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Archiv "Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz: Zu guter Letzt ist alles selten" (22.10.2010)

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A 2032 Deutsches Ärzteblatt

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22. Oktober 2010

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as Arzneimittelmarktneuord- nungsgesetz (AMNOG) hat große Hoffnungen geweckt. Ein Kernbestandteil war, dass eine frü- he Nutzenbewertung für alle neu zugelassenen Arzneimittel einge- führt werden sollte. Doch in einem Änderungsantrag wollen die Frak- tionen der CDU/CSU und FDP jetzt wichtige Ausnahmen durch- setzen. Eine davon lautet: Arznei- mittel, die als sogenannte Orphan

Drugs für seltene Leiden zuge - lassen sind, sollen von dieser frü- hen Nutzenbewertung ausgenom- men werden.

Die Bundesärztekammer in Ab- stimmung mit der Arzneimittel- kommission der deutschen Ärz - teschaft, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesund- heitswesen und andere Fachleute haben sich in Stellungnahmen be- reits gegen diese Ausnahmerege-

lung ausgesprochen, weil sie diese für schädlich halten (1). Die Bun- desregierung, aber auch Vertreter der betroffenen Patienten, wider- sprechen. „Wird für ein Arznei- mittel ein Wirksamkeitsnachweis für die Behandlung einer selte - nen Erkrankung durch die (. . .) Zulassung erbracht, ist dies als Zusatznutzen (. . .) anzuerkennen“, schreibt die Bundesregierung in einer Stellungnahme. Und weiter:

ARZNEIMITTELMARKTNEUORDNUNGSGESETZ

Zu guter Letzt ist alles selten

Patienten mit seltenen Erkrankungen brauchen besondere Aufmerksamkeit und gute Arzneimittel. Ein Verzicht auf die frühe Nutzenbewertung würde das Gegenteil bewirken.

Foto: Fotolia

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„Es ist regelmäßig davon aus - zugehen, dass es für die Behand- lung dieser Erkrankung keine the- rapeutisch gleichwertige Alternati- ve gibt.“ (2)

Auch die „Allianz chronischer seltener Erkrankungen (ACHSE)“

hat diese vorgesehene Ausnahmere- gelung ausdrücklich in einer eigenen Stellungnahme verteidigt. Arznei- mittel für seltene Erkrankungen, so heißt es, „haben bereits einen Beleg für den Zusatznutzen (. . .) erbracht.

Aus Gründen der Bürokratievermei- dung sollten sie daher direkt dem Preisverhandlungsverfahren (. . .) oh- ne zusätzliche nationale Nutzenbe- wertung zugeführt werden.“

Wenn selbst Vertreter der Patien- ten diese Regelung wollen, ist dann die Diskussion nicht erledigt? Die klare Antwort: nein. Patienten mit seltenen Erkrankungen brauchen besondere Aufmerksamkeit und gu- te Arzneimittel. Ein Verzicht auf die frühe Nutzenbewertung würde das Gegenteil bewirken.

Nutzen bei Zulassung oft nicht geprüft

Der Nutzen von Arzneimitteln für seltene Erkrankungen wird bei der Zulassung längst nicht so konse- quent geprüft, wie es nach dem Wortlaut der europäischen Rege- lungen (Textkasten 1) den Anschein hat. Eine Analyse der bislang zuge- lassenen Mittel belegt, dass die Kri- terien, die hier angelegt werden, in der Realität oft nicht den Anforde- rungen einer Nutzenbewertung ge- nügen (3) (Textkasten 2).

Das AMNOG hat vor allem eine Kostenkontrolle zum Ziel. Der ur- sprüngliche Entwurf sah deshalb vor, dass alle neu zugelassenen Arz- neimittel kurz nach der Zulassung eine Nutzenbewertung durchlaufen.

