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Archiv "Ökomedizin" (28.08.1989)

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DAS FORUM

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Jo Becker Ökomedizin

Systemische Ansätze gegen die Entmündigung von Patient und „Gesundheitsarbeiter"

ten bestehen. Falls man operativ in- teressiert ist, sollte man sich eine Stelle suchen, der kein Senior House Officer vorsteht, so daß man selber operativ tätig werden kann.

• Hier einige allgemeine Infor- mationen: Einkommen: Unverheira- tet mit 12 UMT (gleichbedeutend mit einem 1:4 Dienstplan) verdient man etwa 800 Pfund netto pro Monat.

Haftpflichtversicherung: Dafür sind 180 Pfund im Jahr zu zahlen, wobei zwei Drittel der Summe in monatlichen Raten von den meisten Health Authorities zurückerstattet werden.

Unterkunft: Für Alleinstehende frei, jedoch von Krankenhaus zu Krankenhaus von unterschiedlicher Qualität. Für Verheiratete bieten viele Krankenhäuser „married acco- modation" an. Ein möbliertes 3-Zim- mer-Haus kostet etwa 150 Pfund pro Monat ohne Nebenkosten.

Erteilung der vorläufigen Berufserlaubnis

Zunächst sollte sich der AiP um eine Stellenzusage als Junior House Officer an einem Krankenhaus be- mühen. Der General Medical Coun- cil in London (44 Hallam Street, GB London W1N 6AE) verschickt auf Anfrage Adressenlisten von Klini- ken, die in Großbritannien für eine Tätigkeit von JHO zugelassen sind.

Erst nach der Stellenzusage ist beim General Medical Council die vorläufige Berufserlaubnis, die Pre Registration, zu beantragen.

Die Bundesärztekammer hat seinerzeit in Zusammenarbeit mit der Zentralstelle für Arbeitsvermitt- lung (ZVA) in Verhandlungen mit den General Medical Council er- reicht, daß diese Pre Registration für deutsche AiP auch für einen Zeit- raum bis zu 18 Monaten erteilt wer- den kann.

Anschrift des Verfassers:

Dietmar-Pierre König Senior House Officer General Surgery

Leicester Royal Infirmary Infirmary Square

Leicester LE1 5WW Großbritannien

„Schluß mit der wohlmei- nenden Bevormundung durch einen Wohlfahrtsstaat, der mit

‚flächendeckenden Versor- gungseinrichtungen', Selbsthil- fegruppen, Familienzusammen- halt und Eigeninitiative erstickt - etwa bei der Betreuung von Kin- dern, chronisch Kranken und al- ten Menschen. Macht Selbsthilfe und familiäre Eigenverantwor- tung wieder möglich - z. B.

durch Teilzeitarbeit für jeden, der will!"

„Weg mit einer überhöhten staatlichen Zwangs-Krankenver- sicherung, die Hilfe bei allen Wehwehchen verspricht, aber das notwendige Geld für die Be-

S

ystemisches Denken kommt an, macht sich in allen Dis- ziplinen breit, befällt sogar die Politiker — und jetzt auch noch die Medizin. Dabei wird nicht mehr wie üblich die Ursache für ein Problem bei demjenigen gesucht, der das Problem aufweist; vielmehr wer- den die wechselseitigen Beziehungen im Gesamtsystem untersucht, in dem der Problemträger — oft als schwäch- stes Organ, Mitglied oder Teilgruppe des Ganzen — auffällig geworden ist:

so läßt sich ein krankes Herz als Krankheitsausdruck des gesamten Körpers werten oder sterbende Rob- ben als Zeichen für eine Störung des Lebenssystems Nordsee.

Systemisches Handeln sucht da- her Probleme nicht allein durch eine Veränderung am Symptomträger zu lösen und berücksichtigt über den kurzfristigen Effekt eines Eingriffs hinaus auch die langfristigen ökolo- gischen Auswirkungen. Im Bereich der Medizin wird eine solche Sicht-

seitigung krankmachender Miß- stände in Gesellschaft und Um- welt frißt! Verantwortung für die eigene Gesundheit heißt auch Abrechnung mit dem Behandler und Beteiligung an den Ko- sten."

„Wir Gesundheitsarbeiter verweigern uns als Werkzeug ei- ner Gesellschaftsordnung, in der die Menschen ihren Platz allein nach ihrer Verwertbarkeit zur Lohnarbeit zugewiesen bekom- men: Kranksein ist auch ein Zei- chen für Gesundheit! Krank- schreibung und Entlastung gön- nen statt Symptome chemisch niederknüppeln und ein Weiter- Funktionieren erzwingen". . .

weise gern als „ganzheitlich" be- zeichnet.

