Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 30⏐⏐25. Juli 2008 A1591
P O L I T I K
E
ine anonyme Umfrage in der Ärzteschaft – zur Person gibt es lediglich drei Fragen: Alter (in sechs Altersgruppen unterteilt), Ge- schlecht und medizinische Fachdis- ziplin, sprich Allgemeinarzt, Fach- arzt oder Zahnarzt? Fragt man mehr ab, ist die Anonymität der antwor- tenden Ärzte nicht mehr gewähr- leistet. In Deutschland mit mehre- ren Hunderttausend Medizinern kaum vorstellbar – vor allem un- denkbar, dass die Zahnärzte in die Umfrage eingeschlossen werden.In Luxemburg aber Realität: Und bei 1 142 verschickten Umfrage- bögen kamen immerhin 528 beant- wortet zurück.
Diese Anekdote des General- sekretärs der Ärztekammer (ÄK) Luxemburg, Dr. med. Claude Schum- mer, brachte bei der diesjährigen Konsultativtagung der deutschspra- chigen Ärzteorganisationen im süd- tirolischen Meran (Italien) die An- wesenden zum Schmunzeln. Aller- dings blieben die Themen ansonsten sehr ernst: Qualitätsmanagement und Fallpauschalen standen auf der Tagesordnung. Vor allem diskutierte man aber über Palliativmedizin und Sterbehilfe.
Die bereits 54. Konsultativta- gung Anfang Juli sollte in erster Li- nie einem Austausch dienen. „Das Bild des Arztes hat sich verändert.
Wir wollen über den Zaun schauen und sehen, was sich bei den Nach- barn so tut“, eröffnete Gastgeber Dr. med. Andreas von Lutterotti, Prä- sident der Ärztekammer Südtirol, die Tagung. Was man fand, waren hauptsächlich Gemeinsamkeiten.
„Die Medizin wird zu einem großen Wirtschaftszweig, daher ist es wich- tig, dass wir uns austauschen und gegenseitig Tipps geben“, sagte Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), der diese Entwicklung mit Skepsis verfolgt.
Darin sind sich die Ärzte einig:
Die ökonomische Fragestellung hat sich in der Medizin in den letzten Jahren in den Vordergrund gescho- ben. Der Staat dringt immer weiter in die ärztliche Selbstbestimmung ein. Eines wurde in den Referaten und Diskussionen sehr schnell deut- lich: Die Ärzte versuchen auf allen Ebenen, um mehr Einfluss in der Ge- setzgebung zu kämpfen und Hürden zu überwinden – allerdings nicht im- mer so erfolgreich wie gewünscht.
Ärzte positionieren sich gegen die Eingriffe der Politik
So kritisierten vor allem die öster- reichischen Vertreter die Gesund- heits- und Sozialgesetzgebung ihres Landes. Dr. med. Otto Pjeta, Präsi- dialreferent für Qualität und Allge- meinarzt, stellte in seinem Referat die Qualitätssicherung als Instru- mentarium der Sozialversicherun- gen und Gesundheitspolitik dar. In- zwischen könnten die österreichi- schen Ärzte allerdings aufatmen, da die Große Koalition frühzeitig ge- platzt sei und die geplante Gesund- heitsreform demnach auf Eis liege.Die Resignation darüber, dass der Ärzteschaft das Heft aus der Hand genommen wird, wurde dennoch sehr deutlich. „Man hat uns mit All- gemeinplätzen abgespeist. Im Mit- telpunkt stehe der Mensch, hieß es.
In Wirklichkeit hat man Parallel- strukturen geschaffen, die nun im- mer mehr Macht erhalten“, so Pjeta.
Ärzte hätten bei den Entscheidun- gen zur Qualitätssicherung keinen Einfluss. Dieses Phänomen ist durchaus auch den Vertretern aus den anderen Ländern bekannt.
Umso wichtiger ist es, dass sich die Ärzte nun positionieren. Nicht nur gegen den Eingriff der Politik in die ärztliche Tätigkeit, sondern auch bei ethischen Fragen wie bei der aktiven Sterbehilfe und der Palliativ- medizin. Luxemburg hat die aktive
Sterbehilfe bereits Anfang des Jah- res bei todkranken Menschen für Ärzte unter bestimmten Vorausset- zungen straffrei gestellt. Eine Um- frage der ÄK Luxemburg ergab, dass die Akzeptanz der Ärzte gegenüber der aktiven Sterbehilfe sinkt, sobald sie diese selbst ausführen sollen:
Durch die neue Gesetzeslage sei die Diskussion also nicht beendet.
Die ÄK Luxemburg befragte die Ärzte jeweils aus ihrer Sicht als Arzt und als Patient. Als Bürger bezie- hungsweise Patient sind 92 Prozent der Meinung, dass jeder das Recht haben sollte, Sterbehilfe in An- spruch zu nehmen. „Als Ärzte wer- den sie dann skeptischer“, betonte Schummer. 58 Prozent sind gegen aktive Sterbehilfe. 32 Prozent wür- den selbst aktive Sterbehilfe leisten.
„Allerdings garantiert das Gesetz auch, dass die Ärzte keine aktive Sterbehilfe leisten müssen. Wenn ein Arzt nichts damit zu tun haben will, muss er auch nichts damit zu tun ha- ben“, erklärt Schummer. Er müsse jedoch in diesem Fall den Patienten an einen Arzt überweisen, der die aktive Sterbehilfe ausführen würde.
„Und das macht das Gesetz für mich wieder inakzeptabel“, resümiert Schummer. Zudem seien einige Punkte nicht hinreichend geklärt.
„Was ist im Fall einer Demenz oder bei Depressionen?“ Rudolf Henke, Vorsitzender des Marburger Bundes, teilte die Skepsis und ergänzte, dass der Tötungswunsch des Einzelnen auch unabhängig von Krankheiten aufkommen könne. „Ärzte sind auch darüber hinaus in der Verantwortung und sollten sich generell gegen Ster- behilfe positionieren“, forderte Hen- ke. BÄK-Präsident Hoppe fasste die Meinungen der deutschsprachigen Ärzteorganisationen zusammen, in- dem er betonte: „Ärzte fördern das Leben und leisten Palliativmedizin,
töten aber nicht.“ I
Sunna Gieseke