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Archiv "Chronische Niereninsuffizienz: Patienten werden zu spät zum Nephrologen überwiesen" (27.09.2002)

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ie Behandlungsergebnisse chro- nisch niereninsuffizienter Patien- ten durch Hämodialyse oder kon- tinuierliche ambulante Peritonealdialy- se (CAPD) sind nicht zufriedenstel- lend. Die Mortalität infolge kardio- vaskulärer Zwischenfälle und Infek- tionen ist so hoch, dass die jährliche Sterbequote in den USA bei 23 Prozent (1) und in Deutschland etwa bei 15 bis 20 Prozent (2) liegt. Damit ist die Lebenserwartung eines 60-jährigen Pa- tienten an der Dialyse schlechter als die eines Patienten mit Prostatakar- zinom und vergleichbar mit der eines Patienten mit gastrointestinalem Kar- zinom (3).

Ein wichtiger Grund für die hohe Mortalität liegt darin, dass Spätkompli- kationen an der Dialyse auf Störungen zurückgehen, die bereits im frühen Sta- dium der Nierenerkrankung auftreten.

Speziell gilt dies für so genannte klassi- sche und nicht klassische kardiovas- kuläre Risikofaktoren (4). In diesem Zusammenhang spielen späte Überwei- sung und späte fachärztliche Betreuung eine wichtige Rolle, weil hierdurch zwei Dinge verhindert werden:

1. Frühzeitige Intervention, um das Fortschreiten des Nierenfunktionsver- lustes (Progression) zu verzögern, wozu heute sehr effektive Maßnahmen zur Verfügung stehen, und

2. Verhinderung des Auftretens Ur- ämie-spezifischer Komplikationen, spe- ziell kardiovaskulärer Komplikationen.

Außerdem führt eine zu späte Über- weisung des Patienten dazu, dass die Dialyse spät und ohne entsprechende Vorbereitung des Patienten begonnen werden muss. Häufig erfolgt die Erst- dialyse dann unter Nofallbedingungen.

Dies war bei den von uns untersuchten Patienten (5) bei 26 Prozent der Fälle

nötig und ist vergesellschaftet mit einer sehr hohen Frühmortalität (6).

Als späte Überweisung wird in der nephrologischen Literatur in der Regel eine Zuweisung drei Monate oder weni- ger vor Dialysebeginn angegeben. Die hierzu berichteten Zahlen sind 64 Pro- zent in Schottland (7), 58 Prozent in den USA (8), 40 Prozent in Kanada (9), 41 Prozent in der Schweiz (10), 34 Prozent in Belgien (11), 42 Prozent in England

(12), 30 Prozent in Frankreich (13) und mehr als 26 Prozent in Deutschland (5).

Es handelt sich demnach nicht um ein für Deutschland spezifisches Phänomen.

Nach van Biesen (20) waren 20 Pro- zent der von Allgemeinärzten, 60 Pro- zent der von Internisten, 25 Prozent der von Urologen, 35 Prozent der von Endo- krinologen und 40 Prozent der von Kar- diologen zugewiesenen niereninsuffizi- enten Patienten zu spät überwiesen wor- den. Während also generell der Anteil der Spätüberweisungen bei Fachärzten relativ hoch ist, ist nach eigenen Untersu- chungen (4, 5, 6) absolut die Zahl der von Allgemeinärzten spät überwiesenen nie- reninsuffizienten Patienten am höchsten.

Ein Grund kann darin liegen, dass nierenkranke Patienten in einer typi- schen Allgemeinpraxis nur relativ sel- ten gesehen werden – nach Wauters (14) etwa ein Fall pro 18 Jahren in einer durchschnittlichen Praxis der französi- schen Schweiz. Deshalb sind die Kolle- gen häufig mit dem Problem nicht ver- traut. Besonders ist darauf hinzuweisen, dass eine chronische Niereninsuffizienz zunehmend bei älteren und diabeti- schen Patienten gesehen wird, bei denen wegen Ka- chexie und geringer Mus- kelmasse der Anstieg der Serum-Kreatinin-Konzen- tration selbst bei fortge- schrittener Niereninsuf- fizienz gering ist. Infolge- dessen wird häufig das Aus- maß der Niereninsuffizienz vom Nichtfachmann unter- schätzt (5). So kann zum Beispiel bei einer muskel- schwachen 65-jährigen Dia- betikerin ein Serum-Kreati- ninwert von 3 mg/dl bereits einer dialysepflichtigen ter- minalen Niereninsuffizienz mit einem Filtrat von 10 ml/min entsprechen.

