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Archiv "Erste Gesetzesinitiative bereits im Jahr 1997" (19.03.2004)

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ie Angst der Bevölkerung vor Straftätern, insbesondere vor Se- xualstraftätern, ist größer gewor- den – „Wegschließen, und zwar für im- mer“ ein Wunsch, dem zunehmend häu- figer nachgekommen wird: Während sich die Einweisungszahlen in den Voll- zug nach § 63 (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus) und § 64 (Unterbringung in einer Entziehungs- anstalt) des Strafvollzugsgesetzes in den letzten 25 Jahren fast verdoppelt haben, ist die Zahl der Entlassungen bis zu 50 Prozent zurückgegangen. Der Grund für diese Entwicklung liegt für Matthias Koller, Richter am Landgericht Göttin- gen, auf der Hand: Am 31. Januar 1998 trat das Gesetz zur Bekämpfung von Se- xualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten in Kraft, mit dem eine obliga- torische Prognosebegutachtung beim Entlassungsverfahren eingeführt wur- de. Diese Pflicht habe den Blick aller Beteiligten für die am Ende verbleiben- den ungünstigen Prognosefaktoren noch geschärft, so Koller auf der 19. Eickelborner Fachtagung zu Fragen der Forensischen Psychiatrie Anfang März in Lippstadt-Eickelborn.

Die Zahlen zur Göttinger Entlas- sungspraxis von 1993 bis 2003 belegen die Aussage des Richters: Wurden von 1993 bis 1997 noch 149 Patienten aus der Unterbringung auf Bewährung entlassen, waren es bis zum Jahr 2003 nur noch 93 Patienten. Prozentual ging die Zahl der Entlassungen, gemessen an der Gesamtzahl der jährlich behan- delten Maßregelvollstreckungssachen nach § 63, damit von 8,55 Prozent 1997 auf durchschnittlich 3,8 Prozent seit 1998 zurück. „Hinzu kommt noch, dass es zunehmend schwieriger wird, für die wachsende Zahl von Probanden nach der Entlassung einen geeigneten so- zialen Empfangsraum herzustellen“,

merkt Koller an. So mangele es ebenso an betreuten Wohn- und Arbeitsplätzen wie auch an flächendeckenden foren- sischen Ambulanzen. Der Trend zum jahrelangen „Wegsperren“ von Straf- tätern wird durch das Urteil des Bundes- verfassungsgerichts (BVerfG) zur nach- träglichen Sicherungsverwahrung vom 10. Februar noch verstärkt.

Länder sind nicht zuständig

Das Gericht sprach zwar den Bundes- ländern, die in den letzten Jahren Gesetze zur nachträglichen Siche- rungsverwahrung erlassen hatten, das formale Gesetzgebungsrecht ab und erklärte deren Gesetze für verfassungs- widrig (Textkasten). Nach Ansicht der Richter muss ein derartig verordneter Freiheitsentzug durch ein Bundes- gesetz geregelt werden. Einem entspre- chenden Gesetzentwurf von Bundes-

justizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat das Bundesministerium am 10. März zugestimmt.

Danach kann bei Gewalt- oder Sexualstraftätern eine nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wer- den, wenn deren Verhalten im Gefäng- nis den Schluss nahe legt, dass sie rück- fällig werden. Andere Straftäter, deren Haftstrafe mindestens vier Jahre be- trägt, können in Sicherungsverwahrung genommen werden, wenn sie nach Ein- schätzung von Gutachtern ein erheb- liches Risiko darstellen. In einer Haupt- verhandlung, so der Gesetzentwurf, müssen zwei Gutachter die besondere Gefährlichkeit des Täters festgestellt haben. Diese ungünstige Prognose soll zudem regelmäßig überprüft werden.

Zypries stellt bei diesem Gesetz- entwurf den Schutz der Gesellschaft an die erste Stelle. Neu ist, dass auch Erst- täter und Heranwachsende von der nachträglichen Sicherungsverwahrung P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1219. März 2004 AA759

Forensische Psychiatrie

Verschärfte Sicherungsverwahrung

Die Zahl der Einweisungen in den Maßregelvollzug steigt, entlassen werden dagegen immer weniger Personen. Durch das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur

nachträglichen Sicherungsverwahrung wird dieser Trend noch verstärkt.

