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Archiv "Gesetzliche Pflegeversicherung: Start ins Neuland" (25.03.1994)

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LIT1K LEITARTIKEL

Gesetzliche Pflegeversicherung

Start ins Neuland

Exakt 20 Jahre zogen sich die sozial- und gesundheitspolitischen Auseinandersetzungen hin, bis sich die Bonner Regierungskoalition und die oppositionelle SPD doch noch im „Superwahljahr 1994" auf die Eckpunkte zur Einführung einer gesetzlichen Pflegeversicherung

geeinigt haben. Die parteienübergreifende Grundsatzentscheidung im Vermittlungsausschuß am 10. März kam dennoch überraschend, galt doch das Pflegesicherungsprojekt seit Jahren als das am heftig- sten umstrittene Vorhaben der Sozial- und Gesundheitspolitik.

Was jetzt als ein Erfolg und als eine „gute Lösung" für die Pflegever- sicherung gefeiert wird, erforderte Abstriche an den eigenen Vorstel- lungen, um eine Verständigung „im Sinne der Sache" und eine neue „so- ziale Wohltat" zu erreichen. Was jetzt Bundesarbeitsminister Dr. Nor- bert Blüm als sein „Lebenswerk"

lobt, ist in Wahrheit ein Gemein- schaftswerk, ein Mixtum compositum aus vielen Facetten sowohl der christlich-konservativen Bundesre- gierung, unter Einbau kaum als sol- cher erkennbarer liberalistischer Ele- mente als auch parteienübergreifen- den Festlegungen auf eine sozialver- sicherungsrechtliche Lösung, die auch von den Sozialdemokraten mit- getragen werden konnte.

Bei solchen Konstellationen hat- ten andere Lösungsansätze kaum ei- ne echte politische Realisierungs- chance. Der Vorschlag der Libera- len, das allgemeine Pflegerisiko in Form einer privaten Pflichtversiche- rung ä la Autokaskoversicherung ab- zusichern, mußte sich mit den Sozial- versicherungslösungsansätzen der CDU/CSU und der SPD (letztere vo- tierte für eine Volksversicherung) polarisieren. Starke Kräfte in der CDU/CSU und vor allem der FDP haben sich bereits vor drei Jahren auf ein Finanzierungs-Novum festgelegt, nämlich aus wirtschafts- und kon- junkturpolitischen Gründen den for- mal paritätisch finanzierten Pflege- versicherungsbeitrag für die Arbeit- geber zumindest im Startjahr (Aus- gabenvolumen: mindestens 30 Milli- arden DM) zu kompensieren. Den- noch dürfte dies eine Illusion sein, denn trotz der Kostenkompensation über „Feiertagsstreichung und volle Arbeitnehmerbelastung" wird sich die ab 1. April 1995 neu etablierte fünfte Säule des Sozialversicherungs-

systems als finanziell nicht tragfähig erweisen. Die Pflegeversicherung kann sehr schnell selbst zum Pflege- fall werden, wenn sie mit vielen Un- bekannten operiert und Wechsel auf die Zukunft zieht. Das jetzt eingefor- derte Feiertagsopfer oder die volle Übernahme der Beitragslast durch die Versicherten und Begünstigten (etwa Bayern und in Sachsen) liefert doch nur das Alibi dafür, daß diejeni- gen für das Pflegefallrisiko aufkom- men müssen, die auch von den neuen sozialen Segnungen profitieren.

Dabei ist es längst erwiesen: Ein auf dem Umlagefinanzierungsprinzip basierendes Finanzierungskonzept steckt voller Ungewißheiten, agiert jenseits des verläßlicheren versiche- rungstechnischen Äquivalenzprin- zips. Wie das Finanzgebaren und die Ausgabenentwicklung in der gesetzli- chen Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung zeigt, entwik- keln sich die Ausgaben/Kosten jeder sozialen Leistung dynamisch und mit zunehmender demographischer Ver- schiebung im Altersaufbau, mit der Multimorbidität und der Zunahme chronischer und pflegebedürftiger Erkrankungen „explosiv", jedenfalls mit exponentiell steigenden Ausga- ben. Dagegen bleibt die jetzt verein- barte Kompensation statisch.

Die Politik hat nicht davon ab- lenken können, daß der Handlungs- druck vor allem aber auch darin be- stand, angesichts der unaufhörlich steigenden Zahl von Pflegefällen die Sozialhaushalte der • Länder und Kommunen als Sozialhilfeträger zu entlasten. Zusätzlich wurde wie be- reits in der Gesundheitsreform Mar- ke Seehofer/Dreßler damit argumen- tiert, die Krankenversicherung müsse auf den sozialen Tatbestand der Ab- sicherung von Krankheitsrisiken be- schränkt werden. Das Pflegerisiko

müsse ausgelagert werden. Der so- ziale Tatbestand der Pflegebedürftig- keit wurde auf anonyme Versiche- rungsinstitutionen überantwortet. Ei- ne umlagefinanzierte Versicherung läuft aber Gefahr, den ohnedies an- haltenden Prozeß der Entsolidarisie- rung in den Familien und zwischen den Generationen noch zu beschleu- nigen. Zudem wird ungeachtet der demographischen Daten die nach- rückende Generation in die Pflicht genommen, ohne Rücksicht darauf, ob sie die wachsenden Soziallasten tragen können oder wollen. Schon kam die Warnung auf, mit der Pfle- geversicherung nicht „soziale Kälte"

einkehren zu lassen und die Pflege- bedürftigen in Heime und Sozialin- stitutionen abzuschieben. In ein Va- kuum, zumindest in ein unerforsch- tes Neuland begibt sich die Pflege- versicherung auch hinsichtlich der noch nicht vorhandenen Infrastruk- turen und bei der Vorhaltung eines qualifizierten Pflegepersonals. Es nützt nichts, wenn Beitragspflichten dekretiert und soziale Ansprüche ge- schaffen werden, wenn über die Aus- gestaltung und das Geschehen in Al- ten- und Pflegeheimen, deren solide Finanzierung und die Kontrolle der persönlichen Eignung der Pflegean- bieter keine Klarheit herrscht.

Erweist sich das Kompensations- geschäft als „Trick" und als ein „Ein- fallstor" zur Verlagerung von Lohn- nebenkosten oder öffentlich zu fi- nanzierenden Sozialkosten auf die Schultern der Versicherten, so wäre damit auch ein Präjudiz für die übri- ge Sozialversicherung geschaffen.

Dies würde bedeuten, daß sich die Arbeitgeber aus der Dynamik der So- zialversicherung herauskaufen, die wegen der demographischen Ent- wicklung dramatisch vorgezeichnet ist. Dr. Harald Clade Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 12, 25. März 1994 (19) A-803

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