A-2944
S P E K T R U M
AKUT
(4) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 47, 20. November
Adipositas-Forschung
Dick durch seltene Genvariante
E
in deutsch-amerikanisches Forscherteam hat
eine Variante eines Gens gefunden, das seine
Träger leichter dick werden läßt. Allerdings
ist das Gen selten: Von 121 stark adipösen Deutschen
trugen vier eine Variante des Gens für das Protein
„PPAR-gamma“ (Peroxisome Proliferator-Activat-
ed Receptor), während von 237 Normalgewichtigen
kein einziger diese Genvariante besaß (NEJM 1998;
339: 953). Zudem waren die vier Adipösen mit der
PPAR-gamma-Variante fast 20 Kilogramm schwerer
als die übrigen Übergewichtigen. Schon länger haben
die Forscher das Protein unter Verdacht, bei der Adi-
positas eine wichtige Rolle zu spielen: PPAR-gamma
wird unter anderem in Bindegewebszellen herge-
stellt, allerdings ist es dort zumeist nur schwach aktiv.
W
ird das Protein jedoch „geweckt“, schaltet
es weitere Gene ein, unter deren Einfluß
sich Bindegewebszellen zu Fettzellen um-
wandeln können. In dieses Schema paßt, daß das Pro-
tein der vier Übergewichtigen so verändert war, daß
es sich nicht mehr abschaltete, also vermutlich stän-
dig neue Fettzellen wachsen ließ. Obwohl die Genva-
riante selten ist, könnte der Fund auch für die Mehr-
zahl der Übergewichtigen bedeutsam sein, in deren
Zellen die normale Form des Proteins ihren Dienst
tut. Denn obwohl die vier Betroffenen deutlich
schwerer waren als die übrigen Adipösen, waren
gleichzeitig ihre Nüchtern-Insulinwerte fast 40 Pro-
zent niedriger. „Diese Beobachtung deutet an, daß
Übergewicht und Insulinresistenz nicht untrennbar
miteinander verknüpft sein müssen“, sagt Koautor
Dirk Müller-Wieland von der Universität Köln.
U
nter der Therapie einer neuen Klasse von
Antidiabetika (Thiazolidinedione), deren
Wirkung offenbar auf einer Aktivierung von
PPAR-gamma basiert, verbessert sich die Insulinresi-
stenz, während die Patienten moderat zunehmen. Der
spannendste Aspekt ist jedoch, daß PPAR-gamma ein
direktes Verbindungsglied zwischen Übergewicht,
Diabetes und Ernährung sein könnte. Normalerweise
läßt das Protein erst dann Fettzellen heranreifen,
wenn es durch mehrfachungesättigte Fettsäuren „ein-
geschaltet“ wird, die gleichsam wie Hormone an das
Protein binden. Studien haben gezeigt, daß einige in
der Nahrung enthaltene oder vom Körper gebildete
Fettsäuren tatsächlich in der Lage sind, PPAR-gam-
ma zu aktivieren. Derzeit versuchen Forscher zu
klären, ob und wenn ja welche Nahrungsfette über
diesen bislang übersehenen Hormon-Mechanismus
Übergewicht begünstigen können. Klaus Koch