Erste Gesetzesinitiative bereits im Jahr 1997

Etwa 300 Personen befinden sich zurzeit in Deutschland in Sicherungsverwahrung. Ob- wohl ihre ursprünglich festgelegte Haftstrafe abgelaufen ist, sind sie weiterhin in Haft, weil von ihnen laut Beurteilung neue Gewaltdelikte zu erwarten sind. Auslöser für ein im Jahr 1998 erlassenes Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten war der Missbrauch und die an- schließende Tötung zweier Kinder im Jahr 1996.

Bereits 1997 legte der Bundesrat einen ersten Gesetzentwurf vor, der eine Verstärkung des Schutzes vor schweren Straftaten, insbeson- dere vor Sexualdelikten, zum Ziel hatte.

Einige Bundesländer kritisierten allerdings, dass der Gesetzestext offen lasse, was mit Personen geschehen soll, deren andauernde

Gefährlichkeit erst im Laufe des Vollzugs festgestellt werde, weil sie zum Beispiel ei- ne Therapie verweigerten. Bayern, Baden- Württemberg, Niedersachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt erließen deshalb in den Fol- gejahren eigene Gesetze, um auch nachträg- lich die Sicherungsverwahrung anordnen zu können.

Die rot-grüne Bundesregierung schlug da- gegen einen Mittelweg ein: Sie erlaubte 2002 die nachträgliche Verwahrung eines Täters, sofern sich das Gericht bereits bei der Verur- teilung die Möglichkeit einer späteren Dauer- unterbringung vorbehält („vorbehaltene Si- cherungsverwahrung“). Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar dieses Jahres wurden die Gesetze der fünf Bundesländer für verfassungswidrig erklärt.

Die Ländergesetze seien jedoch noch bis zum 30. September anwendbar, entschied

das Gericht. MM

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betroffen sein sollen – ein Vorhaben, das innerhalb der Regierungskoalition nicht unumstritten ist.

Der Göttinger Richter Koller be- grüßte auf der Eickelborner Fach- tagung grundsätzlich eine bundesein- heitliche Regelung zur Sicherungsver- wahrung. „Wir können aber nicht alle Sicherheitsrisiken durch Gesetze aus- schließen“, betont der Richter gegen- über dem DÄ. Bei den Beratungen zu dem BVerfG-Urteil klang seiner An- sicht nach zudem das Kanzlerwort vom

„Wegschließen“ durch. Dass sich selbst Juristen dem in den letzten zehn Jahren zunehmend in den Vordergrund getre- tenen Sicherheitsgedanken nicht völlig entziehen können, liegt nach Ansicht von Sabine Rückert an der „Vermark- tung von Morden“ durch die Medien (siehe DÄ, Heft 12/2003). Die Gerichts- und Kriminalreporterin der Zeitschrift

„Die Zeit“ und Autorin des Buches

„Tote haben keine Lobby“ forderte eine differenziertere und verantwor- tungsbewusstere Darstellung der Me- dien gegenüber den Verurteilten.

Doppelbestrafung:

Ein verhängnisvolles Urteil

Kein Verständnis für die aktuelle Ent- wicklung auf dem Gebiet der Sicherungs- verwahrung zeigte Dr. jur. Helmut Pollähne. Nach Ansicht des Maßregel- vollzugsexperten vom Bremer Institut für Kriminalpolitik handelt es sich bei dem BVerfG-Beschluss um „ein ver- hängnisvolles Urteil“. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung sei eine „Doppel- bestrafung“ des Patienten, da dieser schließlich schon zu Beginn seiner Straf- tat verurteilt worden sei. Unabhängig von dem ursprünglichen Beschluss würden die Patienten nun noch einmal beurteilt, was nicht zuletzt gegen das Rückwirkungsverbot verstoße, betonte Pollähne. Die von Zypries mit dem Gesetz verbundenen Versprechungen, nachträglich verurteilte Straftäter besser zu stellen als andere Straftäter, indem sie zum Beispiel in separaten Trakten un- tergebracht werden, bessere Kleidung tragen und weitere Privilegien genießen könnten, seien unrealistisch. Der Krimi- nalwissenschaftler: „Die Zunft der Straf- rechtler ist sehr besorgt.“ Martina Merten

