• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "„Bittere Pillen„ für den Patienten" (07.10.1983)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "„Bittere Pillen„ für den Patienten" (07.10.1983)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Die Information:

Bericht und Meinung NACHRICHTEN

"Bittere Pillen" für den Patienten

kommen, geht unter anderem aus dem Kapitel ‚Beruhigungsmittel' hervor, wo beispielsweise Bal- drianpräparate fast durchweg schlechter beurteilt werden als benzodiazepinhaltige Tranquili- zer." Wer schützt Ärzte, Apothe- ker, Patienten und den Verbrau- cher „vor derartiger willkürlicher ,Wissenschaftlichkeit'?", fragt der Verband. Die polit-pharmakologi- schen „Bewertungen" auch von solchen Medikamenten, die erst kürzlich vom Bundesgesundheits- amt offiziell zugelassen und als wirksam und unbedenklich aner- kannt worden sind, müsse die Ab- sicht der Autoren des „Bittere-Pil- len-Buches" entlarven, den ge- samten Arzneimittelmarkt „in den Dreck zu ziehen" (so der Hauptge- schäftsführer des Pharma-Bun- desverbandes, Professor Vogel, vor dem Stuttgarter BHI-Kongreß).

Das Bundesgesundheitsamt und auch das aufsichtsführende Bun- desministerium für Jugend, Fami- lie und Gesundheit sind von der Arzneimittelindustrie aufgefordert worden, gegen den „Pillen-Rei- ßer" etwas zu unternehmen. Die beiden für Fragen der Arzneimit- telsicherheit und des Arzneimittel- rechts zuständigen „Fachleute"

des Bundesgesundheitsministeri- ums und des BGA versicherten bei der Stuttgarter Verbandstagung, man habe in den Godesberger und Berliner Amtsstuben bereits über das „Bittere-Pillen-Buch" disku- tiert (der Berliner Arzneimittel- Sachverständige hat sich nach ei- genen Bekundungen das Buch so- gar vom eigenen Taschengeld ge- kauft!), sie sähen sich aber nicht aufgerufen, dagegen amtlicher- seits vorzugehen.

• Inzwischen hat das Landgericht Hamburg auf Antrag einer Ham- burger Arzneimittelfirma laut AP- Meldung eine einstweilige Verfü- gung verhängt, und zwar solange, wie die in dem Buch aufgestellten falscheh Behauptungen gegen drei Arzneimittel, die von der Ham-

burger Firma hergestellt und ver- trieben werden, nicht berichtigt werden. HC

Es ist leider Mode geworden, mit unsachlichen und aufreißerischen Titeln den Buchmarkt zu über- schwemmen. Wenn dies dann noch auf Kosten kranker Men- schen geschieht, so ist dies nicht nur bedauerlich, sondern schlicht ein Skandal! In die Reihe die- ser fragwürdigen „Publikationen"

reiht sich nahtlos ein „kritischer Ratgeber", der den vielsagenden Titel „Bittere Pillen" trägt, ein.

Was hier vorliegt, ist ein Buch, in dem es angeblich um Nutzen und Risiken von 2300 Arzneimitteln geht, die „wissenschaftlich beier- tet" worden sind. Es darf nicht der Eindruck entstehen, als ob sich derartige „Werke" beliebig produ- zieren ließen. Einige der Autoren

haben sich bereits durch eine ähn- lich aufsehenerregende Veröffent- lichung über die Praktiken der Pharmaindustrie zu profilieren versucht und sind, gelinde gesagt, auf die Nase gefallen. Die ersten Reaktionen auf dieses nun vorlie- gende Buch läßt leider den Schluß zu, daß es zumindest ein Verkaufs- renner zu werden droht.

Schon die Strategie oder — wie es die Autoren nennen — Methodik des über 800 Seiten starken Pa- perbacks ist dubios. Allerdings sieht die tatsächliche Strategie im Unterschied zur im Vorspann des Buches geschilderten etwas an- ders aus. Das Strickmuster ist ewig dasselbe langweilige Rezept.

Man nehme ein öffentlichkeits- sensibles Thema (Arzneimittel).

Dieses wird mit einem reißeri- schen Titel und der Bemerkung, es handle sich um etwas „Kriti- sches" feilgeboten. Schließlich folgt eine den Laien äußerst beein- druckende Liste von Fachleuten, die wissenschaftlich beratend ge- wirkt haben (sollen). Man findet auch den Namen Greiser — welch Wunder! Man kennt seine Studien.

Über den Inhalt ließe sich ein neu- es Buch mit mindestens ebenfalls 800 Seiten schreiben. Auffallend ist beim Studium des Buches, daß

bei der Bewertung, ob ein Medika- ment sinnvoll oder unnütz ist, recht unterschiedliche Kriterien angewandt werden, obwohl ein- gangs die einzelnen „Noten" defi- niert werden. Von dieser Beurtei- lungsgrundlage entfernen sich die Autoren jedoch schon sehr bald.

