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Archiv "Pharma-Verbände kontern „Bittere Pillen“" (07.10.1983)

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DER KOMMENTAR

Es bleibt bei mm Hg

Als Maßeinheit für den arteriel- len Blutdruck und für die Mes- sung von Drucken anderer Kör- perflüssigkeiten bleibt es bei mm Hg. In der britischen medi- zinischen Fachzeitschrift „Lan- cet" vom 20. August 1983 findet sich die Mitteilung unter der Überschrift: „Sieg für die Anti- Kilopascal Lobby". Danach hat die Europäische Kommission die Bemühungen aufgegeben, die Einheit Millimeter Quecksil- bersäule durch die Einheit Kilo- pascal zu ersetzen als generelle Maßeinheit für Drucke in der Medizin. Ursprünglich hatte die Weltgesundheitsversammlung im Mai 1977 empfohlen, die Einheit mm Hg nur noch bis zum 31. Dezember 1985 beizu- behalten.

In einem neuen Vorschlag des EWG-Ministerrates stellte die Europäische Kommission jetzt fest: „Diese Empfehlung ist na- hezu einmütig von der Ärzte- schaft abgelehnt worden . . Die Verwendung von Kilopascal kann nicht gegen den ausge- sprochenen Willen der Ärzte in der Gemeinschaft erzwungen werden; unter diesen Umstän- den schlägt die Kommission vor, daß die derzeitige Verfü- gung für eine zeitlich begrenzte Übergangsperiode aufgehoben wird und daß die Verwendung von Millimeter Quecksilber in der Medizin für eine unbe- grenzte Zeitdauer gestattet ist".

Außerdem wird im Einklang mit der Empfehlung der Weltge- sundheitsversammlung von 1977 vorgeschlagen, den Ge- brauch von Millimeter Queck- silber für die Messung von Drucken von Körperflüssigkeit in der Medizin generell zuzulas- sen.

Damit sind die jahrelangen Be- mühungen der Fachleute, die

sich gegen die sinnlose Umstel- lung der Maßeinheit für den Blutdruck ausgesprochen ha- ben, erfolgreich abgeschlossen worden. Die International So- ciety of Hypertension hat sich seit 1977 gegen die Einführung der Maßeinheit Kilopascal ge- wehrt, in der Bundesrepublik war es die Deutsche Liga zur Bekämpfung des hohen Blut- druckes, die bei dem federfüh- renden Bundesministerium für Wirtschaft und der ihm unter- stellten Physikalisch-Techni- schen Bundesanstalt gegen die Verwendung von Kilopascal als Maßeinheit für den Blutdruck Einspruch erhoben und auf die gefährlichen Konsequenzen für die ärztliche Versorgung hinge- wiesen hat.

Der jetzt erzielte Erfolg ist vor allem den gemeinsamen Bemü- hungen der Hochdruckgesell- schaften in den verschiedenen europäischen Ländern zu ver- danken, wobei die Deutsche Hochdruckliga besonders von seiten der britischen und schwedischen Vereinigungen unterstützt worden ist. Bei der WHO hatte sich der vor kurzem verstorbene deutsche Vertreter, Staatssekretär a. D. Professor Dr. med. Ludwig von Manger- König, für die Wiederaufnahme der Frage durch die Weltge- sundheitsversammlung einge- setzt.

Ende gut, alles gut, könnte man sagen, aber der Aufwand an Ar- beit und Zeit, der erforderlich war, um eine bürokratische, sachlich sinnlose Empfehlung und die sich daraus ergebende Verordnung rückgängig zu ma- chen, wäre einer besseren Sa- che wert gewesen.

Prof. Dr. med. Franz Gross Vorsitzender

der Deutschen Liga zur Bekämpfung

des hohen Blutdruckes e. V., 6900 Heidelberg

NACHRICHTEN

Pharma-Verbände

kontern „Bittere Pillen"

Als ein einseitiges, pseudowissen- schaftliches Machwerk hat der Bundesverband der Pharmazeuti- schen Industrie e. V. (BPI), Frank- furt, das mit großer Pressebegleit- musik vorgestellte Buch „Bittere Pillen" (864 Seiten) bezeichnet.