Diese Sichtweise entspricht be- kanntlich nicht unserer modernen Medizin: wir Ärzte werden vielmehr dafür ausgebildet und bezahlt, Krankheitssymptome an den ver- schiedenen Körperorganen mög- lichst rasch zum Verschwinden zu bringen; sobald das geschehen ist, hört meist die Bezahlung auf. Fort- schritte unserer Medizin bestehen daher insbesondere in der Entdek- kung immer kleinerer Teilbereiche von Organen, ihrer möglichen Krankheitssymptome und deren Be- handlung sowie — Folge dieser Wis- sensvermehrung — in der Entstehung immer neuer Facharztspezialisierun- gen und Abhängigkeit von immer aufwendigerer Technik. Das von uns beherrschte kostenaufwendigste Ge- sundheitswesen aller Zeiten hat da- her dazu geführt, daß wir über zahl- reiche Fachspezialisierungen Mei- ster im kurzfristigen Wegmachen A-2342 (36) Dt. Ärztebl. 86, Heft 34/35, 28. August 1989

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oder Lindern von Symptomen ge- worden sind und den Patienten zum nächsten Spezialisten weiterreichen, sobald ein anderes Organsystem Symptome aufweist — ein meist un- koordiniertes Neben- und Nachein- ander der Spezialisten.

Der Zusammenhang wird verschleiert

Im Grunde sagen uns Erfahrung und gesunder Menschenverstand, daß es mit unseren Krankheiten nicht viel anders ist als bei den Rob- ben in der Nordsee. Jeder wird an seiner persönlichen — angeborenen oder erworbenen — Schwachstelle dann krank, wenn seine Lebensbe- dingungen ein bestimmtes Maß an Belastung übersteigen — Vater kriegt's wieder am Magen, Mutter hängt depressiv durch, die Tochter hat Brechdurchfall. Oder auf der Ar- beit: die Abteilung mit den miese- sten Arbeitsbedingungen hat auch die höchste Zahl an Krankmeldun- gen. Doch der Blick ins Detail der einzelnen Krankheitserscheinung mit ihren vielen lateinischen Namen verschleiert den Zusammenhang, und wir begnügen uns mit einer sim- plen Folge von Ursache und Wir- kung: Ursache sind die Grippeviren, die angeborene Allergieneigung, die Übersäuerung der Magenschleim- haut.

Diese Medizin entmündigt: sie nimmt uns als Patienten die Verant- wortung, für unsere Gesundheit tätig und gegen krankmachende System- bedingungen aktiv zu werden, so wie sie uns Ärzte dazu herabwürdigt, oft nur als Makler zwischen Industrie und Patient chemische Substanzen weiterzureichen. Sie ist auch kosten- treibend, indem sie entsprechend ih- ren Finanzierungsspielregeln auf- wendige Diagnostik und Therapie fördert, obwohl die meisten Störun- gen auch von allein wieder ver- schwinden. Und sie ist inhuman, in- dem sie die natürliche Ruhepause des Krankseins chemisch unter- drückt und damit langfristig chroni- sche Leiden fördert.

Natürlich: mit unserer moder- nen, auf immer kleinere Aufgaben-

felder spezialisierten Medizin ließen sich beachtliche Erfolge erzielen, auf die ernsthaft niemand verzichten will

— etwa rasche Linderung unangeneh- mer Krankheitssymptome, eine ge- ringe Geburtensterblichkeit und ho- he Lebenserwartung. Erkrankungs- häufigkeit und krankheitsbedingtes Leid sind jedoch durch diese auf- wendige Medizin nicht seltener ge- worden; wir Mediziner nehmen nur häufig das ganze Leiden unserer Pa- tienten nicht wahr, denn wir sind ja nur zuständig für deren Herzrhyth- musstörung oder die juckende Haut- erkrankung und bei dieser Symptom- behandlung auch erfolgreich. Was Wunder: wir werden nicht dafür aus- gebildet und bezahlt, die Ursachen von Krankheitsanfälligkeit vorbeu- gend zu beeinflussen; die Kassen zahlen dagegen unbegrenzt, immer wieder andere Krankheitssymptome zu kurieren. Eine solche Medizin dif- ferenziert sich zwangsläufig immer weiter und wächst ins Unermeßliche.