Je nach Ergebnis müssen die Her- steller dann entweder Festpreise ak- zeptieren oder können in Preisver- handlungen gehen. Auch wenn die frühe Nutzenbewertung dazu die- nen soll, Kosten einzusparen, kann sie – neben dieser Aufgabe – für Pa- tienten und Ärzte einen immensen Vorteil haben: Beide werden sehr früh mit unabhängigen Informatio- nen über den Wert neuer Arzneimit- tel versorgt, die für ihre Entschei-

dungen wichtig sind. Das wäre ein echter Qualitätsgewinn – die Ver- ordnung, aber auch die selbstbe- stimmte Einnahme von Arzneimit- teln würden verbessert.

Generell ist eine frühe Nutzen- bewertung sinnvoll, weil bei der Zulassung oft für Patienten we- sentliche Aspekte keine oder eine eher untergeordnete Rolle spielen.

Die Zulassung neuer Medikamente ist ein Kompromiss: Auf der einen Seite sollen Patienten möglichst si- chere und wirksame Arzneimittel erhalten. Auf der anderen Seite soll das Verfahren aber nicht zu lange dauern, damit wichtige neue Medi- kamente schnell zur Verfügung ste- hen. Zulassungsbehörden konzen- trieren sich deshalb häufig auf medizinisch-pharmakologische Fra - gestellungen – Antihypertensiva werden beispielsweise zugelassen, wenn sie den Blutdruck wirksam senken und keine Sicherheitspro- bleme bestehen. Bei onkologi- schen Wirkstoffen kann sogar das Ansprechen des Tumors auf die Therapie ausreichen, ohne dass die Nachhaltigkeit im Sinne einer bes- seren Lebensqualität oder eines verlängerten Überlebens geprüft wird.

Die Nutzenbewertung gibt sich damit aber nicht zufrieden, sondern fragt, welche spürbaren gesundheit- lichen – patientenrelevanten – Vor- teile eine medizinische Maßnahme hat: Wird das Leben verlängert?

Gibt es weniger Komplikationen und eine bessere Lebensqualität?

Internationaler Standard der Nut- zenbewertung ist auch, dass sich ein Arzneimittel einem fairen Ver- gleich mit anderen Therapien stel- len muss. Wenn es noch keine The- rapie gibt, wie in der EU-Verord- nung angesprochen, kann das ein Placebo sein. Wenn es jedoch be- reits eine wirksame Therapie gibt, muss es ein fairer Kopf-an-Kopf- Vergleich sein, der – wie es die EU- Richtlinie fordert – einen „erhebli- chen Nutzen“ nachweist.

Orphan Drug – und trotzdem keine Innovation

Die Frage ist also: Sind diese Aspekte des Nutzens, „gemessen an patientenrelevanten Endpunk- ten“ und „an sinnvollen Vergleichs- therapien“, bei der Zulassung von Arzneimitteln für seltene Erkran- kungen regelhaft geprüft worden?

Die Analyse von Joppi et al. (3) (Textkasten 2) ergibt eine eindeuti- ge Antwort: Auch für Arzneimittel bei seltenen Erkrankungen ist we- der mit ihrer Zulassung „ … bereits ein Beleg für den Zusatznutzen (…) erbracht“, noch „regelmäßig davon auszugehen, dass es für die Behandlung dieser Erkrankung kei- ne therapeutisch gleichwertige Al- ternative gibt“.

Dieselben Probleme, die dazu führen, dass bei Arzneimitteln für

„nicht seltene“ Erkrankungen eine

Viele Krankheiten sind so selten, dass die Kos- ten für die Entwicklung und das Inverkehrbrin- gen eines Arzneimittels durch den zu erwarten- den Umsatz nicht gedeckt würden. Um auch für diese Erkrankungen einen Anreiz zu setzen, Arz- neimittel zu entwickeln (sogenannte Orphan Drugs, das heißt „Waisenkinder“ unter den Arzneimitteln) hat die Europäische Union 1999 Sonderregeln in einer Rechtsverordnung festge- legt (4). Den Status „Arzneimittel für seltene Leiden“ kann ein Hersteller danach erhalten, wenn ein Leiden bei höchstens fünf von 10 000 Personen vorkommt. Auch häufigere Erkrankun- gen kommen infrage, etwa wenn sie schwer- wiegende Folgen haben oder gar „lebensbe-

drohlich“ sind. Wenn ein Arzneimittel den Or - phan-Drug-Status erhält, hat das Unternehmen Marktexklusivität für zehn Jahre, Gebühren wer- den erlassen oder reduziert, der Antrag wird be- schleunigt bearbeitet.