Die vier Autoren (ein Deutscher, drei Österreicher; die, so der BPI, bereits in der Vergangenheit „ein gestörtes Verhältnis zur pharma- zeutischen Industrie" zeigten) hät- ten in Bausch und Bogen etwa 60 Prozent der in der Bundesrepublik Deutschland und im Ausland ver- kauften Arzneimittel als „wenig zweckmäßig" bezeichnet oder so- gar pauschal als „abzuraten" ru- briziert. Wie BPI-Pressesprecher Hans-Joachim Cramer vor der Presse in Bonn betonte, sei es ein eklatanter Eingriff in das hochsen- sible Arzt-Patienten-Verhältnis, wenn in dieser Weise ganze Arz- neimittelgruppen als „gefährlich"

abgelehnt würden.

Der Bundesfachverband der Arz- neimittelhersteller e. V. (BHI), Bonn, hat auf seiner jüngsten Jah- restagung am 23. September in Stuttgart das „Arzneimittelhand- buch" als irreführend und reiße- risch kritisiert. Es würden über- wiegend nur Sekundärliteratur und keine Originalarbeiten heran- gezogen, bemängelt der Verband.

Zudem sei die Literatur unzulässi- gerweise selektiert worden. Auch seien zwei Jahre alte Literaturstu- dien aus den Niederlanden („Ge- neesmiddelen in Nederland") ein- fach auf die bundesdeutschen Verhältnisse angewandt worden, ohne die hiesigen Besonderheiten zu beachten. Auch „Pharmakaleit- fäden" aus Ländern mit weitge- hend verstaatlichten pharmazeuti- schen Industrien wie etwa Groß- britannien und Schweden hätten offensichtlich Pate gestanden.

Der BHI stellte fest: „Zu welch' ab- wegigen Ergebnissen die Autoren mit ihren selbst aufgestellten, überzogenen Bewertungskriterien 24 Heft 40 vom 7. Oktober 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

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Die Information:

Bericht und Meinung NACHRICHTEN

"Bittere Pillen" für den Patienten

kommen, geht unter anderem aus dem Kapitel ‚Beruhigungsmittel' hervor, wo beispielsweise Bal- drianpräparate fast durchweg schlechter beurteilt werden als benzodiazepinhaltige Tranquili- zer." Wer schützt Ärzte, Apothe- ker, Patienten und den Verbrau- cher „vor derartiger willkürlicher ,Wissenschaftlichkeit'?", fragt der Verband. Die polit-pharmakologi- schen „Bewertungen" auch von solchen Medikamenten, die erst kürzlich vom Bundesgesundheits- amt offiziell zugelassen und als wirksam und unbedenklich aner- kannt worden sind, müsse die Ab- sicht der Autoren des „Bittere-Pil- len-Buches" entlarven, den ge- samten Arzneimittelmarkt „in den Dreck zu ziehen" (so der Hauptge- schäftsführer des Pharma-Bun- desverbandes, Professor Vogel, vor dem Stuttgarter BHI-Kongreß).

Das Bundesgesundheitsamt und auch das aufsichtsführende Bun- desministerium für Jugend, Fami- lie und Gesundheit sind von der Arzneimittelindustrie aufgefordert worden, gegen den „Pillen-Rei- ßer" etwas zu unternehmen. Die beiden für Fragen der Arzneimit- telsicherheit und des Arzneimittel- rechts zuständigen „Fachleute"

des Bundesgesundheitsministeri- ums und des BGA versicherten bei der Stuttgarter Verbandstagung, man habe in den Godesberger und Berliner Amtsstuben bereits über das „Bittere-Pillen-Buch" disku- tiert (der Berliner Arzneimittel- Sachverständige hat sich nach ei- genen Bekundungen das Buch so- gar vom eigenen Taschengeld ge- kauft!), sie sähen sich aber nicht aufgerufen, dagegen amtlicher- seits vorzugehen.

