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Archiv "Herder-Dorneich: Kostendämpfung durch „mehr Rationalität“" (27.01.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DAS INTERVIEW

Die vom Bundesarbeitsmini- ster berufene „Beratergrup- pe zur Neuordnung der

Krankenhausfinanzierung"

ist zu einem Ergebnis ge- kommen: Noch im Dezem- ber vorigen Jahres hat sie Minister Dr. Norbert Blüm ein 270 Seiten umfassendes Gutachten nebst einem 132 Seiten starken „Anhang"

auf den Gabentisch gelegt (dazu auch Heft 3/1984, Sei- te 98: „Expertenkommission setzt auf ,Selbstverwal- tungslösung — ).

Die Kommission unter dem Vorsitz des Präsidenten des Bundessozialgerichts, Prof.

Dr. jur. Georg Wannagat, schloß damit ihre rund acht Monate dauernde Arbeit ab.

Ihr gehörten 15 unabhängi- ge Sachverständige (Wis- senschaftler und Kranken- haus-Praktiker) an. Die Be- ratergruppe analysierte die Mängel des gegenwärtigen Krankenhaussystems und entwickelte alternative Lö- sungsmodelle zu Fragen der Bedarfsplanung, Finanzie- rung und Preisgestaltung im stationären Sektor.

Mit einem der „Weisen", dem Kölner Sozialwissen- schaftler Prof. Dr. rer. pol.

Philipp Herder-Dorneich, Ordinarius für Sozialpolitik an der Universität Köln, führ- te das DEUTSCHE ÄRZTE- BLATT ein Interview zum In- halt des Gutachtens und zu den Perspektiven der Kran- kenhausfinanzierung ...

Frage: Was bringt das Gutachten zur Neuordnung der Kranken-

hausfinanzierung, das jetzt Bun- desarbeitsminister Blüm vorliegt, an Neuerungen? Was verspricht die Devise mehr Wirtschaftlichkeit durch „mehr Markt" für die Kran- kenhäuser und die am Kranken- hauswesen Beteiligten?

Prof. Herder-Dorneich: Das deut- sche Krankenhauswesen bildete seit seinen Anfängen im Mittelal-

99

Von der bloßen Vollkostenerstat- tung sollte man abgehen, denn sie lähmt jede Initiative. Demge- genüber sollte ,mehr Wettbe- werb' durch prospektive ‚Prei- se' ermöglicht werden. Dabei wird es für Krankenhäuser mög- lich, auch Überschüsse zu erzie- len und nicht nur Verluste zu machen.

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ter immer eine öffentliche Aufga- be. Gegenwärtig ist der Einfluß des Staates besonders groß. Dem- gegenüber soll mehr Selbstbe- stimmung und mehr Selbstverant- wortung für die Krankenhäuser ermöglicht werden. Der Schritt zu einer rein marktwirtschaftlichen Verfassung wäre allerdings zu groß; andererseits ist dies auch nicht der einzige Weg zu mehr Selbstverantwortung. Wir setzen in hohem Maße auch auf „mehr Selbstverwaltung". Die Selbstver- NEUORDNUNG DER KRANKENHAUSFINANZIERUNG

Herder-Dorneich:

Kostendämpfung durch

„mehr Rationalität"

waltung der Krankenhäuser sollte verstärkt werden und Zug um Zug, zusammen mit der Selbstverwal- tung der Krankenkassen, Steue- rungsaufgaben übernehmen. Da- neben verbleiben dem Staat, ins- besondere den Ländern, wichtige Aufgaben. Ich glaube in der Tat nicht, daß ein einziges ideales Fi- nanzierungssystem sämtliche Steuerungsaufgaben im Kranken- hauswesen zu leisten vermag; da- für ist dieses einfach viel zu kom- pliziert. Verschiedene Steue- rungssysteme sollten sich so er- gänzen, daß jeweils ihre Vorteile zum Tragen kommen und ihre Nachteile sich gegenseitig aufhe- ben. Das sind insbesondere Wett- bewerb, Gruppenverhandlungen der Selbstverwaltung, staatliche Planung. Also ein Konzept der Vielfachsteuerung.

Frage: Welches sind die neuen In- strumente in diesem Konzept?

Prof. Herder-Dorneich: Der voll- pauschalierte Pflegesatz sollte fallen. Von der bloßen Voll- kostenerstattung sollte man abge- hen, denn sie lähmt jede Initiative.

Demgegenüber sollte „mehr Wettbewerb" durch prospektive

„Preise" ermöglicht werden. Da- bei wird es für die Krankenhäuser möglich, auch Überschüsse zu er- zielen und nicht nur Verluste zu machen. Das bringt sicherlich An- reize zu mehr Wirtschaftlichkeit.

Wir schlagen eine Krankenhaus- gebührenordnung (GOK) vor, die Komplexleistungen vergütet und so weit gefaßt ist, daß sich alle Krankenhäuser beteiligen und da- durch in Wettbewerb treten kön- nen. Demgegenüber sollen be- sondere „Vergütungen für Versor- gungsaufträge" dem Sicherstel- lungsauftrag des Krankenhauswe- sens entsprechen. In diese Vergü- tungen fließen staatliche Mittel;

sie kommen nur denjenigen Häu- sern zugute, die Versorgungsauf- träge innerhalb des Krankenhaus- planes übernehmen. Damit bilden sie gegenüber den Wettbewerbs- elementen die Planungskompo- nente. Schließlich bleibt ein Ba- sispflegesatz, der allerdings auf 188 (34) Heft 4 vom 27. Januar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Krankenhausfinanzierung

ein so niedriges Niveau herab- geschleust werden soll, daß von ihm möglichst keine Anreize zur Verlängerung der Verweildauer mehr ausgehen.