So auch, wenn einerseits Präpara- te mit starken Nebenwirkungen als therapeutisch zweckmäßig einge- stuft werden, während identische Kombinationen mit einem Vit- aminzusatz plötzlich mit dem Ur- teil „abzuraten" versehen werden.

Offensichtlich reicht die Zugabe von 100 mg Vitamin C aus, um ein . ansonsten sinnvolles Präparat plötzlich völlig anders zu bewer- ten.

Ein zweites, signifikantes Beispiel:

Es wird in ein und derselben Spal- te beispielsweise ein stark wirksa- mes Beruhigungsmittel als „be- dingt tauglich" eingestuft, wäh- rend die schonend wirkenden pflanzlichen Mittel abqualifiziert werden. Gründe werden hier auch angegeben. Es handle sich um Mittel, die chemisch nicht definiert seien. Wer dies behauptet, der hat die Forschung auf dem Gebiet der Phytotherapie verschlafen. Es könnte natürlich auch sein, daß die Autoren mit den Herstellern synthetischer Präparate in ein Horn stoßen und von den Phyto- therapeutika einen Wirksamkeits- nachweis verlangen. Dies dürfte allerdings nicht im Sinn der Schreiber gewesen sein.

Es gibt so manches Ungereimtes in diesen Bewertungen. Die nicht unbedenklichen Benzodiazepine mit Suchtpotential werden scho- nend behandelt, während ähnlich gefährdende Substanzklassen wie Barbiturate abgelehnt werden, in einem Zug mit Hopfen und Bal- drian. Wenn es nach den Autoren ginge, so dürften Dermatologen praktisch keine Medikamente ver- schreiben. Bei der Rheumabe- handlung fallen eine Reihe wichti- ger Substanzen aus der Wertung, Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 40 vom 7. Oktober 1983 25

(2)

Die Information:

Bericht und Meinung

„Bittere Pillen"

während Indomethacin, über das ja angeblich schon lange negative Berichte vorliegen, als therapeu- tisch zweckmäßig und lange be- währt eingestuft wird.

Es ist müßig, weitere Ungereimt- heiten hinzuzufügen. Natürlich gibt es auch positive Aspekte, wenn beispielsweise die übermä- ßige Anwendung von Schmerzmit- teln angeprangert wird. Dies sollte jedoch nicht auf dieser Basis ge- schehen. Es ist richtig, daß der Verbrauch an Schmerzmitteln steigt — nicht zuletzt durch verfüh- rerische Werbung in den Medien.

Hier ist in der Tat zu überlegen, in- wieweit es Möglichkeiten gibt, von dieser Seite aus dem Schmerzmit- telmißbrauch Einhalt zu gebieten.

Die Einführung der Rezeptpflicht aller Schmerzmittel wäre sicher nicht der schlechteste der denkba- ren Wege.

Ein weiteres Problem, das — wenn auch unqualifiziert und polemisch

— angegangen wird, sind die Kom- binationspräparate. Hier muß ein- deutig festgestellt werden, daß die Autoren den Standpunkt von Grei- ser unreflektiert wiedergeben. Wer einen Blick in Originalarbeiten ris- kiert — die Autoren haben hier of- fenbar beide Augen zugedrückt —, der wird sehr schnell feststellen, daß Kombinationspräparate nicht in derart pauschaler Weise abge- lehnt werden können, wie dies im Buch „Bittere Pillen" geschieht.

Sicher wäre es dringend erforder- lich, den Patienten über Arzneimit- tel besser zu informieren —speziell über die nicht rezeptpflichtigen.

Das vorliegende Buch hat eine Chance verpaßt — zugunsten einer scharfmachenden Publikation mit hoher Auflage. Hier steht ganz of- fensichtlich nicht die Verantwor- tung der Autoren im Vordergrund.

Wer die Bemerkungen zu den Praktiken in der Pharmaindustrie gelesen hat, durfte wohl kaum et- was anderes erwarten.

Wie aber sieht es mit dem Patien- ten aus? Er schaut, so das Kon- zept des Buches, bei jedem ver-

ordneten Mittel nach und er- schrickt ob der schroffen Ableh- nung durch unqualifizierte Auto- ren. Sowas bezeichnet man in der Regel als Panikmache. Ärzte wer- den ihre liebe Mühe haben, den Sinn ihrer Verordnung klarzuma- chen versuchen, um damit die Compliance nicht zu gefährden.

Bedenkenloser Umgang mit der Verantwortung

Im übrigen arbeiten die Autoren mit sich selbst widersprechenden Zahlen. Auf dem rückseitigen Klappentext ist zu lesen: „Die 2300 meistverordneten Arzneimittel in der Bundesrepublik und in Öster- reich — das sind 80 Prozent aller Medikamente — ..". Auf Seite 25 dagegen findet man die richtigere Einstufung: „Erfaßt wurden rund 2300 Medikamente, die in den 75 wichtigsten Anwendungsgebieten in beiden Ländern 80 Prozent aller verkauften Arzneimittel ausma- chen." Durch diese und ähnliche Tricks werden selbst kritische Le- ser verunsichert, weil sie von den hier „dokumentierten" Beurteilun- gen auf die übrigen Medikamente schließen. Hier wird mit der Ver- antwortung nicht nur leichtfertig, sondern bedenkenlos umgegan- gen. Dies ist um so erschrecken- der, als beinahe in jedem Kapitel, in jeder Auflistung, in jeder Bewer- tung die pharmakologische Unbe- darftheit der Verfasser zum Aus- druck kommt. Wenn im Text im- mer wieder von Fachliteratur und Experten die Rede ist, so können die Autoren weder sich noch ihre wissenschaftlichen Berater samt ihrer Publikationen meinen.

