A 1560 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 106|
Heft 31–32|
3. August 2009D
ie Finanzkrise hat einige Wirtschaftszweige bereits fest im Griff. Das mag der Grund dafür gewesen sein, dass der Gast- geber der 55. Konsultativtagung der deutschsprachigen Ärzteorga- nisationen, die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), einen Ökonomen für den Eröffnungsvortrag eingeladen hat- te. Doch Gesundheitsexperte Dr.Harry Telser gab sich in Zürich verhalten optimistisch. „Die Nach- frage nach medizinischen Leistun- gen ist relativ krisenresistent.
Noch sind keine Einschnitte spür- bar.“ Allerdings, schränkte er ein, seien die Effekte umso stärker, je lohnabhängiger die Finanzierung des Gesundheitswesens gestaltet sei. Risiken berge allerdings auch die öffentliche Finanzierung. Sin- kende Steuereinnahmen im Zuge der Wirtschaftskrise, gepaart mit Milliardenausgaben zur Rettung maroder Banken oder Firmen, führ- ten dazu, dass Geld in anderen Be- reichen fehle.
Drohen im Gesundheitswesen die Mittel knapp zu werden, gibt es Telser zufolge zwei Reaktions- möglichkeiten: Budgetkürzungen und Regulierung. Doch sinnvolle Regulierung sei gerade im Ge- sundheitswesen schwierig: Kon- zentriere man sich zu sehr auf die Kosten, verstelle das den Blick auf den Nutzen medizinischer Maß- nahmen. Die Komplexität des Ge- sundheitswesens verhindere eine wirksame Folgenabschätzung. Au- ßerdem stünden Interessenkonflik- te der verschiedenen Akteure volkswirtschaftlich optimalen Lö- sungen im Weg. „Wenn jetzt durch die Finanzkrise noch mehr Druck entsteht, birgt das die Gefahr des
Regulierungsversagens“, gab Tel- ser zu bedenken.
Doch der Gesundheitsexperte identifizierte auch mögliche In- effizienzen, beispielsweise dort, wo Ärzte „unnötige Leistungen“
erbringen. „Das Geld“, so Telser,
„könnte anderswo besser einge- setzt werden.“ Ineffizient sei es aber auch, wenn sich Ärzte nicht auf ihre Kernaufgaben konzen- trieren könnten – Stichwort Büro- kratie –, Reibungsverluste an der Schnittstelle zwischen Grundver- sorgern und Krankenhäusern nicht behoben würden oder Ärzte eine ineffiziente Praxisausstattung vor- hielten. Für die Zukunft prognosti-
zierte der Gesundheitsökonom:
„Es wird Druck geben, kosten- günstiger zu arbeiten, die Zahl der Ärzte zu reduzieren.“ Doch er be- tonte auch: „Rationierung ist aus ökonomischer Sicht nie gut.“ – Womit er den Ärztevertretern aus der Schweiz, aus Österreich, Lu- xemburg, Südtirol und Deutsch- land aus der Seele sprach.
Einen weiteren Schwerpunkt der Diskussion in Zürich bildete das Thema Ärztemangel. In der Schweiz und in ländlichen Regio- nen Deutschlands macht er sich bereits bemerkbar. „Hier in der Schweiz gibt es Kliniken, die zu 90 Prozent von deutschen Ärzten betrieben werden“, erklärte Dr.
med. Max Giger vom Zentralvor- stand der FMH. Große Versor- gungsdefizite gebe es insbesonde- re in der Psychiatrie. Dagegen ha-
ben es die Ärztinnen und Ärzte in Österreich schwer, nach der Ap- probation eine Weiterbildungsstel- le zum Facharzt zu finden. Vor ein paar Jahren hat deshalb die Sächsi- sche Landesärztekammer im Zuge der „Nachbarschaftshilfe“ ein Pro- gramm aufgelegt, mit dem sie ge- zielt Mediziner für die Weiterbil- dung in sächsischen Kliniken und Praxen anwirbt – denn dort fehlt es an Bewerbern.
Systematisch untersucht hat die Wanderungsbewegungen zwischen den fünf Ländern und Regionen Dr. rer. pol. Thomas Kopetsch, bei der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung in Berlin zuständig für
Bedarfsplanung, Bundesarztregister und Datenaustausch. Danach ar- beiteten im vergangenen Jahr ins- gesamt 1 802 österreichische Ärz- te in Deutschland, aber lediglich 186 Schweizer und 159 luxembur- gische Ärzte. 1 253 deutsche Ärz- te zog es nach Österreich, aber fast dreimal so viele, nämlich ge- nau 3 683 in die Schweiz. Ein Sonderfall ist Luxemburg. Dort arbeiten 240 deutsche Ärzte, de- ren Anwesenheit aber nicht auf ungeteilte Begeisterung stößt. Da- zu der Generalsekretär der Ärzte- kammer Luxemburg, Claude Schummer: „Das Problem ist, dass viele dieser Ärzte sich nicht in Vollzeit bei uns niederlassen. Sie arbeiten nur in Teilzeit in ihrer Lu- xemburger Praxis und picken die
Rosinen.“ ■
Heike Korzilius
DEUTSCHSPRACHIGE ÄRZTEORGANISATIONEN
Noch ist die Finanzkrise im
Gesundheitswesen nicht spürbar
Die Nachfrage nach medizinischen Leistungen ist relativ krisenresistent.
Doch über die Grenzen hinweg wird der Ärztemangel zum Problem.