Ein Arzneimittel kann (unter anderem) dann als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewie- sen werden, „wenn der Investor nachweisen kann, dass in der Gemeinschaft noch keine zu- friedenstellende Methode für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung des betreffenden Leidens zugelassen wurde oder dass das be- treffende Arzneimittel – sofern eine solche Me- thode besteht – (. . .) von erheblichem Nutzen sein wird“.

WAS SIND „SELTENE LEIDEN“?

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22. Oktober 2010 Nutzenbewertung notwendig ist,

bestehen ebenfalls bei Arzneimit- teln für seltene Leiden. Eine Nut- zenbewertung ist auch hier keine überflüssige Bürokratie, sondern ernstgenommenes Patienteninteres- se. Schließlich stellt die EU-Ver- ordnung selbst fest: „Patienten mit solchen Leiden ha ben denselben Anspruch auf Qualität, Unbedenk- lichkeit und Wirksamkeit von Arz- neimitteln wie andere Patienten.

Arzneimittel für seltene Leiden sollten daher dem normalen Be- wertungsverfahren unterliegen.“

Selten – und trotzdem sind viele betroffen

Eine Aufweichung der deutschen Nutzenbewertung würde viele Pa- tientinnen und Patienten betreffen.

Es gibt schätzungsweise 5 000 bis 7 000 seltene Erkrankungen, die Zahl hängt auch von der Definition ab. In Europa gilt eine Erkrankung dann als selten, wenn höchstens fünf von 10 000 Personen betroffen sind. Das bedeutet, dass eine selte- ne Erkrankung in Deutschland bis zu 40 000 Menschen betreffen kann

– wenn man alle seltenen Erkran- kungen zusammennimmt, dann gibt es allein in Deutschland Millionen von Patienten.

Der Sonderstatus von Orphan Drugs wird von der Pharmaindus- trie bereits gezielt ausgenutzt. Eine Strategie der Firmen ist, auch rela- tiv häufige Krankheiten, wie zum Beispiel Krebserkrankungen, in kleine Untergruppen zu zerlegen.

„Slicing“ wird das genannt – um dann „scheibchenweise“ Orphan- Drug-Status beanspruchen zu kön- nen. Der zweite Teil der Strategie setzt dann ein, wenn die Zulassung erteilt wurde. Danach wird von den Firmen ohne Erweiterung der Zulassung eine schleichende In - dikationsausweitung vorangetrie- ben, die dann zu einem „off-label- use“ führt („Nichebuster“ anstatt

„Blockbuster“). Diese Strategien würden durch einen Verzicht auf ei- ne frühe Nutzenbewertung für Or - phan Drugs noch gefördert.

Besonders tragisch ist, dass die- se Strategien verhindern, dass das eigentliche Ziel der Sonderrege- lungen erreicht wird: Die Entwick-

lung von nützlichen Therapien für wirklich seltene Erkrankungen an-

zustoßen. ■

Prof. Dr. med. Jürgen Windeler Dr. rer. medic. Klaus Koch Priv.-Doz. Dr. med. Stefan Lange Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit

im Gesundheitswesen

Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig Arzneimittelkommission der

deutschen Ärzteschaft

LITERATUR

1. www.akdae.de/Stellungnahmen/

20100922.pdf; www.bundestag.de/

bundestag/ausschuesse17/a14/an hoerungen/c_AMNOG/Stellungnahmen/

17_14_0065_12_.pdf 2. http://dip21.bundestag.de/

dip21/btd/17/032/1703211.pdf 3. Joppi 2009, http://onlinelibrary.wiley.com/

doi/10.1111/j.1365–2125.2009.