P O L I T I K

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A760 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1219. März 2004

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s ist ein strahlend schöner Frühlingsmorgen. Wohlig warm legen sich die frühen Sonnenstrahlen um meine Seele, während ich, gefüllt mit präzisen Diagnosen und treffsicheren Therapien, in die Sprechstunde eile. Meine Helferinnen begrüßen mich freudig. Meine Patienten sind begeistert über die straffe Organisation; sie kommen fast nicht dazu, den frischen Kaffee im War- tezimmer zu genießen. Wartezeiten gibt es nicht, Notfälle werden in Sekun- denfrist versorgt. Die Patienten bedanken sich überschwänglich für die ganz- heitlich tolle Betreuung. Ein Chefarzt ruft an: Er würde gerne die gute Ko- operation intensivieren und bietet mir an, an den Mittwochnachmittagen und Wochenenden in seiner Klinik eine Zusatzbezeichnung zu erwerben. Er habe das schon mit der Kammer besprochen; diese sei völlig einverstanden, schließ- lich wolle man den Weiterbildungswillen der niedergelassenen Ärzte nach Kräften unterstützen. Kurz danach meldet sich der Steuerberater: Das Fi- nanzamt hat alle außergewöhnlichen Belastungen anerkannt; ich könnte nun das Ende der finanziellen Krisen meinem Banker mitteilen. Der wiederum ist

völlig begeistert, als ich ihm mitteile, den neu gewonnenen Spielraum für die Einstellung zusätzlicher Auszubildender zu nutzen. Die Kassenärztliche Ver- einigung schreibt mir, dass nicht nur die Zulassungen zu den beantragten neu- en Untersuchungsmethoden bewilligt würden – nein: Man wolle sogar zusätz- liche Mittel bereitstellen, um mich von den Investitionskosten zu entlasten.

Schließlich sollte dieses Risiko nicht gänzlich von den Niedergelassenen, son- dern auch von den Institutionen getragen werden. Das haben sogar die Politi- ker erkannt. Der Leiter des Prüfungsausschusses ruft an und teilt mir mit, dass man sämtliche meiner Therapien als völlig korrekt anerkannt habe; ich bräuchte mich nun keinesfalls mehr vor Regressforderungen zu fürchten . . .

Bevor Sie mich nun verdächtigen, diesen ganz und gar surrealen Tag im Le- ben eines deutschen Arztes mithilfe legaler oder illegaler Drogen entworfen zu haben: Ich habe einfach zwei Fakten mit den daraus folgenden Auswirkungen für unseren Berufsstand nüchtern und trocken, wie das so meine Art ist, be- trachtet. Erstens:Wir haben zu wenig Ärztenachwuchs. Zweitens: Die Lebens- arbeitszeit wird verlängert. Daraus folgt, dass wir uns noch 30 (50?, 70?) Jahre auf den Stationen deutscher Krankenhäuser oder in den Praxen abrackern dürfen. Und mit jedem zusätzlichen Lebensarbeitsjahrzehnt steigt die klitze- kleine Wahrscheinlichkeit, einen solchen Tag einmal erleben zu dürfen. Na gut, vielleicht nicht alles auf einmal. Aber so ein klein bisschen Patientenbegeiste- rung,ein Quäntchen Investitionsentlastung,eine Sekunde Gnade vor dem Prü- fungsausschuss, ein Milligramm wohlwollende Ärztekammer einmal im Jahr- zehnt, das wäre doch was. Ich räume allerdings ein: Beim zweiten Blick ist dies tatsächlich sehr unrealistisch. Aber darauf freuen könnte man sich. In Anbetracht der übri- gen neun Jahre und 364 Tage hat das eventuell einen an- triebssteigernden Effekt, den wir für ebendiese neun Jah- re und 364 Tage brauchen. Die Hoffnung habe ich nicht aufgegeben, vielleicht erlebe ich wirklich einen solchen Tag. Es soll schließlich auch so etwas wie Wunderheilun- gen geben.Auch in der Medizin. Dr. med. Thomas Böhmeke

Einfach schön

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