Kostenkrisen wird es daher im- mer wieder geben, solange unser Ge- sundheitswesen die Arbeit an der Krankheit besser bezahlt als Leistun- gen für stabilere Gesundheit Die nächste Krise steht bereits für die neunziger Jahre ins Haus, denn ne- ben dieser „Programmierung auf Ex- pansionskurs" kommen zusätzliche Lawinen an Behandlungsbedarf auf uns zu: eine erhebliche Zunahme des Anteils an alten Menschen in unse- rer Bevölkerung, jene also, die häufi- ger krank und pflegebedürftig wer- den. So wird sich die Zahl der Pfle- gebedürftigen in unserem Land bis 1995 auf schätzungsweise zwei Mil- lionen verdoppeln. Ein ähnlich gro- ßer Schub an Behandlungs- und Pflegebedarf könnte ferner durch die weitere Verbreitung von AIDS entstehen.

Über Umgestaltung nachdenken

Die Krisen unseres Gesund- heitsunwesens gehen uns allen an die Nieren. Denn dieses System diktiert, wie wir als Patienten behandelt wer- den, und uns Gesundheitsarbeitern diktiert es die Bedingungen da, wo

wir die meiste Zeit unseres Lebens verbringen — am Arbeitsplatz. Es ist persönliches Interesse, wenn wir über die Umgestaltung unseres Me- dizinsystems nachdenken, statt abzu- warten und auch die nächste Krise von Politikern und Lobbyisten mana- gen zu lassen.

D -ei Beispiele aus der Psychia- trie sollen verdeutlichen, wo Mög- lichkeiten und Grenzen einer ökolo- gisch ausgerichteten Medizin liegen, einer Heilkunde, die auf langfristige Senkung krankmachender Bedin- gungen ausgerichtet ist und die Ent- mündigung von Patient und Gesund- heitsarbeiter zu überwinden sucht.

Die Verantwortung selbst übernehmen

Der 17jährige Jürgen leidet seit zwei Jah- ren zunehmend unter krampfartigen Bauch- schmerzen ohne organischen Befund. Blind- darmentfernung, Schmerz-, Magen- und Be- ruhigungsmittel, zahlreiche Hausbesuche durch Haus- und Notarzt sowie umfangreiche Untersuchungen bei stationären Kranken- hausbehandlungen ergaben jeweils nur kurz- fristige Besserung. Erhebliche Angst vor den Schmerzattacken und schließlich Selbstmord- gedanken führen den Patienten in eine psych- iatrische Klinik. In der dort durchgeführten Familientherapie zeigt sich, daß Magen- schmerzen bei beiden Eltern und einer Groß- mutter vorkommen, der Vater bereits zahlrei- che Geschwüre und Magenteilentfernung hinter sich hat, die Mutter abhängig von Be- ruhigungs- und Schmerzmitteln ist. Es fällt auf, daß in der Familie bei vordergründigem Harmoniestreben Körperkontakt und Ge- fühlsäußerungen verpönt sind, insbesondere nicht über Arger oder Enttäuschungen ge- sprochen wird; Zuwendung untereinander er- folgt jedoch prompt bei Magenschmerzen.

Auffällig ist ferner eine starke wechselseitige Abhängigkeit zwischen dem verwöhnten Ein- zelkind Jürgen und der Mutter, die alle Au- ßenkontakte aufgegeben und ihr Leben ganz auf Haushalt und Betreuung ihres Sohnes ausgerichtet hat, ähnlich wie sie es von ihrer Mutter erlebte.

In viermonatiger Behandlung vollzieht sich eine dramatische Wende: Jürgen wird stationär behandelt, wohnt dabei in einer fa- milienähnlichen Wohngruppe der Klinik mit Gleichaltrigen zusammen, erlebt dort seine erste Liebesbeziehung und entwickelt gegen den Widerstand der Eltern einen altersgemä- ßen Lebensstil, den er auch nach der Rück- kehr ins Elternhaus durchhält. In wöchent- lichen Gesprächen lernen die Familienange- hörigen während dieser Zeit, Konflikte offen zu besprechen und dabei einander ihre Ge- fühle zu zeigen, wobei die Eltern in der Aus- einandersetzung mit Jürgens Ablösungspro- zeß zu einer solidarischen Haltung als Eltern

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und einer neuen, intensiveren ehelichen Bin- dung finden. Die Mutter, die zu Therapiebe- ginn in eine tiefe depressive Krise geriet, ent- wickelt allmählich eine andere Lebenseinstel- lung, knüpft wieder Außenkontakte und fühlt sich „jetzt stark, noch etwas aus meinem Le- ben zu machen, auch einmal an mich zu den- ken". Die Beschwerden der Eltern sind er- heblich zurückgegangen, Jürgen selbst ist be- schwerdefrei. Den Familienmitgliedern ist deutlich geworden, durch welche Bedingun- gen sie auch weiterhin gefährdet sind, in Kri- sen mit körperlichen Beschwerden zu geraten

— krankmachende Bedingungen, die wie so oft seit Generationen „vererbt" wurden. Damit haben sie in partnerschaftlicher Arbeit mit den Therapeuten die Verantwortung für ihre Gesunderhaltung selbst übernommen.