03369.x/full

4. Europäisches Parlament, Rat der Europä - ischen Union. Verordnung (EG) Nr. 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 16. Dezember 1999 über Arznei- mittel für seltene Leiden. Amtsbl Eur Ge- meinschaften 2000; L18: L18–1-L18/5;

22. Jan. 2000; http://eur-lex.europa.eu/Le- xUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2000:

018:0001:0005:de:PDF

5. http://ec.europa.eu/health/documents/

community-register/html/alforphreg.htm

Italienische Pharmakologen haben zuletzt 2008 untersucht, wie gut der Nutzen der in Europa zugelassenen Orphan Drugs belegt ist (3). Zu diesem Zeitpunkt waren 44 Arznei- mittel für seltene Erkrankungen in Europa zu- gelassen, gegenwärtig sind es etwa 70, da- von mehr als ein Drittel für onkologische In- dikationen (5). Von den 44 zugelassenen Arz- neimitteln hatte die Mehrzahl die Standards einer Nutzenbewertung nicht erfüllt. Bei eini- gen ist sogar fraglich, ob die Vorgaben der europäischen Rechtsverordnung umgesetzt wurden:

In 19 von 44 Fällen lagen keine randomi- sierten kontrollierten Studien (RCT) vor, die bei anderen Arzneimitteln Standard sind.

In 22 von 25 Fällen, in denen randomisier- te Studien vorlagen, fand die Erprobung im Vergleich zu Placebo statt. Placebostudien sind für eine Nutzenbewertung aber nur dann ausreichend, wenn es keine alternative The- rapie gibt.

In 14 dieser 22 Fälle gab es jedoch eine therapeutische Alternative, für die aber kein

fairer Kopf-an-Kopf-Vergleich stattgefunden hatte. Ein Beispiel ist der Wirkstoff Anagrelid, der 2004 als Orphan Drug für die Behand- lung der essentiellen Thrombozythämie auf Basis eines Placebovergleichs zugelassen worden war, obwohl es längst eine verfügba- re therapeutische Alternative gab, nämlich Hydroxyurea. Ein in Großbritannien vom Med - ical Research Council bereits vor der Zulas- sung initiierter RCT ergab, dass Anagrelid (plus ASS) sowohl hinsichtlich Wirksamkeit als auch Sicherheit schlechter war als Hydro- xyurea (plus ASS).

Surrogate dominieren

Die Analyse der 44 Arzneimittel zeigte auch, dass bei der Zulassung regelmäßig keine pa- tientenrelevanten Endpunkte, sondern Surro- gatparameter zur Beurteilung der Wirksam- keit verwendet worden waren. Dabei ging es um Aspekte wie Laborwertveränderungen oder Gehstreckenverlängerung. In der Onko- logie wurden „Therapieansprechen“ oder

„Zeit bis zur Progression“ gemessen, ohne

dass auch Daten zum Überleben oder zur Le- bensqualität vorgelegen hätten. Das Problem mit diesen Endpunkten lässt sich am Beispiel neuer Wirkstoffe für die Behandlung des me- tastasierten Nierenzellkarzinoms beschrei- ben, von denen seit 2006 insgesamt sechs zugelassen wurden, darunter drei mit Or - phan-Drug-Status (Sunitinib, Everolimus, Temsirolimus).

Selbst die Europäische Arzneimittelbehör- de EMA (European Medicines Agency) stellt für diese Wirkstoffe fest, dass der Nachweis eines Zusatznutzens mit der Zulassung keineswegs erbracht wurde, weil die Aussa- gekraft der Endpunkte unklar ist. Verwendet wurde als primärer Endpunkt das progres - sionsfreie Überleben. Dazu heißt es im Be- wertungsbericht der EMA zu Everolimus:

„Die Verlängerung des progressionsfreien Überlebens ist möglicherweise nicht klinisch relevant“ – weil vom Hersteller keine beglei- tenden positiven Daten zu Endpunkten wie Gesamtüberleben oder Lebensqualität vorge- legt wurden.

NUTZEN BEI ORPHAN DRUGS REGELMÄßIG NICHT BELEGT

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