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ereits lange vor der Bundestags- wahl haben sich CDU/CSU und Sozialdemokraten darauf festge- legt, eine durchgreifende Reform der gesetzlichen Pflegeversicherung in An- griff zu nehmen. Die pflegepolitischen Eckpunkte beider Koalitionäre deuten darauf hin, dass Finanzierungsreformen dieses 1995 gestarteten fünften Zweiges des Systems der sozialen Sicherung möglicherweise mit Verbesserungen im Leistungskatalog verbunden werden.Bis zum Sommer 2006 soll ein Gesetz- entwurf vorgelegt werden.
Rücklagen abgeschmolzen
Inzwischen sind die ursprünglichen fi- nanziellen Rücklagen der sozialen Pfle- geversicherung (SPV) von 4,5 Milliar- den Euro auf rund 850 Millionen Euro abgeschmolzen. Seit 2001 werden die Jahresdefizite der sozialen Pflegeversi- cherung immer größer, sodass auch wegen der höheren Inanspruchnahme damit zu rechnen ist, dass spätestens 2006/2007 die Finanzreserven aufge- braucht sind. Trotz der Finanzierungs- krise gibt es Andeutungen, dass eine Fi- nanzierungsreform zwar vorbereitet werden soll, aber erst dann, wenn die Rücklagen auf das gesetzliche Mindest- maß geschmolzen sind, entweder der Beitragssatz erhöht wird oder durch- greifendere Maßnahmen zur nachhalti- geren Finanzierung ergriffen werden müssen.
Unumstritten ist, dass die gesetzliche Pflegeversicherung eine Teilkaskoversi- cherung bleiben wird; eine Vollkasko- versicherung analog der Krankenversi- cherung war von Anfang an nicht beab- sichtigt und wäre ohnedies finanziell nicht darstellbar. Auch gibt es keinen
konkreten Hinweis dafür, dass die ge- setzliche Pflege- und Krankenversiche- rung verschmolzen werden sollen.
Dafür plädierte beispielsweise der Sachverständigenrat zur Beurteilung der Entwicklung im Gesundheitswesen in seinem jüngsten Jahresgutachten.
Auch einzelne Bundestagsabgeordnete, darunter Horst Seehofer (CSU), sind solchen Fusionsplänen nicht abgeneigt.
Die parlamentarische Staatssekretä- rin im Bundesgesundheitsministerium, Marion Caspers-Merk (SPD), bezeich- nete es als eine Hauptaufgabe, die nachhaltige Sicherung der Finanzie- rung zu erreichen und die Pflegever- sicherung als eigenständige Säule zu erhalten. Allerdings müssten die Ab- grenzungs- und Schnittstellenprobleme zwischen Gesetzlicher Kranken(GKV)- und Pflegeversicherung eindeutig und klarer geregelt werden. Die SPD for- dert mehr Präventions- und Rehabili- tationsleistungen, um Pflegebedürftig- keit zu vermeiden. Im Gegenzug sollte die Finanzierung der Behandlungs- pflege Daueraufgabe der Pflegeversi- cherung bleiben.
Die Vorstellungen von Union und SPD kontrastieren in Finanzierungs- grundsatzfragen: CDU/CSU drängen auf eine stufenweise Ergänzung des Um- lagefinanzierungsverfahrens durch ei- ne kapitalgedeckte Zusatzversicherung.
Dabei sollten eine Dynamisierung der Leistungen und die demographiebe- dingten Ausgabensteigerungen durch die ergänzende kapitalgedeckte Absi- cherung finanziert werden, sonstige Lei- stungsverbesserungen hingegen durch die Verlagerung der Kosten der Behand- lungspflege bei stationärer Pflege von der Pflege- in die Krankenversicherung und gegebenenfalls durch Umschichtun- gen im System finanziert werden.
Für die ursprüngliche dezidierte For- derung der SPD, das Prinzip der Bürger- versicherung, in der alle Bürger in die ge- setzliche Versicherungpflicht einbezogen werden, neben der Kranken- auch in der Pflegeversicherung anzuzuwenden, fin- det sich im Koalitionspapier keine Festle- gung. Allerdings sollten in der Pflegever- sicherung nach den SPD-Vorstellungen weitgehend die gleichen Merkmale der Finanzierung und Leistungsgewährung wie in der GKV zum Tragen kommen.
Deshalb sollten in der Pflegeversiche- rung die gesamte Leistungsfähigkeit aller Versicherten berücksichtigt und gesamt- gesellschaftliche Aufgaben steuerfinan- ziert werden.
Finanzausgleich geplant
Zur Vermeidung von Leistungskürzun- gen oder Beitragssatzerhöhungen und um „Ungerechtigkeiten“ zu beseitigen, soll nach dem Willen der SPD die sozia- le und private Pflegepflichtversiche- rung zu dem ursprünglich beabsichtig- ten einheitlichen System fusioniert wer- den. Zugleich sollen die Finanzreserven beider Systeme genutzt werden, um die demographische Entwicklung länger- fristig finanziell abzufedern. Konkret schlägt die SPD die Bildung eines Ka- pitalstocks als Sondervermögen von Bund und Ländern aus den Finanzres- sourcen beider Systeme vor.
Die nach dem Anwartschafts- bezie- hungsweise Kapitaldeckungsverfahren finanzierte private Pflegepflichtversi- cherung hat seit 1995 bis heute rund 14 Milliarden Euro Kapitalstock thesau- riert. Dieser soll jedoch für einen Finanz- ausgleich nicht angegriffen werden. Oh- nedies unterliegen die Rückstellungen dem Eigentumsschutz nach Artikel 14 Grundgesetz (GG), dem rechtsstaatli- chen Vertrauensschutz des Artikels 20 Abs. 2 GG. Sie sind deshalb dem teil- weisen oder völligen staatlichen Zugriff entzogen (Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 GG).
Die Koalition plädiert für den Grund- satz „ambulant vor stationär“. Jenseits der Pflege in Heimen soll es vermehrt ambulante Versorgungsangebote geben.
Familien und professionelle Pflege so- wie ehrenamtliches Engagement in der Pflege und Betreuung müssen sich wirk- sam ergänzen. Dr. rer. pol. Harald Clade P O L I T I K
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A3226 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 47⏐⏐25. November 2005