Frage: Wird damit die dualistische Finanzierung durch Staat und Kassen beseitigt?

Prof. Herder-Dorneich: Wenn der Staat die ihm im Bereich der Kran- kenhausfinanzierung und -be- darfsplanung obliegenden Aufga- ben auf die Selbstverwaltung übertrüge, wäre dies sicherlich er- strebenswert. Aber das ist ebenso sicher auch nicht in einem Zuge zu erreichen. Wir können auf die staatlichen Mittel (gegenwärtig rund 4,3 Milliarden DM pro Jahr) auch gar nicht verzichten. Das Übel liegt gar nicht in der staat- lichen (also dualistischen) Finan- zierung der Investitionskosten, sondern im Antrags- und Kosten- erstattungssystem. Das Antrags- wesen veranlaßt die Krankenhäu- ser, möglichst viele Anträge zu stellen, um wenigstens etwas zu- gewiesen zu erhalten; das bläht die Investitionsanträge zu einem

„Antragsstau" auf. Das Kostener- stattungssystem veranlaßt dazu,

„Kosten zu machen", und er- schwert wirtschaftliches Handeln.

Staatliche (dualistische) Mitfinan- zierung kann also in dem Maße bleiben, wie es gelingt, ihre schädlichen Einflüsse auf das wirtschaftliche Verhalten der Krankenhäuser zu dämpfen.

Durch unseren Vorschlag zur

„Vergütung von Versorgungsauf- trägen" soll dies erreicht werden.

Frage: Die Selbstverwaltung soll gestärkt werden, heißt es in dem Gutachten; wie kann das erreicht werden? Zu dieser Frage hat die Robert-Bosch-Kommission, an der Sie ebenfalls mitgewirkt ha- ben, im November 1983 einen weitreichenden unkonventionel- len Vorschlag zu öffentlich-recht- lichen Krankenhauskörperschaf- ten vorgelegt. Sind solche Kör- perschaften auch im Kranken- hausbereich sachgerecht und machbar?

Prof. Herder-Dorneich: Sachge- recht: ja; machbar: kaum. Sach- gerecht sind öffentlich-rechtliche Krankenhauskörperschaften, weil ein System aus Gruppenverhand- lungen (insbesondere Konzertier- te Aktion) eben Verhandlungs- partner braucht. Als Verhand- lungspartner der Krankenkassen gibt es aber in der ambulanten ärztlichen Versorgung bereits seit 50 Jahren die Kassenärztlichen Vereinigungen. In der Kranken-

hausversorgung verhandelt jeder einzelne Krankenhausträger für sich; da sind öffentlich-rechtliche

Philipp Herder- Dorneich:

„Konzept der Vielfach- steuerung"

Foto:

privat

Krankenhauskörperschaften so- zusagen ein fehlendes Glied im System.

Machbar ist eine öffentlich-recht- liche Selbstverwaltung der Kran- kenhäuser wahrscheinlich nicht.

Dem stehen schon verfassungs- rechtliche Bedenken entgegen und vor allem die Tatsache, daß die Länder ihren Handlungsspiel- raum nicht einengen lassen möchten. Aber es gibt noch ande- re Formen, die Selbstverwaltung der Krankenhäuser zu stärken.

Wir haben solche vorgeschlagen.

Das öffentlich-rechtliche Modell ist nicht das einzige. Und übrigens haben auch die Kassenärztlichen Vereinigungen für ihre Entste- hung reichlich 30 Jahre ge- braucht. Das öffentlich-rechtliche Modell ist also auf alle Fälle zu- mindest ein markanter Orientie- rungspunkt.

Frage: Wirken ihre Vorschläge ko- stendämpfend; sind sie steue- rungseffizient?

Prof. Herder-Dorneich: Kosten- dämpfung ist sicherlich ein wichti- ges Ziel. Aber es kann kein „Ziel an sich" sein. Unsere Vorschläge wirken dadurch kostendämpfend, daß sie Anreize zu mehr Wirt- schaftlichkeit setzen und eine sachbezogenere, basisnähere Planung ermöglichen. Im einzel- nen setzen wir Anreize zur Ver- kürzung der Verweildauer und zum Abbau von überflüssigen Ka- pazitäten (vor allem Bettenab- bau). Die Möglichkeit zur Erzie- lung von Überschüssen und Ver- lusten wird die Häuser dazu ver- anlassen, mit ihren Mitteln noch sorgsamer umzugehen. Schließ- lich gibt es Instrumente zur Ko- stendämpfung auf der mittleren Ebene. Wir wollen Kostendämp- fung durch „mehr Rationalität" er- zielen.

Frage: Wie beurteilen Sie die poli- tische Realisierbarkeit der Vor- schläge der Experten-Kommis- sion?

Prof. Herder-Dorneich: Die Vor- schläge dieser unabhängigen Kommission sind kein Referen- tenentwurf. Unsere Aufgabe war es nicht, in die politischen Ver- handlungen zwischen Bund, Län- dern, Kommunen und den Ver- bänden der Beteiligten einzutre- ten, sondern vielmehr diesen eine sachbezogene Basis zu geben.

Die meisten Vorschläge, die bis- her gekommen sind, brachten — übrigens politisch gesehen zu Recht — extreme Forderungen und strategische Positionen. In der nächsten Runde der Diskus- sion sollte es jetzt um den Vorstoß zu den eigentlichen Sachen ge- hen. Dazu können wir beitragen.

Im übrigen geht es um einen lang- fristigen Entwicklungsprozeß, und dabei kommt es vor allem darauf an, ob die Richtung stimmt. Wir haben Orientierungsmarken für die nächsten Entwicklungsphasen

gesetzt.

(Die Interview-Fragen stellte Dr.

Harald Clade)

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 4 vom 27. Januar 1984 (37) 189

Referenzen

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