Es bedarf keiner reißerischen Pu- blikation, um zu wissen, daß Medi- kamente, die bei bestimmten Krankheiten nützlich sein sollen, auch Nebenwirkungen aufweisen.

Es bedarf jedoch der wirklich kriti- schen — und dies nicht im Sinne der Autoren —Abschätzung des Ri- siko-Nutzen-Verhältnisses. In ge- wisser Weise geben dies die Ver- fasser, wenn auch unbewußt in ei- ner Art Bumerangeffekt, selbst zu.

Dennoch wirkt es wie eine Ohrfei- ge für den Leser, wenn er auf der einen Seite zu hören bekommt, daß Präparate wegen ihren Neben- wirkungen nicht empfohlen wer- den können und andererseits (un- ter dem Kapitel Sulfonamide) von Präparaten mit nicht geringen Ne- benwirkungen deshalb abgeraten wird, weil es ja wirksamere — also auch nebenwirkungsreichere — Mittel gebe. Die Logik, mit der hier argumentiert wird, entzieht sich der Auffassungsgabe eines natur- wissenschaftlich geschulten Ge- hirns. Würden die Autoren ihre selbst gebastelten Bewertungs- maßstäbe ernst nehmen und kon- sequent anlegen, so müßten sie ei- gentlich alle Präparate ablehnen.

Und dies aus zwei „Gründen": Die eine Gruppe der Medikamente würde wegen ihrer Nebenwirkun- gen dem Rotstift zum Opfer fallen.

Die restlichen Medikamente wären sinnlos, weil sie als Kombinations- präparate sowieso nicht ins Kon- zept von Greiser passen oder we- gen ihrer nicht gefundenen chemi- schen Identität nicht gesichert wirksam sind.

So gesehen wäre es wohl das be- ste, die Pforten der Pharmaindu- strie zu schließen. Und dies dürfte wohl auch der Grundhaltung der

„kritischen" Verfasser und ihrer

„Berater" entsprechen. Dazu be- darf es aber nicht eines Wälzers von 864 Seiten!

Schließlich: „Durch erläuternde Texte zu sechzig Krankheitsberei- chen, durch Umsatzlisten und Preisvergleiche wird das Buch zum hilfreichen Nachschlagewerk für den eigenverantwortlichen Pa- tienten und den um Aufklärung bemühten Arzt." Was Umsatzli- sten mit Patientenaufklärung zu tun haben sollen, bleibt ein Ge- heimnis der Verfasser. Der anson- sten hochgestochene Anspruch, den dieses Buch erhebt, kann es in keiner Weise gerecht werden.

Bittere Pillen — hinter diesem Titel steckt kein „Sachbuch", nicht ein- mal ein schlechter Krimi. Es ist ei- ne Zumutung von der ersten bis zur letzten Seite. Wolf G. Dorner 26 Heft 40 vom 7. Oktober 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Rezeptur einer fi- xen Kombination schwach- wirksamer Analgetika mit Koffein ist über 100 Jahre alt: Im Hager Handbuch für Apotheker aus dem Jahre 1887 findet sich ein

So sollten Möglichkeiten eröffnet werden, Erfahrun- gen, die mit der Vergabe von Heroin für Schwerstabhängi- ge in Großbritannien und in der Schweiz gemacht werden, auch in

Eigene Abschnitte sind der kinder- urologischen Psychosomatik, den psychosomatisch-urolo- gischen Symptomen und Er- krankungen bei Männern so- wie den Sexual- und

Wenn wir niedergelasse- nen Ärzte nicht ein Instru- mentarium bekommen, diese schwerkranke Patientengrup- pe angemessen zu behandeln, werden außerärztliche Insti- tutionen sich

Im Chinese Medical Journal ist immerhin ein Teil der zitierten Stellen noch chine- sisch (und die können wir nicht le- sen, weil sie in chinesischen Schrift- zeichen

menbezogenen Bildern wir hier wieder begegnen, hatten eine Vorliebe für musikalische Moti- ve — nicht etwa aus Musikbegei- sterung, sondern mehr aus der Entdeckerfreude an

Auf die Aufforderung „Kneifen Sie bitte fest beide Augen zu!“ zeigt sich folgendes Bild.. Ansonsten keine weiteren neurologischen

Ein Berufsstand, der über Jahrtausende für Patienten eine Zufluchtsstätte und Stätte der Hoffnung war, und damit auch dem Staat ge- dient hat, darf nicht ausgerichtet werden nach