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Archiv "Ambulante Versorgung: Bundesweite Proteste gegen das Vorschaltgesetz" (08.01.1999)

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enn die neue Bundesre- gierung bei der Verab- schiedung des Vorschalt- gesetzes, von ihr selbst beschöni- gend „Solidaritätsstärkungsgesetz“

getauft, über die gegenwärtige Befindlichkeit der Kassenärzte noch im unklaren gewesen sein sollte, dürfte der bundesweite Aktionstag der

Kassenärztlichen Bundesvereini- gung (KBV) dem abgeholfen ha- ben. Mehr als 4 000 niederge- lassene Ärzte wa- ren dem Aufruf der KBV gefolgt und demonstrier- ten in der Stadt- halle von Bonn- Bad Godesberg gegen ein Gesetz, von dem sich die Kassenärzte mas- siv benachteiligt und in ihrer Ar- beit nachhaltig be- einträchtigt füh- len.

Zwei der vielen mitgebrachten Plakate sagten kurz und treffend, wie der Protest aus Sicht der Ärzte zu verstehen ist: „Auch Ärzte haben eine Schmerzgrenze – und die ist jetzt überschritten“, hieß es auf dem einen. Das andere zielte auf die be- reits vorab verbreitete Parole, es

ginge den Ärzten einmal mehr nur ums eigene Einkommen: „Wir kämpfen für unsere Patienten und nicht für unsere Brieftasche!“

Die Stimmung in der Godesber- ger Stadthalle war explosiv. Nur et- wa die Hälfte der angereisten Kas- senärzte fand im Saal Platz. Mehr als 2 000 Demonstranten mußten die

Kundgebung in den Vorräumen oder gar vor dem Gebäude verfol- gen. Daß der Aktionstag unweit des Bonner Regierungsviertels dennoch überwiegend diszipliniert vonstatten ging, war einer geschickten Regie zu verdanken: Es gab keine langen Re- den, sondern kurze, eindringliche

Ansprachen. Statt aufpeitschender Polemik mühten sich die meisten Teilnehmer um Argumente – wenn- gleich die Wut der Ärzte über die Fortsetzung der Budgetierung unter verschärften Bedingungen immer wieder aufbrach.

„Dieses Gesetz“, sagte der Vor- sitzende der Kassenärztlichen Bun-

desvereinigung, Dr. med. Winfried Schorre, zu Be- ginn der Veran- staltung, „ist mit überheißer Nadel gestrickt. Es ent- hält Fehler und nimmt entgegen der Darstellung der Regierung be- reits Regelungen vorweg, die erst noch im Rahmen der eigentlichen Strukturreform diskutiert werden müssen.“ Deshalb, so Schorre weiter, wollen die Kas- senärzte „ein un- überhörbares Si- gnal an die politisch Verantwortlichen setzen“. „Wir wollen deutlich ma- chen, daß große Teile des sogenann- ten Solidaritätsstärkungsgesetzes und die Art und Weise, wie es entstanden ist, so nicht akzeptabel sind.“

Wogegen sich der Protest der Kassenärzte konkret richtet, listet A-17

P O L I T I K LEITARTIKEL

Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 1–2, 8. Januar 1999 (17)

Ambulante Versorgung

Bundesweite Proteste gegen das Vorschaltgesetz

Mehr als 4 000 niedergelassene Ärzte demonstrierten bei einem zentralen Aktionstag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung am 18. Dezember in Bonn

gegen das „Solidaritätsstärkungsgesetz“. Am selben Tag fanden weitere Kund- gebungen in ganz Deutschland statt. Tausende Praxen blieben geschlossen.

W

Lange Schlangen vor der Bad Godesberger Stadthalle: Viele fanden keinen Platz mehr im Saal.

(2)

eine Resolution auf, die – von Tau- senden Teilnehmern an der zentralen Kundgebung unterschrieben – an die Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer gehen wird. Darin heißt es:

> Dem einzelnen Kassenarzt wird im Jahr 1999

weniger Geld für die Versorgung seiner Patienten zur Verfü- gung stehen als 1998.

Ursprünglich ge- meinsam mit den Krankenkassen ver- einbarte Struktur- verbesserungen zu- gunsten der besse- ren Vergütung am- bulanter Operatio- nen, von Hausbesu- chen, des ärztlichen Notfalldienstes und anderer förderungs- würdiger Leistungen fallen für 1999 weg.

> Die neue Re- gierung verhindert, daß die Sozialmauer zwischen Ost und

West eingerissen wird: Von den Kas- senärzten im Osten erwartet sie das gleiche Niveau wie von den West- ärzten, doch die Versorgung soll mit viel zu niedrigen Finanzmitteln er- folgen. Der gesetzlich verordnete Fi- nanzausgleich zwischen den Kas- senärzten Ost und West kann das Problem nicht lösen.

> Die Arzneimittelbudgets wer- den auf einem Stand festgeschrieben, der unter den Ausgaben des Jahres 1992 liegt. Die Politik zwingt die Kas- senärzte, ihren Patienten innovative

Medikamente vorzuenthalten, denn anders sind die Sparziele nicht ein- zuhalten. Die als Solidarität gegen- über den Versicherten gepriesene Rücknahme von Zuzahlungen ver- kehrt sich in ihr Gegenteil, wenn dem

Patienten bei niedrigerer Zuzahlung Arzneimittel verweigert werden müssen.