• Inzwischen hat das Landgericht Hamburg auf Antrag einer Ham- burger Arzneimittelfirma laut AP- Meldung eine einstweilige Verfü- gung verhängt, und zwar solange, wie die in dem Buch aufgestellten falscheh Behauptungen gegen drei Arzneimittel, die von der Ham-

burger Firma hergestellt und ver- trieben werden, nicht berichtigt werden. HC

Es ist leider Mode geworden, mit unsachlichen und aufreißerischen Titeln den Buchmarkt zu über- schwemmen. Wenn dies dann noch auf Kosten kranker Men- schen geschieht, so ist dies nicht nur bedauerlich, sondern schlicht ein Skandal! In die Reihe die- ser fragwürdigen „Publikationen"

reiht sich nahtlos ein „kritischer Ratgeber", der den vielsagenden Titel „Bittere Pillen" trägt, ein.

Was hier vorliegt, ist ein Buch, in dem es angeblich um Nutzen und Risiken von 2300 Arzneimitteln geht, die „wissenschaftlich beier- tet" worden sind. Es darf nicht der Eindruck entstehen, als ob sich derartige „Werke" beliebig produ- zieren ließen. Einige der Autoren

haben sich bereits durch eine ähn- lich aufsehenerregende Veröffent- lichung über die Praktiken der Pharmaindustrie zu profilieren versucht und sind, gelinde gesagt, auf die Nase gefallen. Die ersten Reaktionen auf dieses nun vorlie- gende Buch läßt leider den Schluß zu, daß es zumindest ein Verkaufs- renner zu werden droht.

Schon die Strategie oder — wie es die Autoren nennen — Methodik des über 800 Seiten starken Pa- perbacks ist dubios. Allerdings sieht die tatsächliche Strategie im Unterschied zur im Vorspann des Buches geschilderten etwas an- ders aus. Das Strickmuster ist ewig dasselbe langweilige Rezept.

Man nehme ein öffentlichkeits- sensibles Thema (Arzneimittel).

Dieses wird mit einem reißeri- schen Titel und der Bemerkung, es handle sich um etwas „Kriti- sches" feilgeboten. Schließlich folgt eine den Laien äußerst beein- druckende Liste von Fachleuten, die wissenschaftlich beratend ge- wirkt haben (sollen). Man findet auch den Namen Greiser — welch Wunder! Man kennt seine Studien.

Über den Inhalt ließe sich ein neu- es Buch mit mindestens ebenfalls 800 Seiten schreiben. Auffallend ist beim Studium des Buches, daß

bei der Bewertung, ob ein Medika- ment sinnvoll oder unnütz ist, recht unterschiedliche Kriterien angewandt werden, obwohl ein- gangs die einzelnen „Noten" defi- niert werden. Von dieser Beurtei- lungsgrundlage entfernen sich die Autoren jedoch schon sehr bald.

So auch, wenn einerseits Präpara- te mit starken Nebenwirkungen als therapeutisch zweckmäßig einge- stuft werden, während identische Kombinationen mit einem Vit- aminzusatz plötzlich mit dem Ur- teil „abzuraten" versehen werden.

Offensichtlich reicht die Zugabe von 100 mg Vitamin C aus, um ein . ansonsten sinnvolles Präparat plötzlich völlig anders zu bewer- ten.

Ein zweites, signifikantes Beispiel:

Es wird in ein und derselben Spal- te beispielsweise ein stark wirksa- mes Beruhigungsmittel als „be- dingt tauglich" eingestuft, wäh- rend die schonend wirkenden pflanzlichen Mittel abqualifiziert werden. Gründe werden hier auch angegeben. Es handle sich um Mittel, die chemisch nicht definiert seien. Wer dies behauptet, der hat die Forschung auf dem Gebiet der Phytotherapie verschlafen. Es könnte natürlich auch sein, daß die Autoren mit den Herstellern synthetischer Präparate in ein Horn stoßen und von den Phyto- therapeutika einen Wirksamkeits- nachweis verlangen. Dies dürfte allerdings nicht im Sinn der Schreiber gewesen sein.

Es gibt so manches Ungereimtes in diesen Bewertungen. Die nicht unbedenklichen Benzodiazepine mit Suchtpotential werden scho- nend behandelt, während ähnlich gefährdende Substanzklassen wie Barbiturate abgelehnt werden, in einem Zug mit Hopfen und Bal- drian. Wenn es nach den Autoren ginge, so dürften Dermatologen praktisch keine Medikamente ver- schreiben. Bei der Rheumabe- handlung fallen eine Reihe wichti- ger Substanzen aus der Wertung, Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 40 vom 7. Oktober 1983 25

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