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rognos hat 1995 im Auftrag des Verbandes Deutscher Renten- versicherungsträger e.V. eine Studie zu den Perspektiven der Gesetzlichen Rentenversicherung er- stellt. Aus deren Ergebnissen, die gegenwärtig aktualisiert werden, lei- tet von Rothkirch Überlegungen für die Entwicklung der Beitragssätze in der GesetzlichenKrankenversi- cherung (GKV) ab. Auf einer wirtschaftspoliti- schen Fachta- gung der Techni- ker Krankenkas- se in Bayern stell- te der Meinungs- forscher seine Projektionen vor.
Die Pro- Kopf-Ausgaben für Gesundheit steigen mit zu- nehmendem Al- ter der Patien- ten. Da der An- teil der Älteren kontinuierlich wächst, steigen zwangsläufig die Gesamtausga-
ben. Die „Ausgaben-Schere“ zwi- schen Alt und Jung gehe vor allem deshalb weiter auseinander, weil der medizinische Fortschritt sich stärker an die älteren Menschen richte und von diesen auch stärker in Anspruch genommen werde.
Alle Hochrechnungen gehen da- von aus, daß der Bevölkerungsanteil der über 60jährigen im Vergleich zu den 20- bis 59jährigen bis zum Jahr 2030 weiter wächst und erst danach langsam zurückgeht. Für Prognos be-
deutet das: Die Kluft zwischen den Pro-Kopf-Ausgaben der jüngsten und ältesten Altersgruppen (1992 mit ei- nem Faktor von 7) wird wachsen – bis zum Jahr 2040 auf den Faktor 13. Da- gegen werde der durchschnittliche Anstieg der Pro-Kopf-Ausgaben über alle Altersgruppen zurückgehen und im Jahresdurchschnitt bei etwa zwei
Prozent liegen. Dies setze allerdings eine andauernde und wirksame Ko- stendämpfung voraus.
Übertragen auf die künftige Entwicklung der GKV-Beitragssätze, sieht von Rothkirch zwei Varianten:
eine optimistische, durch Dynamik und stärkeres Wachstum geprägte Prognose und eine eher pessimisti- sche, auf geringeres Wirtschafts- wachstum und anhaltenden Struktur- problemen basierende Hochrech- nung.
Die positive Schätzung geht von einem durchschnittlichen Beitrags- satz von 13,9 Prozent im Jahr 2010 über 14,3 Prozent (2020) und 14,9 Prozent (2030) bis hin zu 16 Prozent im Jahr 2040 aus. Die weniger günsti- ge Prognose weist für den Zeitraum bis 2030 zunächst einen stärkeren An- stieg der Beitragssätze aus, der sich dann aber abflacht, um im Jahr 2040 mit 16,1 Prozent etwa auf der gleichen Höhe zu liegen.
Die „moderate Entwicklung“
beruhe von Rothkirch zufolge aller- dings auf der zwingenden Annahme,
„daß auch in Zukunft politische Re- aktionen auf unerwünschte Erhöhun- gen des GKV-Beitragssatzes erfol- gen“. Geschieht dies nicht, wären
„ganz andere Ausgabenszenarien“
denkbar, die in der Spitze zu einem Beitragssatzniveau von 25 Prozent im Jahr 2040 führen könnten.
Auch Prognos stellt die Ent- wicklung der So- zialversiche- rungsbeiträge in einen engen (un- trennbaren) Zu- sammenhang mit der Diskussion um den Wirt- schaftsstandort Deutschland. Die großen Verände- rungsprozesse auf nationaler und internationa- ler Ebene be- dingten Beweg- lichkeit – niedrige und stabile Lohn- nebenkosten sei- en da allemal bes- ser als hohe und kontinuierlich steigende Abgaben. Kostendämpfung im Gesundheitswesen werde daher ei- ne dauerhafte Maxime der Gesund- heitspolitik bleiben, glaubt von Roth- kirch.
Andererseits sei der Wachstums- markt Gesundheitswesen aus beschäf- tigungspolitischer Sicht nicht zu ver- nachlässigen. 1994 waren Prognos zu- folge knapp drei Millionen Menschen im weitesten Sinne im Gesundheits- wesen tätig. Ein Beschäftigungs- wachstum von einem Prozent pro Jahr A-2110 (22) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 33, 15. August 1997
P O L I T I K AKTUELL
Entwicklung der GKV-Beitragssätze
Prognos plädiert für mehr Wettbewerb
Was wirklich geschehen wird, läßt sich nur schwer voraussagen. „Die Zukunft entsteht nicht einfach“, sagt Dr. Christoph von Rothkirch von Prognos in Köln, „sie wird gestaltet.“ Das Mei- nungsforschungsinstitut hat die Entwicklung der Sozialversicherungsbeiträge untersucht.
Grafik
Wachstumsmarkt Gesundheitswesen: Voraussichtliche Entwicklungen
sei für die Branche auch auf längere Sicht eher eine vorsichtige Schätzung.
Gemessen an der Gesamtbeschäfti- gung lag der Anteil der Beschäftigten im Gesundheitswesen im Jahr 1970 bei 3,4 Prozent, 1994 bereits bei 8,6 Prozent, und bis zum Jahr 2030 wird dieser Anteil auf 12,7 Prozent steigen.
Prognos zufolge wird die Ent- wicklung der Arbeitsplätze im Ge- sundheitswesen mit der wachsenden Zahl älterer Menschen Schritt halten.