„Konkurrenz"

verhindert

eine Koordination

Herbert, 34 Jahre, leidet seit über 10 Jah- ren an einer schizophrenen Psychose und dreht sich seitdem in einem immer gleichen Teufelskreis: aus der Klinik wird er jeweils zu den Eltern entlassen. Diese sind der emotio- nalen Belastung aber auf Dauer nicht ge- wachsen.

Die Mutter konsultiert inzwischen häufig mit körperlich-depressiven Symptomen ihren Haus- und Frauenarzt und nimmt regelmäßig Beruhigungsmittel ein. Der Vater trinkt seit einigen Jahren, hat darüber inzwischen seine Arbeit verloren. Innerhalb weniger Wochen eskaliert die häusliche Situation jedesmal ins Unerträgliche. Niedergelassene Ärzte, über- fordert mit Herberts Unruhe im Rahmen ih- rer Praxis, spritzen und verschreiben eigent- lich ungeeignete stimmungsaufhellende und beruhigende Medikamente, nach denen Her- bert inzwischen süchtig ist, zusätzlich zu sei- ner seelischen Erkrankung. Nach Zwischen- fällen, etwa Selbstmordversuchen oder ag- gressiven Handlungen, veranlassen die Be- hörden jeweils eine erneute Klinikein-

Offenheit, Vertrauen sind ansteckend

Eine psychiatrische Krankenstation arbei- tet über Jahre traditionell: jeder erledigt sei- nen Job am Patienten in seinem beruflichen Zuständigkeitsfeld, es gibt die üblichen Pro- bleme der Informationsweitergabe und The- rapiekoordination; persönliche Probleme zwi- schen den Mitarbeitern, Hierarchiedenken, Zuständigkeitsgerangel und Profilierungs- streben beeinflussen mehr unbewußt als be- wußt Behandlung und Verlegungspraxis.

Nach einem Wechsel in der Stationsleitung entsteht allmählich eine vertrauensvollere und solidarische Haltung unter den Mitarbei- tern: Nachdem beim gemeinsamen Kaffee- trinken ein persönlicher Austausch zwischen den Mitarbeitern Alltag geworden ist, gelin- gen Verständnis und Rücksichtnahme auf

weisung — ein Kreislauf, der lange Zeit mehr- mals im Jahr durchlaufen wurde.

Mitarbeiter einer außerklinischen Initiati- ve aus Fachleuten und „Laienhelfern", die gemeindenahe Hilfen für seelisch Kranke an- bieten, finden schließlich das Vertrauen von Herbert und seiner Familie. Sie stellen die seit Jahren fehlende Verbindung zwischen al- len Beteiligten her: Gespräche mit Klinikmit- arbeitern, niedergelassenen Ärzten und Kreisgesundheitsamt, Hausbesuche in der Familie. Es gelingt, Herbert zur regelmäßigen Einnahme der in der Klinik zur Behandlung der Krankheitsbeschwerden verordneten Me- dikamente zu motivieren, er findet eine Ta- gesstruktur außerhalb seiner Familie, die El- tern erleben in einer Angehörigengruppe Un- terstützung und Entlastung von Schuldgefüh- len. Die familiäre Situation ist jedoch bereits so belastet, daß die wiederkehrende Eskala- tion des Teufelskreises zwar erheblich verzö- gert, aber nicht verhindert werden kann, so- lange Herbert noch bei den Eltern lebt. Das in dieser Situation nötige Projekt, eine be- treute Wohngemeinschaft für Herbert, schei- tert jedoch am Zuständigkeitsstreit der betei- ligten Kostenträger, die andererseits in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich — und zu- sätzlich zur aufwendigen Arbeit verschiede- ner Behörden — seit Jahren hohe Leistungen für die Familienmitglieder erbringen: Kran- kenkasse, Sozialhilfeträger, Arbeitsamt, Ren- tenversicherung.