Prinzipiell können beim Patienten zu suchende Faktoren, Probleme seitens der vorbehandelnden Ärzte und schließ- lich im Gesundheitssystem begründete Hemmnisse als Gründe angeführt wer- den (Tabelle).

In zahlreichen Untersuchungen wur- den als Ursache fehlender oder zu spä- ter Überweisung durch den primär be- treuenden Arzt folgende Gründe ge- funden: Ablehnung einer Nierener- satztherapie durch den betreuenden Arzt wegen Alter oder Co-Morbidität des Patienten (7, 15), Unkenntnis von Nicht-Nephrologen über Möglichkei- P O L I T I K

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A2528 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 3927. September 2002

Chronische Niereninsuffizienz

Patienten werden zu spät zum Nephrologen überwiesen

Das Ausmaß der Nierenfunktionsstörung wird bei multimorbiden Patienten vielfach unterschätzt. Wann sollte ein Nephrologe konsultiert werden?

Medizinreport

Eine zu späte Überweisung der Nierenpatienten hat zur Folge, dass die Erstdialyse häufig unter Notfallbe- dingungen erfolgt. Foto: Peter Wirtz

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Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 3927. September 2002 AA2529

ten und Bedeutung von Interventionen, wie zum Beispiel die Notwendigkeit ei- nes niedrigen (125/70 mm Hg) Zielblut- drucks (16), oder die blutdruckunab- hängige renoprotektive Wirkung der pharmakologischen Blockade des Re- nin-Angiotensin-Systems (17).

Verkannt wird ferner häufig die Wichtigkeit der Senkung des kardiovas- kulären Risikos durch frühzeitige Be- handlung von renaler Anämie (18) und Hyperphosphatämie, die beide erst in neuerer Zeit erkannte, nichtklassische kardiovaskuläre Risikofaktoren dar- stellen (19). Bei mangelhafter kollegia- ler Zusammenarbeit mag auch die Be- sorgnis, den Patienten bei der Über- weisung zu verlieren, eine Rolle spie- len. Einen nierenkranken Patienten erst im präterminalen Stadium der Nie- reninsuffizienz zum Nephrologen zu überweisen wäre vergleichbar mit dem Vorgehen, einen herzkranken Patien- ten erst bei einer Ejektionsfraktion von 30 Prozent dem Kardiologen vorzu- stellen.

In zahlreichen Untersuchungen wur- de gezeigt, dass bei später Überwei- sung, speziell wenn die Erstdialyse als Notfallmaßnahme erfolgt, sowohl die Mortalität als auch die Morbidität er- heblich gesteigert sind. Um ein Beispiel anzuführen, fand Jungers in Paris, dass kardiovaskuläre Morbidität und 5-Jah- res-Überleben an der Dialyse signifi- kant davon abhing, wie lange der Pati- ent in der Prädialysephase durch ein Be- handlungsteam betreut wurde, in wel- ches ein Nephrologe integriert war.

Finanzielle Konsequenzen

Bei Patienten, die weniger als sechs Mo- nate vor der Dialyse unter Einbezie- hung des Nephrologen betreut wurden, lag die kardiovaskuläre Morbidität bei 39,6 Prozent, die 5-Jahres-Überlebens- rate bei 58 Prozent. Im Gegensatz hier- zu betrug bei den Patienten, die mehr als 35 Monate vor Dialysebeginn unter Einbeziehung des Facharztes betreut worden waren, die kardiovaskuläre Morbidität nur 21 Prozent und die 5-Jahres-Überlebensrate 77 Prozent (21).

Die hohe Mortalität betrifft vor allem ältere Patienten oder Patienten mit ho- hem kardiovaskulärem Risiko (6).

In Zeiten explodierender Kosten im Gesundheitswesen sei auch auf die fi- nanziellen Konsequenzen der hohen Morbidität hingewiesen. Jungers (21) fand, dass die Hospitalisierungsdauer im ersten Dialysebehandlungsjahr bei

Patienten mit später Zuweisung 30 Ta- ge, im Vergleich zu acht Tage bei früher Zuweisung, signifikant höher lag und dass hierdurch Mehrkosten in Höhe von 30 000 Euro anfielen.