2030 wird voraussichtlich jeder achte Erwerbstätige seinen Arbeitsplatz im Gesundheitswesen haben – zugleich ist dann auch der Anteil der minde- stens 60jährigen an der Gesamtbevöl- kerung von 25 Prozent auf 40 Prozent gestiegen.
Von Rothkirch sieht den Grund- konflikt in der arbeitsmarktpoliti- schen Bedeutung des Gesundheitswe- sens in Konkurrenz zu den steigenden Sozialversicherungsbeiträgen und der damit verbundenen Belastung der Gesamtwirtschaft. Sein Lösungsvor- schlag: Die Arbeitgeberbeiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung sollten eingefroren werden, während die Arbeitnehmerbeiträge steigen dürfen.
Damit würden die Lohnneben- kosten geschont, das Wachstum der
„Gesundheitsbranche“ hingegen ge- sichert. Dieser Vorschlag ist auch schon vom Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesund- heitswesen, von Bundesminister Horst Seehofer und Teilen der FDP unterbreitet worden.
Allerdings räumt der Meinungs- forscher ein, daß die eigentliche Wert- schätzung des Gutes Gesundheit nicht meßbar sei, solange die Inan- spruchnahme von gesundheitlichen Leistungen über pauschale Pflicht- beiträge erfolge. Erst wenn über
„souveräne Konsumentenentschei- dungen konkrete Gesundheitsleistun- gen eingekauft“ würden, komme es zum Schwur. Es mache zweifellos Sinn, „daß die Menschen von ihren steigenden Einkünften einen größe- ren Teil für Gesundheit ausgeben“ – wenn sie das denn auch wollen. Eine solche Präferenz könne aber nur aus der „Wahlentscheidung autonomer Verbraucher in einem durch größt- möglichen Wettbewerb geprägten Markt“ resultieren. Josef Maus A-2112
P O L I T I K AKTUELL
(24) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 33, 15. August 1997
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edes Pflichtmitglied der Be- triebskrankenkassen (BKK) war im Jahr 1995 durchschnittlich 21 Tage krank. „Das Gesamtniveau der Arbeitsunfähigkeit bleibt wie in den Vorjahren niedrig und entspricht den Ergebnissen Anfang der achtzi- ger Jahre“, heißt es in der Statistik des BKK-Bundesverbandes, der die Da- ten seiner rund drei Millionen Pflicht- mitglieder auswertete.Frauen waren häufiger krank
Bemerkenswert sei die Entwick- lung bei den weiblichen Mitgliedern, die seit 1992 häufiger krank seien als ihre männlichen Kollegen. Die Ursa- chen dafür sieht der BKK-Bundesver- band in der wachsenden Berufstätig- keit der Frauen und den oftmals damit verbundenen Mehrfachbelastungen.
Ein weiterer Trend: Die Arbeitsun- fähigkeitsfälle mit kürzerer Dauer sind weiter zurückgegangen, Lang- zeiterkrankungen haben demgegen- über zugenommen. Darüber hinaus sind die Arbeitsunfähigkeitstage in den neuen Ländern von 17 auf 18,7 Tage leicht gestiegen; dort dauerte auch die einzelne Krankheit etwas länger als im Vorjahr: statt 15,9 nun 16,6 Tage.
Drei Viertel aller Arbeitsun- fähigkeitstage entfielen 1995 auf nur fünf Krankheitsgruppen: Die Muskel- und Skeletterkrankungen standen mit 31,2 Prozent nach wie vor an erster Stelle. Es folgten: Atemwegserkran- kungen (17,2 Prozent), Verletzungen und Vergiftungen (12,6 Prozent), Ver- dauungserkrankungen (8,1 Prozent) sowie Herz- und Kreislauferkrankun- gen (7,7 Prozent). Die Kosten für die Behandlung und Rehabilitation die-
ser Krankheiten schätzen die Kran- kenkassen auf mehr als 90 Milliarden DM. Häufigste Einzeldiagnose war wie im Vorjahr „Affektionen des Rückens“. Sie machten 9,7 Prozent al- ler Krankheitsfälle und 13,8 Prozent aller Krankheitstage aus. Es folgten die Diagnosen Bronchitis, Grippe, Gastroenteritis und akute Infektio- nen der oberen Luftwege.
In den kommunalen und regiona- len Verwaltungen war die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage am höchsten:
Die durchschnittliche Fehldauer be- trug 30 Tage. Die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe fehlten 27 Tage, die des Baugewerbes 26 Tage. Der BKK- Bundesverband weist jedoch darauf hin, daß aufgrund der Versicherten- struktur in den Verwaltungen keine Beamten einbezogen wurden. Dort dominierten Arbeitnehmer, die bei der Müllabfuhr, der Straßenreinigung oder in Gärtnereien beschäftigt seien.
Weiterhin rückläufig waren hingegen die Fehlzeiten bei Handels- und Kre- ditunternehmen sowie in der Nah- rungsmittelindustrie.
Klinikausgaben um 4,3 % gestiegen Die Betriebskrankenkassen ha- ben im Jahr 1995 rund 8,9 Milliarden DM für Krankenhausleistungen aufge- wendet – 4,3 Prozent mehr als im Vor- jahr. Die Steigerungsraten lägen trotz Budgetierung seit Jahren über den Steigerungen der beitragspflichtigen Einnahmen. Die Krankenkassen hät- ten bisher kaum Einfluß auf die Steue- rung von Mengen, Preisen und Inhal- ten der stationären Versorgung gehabt.
Dies werde sich mit der Vereinbarung von Fallpauschalen und Sonder- entgelten ändern. Dr. Sabine Glöser