M E D I Z I N
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 30½½½½27. Juli 2001 AA1957
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lkohol ist ein Genussmittel:wohlschmeckend und wohltu- end, gesellschaftsfähig und ge- sellschaftsbildend. Was ist dagegen ein
„trockenes Dasein“? Zudem wirkt Al- kohol wie ein Psychopharmakon, das entspannt und euphorisiert, sedierend und schlafanstoßend wirkt.
Auf der anderen Seite aber ist Alko- hol toxisch, nicht nur bei Missbrauch großer Mengen, sondern auch schon bei mäßigen Mengen. Und das um so mehr, weil bei regel-
mäßigem Alkoholkon- sum Toleranz, Dosis- steigerung und Abhän- gigkeit eintreten. Alko- hol ist also ein Sucht- mittel.
Größtes Suchtproblem
Alkoholabhängigkeit ist das größte Suchtpro- blem unserer Gesell- schaft: Circa ein bis drei Prozent der Bevölke- rung sind alkoholab- hängig, das sind minde- stens zwei Millionen Personen in der Bun-
desrepublik, etwa ebenso viele sind durch Missbrauch gefährdet, und über diese hinaus sind noch mehr Menschen im familiären und sozialen Umkreis der Kranken ernsthaft mitbetroffen. In chirurgischen und internistischen Ab- teilungen finden sich circa 20 Prozent Alkoholpatienten, oft bleibt hier der Alkoholismus unerkannt. In psychia- trischen Krankenhäusern sind circa 30 Prozent der Patienten alkoholkrank, und bei 40 Prozent aller Aufnahmen
sind Alkoholpatienten zu verzeichnen.
Diese Situation hat die interdiszipli- näre medizinisch-wissenschaftliche Re- daktion des Deutschen Ärzteblatts zu der in diesem Heft beginnenden Serie motiviert. Im Folgenden werden die Themenschwerpunkte der einzelnen Beiträge und die Autoren vorgestellt.
Alkoholismus ist nicht erst heute, sondern auch medizingeschichtlich als Problem nachweisbar. Zu diesem The- ma wird sich H. Schott, Bonn, äußern.
Die gesellschaftlichen Zusammenhän- ge des Alkoholkonsums und -miss- brauchs diskutiert H. Thiersch aus Tü- bingen. Das inzwischen gesicherte epi- demiologische Wissen stellt H. Küfner, München, dar.
Schwerpunkt der Ätiologiefor- schung ist heute die Neurobiologie, über die A. Heinz und K. Mann, Mann- heim, berichten werden. Immer mehr toxische Folgen des Alkoholismus wer- den in zahlreichen organpathologi-
schen Gebieten bekannt. Hierüber re- ferieren H. Singer und S. Tyssen aus Mannheim.
Nicht minder verheerend sind die Folgen auf psychischem und sozialem Gebiet. Hierüber und über Komorbi- ditäten berichtet M. Soyka, München.
A. Batra und G. Buchkremer, Tü- bingen, stellen die enge Beziehung zwi- schen Alkoholkonsum und dem süch- tigen Missbrauch von Tabak und von anderen Drogen dar. H. Remschmidt, Marburg, erklärt, was insbesondere bei Kindern und Jugendlichen zu beachten ist.
Die Prognose der Alkoholabhängig- keit ist ohne Behandlung sehr ungün- stig. Therapeutisch kommt es auf die Frühdiagnose und die fachlich optima- len Behandlungsmodi an. Über den geplanten, patientenorientierten und störungsgerichteten Umgang mit den Betroffenen berichtet U. John, Greifs- wald. Die übliche Entgiftung im allge- meinen Krankenhaus gilt nicht mehr als ausreichend. An deren Stelle ist der
„qualifizierte Entzug“ mit Motivati- onsarbeit getreten, um die Bereitschaft des Patienten zur Entwöhnungsbe- handlung zu erreichen; auch über die Rehabilitation liegen neue Erkenntnis- se vor, über die K. Mann et al., Mann- heim, berichten werden.
Die Reihe soll abgeschlossen wer- den mit dem aktuellen Thema „Mode- rater Alkoholkonsum, protektiv wirk- sam oder doch schädlich?“ (M. Singer, Mannheim).
❚Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 2001; 98: A 1957 [Heft 30]
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Rainer Tölle Albert-Schweitzer-Straße 11 48149 Münster