Es wurde auch gezeigt, dass Patien- ten, die spät oder gar unter Notfallbe- dingungen zugewiesen werden (20), sel- tener CAPD (kontinuierliche ambulan- te Peritonealdialyse) als im Vergleich zur Hämodialyse schonenderes und ko- stengünstigeres Verfahren wählten.

Nicht zuletzt ist ein wichtiger Grund, dass bei später Zuweisung die psycholo- gische und emotionale Vorbereitung des Patienten und seiner Familie auf die Nie- renersatztherapie im Endstadium unter- bleibt, ebenso wie die rechtzeitige chirur- gische Schaffung eines Gefäßzuganges.

Schließlich ist die Akutdialyse über einen zentralvenösen Zugangsweg wegen der hohen Infektionsgefahr besonders kom- plikationsträchtig und wirkt sich negativ auf das Patientenüberleben aus.

Wie zuletzt die National Kidney Foundation in Form der K-DOQI Guidelines (22) hat eine Reihe von Fachgesellschaften Richtlinien zur Ver- besserung der Betreuung niereninsuffi-

zienter Patienten und die empfohlene Form der Zusammenarbeit zwischen primär betreuendem Arzt und Nephro- logen aufgestellt. Für Deutschland lie- gen nur im Hinblick auf die Betreuung diabetischer Patienten derartige publi- zierte Richtlinien vor (23).

Die Autoren dieses Artikels schla- gen, mit Zustimmung der entsprechen- den Fachgesellschaften (Deutsche Ar- beitsgemeinschaft für Klinische Ne- phrologie und Deutsche Dialysegesell- schaft Niedergelassener Ärzte) folgen- de Vorgehensweise vor:

Patienten mit klinisch manifester Nierenerkrankung sollten bei Serum- Kreatininwerten über 1,5 mg minde- stens einmal jährlich dem nephrologi- schen Facharzt vorgestellt werden, des- sen Aufgabe als konsultierter Spezialist es ist zu überprüfen und Vorschläge zu machen, ob die Behandlung dem gegen- wärtigen Wissensstand entspricht und ob alle Möglichkeiten der Progressions- hemmung beziehungsweise der Vermei- dung Niereninsuffizienz-typischer Spät- komplikationen ergriffen sind.

Bei einer Kreatinin-Clearance von etwa 30 ml/min sollte der Nephrolo- ge zum hauptbetreuenden Arzt wer- den unter der Vorstellung, dass hiermit eine rechtzeitige Intervention sowie präventive Maßnahmen zur Vermei- dung Urämie-typischer Komplikatio- nen, rechtzeitige Schaffung eines Ge- fäßzugangs, Patientenaufklärung und entsprechende Therapiewahl (Hämo- dialyse, CAPD, Nierentransplantation inklusive Lebendspende von verwand- ten oder nicht verwandten Spendern) gewährleistet sind.

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschriften der Verfasser:

Prof. Dr. Eberhard Ritz Prof. Dr. Martin Zeier Medizinische Universitäts-Klinik Sektion Nephrologie

Bergheimer Straße 58, 69115 Heidelberg Prof. Dr. med. Karl Wilhelm Kühn Städtische Krankenanstalten Medizinische Klinik I

Postfach 62 80, 76042 Karlsruhe Dr. med. Heinrich Kütemeyer Dialysezentrum

Pillauer Straße 6–8 75181 Pforzheim

´ TabelleCC´

Gründe für späte Überweisung

1. Krankheitsverlauf – fehlende Symptome

– rasche Progredienz der Nierenerkrankung – akute Verschlechterung vorbestehender

Niereninsuffizienz („acute on chronic renal failure“)

2. Patientenbezogene Gründe

– Krankheitsverleugnung („denial“) – Multimorbidität

3. Gründe seitens des betreuenden Arztes – Unterschätzung des renalen Risikos – Mangelnde Kommunikation 4. Probleme seitens des Gesundheitssystems

– Limitierter/fehlender Zugang zum Spezialisten

– Negative Inzentive (zum Beispiel finanzieller Art)

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