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Archiv "Wer Augen hat, der höre" (02.08.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

Reiner Speck

Wer Augen hat, der höre

Als Beitrag zum Europäischen Jahr der Musik wird bis zum 22.

September 1985 im von James Stirling konzipierten Neubau der Staatsgalerie eine ein- drucksvolle Ausstellung zum Thema „Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts" gezeigt, die von zahlreichen musikalischen Begleitveranstaltungen ergänzt wird. Mehr als 500 Werke von annähernd 300 Künstlern sollen die wechselseitigen Einflüsse dieser beiden künstlerischen Disziplinen veranschaulichen.

Der von Karin Frank von Maur herausgegebene Katalog darf als ein Kompendium für Fach- leute und Lehrbuch für Laien bezeichnet werden.

Beim Thema Musik und Kunst spannt sich der Bogen vor-

Zur

Ausstellung

„Vom Klang der Bilder"

in der

Staatsgalerie Stuttgart

schnell einsetzender Assoziatio- nen zwischen Mussorgskys „Bil- der einer Ausstellung" und Kan- dinskys theoretischen Schriften, die ihrerseits nicht ohne Stra- winski oder Schönberg denkbar wären.

„Diese Sauce schmeckt blau" — war die konstante Behauptung eines Patienten, über den der Dresdner Arzt Dr. Freudenberg im Zusammenhang von Psycho- pathologie und synästhetischen Begleiterscheinungen in einem Aufsatz in „Übersinnliche Welt"

1908 berichtete. Darin wurde auch — wie Kandinsky in seinem Buch „Über das Geistige in der Kunst" schreibt — über Farben- hören gesprochen. Dies diente dem theoretisierenden Maler zur Entwicklung und Aufzeich- nung von Gesetzmäßigkeiten ei- ner Synästhesie. Dieser Begriff aus dem sinnesphysiologisch- psychologischen Grenzgebiet bezeichnet das synchrone Sin- neserlebnis eines optischen und akustischen Reizes. Ein Instru- ment — das Farbenklavier — soll- te der allgemeinen Verbreitung dieses farbigen Hörens — audi- tion coloröe — dienen.

Das archi- tektonisch reizvolle neue Gebäude der Staats- galerie in Stuttgart

Jaspers nennt die Synästhesie

„ein Durcheinander der Sinn- lichkeiten, welches eine klare Gegenständlichkeit aufhebt".

Rimbauds Gedichtzeile „Ich er- fand die Farbe der Vokale ... "

mag daran erinnern, wie wichtig das Phänomen auch für die Lite- ratur war.

Eine sich von Raum zu Raum mehr verdichtende Integration seiner Empfindungen mit sei- nem Wissen über Musik (Litera- tur) und Kunst läßt wohl jeden Besucher der Ausstellung zum Teilhabenden dieser erweiter- ten Wahrnehmung werden. Er durchschreitet eine Fülle von Material, die Dank übersicht- licher Anordnung dennoch er- holsame Promenaden wie in Mussorgskys erwähntem Musik- stück erlauben.

Das kontemplativ einstimmende Atrium zur Ausstellung bildet der verbindende Flur zwischen dem Altbau der Staatsgalerie und dem erst im vorigen Jahr fertiggestellten Neubau, der ar- chitektonisch vom Zitatenschatz musealer Baukunst lebt. Hier hängen — noch ganz dem neun- zehnten Jahrhundert verpflich- tet — vor dunkelroter Samttapete Allegorien als dezente Hinweise auf das zu erwartende Leitmotiv.

Und wie ein großes Versprechen zur Qualität der Exponate mutet Paul Gauguins Bildnis des Celli- sten Schneeklud an.

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 31/32 vom 2. August 1985 (59) 2269

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Fotos (4): Aus dem Katalog Vom Klang der Bilder"

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Musik in der Kunst

Der erste große Saal ist Johann Sebastian Bach gewidmet. Die Kunst der Fuge war vielen Ma- lern über alle Epochen dieses Jahrhunderts hinweg Sujet ge- nug, für manchen erst auch aus- lösendes Moment, über Musik und Kunst nachzudenken. Die Aura dieses Raumes wird nicht nur durch ein Meisterwerk von Kupka — der in Analogie zu Sym- phonie den Terminus „Symor- phie" prägte — geschaffen; auch die gespielte Bachmusik trägt wesentlich dazu bei.

Schon hier sei angemerkt, daß trotz vorzüglicher Konzeption der Ausstellung eine Chance vertan wurde: In den weiteren fünfzehn Räumen, die jeweils sehr stringent einem Thema ge- widmet sind, hätte sich dem in- teressierten Zuschauer(-hörer) so manches Bild mit Hilfe eines kommentierenden walk-man's rascher und intensiver erschlos- sen. Das Hören der Bilder erfor- dert auch eine Stille der Umge- bung. So werden die themati- schen Zäsuren oft aufgehoben durch Geräusche aus dem über- nächsten Saal. Schon der näch- ste, ganz Paul Klee gewidmete Raum, verträgt — will man die Musikqualität im Werk dieses Künstlers nachempfinden — kei- nerlei Geräuschkulisse.