Es ist der Normalfall, daß unser Gesund- heitssystem als bloßer Reparaturbetrieb ar- beitet und dadurch hohe direkte Kosten und gesellschaftliche Folgekosten produziert, statt vorbeugend Krankheitsrisiken zu min- dern. Das Schizophrene im Fall des schizo- phrenen Herbert: alle beruflich Beteiligten sind in dem Gefühl tätig, gute Arbeit zu lei- sten, die Klinik-Krankenschwester wie der Gynäkologe von Herberts Mutter. Das Sy- stem hat sie so weit entmündigt, daß sie nur noch für Teilbereiche zuständig sind und da- bei auch erfolgreich. Eine Koordination und Vernetzung wird durch die im System einge- baute Konkurrenz zwischen den verschiede- nen Berufsgruppen und Leistungserbringern wirksam verhindert.

überlastete Kollegen leichter, können Kon- flikte und Pannen offen besprochen werden, wobei Verbesserungsideen und Lösungen Vorrang vor Schuldzuweisungen haben. Je weniger Angst besteht, daß Gefühlsäußerun- gen und Schwächen ausgenutzt werden, desto mehr finden sich Lösungen für persönliche Probleme in der Zusammenarbeit, die früher unausgesprochen auf der fachlichen Ebene ausgetragen wurden. Je weniger die Mitarbei- ter sich als austauschbare und durch Dienst- vorschriften gegängelte Funktionsträger erle- ben, desto mehr wächst auch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen: wo früher häufig Bequemlichkeit und Prestigestreben bei der Arbeit im Vordergrund standen, ent- stehen jetzt Initiative und Teamgeist, wird

„Zuständigkeit" durch „Selbständigkeit" er- setzt. Seitdem fachliche Erfolge nicht mehr von den „Chefs" eingeheimst werden können, vielmehr sich jeder Mitarbeiter anerkannt fühlt und seine Leistung als wichtig erlebt,

hat die Zahl der Krankmeldungen deutlich nachgelassen.

Die offene, familiäre Duz-Atmosphäre dieser Station hat interessante Auswirkungen auf traditionell „erzogene" Mitarbeiter, die neu ins Team kommen, Kollegen von Nach- barstationen und Vorgesetzte. Auch skepti- sche Beobachter müssen zugeben, daß die durch Kaffeetrinken vertrödelte Zeit sich durch eine bessere Arbeitsleistung und Zu- friedenheit bei der Arbeit bezahlt macht. Und alle Beteiligten spüren, wie ansteckend Of- fenheit und Vertrauen sind: wenn ein Mitar- beiter den Mut zum ersten Schritt hat, kann sein Gesprächspartner nicht anders als mitzu- gehen, es sei denn, er ergreift die Flucht. Zu- nächst wird er nur ein wenig von seinem be- ruflichen Rollenspiel ablegen können, noch voller Angst etwa vor Autoritätsverlust. Aber bereits in den nächsten Gesprächen wird er beispielsweise der Freizeitschilderung des Kollegen zuhören, dann wie selbstverständ- lich von eigenen Interessen berichten, später auch auf private Sorgen eingehen können — ein sich hochschaukelnder Prozeß zu einer Atmosphäre, in der es Spaß macht miteinan- der zu arbeiten, und die als Basis der be- schriebenen „systemischen Revolution" un- umgänglich ist.

Wo gibt es wohl eine Behand- lung wie die von Jürgen, Arbeitsbe- dingungen wie die beschriebenen?

Eine Grundregel systemischen Den- kens lautet, daß derjenige die Sy- stembedingungen ändern kann, der Teil des Systems ist. Die entschei- dende Frage für uns ist, ob wir den mühsamen Schritt vom systemischen Denken zum systemischen Handeln vollziehen wollen. Denn da wir alle Teil des Gesundheitssystems sind, können wir ab sofort verändernd ein- greifen, uns gegen die Entmündi- gung wehren, unsere Verantwortung zurückholen: als Patienten, indem wir mehr fordern als die Linderung eines Organsymptoms, nämlich Ar- beit an dessen Entstehungsbedin- gungen und Entwicklung von Strate- gien zur „Tertiärprophylaxe", zur Verhinderung einer Wiedererkran- kung — und erst recht als Gesund- heitsarbeiter, die wir es im Griff ha- ben, unsere Arbeitsbedingungen zu verändern — zum Wohle unserer Pa- tienten und zu unserem eigenen Wohle. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Zum Wohle!

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Jo Becker SPIX e.V.

Marsstraße 44, 4232 Xanten

Dt. Ärztebl. 86, Heft 34/35, 28. August 1989 (41) A-2345

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