PEG geben soll, muß daher auch vorher informiert sein über den Ver- sorgungsplan für die Ernährung die- ses Patienten und über die Dokumen- tation der bisherigen Nahrungsauf- nahme. Er darf sich nicht mit Hinwei- sen des Arztes oder Pflegepersonals begnügen, die lauten könnten: „Selbst bei Wasser verschluckt sich die Pati- entin, und beim Essen hustet sie und bekommt dadurch Essen in die Lun- ge, da ist die Gefahr der Aspiration und damit der Lungenentzündung.

Auch Joghurt schluckt sie nicht her- unter. Sie verweigert oder nimmt nur wenig und schwierig, es kann ja auch niemand stundenlang füttern.“

Mögliche Folgen

Betreuer und Arzt müssen sich die Konsequenzen bewußt machen, die die PEG für alte Menschen mit sich bringt:

– Der Kalorienbedarf wird per PEG erfüllt, normale Ernährung kann entfallen.

– Normale Nahrung wird entfal- len, weil Ernährung ohne Füttern ge- sichert ist. Zuwendung und Nachden- ken sind im Zeitplan nicht enthalten.

– „Zufüttern“ erfolgt meist nicht, weil wegen der täglichen Zufuhr von bereits 1 500 bis 2 000 Kalorien per PEG der Mengenaustausch berech- net, also zusätzliche Zeit aufgewandt werden müßte.

Deshalb wird der vielleicht halb- seitig gelähmte, vielleicht sprach- gelähmte, aber meistens gemütsbe- wegte PEG-versorgte Betreute häufig

mit sprachloser Wahrnehmung seiner eigenen Hilflosigkeit im Bett liegen und

– zusehen müssen, wie zum Nachbarpatienten jemand kommt, Essen bringt, Geschirr abräumt, eini- ge Worte spricht. Zu ihm kommt nie- mand;

– durch die stetig tropfende PEG Völlegefühl erhalten;

– mit der Zeit das Gefühl für Hunger und Sättigung verlieren und unter Umständen trotz Völlegefühl Angst haben zu verhungern;

– seine Darmtätigkeit infolge der leicht verdaulichen PEG-Nahrung schnell verlieren;

– sein Mund wird mangels Benut- zung trocken, bleibt geöffnet, wird da- durch noch trockener;

– seine Mund-, Zungen- und Kie- fermuskulatur verkümmert, die Spra- che wird schwer verständlich.

Folge:

– Der alte Mensch wird immer einsamer.

– Hilfe zum Essen und Trinken als wichtigsten Moment im Leben des desorientierten Menschen entfällt.

– Der PEG-versorgte Mensch verliert die wichtigsten Möglichkei- ten, Zustimmung oder Ablehnung zu äußern.

– Geruchs- und Geschmackssinn verkümmern.

– Der alte kranke Mensch wird zwangsernährt.

Der Betreuer muß in jedem Ein- zelfall den sachlichen Kontakt zum Arzt und den Pflegeleistenden her- stellen sowie die tatsächlichen und medizinischen Gegebenheiten ein-

schließlich etwaiger Kontraindikation bei diesem Patienten abklären. Viel- leicht wird er auf seine Nachfragen vom Arzt hören: „Ich bin überzeugt davon, daß die Patientin nicht schlucken kann. Sie verweigert das Essen. Wir können sie doch nicht ver- hungern lassen.“

Da der Arzt für die Rechtferti- gung des Eingriffs, der den Tatbe- stand der Körperverletzung erfüllt, die Einwilligung braucht und der Be- treuer diese erteilen muß, wenn der Patient dazu selbst nicht in der Lage ist, muß der Arzt von sich aus das nöti- ge Wissen vermitteln. Die Einwilli- gung zur Legung einer PEG ist keine reine Formsache, sondern eine wichti- ge Entscheidung mit rechtlichen Kon- sequenzen, mag der Eingriff noch so routiniert oder komplikationslos sein.

Ärzte und Betreuer müssen alles tun, um die letzte Lebenszeit eines Men- schen im hohen Alter oder mit irre- versiblen Hirnschäden mit den ge- wohnten Annehmlichkeiten auszu- statten. Das gilt auch für die Sterbe- phase.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-805–808 [Heft 14]

Anschriften der Verfasser Rechtsanwältin Alix Hubert-Fehler Gemarkenstraße 9 51069 Köln Rechtsanwältin Dr. Angela Hollmann Auf der Welle 53 31157 Sarstedt

A-808 (40) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 14, 3. April 1998

Impfstoff gegen Ebola-Virus entwickelt

Bisher waren alle Versuche fehlgeschlagen, einen Impf- stoff gegen das gefährliche Ebola-Virus zu finden. Zwei US- Forschern ist dies nun möglicherweise mit einem „gentechni- schen Trick“ gelungen: Sie machten den Impfling zum Impf- stoffhersteller. Zunächst bauten Gary Nabel (Universität Michigan, Ann Arbor) und Anthony Sanchez (CDC, Atlan- ta) einen Teil des Virusgenoms in ein Stück ringförmiger bakterieller DNA (Plasmid) ein. Das Plasmid injizierten sie dann in die Muskulatur von Meerschweinchen. Die DNA dringt in die Zellen der Tiere ein, die daraufhin das Genpro- dukt des Virusgens, den eigentlichen Impfstoff, produzierten

und ins Blut freisetzten. Dort wurde das Genprodukt vom Immunsystem des Meerschweinchens als fremd erkannt und durch Antikörper und T-Zellen bekämpft. Damit die Immunantwort ein sinnvolles Ziel hat, wählten die Experten das für einen Bestandteil der Virusoberfläche: ein Glykopro- tein, mit dem der Erreger die Zellen des Organismus befällt.

Bei Meerschweinchen und Mäusen war der Versuch be- reits erfolgreich. Nach einer Exposition mit dem Ebola-Vi- rus erkrankte keines der Tiere an dem sonst tödlich verlau- fenden hämorrhagischen Fieber (Nature Medicine 1998; 4:

37-42). Wann es erste Versuche beim Menschen geben kann, ist derzeit unklar. Die Sicherheitsanforderungen sind bei gentechnischen Vakzinen sehr hoch. Es muß unter anderem ausgeschlossen werden, daß die fremden Gene Krebserkran-

kungen auslösen. RM

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