> Die Heilmittelversorgung des

Jahres 1999 soll aus einem Heilmittel- budget finanziert werden, das um 800 Millionen DM unter den Ausgaben des Jahres 1998 liegt. Wir (die Kas- senärzte, d. Red.) müssen drastisch bei physikalisch-medizinischen Lei- stungen sparen, wenn gleichzeitig der notwendige Mehrbedarf in Bereichen wie der Logopädie und Ergotherapie finanziert werden soll.

> Das gesetzlich verordnete Aus- gabenbudget für Psychotherapie wird nicht ausreichen, um den zu er- wartenden Zustrom Psychologischer Psychotherapeuten als weitere Lei- stungserbringer in der vertragsärztli- chen Versorgung zu verkraften.

Seit zehn Jahren, erinnerte der KBV- Vorsitzende, seien die Kassenärzte bei ihrer Vergütung und bei den Arznei- und Heilmittelverord- nungen einer sekto- ralen Budgetierung mit immer engeren Finanzierungsspiel- räumen ausgesetzt.

Nach einer vorsichti- gen Neuorientierung zum Ende der See- hoferschen Amtszeit käme das Vorschalt- gesetz „einem Rück- fall in die Eiszeit des Gesundheitsstruk- turgesetzes“ gleich.

Schorres Bemerkung, daß die Kran- kenkassen daran maßgeblich mitge- wirkt haben, bestätigten die Ärzte mit Pfiffen und lauten Buh-Rufen. Don- nernder Applaus dann für Schorres Fazit: „Immer mehr und immer besse- re Medizin ist mit weniger Geld nicht möglich! Wir Kassenärzte sind es leid, länger Sparkommissare einer verfehl- ten Gesundheitspolitik zu sein!“

Das Vorschaltgesetz ist aus Sicht von Dr. Eckhard Weisner, 2. Vorsitzen- der der KBV und Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer, jedoch kei-

A-18

P O L I T I K LEITARTIKEL

(18) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 1–2, 8. Januar 1999

Dr. Winfried Schorre: „Sind es leid, Sparkommissare einer verfehlten Gesundheitspolitik zu sein!“

Beiträge aus dem Plenum: Dr. Günter Gerhardt (Mitte) moderierte die Diskussion. Signale an die Politik: In vielen Wortbeiträgen kam die Verbitterung zum Ausdruck.

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neswegs nur ein Problem für die nie- dergelassenen Ärzte. Zwar käme das Krankenhaus insgesamt besser weg, aber: „Der Krankenhausarzt profitiert davon in keiner Weise.“ Weisner kriti- sierte den wachsenden Druck auf den ärztlichen Dienst in den Krankenhäu- sern. „Auch Krankenhausärzte leiden unter dem Spardruck der Gesund- heitsgesetzgebung. Durch die Vielzahl der Überstunden werden sie extremen Arbeitsbelastungen ausgesetzt.“

Zunehmend schliche sich sogar die unentgeltliche Tätigkeit als Gast- arzt an deutschen Kranken-

häusern wieder ein, um eine Weiterbildung im Hinblick auf eine spätere Niederlas- sung absolvieren zu kön- nen. Weisner glaubt nicht, daß sich die Ärzteschaft entzweien lassen wird. Viel- mehr würden die Bundes- ärztekammer und die Kas- senärztliche Bundesvereini- gung gemeinsam Lösungs- vorschläge erarbeiten.

Bei den ärztlichen Ver- bänden ist die Protestfront indessen nicht ohne Lücken.

Der Marburger Bund, die

Vertretung der angestellten Kranken- hausärzte, hält sich bei der Kritik an der Gesetzgebung bedeckt. Und auch der Bundesverband der Allgemeinärz- te Deutschlands (BDA) wollte den Aktionstag nicht stützen. Der Grund dafür dürfte in der Ankündigung der Bundesgesundheitsministerin zu su- chen sein, speziell die Hausärzte för- dern zu wollen. Anders dagegen ver- schiedene Landesverbände des BDA:

Deren Mitglieder zeigten mit Protest- märschen vor der Godesberger Stadt- halle demonstrativ Flagge.

Die zentrale Kundgebung in Bonn dauerte drei Stunden. In dieser Zeit tagte nur wenige Kilometer ent- fernt der Bundesrat. Unbeeindruckt von den Protesten in der direkten Nachbarschaft sowie landauf und landab, stimmte der Bundesrat dem

„Solidaritätsstärkungsgesetz“ zu, das somit zu Beginn dieses Jahres in Kraft getreten ist.

„Diese Art der Gesetzgebung der neuen Bundesregierung“, sagte Dr. Winfried Schorre etwa zur selben Zeit, „läßt das Schlimmste für die anstehende Gesundheitsre- form befürchten.“ Nach wie vor sei die Kassenärztliche Bundesvereinigung zum Dialog bereit. Doch sollte die Politik wissen, schloß der KBV-Vorsitzende unter dem tosenden Beifall der Kundgebungsteilnehmer,

„daß eine Gesundheitsre- form, die auf einer dauer- haft angelegten sektoralen Budgetierung fußt, nur ge- gen den erbitterten Wi- derstand der Kassenärz- te durchgesetzt werden

kann“. Josef Maus

A-19

P O L I T I K LEITARTIKEL

Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 1–2, 8. Januar 1999 (19)

Protest mit Plakaten: Die Kassenärzte fühlen sich von der Politik gegängelt und in ihrer Arbeit für die Patienten massiv beeinträchtigt. Fotos (6): Johannes Aevermann, Köln

Information für Patienten von „medizin heute“: Vier Seiten zum Vorschaltgesetz

Referenzen

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