Die folgenden Säle, die dem Blauen Reiter, dem Orphismus, Kubismus, Futurismus und Da- Da gewidmet sind und weiter über die osteuropäische Avant- garde zu Mondrian und den Bauhaus-Künstlern führen, be- legen eindrucksvoll die epocha- len Parallelen künstlerischer An- schauungen und Bemühungen im Bereich von Kunst und Male- rei. Die Gegenstandslosigkeit der Kunst fällt nicht von unge- fähr zusammen mit dem Verlas- sen der Tonalität. Und Schön- bergs Satz über die Nichtexi- stenz von Dissonanzen — sie seien letztlich nur weiter aus- einanderliegende Konsonanzen

— erweist sich als Schlüssel zum Verständnis so manch ei-

Renä Magritte: Das Volksfest, 1961, Aquarell, schwarze Kreide und Collage, 44 mal 36,5 cm, Sammlung Castelli

nes „modernen" Bildes schlecht- hin.

Die strukturellen Analogien der Schöpfungen aus Farben und Tönen offenbaren sich durch die Versuche der Künstler, einer der Harmonielehre entsprechenden Farbgesetzlichkeit auf die Spur zu kommen. Apollinaire schuf angesichts der Malerei Delau- nays den Begriff des Orphismus, der an Hand ausgesuchter Bei- spiele einleuchtend belegt wird.

Kubisten wie Braque, Picasso, Gris oder Gleizes, deren the-

menbezogenen Bildern wir hier wieder begegnen, hatten eine Vorliebe für musikalische Moti- ve — nicht etwa aus Musikbegei- sterung, sondern mehr aus der Entdeckerfreude an einer kubi- stischen Form, die Musikinstru- menten innewohnt; vor allem Streich- und Zupfinstrumente deren Klangkörper denen von Frauen gleichen, ließen sich me- taphorisch zur Verwirklichung der künstlerischen Vorstellun- gen und Ziele heranziehen. Die Futuristen machten sich auf die Suche nach einer der Musik ent- sprechenden Bewegung, um Zeit im Sinne einer motio zu ver- bildlichen.

Wir erleben instrumentelle Me- tamorphosen bei den Dadaisten und Surrealisten, im Nouveau- 2270 (60) Heft 31/32 vom 2. August 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Musik in der Kunst

Realisme und in der Fluxusbe- wegung. Zwischenzeitlich prä- gen immer wieder Licht und Be- wegung die bildende Kunst, die aus dem Geist der Musik ge- schaffen wird oder mit ihr Zwie- sprache hält.

Selbst die zwingende Notwen- digkeit bestimmter Topoi und ihre retrospektiv nachvollzieh- baren Zusammenhänge werden offenbar: Kunsthistorisch war es kein Zufall, daß in Manhattan Mondrians Boogie-Woogie Bil- der 1942 (schon dafür lohnt sich die Reise nach Stuttgart) und nur zwanzig Jahre später Andy Warhols „Tanzschritt Tango"

entstanden sind.

In der insgesamt exzellent in- szenierten, in diesem Jahrhun- dert bisher weder gezeigten noch je wohl wieder zu erleben- den Zusammenstellung gibt es auch Gelegenheit, selten gese- henen Vortizisten und Vertre- tern einer musikalischen Archi- tektur zu begegnen.

Während die sich bis etwa in die sechziger Jahre hinein geschaf- fenen Werke meist durch ihren

„inneren" Klang erschließen, das heißt durch Betrachten auch hörbar werden, erreichen dieses Ziel in der Stuttgarter Ausstel- lung nicht die Exponate der art intermedia, einer Kunstrichtung, die im Verlauf der letzten fünf- zehn bis zwanzig Jahre mit Hilfe der Erweiterung künstlerischer Materialien unter anderem Mu- sik und Tanz, Licht und Bewe- gung mit in das bildnerische Ge- schehen einbezogen. Die hierzu gezeigten Bilder bleiben in der Tat tote Relikte, archivierte Par- tituren oder abgelegte Instru- mente.

Und da gerade den jüngsten Kunstrichtungen allenthalben mit soviel Aversion und Ignoranz begegnet wird, wurde hier ver- säumt, die Kluft, die noch immer groß ist zwischen dem histori- sierenden Verständnis einer Mo- dernen und dem engagierten

Ernst Barlach: Der singende Mann, Bronzeplastik aus dem Jahr 1928, die Maße: 49,9 mal 46,8 mal 39 cm, Staats- galerie Stuttgart

Iwan Puni (Jean Pougny): Der Musi- ker, 1921, Öl auf Leinwand, aus zwei Teilstücken vertikal zusammengenäht, 145 mal 98 cm

Verstehen einer Avantgarde, ein wenig zu verkleinern: ein Noten- bild mit einer Strawinski-Partitur von Kounellis ist eben kein No- tenbild, sondern ein Teil eines musikalischen Werkes, das nur dann existent ist — zu sehen, zu hören und zu erleben ist — wenn es mit Violinspieler und Balleri- na aufgeführt, wenn es an Ort und Stelle erfunden wird: „Da inventare sul posto" — wie es der Künstler im Titel des Werkes be- stimmt hat. Müssen wir uns wirk- lich am Ende des 20. Jahrhun- derts damit abfinden, auch zeit- genössische Kunst so als Frag- ment in musealer Umgebung präsentiert zu bekommen wie die an Gliedern verstümmelten Torsi Griechenlands?

Dr. med. Reiner Speck Dürener Straße 252 5000 Köln 41

Katalogbuch zur Ausstellung „Vom Klang der Bilder — die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts" — Her- ausgegeben von Karin von Maur, mit 22 Spezialbeiträgen, ausführ- lichen Künstleraussagen, 750 Abbil- dungen, davon 200 in Farbe, Pre- stel-Verlag, München; an der Muse- umskasse für 48 DM erhältlich 2272 (62) Heft 31/32 vom 2. August 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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